Ich bin Anfang der Neunziger im Usenet unterwegs gewesen, später in Foren, von denen ich nicht wenige selbst betrieben oder moderiert habe und blogge seit über zehn Jahren. In dieser Zeit habe ich einige Taktiken gelernt, mit Trollen umzugehen, also mit Leuten, die versuchen, Boards, Foren und Blogs für ihre eigene - meist gegnerische - politische oder weltanschauliche Agenda zu missbrauchen, aus irgendwelchen Gründen einen persönlichen Groll gegen jemanden ausleben, als Stalker eine Person zu der sie glauben eine Beziehung zu haben, verfolgen oder schlicht einfach nur infantil nerven möchten.
Vielleicht überrascht das zunächst, aber: Die Motivation der Trolle ist letztlich relativ egal. Es ist völlig Wurscht, warum jemand trollt, es steckt immer dasselbe Ziel dahinter, nämlich die Übernahme bzw. Zerstörung der eigentlichen Kommunikation. Es ist am Ende immer ein Machtspiel und es geht darum, dass ihr euch vom Troll vereinnahmen lasst.
Daher lautet Tip 1: Ihr müsst für euch immer Prio eins bleiben!
Dein Blog, deine Foren-Identität, dein Twitter-Account, dein Facebook - überall findet Deine Kommunikation statt. Zum Teil komplett, zum Teil halb öffentlich. Du möchtest mit Freunden kommunizieren, du möchtest über Dinge bloggen, die dir wichtig sind oder dir Spaß machen. Für jemanden, der dir hier seine Themen aufdrückt, mit seiner Kommunikation deine zerstört, sich rücksichtslos in dein digitales Leben zwängt, gibt es überhaupt keinen Anspruch darauf, dass du dich mit ihm oder seinen Themen beschäftigen musst. Egal was er oder andere, die ihn eventuell 'doch gar nicht so schlimm' oder was er sagt 'vielleicht ja gar nicht so falsch' finden. Dein Empfinden zählt hier allein und ohne Widerspruchmöglichkeit. Wer dich nervt, der nervt. Basta.
Daraus folgt Tip 2: Keine Diskussion! Ihr müsst euch nicht rechtfertigen.
Euch sollte immer bewusst sein, dass löschen, blocken oder Missbrauch melden keine Zensur ist! Zensur geht immer vom Staat aus, nicht von Privatpersonen (und auch nicht von Firmen). Kein Mensch muss sich auf jede bescheuerte Diskussion einlassen, nur weil er irgendwo öffentlich ansprechbar ist. Auf eurem Blog, in eurem Forum, auf eurer Timeline sind andere bei euch zu Gast. Wer sich nicht benehmen kann, der fliegt eben. Ihr behaltet ja auch keine Gäste in eurer Wohnung, die sich nicht benehmen können. Daher: Keine Diskussion, mit dem Troll nicht aber auch nicht mit Leuten, die ihm mit falsch verstandenen Toleranzansprüchen sekundieren. Ersterem sagt man gar nichts, letzteren sagt man "Du kannst gern in Deiner Umgebung machen wie Du das willst, in meiner Umgebung mach ich das so, wie ich es möchte."
Tip 3: Nicht reagieren. Und wenn es schon passiert ist, nicht mehr reagieren.
Das wichtigste und eventuell anfangs anstrengendste ist, auf gar keinen Fall ever mit dem Troll zu kommunizieren. Er wird provozieren, drohen, zig mal dasselbe schreiben und wenns ganz schlecht läuft wird er euch immer da treffen, wo es euch zu einer Antwort, einer Rechtfertigung oder einfach nur zu einer wüsten Beschimpfung drängt.
Letztendlich interessiert den Troll nur, dass ihr reagiert. Es ist unerheblich ob euer Argument gut ist, ob ihr nett zu ihm seid (das legt er euch wenn überhaupt als Schwäche aus), ihm mit Anwalt oder Polizei droht… wenn ihr reagiert, hat er gewonnen. So einfach funktioniert seine Welt. Also nicht reagieren. Und wenn schon eine Diskussion im Gange ist, stellt sie sofort ein - und zwar ohne jede weitere Mitteilung oder Begründung. Den meisten Trollen wird das irgendwann zu langweilig.
Leider gibt es aber auch hartnäckigere Exemplare:
Tip 4: Sagte ich nicht reagieren? Ich meinte nicht direkt reagieren.
Eine der wenigen Methoden, die wirklich funktioniert haben, wenn ignorieren nichts hilft und man beginnen muss, mit härteren Bandagen zu kämpfen, ist: Redet weiterhin nicht mit ihm. Aber beginnt damit, über den Troll zu reden. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich habe das schon zig mal durchexerziert, hier und in Foren und in Blogs von FreundInnen, die ihre Trolle lange nicht loswerden konnten. Es funktioniert.
Schreibt einen Blogeintrag, in dem ihr ihn ruhig oder ironisch und mit etwas arrogantem Interesse an der Spezies des Trolls analysiert. Zieht Freunde ins Vertrauen und lasst eure Freunde sich in den Kommentaren oder Threads in dem er auftaucht über ihn unterhalten. Psychologisiert an ihm herum wie an einem interessanten Beobachtungsobjekt (Sascha Lobo hat daraus Vorträge über Trollforschung gemacht), macht euch über den Trottel lustig, plaudert darüber, was für ne arme Sau das sein muss. Vermutet ein sechzehnjähriges pubertierendes Muttersöhnchen in ihm oder einen - wäre er nicht so ein Arsch - bedauernswerten alkoholkranken Arbeitslosen, der von der Gesellschaft abgehängt wurde. Wenn er versucht mitzudiskutieren, zu widersprechen, zu lästern… greift das nicht sofort, aber nach einer Weile und dann wieder nur indirekt auf ("Da oben hat er ja jetzt geschrieben, er würde mehr Geld verdienen als wir alle zusammen. Meine Güte, wie tief will er denn noch sinken? Demnächst postet er Bilder von ner Yacht, die er sich irgendwo zusammengoogelt."). Worum es hier geht ist: Ihr erlangt die Kontrolle über die Kommunikation zurück.
Selbst wenn der Troll das Thema ist: So lange ihr nicht mit dem Troll kommuniziert zeigt ihr ihm, wer die Kommunikation bestimmt. Nämlich nicht er. Und ihr zeigt ihm, dass ihr nicht alleine seid. Trolle mögen es nicht, wenn sie aus der Kommunikation ausgeschlossen werden, die sie eigentlich steuern wollten und sie mögen auch selten, in der Minderheit zu sein. Das ist der Grund, warum das - auch wenns einem seltsam vorkommt - so gut funktioniert.
Tip 5: Nutzt Technik, Rechtsmittel, Öffentlichkeit.
Nicht jeder hat ein dickes Fell. Für Leute, die euch sagen, ihr müsst eben eines haben wenn ihr ins Internet schreibt, gilt Tip 2. Es ist legitim, Kommentare direkt zu löschen. Es ist legitim, in seinem Blog Kommentare zu moderieren. Es ist legitim, einen Troll in Foren oder Facebook oder wo immer ein Moderator zu Hilfe kommen kann, zu melden. Es ist legitim, einen Anwalt einzuschalten - aber hier ist es wichtig, einen zu finden, der sich mit dem Internet und mit der Rechtslage speziell im Internet auskennt. Sonst geht es schief und das Verfahren wird eingestellt, weil man die falschen Rechtsmittel eingesetzt hat.
Es ist gegebenenfalls legitim, die eigene Situation als Thema zu veröffentlichen: So wie in Tip 4 eine Objektifizierung stattfindet, um dem Troll die Kommunikation abzunehmen stellt eine noch größere Öffentlichkeit eine noch größere Objektifizierung dar. Ein Troll will Aufmerksamkeit, das stimmt. Aber er will eure Aufmerksamkeit, nicht die von sehr vielen Menschen, die beginnen, ihn zu beobachten und zu ihrem Thema zu machen. Er wird nicht mögen, dass ihr plötzlich viele neue Freunde und Rückhalt bekommt, wo es ihm doch darum ging, euch zu isolieren, zu verunsichern und zu stören.
Ja, es ist eine Eskalation, aber manchmal ist eskalieren der richtige Schritt. Der Troll wird gegebenfalls dann auch mal eine Weile von anderen Trollen unterstützt werden, aber die kann man wieder ignorieren (Tip 3) oder einfach mit in die Betrachtung des generellen Phänomens integrieren (Tip 4) - letztlich sind die Trolle immer in der Minderheit, egal wie groß euch ein Mob vorkommt. Das wird aber erst offensichtlich, wenn ihr einen Vergleich habt. Aber es ist so: Die Menge eurer Unterstützer wird immer größer sein als die Menge von Bekloppten, ihr müsst sie nur rufen. Transparenz wirkt hier wirklich befreiend. Und manchmal muss man einen Wald halt noch mal woanders anzünden, um ein Feuer zu löschen.