Vor einiger Zeit geisterte das Narrativ durch die Netzwelt, die Snowden-Enthüllungen hätten ja nichts geändert. Ich hatte daraufhin ein anderes Bild aufgemacht: Nur weil es keine allgemeine Empörung gibt, heißt das nicht, dass nichts passiert. Es heißt erst mal nur, dass das Thema sich nicht für eine plötzliche allgemeine Empörung eignet.
Meine Vermutung war, dass sich das Bewusstsein langsamer, aber dennoch stetig seine Bahn in die weniger netzaffinen Bereiche der Gesellschaft bahnt (und daher auch keine allgemeine Empörung zu sehen war). Ich merkte an, dass EntwicklerInnen und IngenieurInnen schon begonnen hatten, ihre Apps, Dienste und Hardware sicherer zu machen und dass Cryptografie bald nicht als Add-On sondern als Standard in neuen Produkten und Diensten erwartet und auch geliefert wird. Und dass das nur etwas Zeit benötigen wird, denn sowas wird ja nicht von einem Tag auf den anderen fertig. Aber wenn inzwischen sogar der unsicherste und dennoch verbreitetste Messenger WhatsApp Verschlüsselung einführt und ausbaut, dürfte klar sein, dass wir uns bei der Anforderung, dass unsere private Kommunikation wieder vertraulich zu sein hat, nicht in einer Nische befinden.
Der Artikel ist vom 3. Juli. Das was ich darin beschreibe, war meiner Meinung schon sehr sichtbar, aber konkrete Wirkungen eventuell noch nicht. Jetzt aber sind sie es auch. Indirekt.
Der Britische Premierminister Cameron verlangt das Verbot von Verschlüsselung. Barak Obama laviert sich zu einer ähnlichen Aussage. Heute nun kommen auch unsere deutschen Minister mit der Forderung daher, dass "Sicherheitsbehörden" (also Geheimdienste), Verschlüsselungen umgehen können müssen.
Was sagt uns das?
Zunächst mal was Gutes, nämlich: Die Geheimdienste, die Jahre lang jederzeit auf unsere Kommunikation zugreifen konnten, geht inzwischen offenbar schon so viel davon durch die Lappen, dass sie sich genötigt fühlen, bei ihren Dienstherren zu quengeln. Weiter noch: Wenn es jetzt schon so weit ist, dass man nach gesetzlichen Regelungen sucht, um Verschlüsselungen verhindern oder umgehen zu können, dann ist die "Aufrüstung" von uns BürgerInnen schon so weit gediehen, dass der technische Aufwand, unsere Kommunikation doch wieder irgendwie einzufangen, zu hoch ist, um das ohne Gesetze zu stemmen.
Es ist auch deswegen ein gutes Zeichen, weil erstens noch lange nicht jeder verschlüsselt und wir zweitens noch lange nicht am Ende der technischen Möglichkeiten sind, um Geheimdienste daran zu hindern, uns abzuhören. Und doch ist schon jetzt der Moment erreicht, an dem sie Schwierigkeiten bekommen.
Wie panisch man da wohl ist, zeigt sich auch an der löchrigen Argumentation, die zurechtzulegen man sich - um den Anschlag in Paris als Fahrwasser nicht zu verschenken - offensichtlich so beeilt hat, dass man den Widerspruch nicht mal versucht hat zu kaschieren, der sich aus der Behauptung ergibt, dass man ja Abhörmaßnahmen nur mit strengen richterlichen Auflagen und im Extremfall durchführen will, während ja jeder weiß, dass sie uns doch schon längst und jetzt gerade ganz ohne irgendwelche Legitimation abhören.
Die Logik wird ab diesem Punkt auch nicht mehr schlüssiger, im Gegenteil: Wer wirklich übles vor hat - und darum ginge es ja nur: absolute Extremsituationen - wird abhörbare Kommunikationsmedien einfach von vorneherein gar nicht erst verwenden oder sich einen Teufel um gesetzliche Vorgaben scheren und seine Kommunikation eben doch ordentlich verschlüsseln. Das heißt im Effekt, dass die Komplettüberwachung am Ende jeden Menschen überwacht, nur nicht die, zu deren Überwachung das alles angeblich gemacht wird.
Ich glaube daher, dass es für uns alle wichtig ist, den beschrittenen Pfad konsequent weiter zu verfolgen:
1. Es als Selbstverständlichkeit zu betrachten und zu propagieren, dass Verschlüsselung benutzt wird wenn immer das möglich ist.
2. Bei der Auswahl von Tools, Apps, Services immer diejenigen zu bevorzugen, die die Privatsphäre und Sicherheit der Nutzer und ihrer Daten Ernst nehmen und für die entsprechende Standards selbstverständlich sind.
3. Bei der Entwicklung von neuen Tools und Produkten schon von Beginn an für sichere Verbindungen und Schutz davor, ausspioniert zu werden zu sorgen, so dass das nicht nachträglich langwierig umgebaut werden muss oder Nutzer erst noch eigene Maßnahmen drumherumbauen müssen, damit sie ihre Privatsphäre behalten.
Eine Bitte an Journalisten: Wenn ihr die Gelegenheit habt, mal einen dieser Herren, die da gerade rund gehen, eine Frage zu stellen, dann stellt ihnen bitte mal diese:
"Vor über einem Jahr, als bekannt geworden ist, dass uns die US und UK-Geheimdienste abhören und unsere Geheimdienste ihnen dabei helfen, haben Sie gesagt, der Bürger müsse sich selbst darum kümmern, dass seine Kommunikation verschlüsselt wird. Jetzt tut er genau das und nun wollen Sie genau deswegen Verschlüsselung verbieten oder unterlaufen. We Te Eff, Herr Minister?"