Eiwei, da geht mal wieder die Welt unter wegen eines Gesetzes bzw. genauer gesagt eines Staatsvertrages, der den Jugendschutz in den Medien regeln soll, stattdessen aber offensichtlich wahnsinnig viel anderes tut. Mir persönlich ist das Werk ziemlich Wumpe. Natürlich wäre es besser (weil wesentlich weniger peinlich für unsere Politikerkaste), würde er nicht in Kraft treten aber da wahrscheinlich ist, dass ers tut - warum sollten unsere Gesetzgeber auch einen jahrelangen Lauf an sinnlosen Gesetzesverabschiedungen unterbrechen - schreib ich hier mal meine (durchaus laienhafte und somit gewährfreien) Ansichten darüber auf, was dieser seltsame Vertrag ist und was nicht:
Er ist
- zuallererst ein mal der Beweis für die seit langem gehegte Vermutung, dass es viel zu viele Politiker und Juristen gibt, die nicht den geringsten Schimmer haben, wie das Internet eigentlich funktioniert.
- daher im Prinzip auf das meiste, was im Internet passiert, wie man dort veröffentlicht und wie man die veröffentlichten Inhalte rezipiert überhaupt nicht anwendbar.
- wenn überhaupt für irgendjemanden umsetzbar, dann für "klassische" Publikationsformen (sprich: Medien aus dem letzten Jahrhundert) und Internet-Publikationen, die wie klassische Publikationen aussehen, nur eben im Internet (TV-Mediatheken, Magazine und all der Schmampf, der seinerseits das, was das Internet ausmacht, nicht wirklich verstanden hat).
- keine neue Gefahr für Communities, Blogger, Twitterer, private Meinungsäußerungen, politische Arbeit und Kommunikation im Netz. Also für Leute, die das Netz so verwenden, wie es nun mal heutzutage funktioniert. Wenn man sich durchliest, wie man sich die praktische Anwendung der neuen Regelungen vorstellt, wird schnell offensichtlich, dass wir Internetbenutzer hier überhaupt nicht gemeint sind (selbst wenn wir gemeint gewesen sein sollten).
- ansonsten ne nette Gelddruckerei für Jugendschutzfilter-Hersteller, die den Leuten, die das Internet auch weiterhin nicht verstehen wollen, ihr Internet zu nem weiteren Fernsehsender machen.
Er ist freilich nicht
- im mindesten dazu geeignet, die Jugend vor irgendwas zu schützen. Die kennt sich im Netz ohnehin viel besser aus, weiß um die tatsächlichen Gefahren dort, die auch ein JMStV nicht verhindert und werden im Zweifelsfall nie irgendetwas von diesen Regelungen mitbekommen, so lange sie nicht Internetseiten ansurfen, die wie klassische Publikationen funktionieren. Allerdings nur deutsche: Wenn bei GameOne der Trailer eines Ballerspiels ab 18 erst nach 23 Uhr zu sehen ist, schaut man ihn sich halt einfach auf irgendeiner internationalen Spieleseite an.
- das Ende der freien Rede oder sowas wie die Einführung von Netzsperren durch die Hintertür. Ja klar, man sollte protestieren, Politiker überzeugen, dem Blödsinn lieber doch nicht zuzustimmen und all das. Aber nicht etwa, weil man sonst aufhören müsste zu bloggen sondern weil wir wirklich nicht noch ein weltfremdes Gesetz mehr brauchen, das jeden verwirrt, niemanden nutzt und letztendlich auch nie wirklich zur Anwendung kommen wird.
- ein Freibrief für neue Abmahnwellen. Die einzigen, die sich nun gegenseitig die Anwälte auf den Hals hetzen werden sind die schon öfter genannten Internet-Inhalteanbieter die wie Medien aus dem letzten Jahrhundert funktionieren. Da sag ich aber: Von mir aus, viel Spaß.
Daher ist es
- natürlich richtig, sich über diesen JMStV aufzuregen und dagegen zu protestieren. Nämlich weil er so strunzdumm ist. Und weil er nicht die Jugend schützt. Und weil er ein Beweis für die Unfähigkeit unserer Politiker ist. Und weil er zeigt, wie wenig man in den Gremien unseres Landes, die eigentlich vorausdenken können müssten, immer noch versteht, was das Internet eigentlich ist und wo man es vor allem als Gefahrenquelle betrachtet anstatt endlich auch mal zu erkennen, welche großartigen Möglichkeiten es uns bietet. Da muss erst ein Heiner Geißler kommen und erklären, warum Proklamationspolitik in Zukunft nicht mehr funktionieren wird und selbst dann kapiert es keiner von denen, nicht mal die Grünen.
- völlig unnötig, jetzt Blogs zu schließen, Kommentare zu sperren, sich zu anonymisieren oder seinen Webserver in ein Land zu verlegen, das bei Regierungsvertretern und Justiz als für Strafverfolgung unerreichbar gilt - Indien zum Beispiel. Ich will die Leute, die das tun oder ankündigen zu tun aber beileibe nicht davon abhalten, im Prinzip ist das ja auch eine Protestform und grade hab ich ja gesagt, es ist richtig, gegen den JMStV zu protestieren. Aber andererseits hat niemand je verlangt, dass Blogs geschlossen werden sollten. Die Gefahr für uns, eine Abmahnung für etwas zu bekommen, was wir ins Internet schreiben ist kein bisschen gestiegen - beleidige nen blöden Promi oder schimpfe über eine Firma oder ein Produkt und die Wahrscheinlichkeit von Anwaltspost steigt realistisch. Die Gefahr, die vom JMStV ausgeht ist dagegen nicht mal hypothetisch höher als der Anteil von medizinischen Wirkstoffen in Globuli. Ein wenig erinnert mich die Hysterie, mit der hier hantiert wird an die unserer Terrorwarnminister der letzten Wochen.
Oder in Twitterkürze: So lange ein 10-jähriges Kind die Bildzeitung mit dem Tittenfoto vornedrauf kaufen kann dürfte der #jmstv 99% der Blogs nicht betreffen.
Update: So wie sich das liest, bestätigt Udo Vetter hier meine Laiensicht vollumfänglich.