Worüber ich gerne mit euch auf der re:publica reden würde
Der Tod ist offenbar doch ein wesentlich heikleres Thema als ich dachte. Ich hatte jedenfalls - nachdem wir letztes Jahr aus Anlass der ersten re:publica nach Johannes Tod eine eher spontane Erinnerungsecke aufgebaut hatten - signalisiert bekommen, eine Initiative zum Thema Erinnerungskultur würde begrüßt. Daher reichte ich das Thema für uns (uns sind Wibke, Nadja und ich) als Session ein:
Short thesis
Die re:publica greift seit Jahren nicht nur aktuelle gesellschaftliche Themen auf, sondern hat auch bewusst eine Netzkultur und ein Gemeinschaftsempfinden geschaffen, das sie von anderen Fach- und Branchenkonferenzen unterscheidet. Ein wichtiger Aspekt jeder Gemeinschaft und jeder lebendigen Kultur ist der Umgang mit dem Tod. Erinnern wir uns an diejenigen, die wir verloren haben? Es wird Zeit, uns darum zu kümmern, diesen Teil des Lebens auch in unsere vornehmlich digitalen Kultur zu integrieren.
Description
Der Tod gehört zu den existenziellen Themen, ohne die es keine lebendige Kultur geben kann. Auch keine digitale, denn wenn wir in den über zehn Jahren re:publica etwas gelernt haben: Es gibt keine Trennung zwischen "echter" und digitaler Welt.
Der Zusammenhalt und die Familiarität, die Herzlichkeit und das subversive Augenzwinkern ist, trotz aller kritikwürdigen Dinge, Fehler, Schwierigkeiten, Dissonanzen, die im Laufe der Jahre nicht ausblieben, so fest in der DNA der re:publica verankert, dass jedes Jahr selbst ganz neue Besucherinnen und Besucher spüren, dass hier eine ganz andere Atmosphäre herrscht als auf anderen Konferenzen.
Diese DNA der re:publica hat uns, die Menschen, die die Welt irgendwie besser machen wollen, im Mittelpunkt. Wir meinen, dass die re:publica als große Gemeinschaft diese besondere Kultur geschaffen hat und wir glauben, dass es wichtig ist, dass diese Kultur weiter getragen wird. Das geht aber nur, wenn wir unsere Geister nicht vergessen: die Menschen, die Teil dieser Gemeinschaft waren und inzwischen nur noch als Erinnerung unter uns wandeln.
Wenn wir in unserer Kultur in Zukunft auch Trauer, Erinnerung und Freude darüber zulassen, so wunderbare Menschen gekannt zu haben, dass sie uns fehlen wenn sie fort sind, wird diese Kultur reicher, gehaltvoller und substanzieller und wir werden uns damit die Sicherheit geben, dass die re:publica nicht vergessen wird, wo sie herkommt.
Daher wollen wir darüber reden, wie wir eine Erinnerungskultur in eine sehr digitale Gesellschaft bringen, die momentan noch sehr im hier und jetzt lebt und noch zu wenig an eine Zukunft denkt, in der immer mehr von uns verschwinden und uns neue Generationen nachfolgen. Wo ist der Platz für unsere Toten, wie leben ihre Ideen weiter? Aber auch: Wie können wir Angehörigen helfen, wenn nötig? Wie organisieren wir Möglichkeiten zu persönlicher Trauer und Erinnerung? Wie verhindern wir digitales Vergessen? Wie bereit sind wir selbst, uns mit dieser Thematik ernsthaft auseinanderzusetzen?
Heute kam die Mail, dass die Session nicht angenommen wurde*, was mich doch etwas überraschte. Ich bin aber - das sei erst mal klargestellt - erstens überhaupt nicht böse über die Absage und ich fahre zweitens natürlich auf jeden Fall hin und ich verfolge dort drittens auch weiterhin das Thema, ob nun mit "offiziellem" Slot oder nicht. Ein bisschen traurig bin ich natürlich schon, aber ich nehme das nicht persönlich weil ich weiß, dass Dinge passieren und Themen mal passen und mal halt grade nicht so gut. Vielleicht gibt es ja auch eine andere Einreichung, die in dieselbe Richtung geht. Das würde mich freuen und dann würde ich auch versuchen, mich eben dort mit einzubringen.
(* Update: die Session ist doch noch zustande gekommen. Man dachte wohl im ersten Moment, es ginge um das Thema "digitaler Nachlass", das letztes Jahr schon vorgestellt wurde. Danke fürs Klären an Markus.)
Mir ist das Thema aber aus verschiedenen Gründen wichtig und die will ich besprechen:
Unsere kleine digitale Gesellschaft hier in Deutschland, der ich mich zugehörig fühle, kommt in ein Alter, in dem der Tod zum ständigen Begleiter wird. Wibke meinte heute auf Facebook, in der Popkultur - das diesjährige Motto der re:publica - geht es um Liebe und Tod. Das stimmt auch, aber Pop sieht den Tod aus einer Warte, in der er weit weg ist. Eine Warte, in der er mit Romantik verbunden ist, nicht mit der banalen oder auch grausamen Gegenwart. Pop beschäftigt sich mit dem Tod zwar emotional, aber eben auch verklärt: Es geht dort nicht um den realen Verlust von realen Menschen. Der Tod ist in der Popkultur nur ein Symbol. Worum es uns geht ist nicht das, worum es in der Zeile "I would die for you" geht, die Brian Adams in einem Liebeslied singt um seiner Angebeteten zu erklären, wie groß seine Liebe ist.
Wir kommen alle früher als wir glauben in ein Alter, in dem der Tod den Schleier der Romantik ablegt. Ich werde dieses Jahr 50 und seit ein, zwei Jahren sterben Menschen, die mir nahe stehen, mit denen ich gearbeitet habe oder mit denen ich in der Schule war und das wird ab jetzt mehr werden und nicht weniger. Und eventuell bin ich auch angezählt und weiß es nur noch nicht, ich bin mir aber auf jeden Fall bewusst darüber, dass der weit längere Teil meines Lebens hinter mir liegt und nicht vor mir.
Ich würde mich daher freuen, mit Menschen darüber zu reden, wie wir mit dem Thema Tod umgehen wollen. Rein praktisch, aber auch emotional und kulturell. Ich glaube, dass es an der Zeitt ist, dass es hilfreich ist und dass es uns weiterbringt. Ich würde gerne über Möglichkeiten der gemeinsamen Erinnerung reden und darüber, ob und wie wir ganz konkret Hinterbliebenen helfen können, auch finanziell oder organisatorisch.
Ich werde die re:publica und euch auch ohne Session darauf ansprechen und freue mich, wenn ihr mich darauf ansprecht. Vielleicht bekommen wir ja eine Initiative auf die Beine gestellt und vielleicht können wir die dann im nächsten Jahr vorstellen.
Noch kein Feedback
Formular wird geladen...