Ich werde nicht darauf eingehen, wo Axel E. Fischer seine Denkfehler in seine Überlegungen eingebaut hat. Es gibt zu viele davon und es ist - ehrlich gesagt - irgendwann auch mal gut damit, sich jedes verdammte Mal, wenn ein Politiker uns das Internet erklärt, auf sein Niveau herabzulassen und aus jedem Satz zunächst einmal die Sachfehler und albackenen Vorurteile herauszufiltern um an die immer gleiche platte Ideologie ranzukommen.
Vielmehr versuche ich es jetzt mal meinerseits mit einem ideologischen Ansatz, nämlich dem, dass jeder Mensch das Recht auf Anonymität haben sollte, gerade dann und gerade wenn ein Staat (oder einer seiner Protagonisten) der Meinung ist, ein normaler Bürger habe nicht anonym zu sein.
Anonymität, bzw. dass man sich unter einem Pseudonym äußert und in die Öffentlichkeit begibt, ist so alt wie das geschriebene Wort. Gerade unsere Christlichen Parteien sollten das eigentlich wissen, denn einige der bekanntesten Pseudonyme stehen im neuen Testament und die Kirchengeschichte der letzten 2000 Jahre ist voll davon. Pseudonyme sind in allen Kulturen bekannt und ihre Nutzung allgegenwärtig. Sie sind Spitznamen, Kampfnamen, drücken Verachtung und Bewunderung aus und sie nehmen immer den privaten Menschen aus dem Fokus, um die Sache herauszustellen, mit der die oder derjenige sich beschäftigt. Pseudonyme und Aliase helfen, Grenzen zu überwinden: Sie waren lange Zeit für Frauen die einzige Möglichkeit, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen. Sie helfen auch, sich und seine Familie vor Verfolgung zu schützen, sie sind ein unverzichtbares Werkzeug in der Kunst und als Menschen die Kommunikation über digitale Kanäle für sich entdeckt haben sind Pseudonyme darin von Anfang an eine Selbstverständlichkeit gewesen.
Die "Aufhebung" der Normalität von Anonymität im Internet ist - das behaupte ich jetzt mal frech - gerade mal zehn Jahre alt. Im Netz war die Nennung des bürgerlichen Namens in den 80ern und 90ern der untrügliche Hinweis, es mit einem Anfänger zu tun zu haben. Erst um die Jahrtausendwende begann man in Deutschland, im Internet Geschäfte mit dem einzelnen Internetnutzer zu machen. Das ging aber nur dadurch, dass die zuvor vor allem anonymen Nutzer nun vor allem nicht mehr anonym wurden. Für eCommerce ist das auch zunächst völlig ok, denn anonymen Pseudonymen kann man nun mal keine Waren nach Hause schicken. Ich lasse mich jetzt absichtlich nicht weiter darüber aus, wie viel nackiger sich inzwischen Internetnutzer machen müssen, wenn sie irgendetwas kaufen wollen - im Supermarkt kann ich inzwischen wesentlich anonymer einkaufen (sofern ich Bargeld nutze und keine Paybackkarte einsetze) als im Internet - nur so viel: Der Verbraucherschutz im Internet liegt nicht deswegen so sehr im Argen, weil ich als Kunde zu wenig private und persönliche Daten preisgeben muss.
Meinungsfreiheit allerdings muss ich mir auch heute nicht kaufen. Dafür, mich artikulieren zu können brauche ich keine Kreditkarte und keine Rechnungsadresse. Ich brauche zwar auch für eine Meinungsäußerung eine Identität, eine Identität ist aber etwas anderes als der bürgerliche Name. Anonymität war und ist nie ein Versteck, sondern ist eine Voraussetzung dafür, sich frei äußern zu können, von anderen vorurteilsfrei angehört zu werden und mit anderen offen zu diskutieren. Anonym zu sein ist keine Feigheit sondern eine Freiheit. Genau deswegen wehren wir uns so vehement gegen Versuche, Anonymität zu kriminalisieren und anonyme Kommunikation zu verunglimpfen - was der Herrscher als Mangel ansieht ist für den Bürger eine Freiheit. Wenn ich einen Namen habe, kann ich die Person verklagen, ihre Äußerung, die mir nicht passt löschen lassen und muss mich nicht damit auseinandersetzen: Anonymität gleicht das Machtgefälle aus. Es ist seit jeher auch ein Instrument der Machtlosen, schon lange vor dem Internet. Dass das denen nicht genehm ist, die die Macht haben, ist freilich auch keine moderne Erkenntnis.
Anonymität hat eine gesellschaftliche Relevanz. Sie ist ein wichtiges Regulativ für die Erzeugung von Transparenz, Kunst und freier Rede. Es gab und gibt sie immer und überall. Wie bescheuert muss man also sein, sie ausgerechnet im Internet abschaffen zu wollen? Herr Fischer, vielleicht haben Sie jetzt eine leise Ahnung, warum wir uns so ausgiebig über sie lustig machen.
P.S.: Ich würde gerne wissen, was Willy Brandt zu dieser Diskussion gesagt hätte. Ich kann nur hoffen, dass seine Parteigenossen sich noch an ihn erinnern, wenn's vielleicht irgendwann mal drauf an kommt.