Die Tyrannei der Masse
beschwor FDP-Generalsekretär Döring am Sonntag herauf. Dies im Zusammenhang damit, dass bei einer Wahl eine Partei bei ihrer ersten Beteiligung in einer Landtagswahl ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Partei eine hohe Stimmenanzahl erreichte.
Man kann sich natürlich darüber empören, ich finde aber, dass man hier einen viel interessanteren Aspekt betrachten kann, als nur ein seltsames Demokratieverständnis und allein "schlechter Stil" triffts auch nicht (das ist schlechter Stil).
Womit die klassische Politik gerade konfrontiert wird - nicht nur in Deutschland sondern überall - ist das Ergebnis einer Erkenntnis, die den ehemals brav einem geregelten Politikbetrieb folgenden Wähler traf: Der Erkenntnis, dass Politiker nicht qua Amt automatisch besser wissen, wie die Dinge laufen müssen. Eigentlich kann jeder, der sich ein wenig informiert oder die ein oder andere Ahnung von Abläufen und Prozessen hat oder zumindest eine Vorstellung entwickelt, wie etwas funktionieren könnte genauso gut - oder schlecht - Politik machen. Und die Piraten entwickelten sich innerhalb von ein paar Jahren zu der Partei, die für diese Erkenntnis ein Vorgehensmodell entwickelt hat. Das konnte sie auch, denn sie hat sich aus denjenigen, die diese Erkenntnis als Grundlage einer neuen Art, sich am Politikbetrieb zu beteiligen entdeckten gebildet. Und sie muss daher nicht erst einen langwierigen Umdenkprozess einleiten und durchschreiten, so wie es die anderen Parteien nun tun müssen, wollen sie sich auf diese neue gesellschaftliche Entwicklung einstellen.
Herr Döring spricht für diejenigen, die es noch nicht wollen. Er ist einer derjenigen, denen die 99% schon zu mächtig werden, wenn man ihre Stimme zu laut hört und die Tyrannei der Masse ist das Bild, mit dem sie diejenigen beschreiben, die gerade Wege finden, sich ihre Teilhabe an den gesellschaftlichen Entscheidungen zu erarbeiten.
Ist das skandalös? Ganz und gar nicht. Es ist menschlich. Döring ist einer derjenigen, der bei Veränderungen eine Facebookgruppe "Wir wollen, dass alles bleibt, wie es bisher war!" gründet. Und letztendlich irgendwann entweder die Veränderung akzeptieren muss, wenn er weiterhin in der sich einfach ohne seine Erlaubnis verändernden Gesellschaft eine Rolle spielen will oder er schmollt eben weiter und bleibt zurück. Die Akzeptanz fällt da schwer, denn man hatte es ja wirklich bequem in der politischen Parallelwelt, in der die tatsächlichen Anliegen der Bürger ungefähr an vorletzter Stelle der Prioritäten rangierte.
In den Medien widerholt sich dieser Tage auch noch ein anderer Begriff, der mehr über den Verwender als über die damit beschriebene Situation verrät: Sie sprechen beim Saarländer Wahlerfolg der Piraten von einem "Phänomen" - also einem "mit den Sinnen wahrnehmbaren, einzelnen Ereignis" -, das alle überrascht habe. Und auch das ist ein schönes Symptom: Überraschend ist das nämlich nur für diejenigen, die das einzelne Ereignis wahrnehmen. Viel weniger überraschend ist es für diejenigen, die die Veränderungen, die eine vernetzte Welt in den letzten 15 Jahren langsam mit sich brachte und immer noch weiter bringt, wahrnehmen. Also nicht das einzelne Ereignis betrachten, sondern den Prozess beobachten, erleben oder sogar mitgestalten.
Die Tyrannei der Masse hat sich schon längst konstruktive Mittel und Prozesse gegen die Tyrannei des von wenigen verwaltet werdens geschaffen: Crowdsourcing statt Zentralmedien, Crowdfunding statt Kreditwirtschaft, Creative Commons statt Verwertungsdiktatur. Es gibt schon längst eine digitale Almende, gegen die Rückeroberung von Kultur dadurch, dass man sie einfach nutzt, teilt und weiterentwickelt ohne dass Verlage und Verwertungsmakler gefragt werden wird kein ACTA und keine Internetsperre etwas unternehmen können, denn rückblickend ist alles schon längst geschehen, sind die neuen Prozesse schon längst entstanden und die Techniken, mit denen jeder Mensch sich beteiligen kann haben sich schon längst etabliert.
Den Dörings dieser Welt, die uns zurufen "Ihr macht alles kaputt!" rufen wir zu "Zu spät, wir haben schon längst alles kaputt gemacht! Aber wir bauen auch schon lange was viel besseres!"
1 Kommentar
Kommentar von: Boris [Besucher]
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Was mich bei Döring (und anderen, oft auch aus der CDU, z.B. Boris Rhein) wundert und auch traurig macht, ist, wie intellektuell alt und konservativ festgefahren diese noch jungen Leute sind. Döring ist nicht einmal 40 und tritt doch seit seiner politischen Jugend, also sicher seit rund 20 Jahren völlig auf der Stelle.
Er gehört schon heute zu den politischen Altlasten seiner Vätergeneration.
Vielleicht schaffen es ja die Piraten, bzw. deren Umkreise, wirklich frischen Wind zu bringen und neue Wege aufzuzeigen und neue Diskussionen zu führen.
Und ich sollte mich dann doch wieder mehr mit ihnen befassen, vielleicht entwickelt sich ja gerade doch eine wählbare Partei ohne die momentan massiv aufkommenden vierzigjährigen Polit-Rentner in den ‘etablierten’ Parteien