Ich hab noch nie eine Blogparade mitgemacht. Nicht, weil ich das Prinzip nicht mag, sondern weil mich bisher kein Thema so angesprochen hat, dass ich dazu dringend etwas beitragen wollte (oder weil ich zu wenig Ahnung darüber habe und die Teilnehmer schon alles viel besser aufgeschrieben haben, was ich hätte beitragen können). Nun aber gibt es eine, die ich unterstützen möchte und die mir persönlich sehr wichtig ist, aus Gründen, die ich vor einer Weile beschrieben habe.
Auch, wenn wir es meist verdrängen: Wir alle werden sterben. Irgendwann, aber dass wir sterben ist sicher.
Testamente und gesetzliche Regelungen zur Verwaltung des physischen Nachlasses gibt es reichlich, aber was ist mit unserem digitalen Nachlass? Mit Blogs, Facebook- und Twitterprofilen oder dem Instagramstream? Sogar die Bundesregierung empfiehlt, Vorsorge zu treffen, aber wie sollen Angehörige oder Erben mit unserem Nachlass umgehen – und wie ermögliche ich ihnen das?
Was für Konventionen bei Todesfällen wünschen wir uns überhaupt? Welche Mechanismen sollen oder sollten Soziale Netzwerke zur Verfügung stellen?
Auf Digital Danach existiert bereits ein Blog zum Thema und auf der re:publica haben Jens Scholz und Wibke Ladwig spontan eine Aktion “re:member” ins Leben gerufen.
Das Digitale Leben nach dem physischen Tod ist ein Thema, bei dem viele Fragen noch gar nicht gestellt sind.
Aber nicht nur die Frage, wie wir digital mit unserem eigenen Tod umgehen, ist wichtig. Es sterben ja auch Verwandte, Freunde, Bekannte. Wie funktioniert digitales Gedenken für die Hinterbliebenen?
Wir – das sind Jens Scholz und ich – laden Euch ein, über Eure Wünsche, Gedanken, Ängste und Erlebnisse zum Thema “Tod und Soziale Medien” zu bloggen und auf diese Weise eine Sammlung von Texten zu verlinken.
Ich würde mich sehr freuen, wenn hier viele Beiträge zusammenkämen. Ich habe vor, nächstes Jahr auf der re:publica ein paar Ideen und Konzepte vorzustellen, wie wir mit Tod und Trauer umgehen können, sei es digital oder auf Veranstaltungen, in denen sich jedes Jahr Menschen treffen, die bemerken, dass einige von ihnen nicht mehr da sind. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam ein paar gute Impulse zusammenbekommen, wie wir das anfangen können.
Es ist schon ein Weilchen her, dass ich mit Patrick Breitenbach mal darüber gesprochen habe, wie enttäuscht ich von Nerds bin, die es nicht schaffen, aus unserer Geschichte der Diskriminierung und einer Kindheit und Jugend als Opfer von Bullies den einfachen Transfer hin zu bekommen, dass der Schutz und die Solidarität mit Minderheiten und Diskriminierten ein Thema für uns sein muss. Dass es jetzt, wo wir mal Gehör finden und an vielen Stellen sogar die Oberhand haben, wichtig ist, nicht so zu tun, als ob wir nichts mit diskriminierten Gruppen und Menschen, die unter Vorurteile und Klischees leiden, zu tun hätten. Ich habe damals gesagt, dass wenn Nerds hier nichts unternehmen, das ganze Thema Nerds sehr schnell wieder untergehen wird, so wie es den Hippies gegangen ist. Und dass das in diesem Fall auch zu Recht passieren würde, denn dann haben wir es nicht anders verdient.
Ich bin ja bekanntlich kein negativer Mensch. Aber ich versuche, die Dinge realistisch zu sehen, wenn es um eine Einordnung geht. Meine Beurteilung von Dingen, die für andere Menschen gerne mal den Vorabend des Weltuntergangs einläutet, ist meistens wesentlich weniger aufregend. So auch jetzt: Natürlich ist der Aufstieg der Rechten bedenklich und gefährlich. Natürlich ist ein Präsident Trump eine grauenhafte Vorstellung. Natürlich ist die Übernahme der öffentlichen Diskussionen im Netz durch krakeelende Schreihälse, stumpfe Extremisten und hemmunglose Hater schlimm. aber es ist kein Weltuntergang und es ist nicht so, als ob man dagegen nichts tun kann, denn wir haben es weder mit einer Naturkatastrophe zu tun, noch mit einer völlig neuen Sorte Menschen. Gleichzeitig aber sind die momentanen Effekte bedenklich, denn es war nicht zuletzt das Internet und seine Dienste wie Twitter und Facebook, in dem gerade marginalisierte Gruppen sich endlich Gehör verschaffen konnten und in den letzten Monaten wird deutlich, dass der Ton in eben diesen Diensten so unfreundlich und giftig wird, dass sich diese Gruppen daraus zurückziehen müssen und damit Gefahr laufen, wieder zu verstummen.
Vielleicht muss man ein an die Fünfzig Jahre alter Nerd sein, um das zu erkennen, aber: Wir kennen das doch. Wir wissen, wie es ist, "die" zu sein gegenüber denen, die sich als "wir" bezeichnen. Wir kennen die Anführer. Die Trumps. Ich meine: Der Vergleich von Trump mit Biff Tannen, dem Bully aus "Zurück in die Zukunft" lag doch derart auf der Hand, dass er sofort aufkam, sobald Trump seine Kandidatur bekannt gab. Wir kennen diese (virtuellen) Muskelprotze und wir kennen auch die Clique die diesen Leuten hinterherläuft und glaubt, wenn sie nur genauso herumblöken, wären sie wie die oder bekämen ein bisschen von ihrem Fame ab.
Das sind also schlicht die Bullies von früher und jetzt werden sie auch im Internet aktiv: Genauso ignorant, laut, rücksichtlos und schamlos wie eh und je. Mit dem selben klaren Bewusstsein, mit allem durchzukommen, solange sie einfach nur zeigen, wer hier der Macker ist. Und wie früher scharen sie ihre Anhänger und Anhängerinnen hinter sich, die auf der Gewinnerseite stehen wollen, denn der Bully sagt an, wer die Loser sind: Nämlich jeder, der schwächer ist als er und nicht hinter ihm steht. Wir kennen auch die, die sich fein raushalten und zwar nicht mitmachen, aber auch keinen Finger rühren, so lange etwas nicht ihren eigenen Status in Gefahr bringt. Das war für uns als bebrillte, schmale, unbeliebte Kids lange und in zig Variationen das alltägliche Verhältnis zum "Mainstream", dem gegenüber wir daher ein starkes Misstrauen aufgebaut haben, das viele aber offenbar zu schnell wieder vergaßen, als Nerds plötzlich selbst zum Mainstream-"Wir" gehörten.
Der größte Feind des Bullies und seines Gefolges ist die Vielfalt und der Pluralismus. Dass Unterschiede akzeptiert werden mindert seine Deutungshoheit und verunsichert seine Fans, für die es nur ein richtiges und viele falsche Leben geben kann. Und das richtige Leben muss das der Mehrheit sein. Sehen sie plötzlich zu viel von dem, wie Schwule und Lesben leben, dass es Trans- und andere Sexualitäten gibt, dass Frauen individuelle Menschen mit unterschiedlichen persönlichen Zielen sind, dass es unterschiedliche Kulturen, Religionen, Weltanschauungen und Lebensentwürfe gibt, die ihnen den Eindruck vermitteln, dass ihr Anteil an der Welt ein viel geringerer ist, als sie dachten und vor allem fühlten, erscheint ihnen das bedrohlich. Als Angriff auf ihre Vorherrschaft. Und da es ihnen um Macht geht, reagieren sie darauf mit den bekannten Mitteln der Bullies: Den Drohgebärden aus hemmungslosem Hass, verletzendem Spott und - nach diesen Angriffen auf die Seele und der Rückversicherung, dass niemand sich wehrt - am Ende auch körperlicher Gewalt.
Wie konnte das passieren? Wie konnte das, was das Internet zur Vielfalt beigetragen hat, verloren gehen und zu seinem Gegenteil gedreht werden? Wie konnte es passieren, dass Menschen in den Diensten, die mal für Empowerment und Pluralismus standen, heute so massiv Hass und Häme entgegenschlägt, sobald sie wagen, etwas zu sagen?
Eine Erklärung meinerseits dafür ist: Weil das der Mainstream ist. Er war so und ist so. Egal, wie sehr wir dachten, ihn überwunden zu haben. Haben wir nicht, wir waren nur lange an einer Stelle, in dem der Mainstream nicht die Deutungshoheit hatte. Jetzt gewinnt er ihn gerade zurück, auch im Internet. Das ist auch nicht neu, es gibt Stellen, da hat er sie schon seit Jahren: Zum Beispiel in den Kommentarspalten der Massenmedien. Die Community Manager dort bemerken das Fehlen der Meinungsvielfalt gar nicht - es sieht ja so aus, als ob es die gibt, aber es ist nur der alte polare Kampf "die" gegen "wir", "links" gegen "rechts", "richtig" gegen "falsch" oder "gut" gegen "böse", bei dem es immer nur zwei Lager gibt und jede Stimme gnadenlos untergeht, die sagt, es gibt auch noch was "anderes" als diese beiden. Das Andere fand dort noch nie statt. Aber das Andere verschwindet inzwischen auch auf Twitter und Facebook wieder.
Was kann man tun?
Einiges. Zunächst können wir Älteren mal versuchen, nicht entweder in Panik zu geraten oder zu resignieren, sondern festzustellen, dass wir solche Situationen schon mehrfach erlebt, überstanden und auch verbessert haben. Wir müssen uns auch eingestehen, dass wir es nicht geschafft haben, Solidarität zu zeigen und die Tools so zu bauen und zu gestalten, dass Minderheiten geschützt und Pluralismus erhalten oder gefördert wird. Wir können anderen beibringen, dass man nicht auf den ersten hören muss, der was meldet, sondern abwarten kann, bis die Fakten klar sind.
Es gibt die Rückzugsräume. Das waren früher die Selbsthilfegruppen, die Nerdkeller, die Schwulenbars und die Untergrund-Clubs, in denen man sein konnte wie man ist. Das sind im Internet Messenger-Gruppen, geschlossene Foren und Blogs. Mainstream-Plattformen bieten das zum Teil zwar auch, aber die wichtige Anonymität und Pseudonymität gibt es da ja nicht und das ist einer der Gründe, warum gerade junge Menschen sich dort schon länger nicht mehr sicher fühlen und sich beteiligen. Das ist auch alles gut, aber es ist am Ende so wie früher: Man sieht sie nicht mehr. Sie verschwinden aus der Welt.
Was hat das Netz früher richtiger gemacht? Eins war sicherlich die dezentralere Vernetzung über Blogs. Das andere war, dass man in Blogs sein Hausrecht durchsetzen konnte und dumme Kommentare löschen oder die Funktion gar nicht erst freischalten konnte. Die Geschwindigkeit und Heftigkeit, mit der eine Konversation über kontroverse Themen stattfand sowie die Sichtbarkeit, die für die- und denjenigen erträglich war, war durch diese beiden Eigenschaften in einem Rahmen, den man verwalten konnte. Allerdings: Natürlich ist "Back to the Blogs" keine Lösung. "Früher war alles besser, also lasst uns alles so machen wie damals" hat noch nie funktioniert. Aber man kann aus den Prinzipien und aus den erfolgreichen Mustern lernen.
Eins ist, dass die Deutungshoheit wichtig ist. Bei Twitter ist sie verlorengegangen: Zu leicht kann man dort Mobs organisieren, inzwischen unterstützt von zig Bots, die einen unliebigen Account in kürzester Zeit mürbe machen bis er entnervt gelöscht oder verlassen wird. Seit Twitter Threads auch noch automatisch anzeigt und auch noch das hervor hebt, was eine vermeintliche Mehrheit gut findet, ist Twitter für Minderheiten tot, wenn sie nicht als Multiplikatoren etabliert sind. Auf Facebook sieht das noch etwas anders aus, da man dort die Möglichkeit hat, sich wichtige Filterblasen zu bilden (weshalb ich auch gegen das Narrativ bin, dass Filterblasen etwas schlechtes seien) und sich gegen die Bullies zu immunisieren. Dennoch sind auch hier die Algorithmen so geschnitten, dass Lautstärke siegt, was den Bullies und Mobs momentan in die Hände spielt. Daher ist es auch dort an den Multiplikatoren, sich zu äußern und auch rigoroser die Bullies abzuwehren - zum Beispiel, indem sie sie nicht in ihren Threads zulassen (sprich: löschen) und klarstellen, dass sie sich nicht von ihnen einschüchtern lassen. Es gibt keinen Grund, bei Facebook darauf zu verzichten, sich und andere vor Anfeindungen und vor Bullies zu schützen, so wie wir es in den ersten 10 Jahren der Zweitausender Jahre in unseren Blogs auch getan haben.
Was auch damals gut funktioniert hat und was man daher auch mal in die heutige Internet-Landschaft übertragen kann ist, nicht über jedes hingehaltene Stöckchen zu springen und sich damit zu Empörungsgehilfen machen zu lassen. Natürlich ist es ärgerlich, wenn Politiker oder Medienmenschen versuchen, mit Provokationen und Hass gegen Minderheiten zu punkten. Aber man reagiert immer wieder auf neue Provokationen, die doch immer nur das selbe Lied singen. Eigene Lieder sind aber das, was bleibt. Lasst uns daher mehr eigene Themen setzen statt uns an den Themen der Hetzer abzuarbeiten und die auch noch zu verbreiten. Sind wir doch mal erster. Sollen die sich doch an unseren Themen reiben. Auch das funktionierte in der Blogger-Ära gut: Selbst schreiben, statt woanders zu kommentieren. Die eigenen Positionen festigen und die Menschen unterstützen, die unsere Solidarität brauchen geht auch in den heutigen sozialen Medien und funktioniert auf lange Sicht besser, als seine Zeit in endlosen Kommentarthreads auf Seiten zu verschwenden, in denen Community-Manager ihre Arbeit nicht machen. Sichtbarkeit erhält man nicht in Kommentarspalten.
Was auch passieren muss - und meiner Meinung auch wird - ist, dass die Algorithmen, mit denen Aufmerksamkeit geschaffen oder verhindert wird, sich ändern. Es kann nicht sein, dass wer am lautesten und am wüstesten schreit, mit Reichweite belohnt wird. Die "wir zeigen Dir das, was Relevant ist" Mechaniken der Social Media Plattformen, die die frühere, diskriminierungsfreie schlicht nach absteigender Aktualität sortierte Reihenfolge abgelöst haben, haben unsere Timelines in Schlachtfelder verwandelt: Sobald sich irgendwo ein Bully das Wort ergreift, wird diese Stelle für seinesgleichen auch noch hervorgehoben, damit auch ja alle mitbekommen, wo sie mit Fackeln und Heugabeln einfallen müssen.
Ich bin mir sicher, dass Plattformen, die das nicht erkennen und reagieren, mittelfristig untergehen werden und dass andere Plattformen entstehen und wachsen, die es schaffen, sicherere Orte für alle Gruppen zu sein. Da ist dann mein relativer Optimismus: Ich glaube, dass Pluralismus immer im Vorteil sein wird, egal wie oft ein Backlash es schafft, das für eine Weile anders aussehen zu lassen. In der langen Sicht wird die Welt sichtbar bunter, vielfältiger und multikultureller im eigentlichen Sinne des Wortes. Ich kenne die Siebziger, in denen die heutige menschliche Vielfalt kaum sichtbar war, die Achtziger mit dem Aufstieg von Diversität trotz heftiger Vorurteile und die Neunziger, in denen sich so viele Subkulturen nicht mehr im Untergrund verstecken mussten. Die Richtung war und ist immer vorwärts gerichtet und progressiv. Die Welt der Fünfziger ist Vergangenheit und ihre Weltsicht hat bestenfalls nostalgische Bedeutung. Sie ist so weit weg von unserer heutigen Realität und der Richtung, in die sich diese entwickelt, dass sie genauso wenig wiederkommen wird wie das Deutsche Kaiserreich oder das Mittelalter.
Soweit mal meine Gedanken. Da ist noch viel unsortiert und offen, vielleicht habt ihr ja noch Ideen und Vorschläge, wie wir mit der Situation und mit den Bullies besser umgehen können, denn das wird uns jetzt die nächste Zeit erst mal beschäftigen.
Ich habe mich lange gegen den in letzter Zeit inflatorisch aufkommenden Begriff des "postfaktischen" gewehrt. Ich tue das immer noch, aber ich erkenne an, dass es inzwischen immer öfter diese gefühlte Wahrheiten gibt, gegen die mit Fakten oder differenzierenden Argumenten anzureden oder anzuschreiben unmöglich ist. Und ich erkenne auch an, dass diese gefühlten Wahrheiten schneller entstehen, als verschwinden, weshalb ihre Anzahl steigt und man das Gefühl hat, gegen eine immer stärker ansteigende Strömung anzuschwimmen.
Da ich kein Freund von monokausalen Erklärungen bin, hier nun vorab der Hinweis: Worüber ich hier schreibe ist meines Erachten ein Grund dafür, dass Populisten gerade leichtes Spiel haben. Es gibt noch mehr, an ganz vielen verschiedenen Baustellen. In der Politik, in den Medien, in der Bildung, in der Gesellschaft und bei jedem von uns ganz persönlich. Ich greife nur eine heraus, weil ich heute danach gefragt wurde und mir die Beschäftigung damit half, das Gefühl der Taubheit und Wut zu überwinden, das mich nach dieser Präsidentenwahl in den USA den ganzen Tag im Griff hielt.
Die These ist: Es gibt zwei wichtige Gründe, warum etablierte Medien (bzw eigentlich generell das Establishment) uns nicht mehr erreichen.
Erstens: Wir vertrauen uns gefühlt näheren Quellen und Informationen - also solchen, die uns von Menschen die uns nahe stehen (entweder weil verwandt oder befreundet oder weil sie ideologisch auf derselben Wellenlänge sind) vermittelt werden - mehr als weiter entfernten, sprich nicht persönlich an mich gerichteten Massenmedien.
Zweitens: Wir vertrauen Quellen, die "schneller" sind als andere. Schon allein wegen des Umstandes, dass sie dann "erster" waren und weil alle anderen danach erst gegen diese Position konkurrieren müssen.
Den ersten vertrauen wir, weil da eine persönliche oder ideologische Nähe besteht, die einen Vertrauensbonus mitbringt. Den zweiten, weil sie einfach die ersten und schnellsten sind, die ein Thema benennen und besetzen und wir uns das als etwas positives merken, ganz egal wie faktisch korrekt sie das tun.
Ein Problem, das wir als Konsumenten von Informationen und Meinungen bekommen, taucht dann auf, wenn wir ein Nullsummenspiel bei der Vergabe von Vertrauen machen. Es gibt dann einen Vertrauensverlust gegenüber "etablierten" Medien. Der Fehlschluss ist die Annahme, dass unser Vertrauen eine endliche Ressource mit einer definierten Menge sei. Wenn man dann sein Vertrauen schon in die Freunde/Personen oder an die schnellste Quelle gegeben hat, muss man - in der Nullrechnung - logischerweise etablierten Medien das Vertrauen entziehen.
Das ist das grundsätzliche Problem, das jegliches "Establishment" momentan hat. Und das Folgeproblem ist, dass Informations-Konsumenten die Funktion eines etablierten Mediums als Hilfe zur Normerkennung nicht mehr kennen und nicht mehr nutzen bzw. letztendlich nicht mehr anerkennen. Aber es ist eigentlich wichtig, dass es Medien gibt, über die ich abgleichen kann, wie weit meine Ansicht, meine Meinung oder meine Informationen von der Norm abweicht. Früher hat man die Tagesschau gesehen, um auf einen gemeinsamen Wahrnehmungsstand zu kommen. Natürlich war man dann auch unterschiedlicher Meinung, aber man wußte eben auch, was momentan der etablierte Konsens war (Daran, dass diese Funktion, einen Faktenkonsens zu bieten, so schnell verloren ging, sind unsere Medien aber zum Teil schon ganz ohne Digitalisierung mit schuld, weil sie vor einiger Zeit schon die Grenze zwischen Fact- und Opinionpieces nicht mehr klar trennten).
Das alles ist eigentlich noch nicht schlimm: So lange die Fakten stimmen und solange die Diskussionen differenziert sind und solange die Motive transparent sind, funktioniert die neue, schnellere und persönliche Informationsvermittlung auch, wenn die Medienkompetenz den Fehler des Nullsummenspiels nicht korrigiert.
Das Dumme ist nur, dass die Fakten nicht stimmen, die Diskussion nur schwarz-weiß stattfindet und die Motive alles andere als transparent sind. Womit wir plötzlich bei eine postfaktischen Kommunikation sind - basierend auf falschen oder übertriebenen Fakten, polarisierenden und damit rein emotional geführten Diskussionen ohne Chance auf Kompromisse und hidden Agendas, die die "Information" nur noch als Mittel zu einem anderen Zweck benutzt.
Tabuisierung und Ausgrenzung von gesellschaftlich inakzeptablem Verhalten hat ja funktioniert und das wird deswegen auch heute noch als Reaktion von Politik und Medien eingesetzt. Da gab es aber die neuen Medien mit den oben beschriebenen zwei Mechanismen noch nicht und Demagogen und Populisten haben Wege gefunden, das zu nutzen und dadurch einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Tabu und der Ausgrenzung zu schaffen. Nicht umsonst nutzen sie Begriffe wie "Denkverbote", "Nazikeule" oder beginnen ihre Sätze mit "Das muss man wieder sagen dürfen..." und nennen die Instanzen, die sie auf ihre Übertretung gesellschaftlicher Anstandsgrenzen hinweisen "Gutmenschen" und "Lügenpresse".
Diese Wege sind genau die beiden Mechanismen, die ich oben beschrieben habe: Die persönliche Nähe und die Erstbesetzung von Themen: Die Geschwindigkeit erreichen sie damit, dass die AfD-Leute, sobald irgendwas ängstigendes passiert, sofort mit allem was sie haben einfeuern. Damit sind sie schneller als alle anderen, die sich erst mal absprechen oder recherchieren. Den Vertrauensbonus, den ich erwähnte, holen sie sich damit aber schon mal ab, auch wenn hinterher rauskommt, dass es gar nicht gerechtfertigt war (deswegen ja immer die "Mausrutscher", die hinterher gelöscht oder relativiert werden - das ist bis dahin ja verbreitet.). Auch Trumps getwittere füttert diese Mechanik.
Die persönliche Nähe schaffen sie damit, dass sie die etablierten Medien als Zwischenstation auslassen und sich direkt an die Menschen richten. Sie springen dabei auch immer auf ideologische Teilthemen, die gerade passen und im Gespräch sind, sei es EU-Kritik, Griechenland, Flüchtlinge, Impfskepsis, konservative Werte (Genderwahn, Sexualerziehung, Abtreibung)... das nehmen die nur als Trittbrett, die stehen da in Wirklichkeit gar nicht dahinter, was man ja daran sieht, dass sie sie nie wieder erwähnen, wenn sie aus dem Diskurs verschwunden sind (siehe Griechenland). Das erzeugt einen sofortigen Rapport bei denen, die sie erreichen wollen und sie erodieren damit das Vertrauen in etablierte Medien und Politik, was das eigentliche Ziel ist. Denn das Nullsummenspiel sagt uns ja: Wenn Du denen vertraust, misstraust Du den anderen.
Soweit die Erklärung, warum passiert, was passiert. Nun ist die Frage, wie man diese Mechanismen entschärfen kann. Drei Antworten:
1. Nicht mit den üblichen coolen Strategien, die aus dem Marketing entlehnt werden oder von smarten Business-Consulting-Agenturen kommen. Hier geht es um echte und ernsthafte Kommunikation, um ehrliches Umdenken, um innovatives Anders machen. Da helfen keine Kampagnen, keine lustigen Bildchen, keine intelligenteren Social Media Redakteure. Hier muss man an die Strukturen gehen, mit denen man Informationen und Themen erkennt, darüber recherchiert und sie kommuniziert.
2. Individuell: Wenn man glaubt, es lassen sich für Parteien, Medien, Verlage, Sender, NGOs usw. jeweils Standardlösung finden, wird das nicht klappen. Man muss die hundert Prozent passende für jede einzelne Institution entwickeln. Sie kann nicht am Reißbrett entstehen und dann im Unternehmen "implementiert" werden sondern sie muss gemeinsam mit all denen entwickelt werden, die sie verwenden.
3. Man kann nicht so tun, als ob man was ändern möchte. Man kann es nicht mal testweise versuchen. Man muss es tun, ganz oder gar nicht. So häufig ich für Mittelwege und Kompromisse plädiere, aber hier ist ohne ein gemeinsames, ehrliches, konsequentes, verbindliches Bekenntnis keine Veränderung möglich.
Ich kenne aus Projekten diesen Moment, in dem es nicht weiter geht, obwohl das Konzept schon lange fertig ist. Es wird immer wieder diskutiert, geändert, diskutiert und wieder geändert. Wenn ich in so einem Projekt Concept Lead bin ist es mein Job, allen zu erklären, dass wir an der Stelle sind, an der eine Entscheidung gefällt werden muss. Denn das Konzept wird nicht mehr besser, es wird nur noch anders. Es gibt nämlich für Systeme, die mehr als das Prinzip "eine Ursache - eine Wirkung" abbilden und noch dazu berücksichtigen müssen dass Menschen sie bedienen, nicht die eine beste Lösung. Und es gibt für jede Lösung, die man sich ausdenkt, zig Alternativen die genauso gut funktionieren, nur eben anders.
Daher wundere ich mich immer wieder darüber, wie schnell Menschen (und Politiker) glauben, keine Alternativen mehr zu haben. An Alternativen mangelt es eigentlich nie und dadurch auch nicht an möglichen guten Lösungen. Ich frage mich tatsächlich öfter, was daran Schuld sein könnte, dass sich so viele Menschen so eingeschränkt fühlen. Ist es der Wunsch nach einfachen Lösungen, selbst bei Problemen, die alles andere als einfach sind? Oder liegt es daran, dass man immer wieder vor "entweder - oder" Fragen gestellt wird, obwohl es weder notwendig ist, sich ausschließlich für eine der beiden vorgeschlagenen Alternativen zu entscheiden noch dass diese beiden Möglichkeiten die einzigen Lösungswege darstellen. Versucht hier doch mal die Gegenfrage "Warum nicht beides?" zu stellen. Meistens funktioniert das nämlich sogar.
Ein Beispiel. Auf Facebook kursieren ja immer mal solche Logikspielchen wie das hier:
Man geht dabei davon aus, dass es genau eine richtige Lösung dafür gibt*, welche Zahl das Fragezeichen ersetzt. Aber stimmt das denn so? Ich finde problemlos schon mal drei völlig unterschiedliche: Zum Beispiel wenn man die Anzahl der kleinen Quadrate zählt plus 1, dann wäre die Lösung 10. Zählt man aber alle Punkte, an der sich eine gerade Anzahl Linien trifft, ist die Lösung 8. Und zieht man die Anzahl der Quadrate von der Anzahl der Punkte ab an denen sich zwei Linien treffen, ist die Lösung 7. Und wenn ich ein bisschen länger darüber nachdenke, fallen mir noch viel mehr ein, möglicherweise auch solche, in denen gar keine Zahl als Lösung herauskommt oder ich finde eine Logik, nach der das Fragezeichen einfach stehen bleibt.
Ich vermute, was Menschen davon abhalten könnte, eine Entscheidung zu treffen ist, dass ihnen Informationen fehlen, sie daher Annahmen treffen müssen und es macht ihnen Angst, dafür die Verantwortung zu übernehmen. In dem obigen Bild gibt es keine Angabe darüber, welche Bedingungen meine Lösung erfüllen muss. Dennoch wird angenommen, dass es eine "richtige" Antwort geben muss und alle anderen möglichen falsch sind. Was aber nicht stimmt, denn alle meine oben genannten Lösungen erfüllen die Anforderung einer logischen Verknüpfung, die für beide Zeilen gemeinsam gilt und sind daher richtig. Wenn schon bei einer Aufgabe, die derart überschaubar ist, solche Probleme entstehen, wie potenziert sich das bei wirklich komplizierten Herausforderungen? Oder bei einer gesellschaftlichen Aufgabe?
Wir können nicht Entscheidungen ewig hinauszögern, aber Entscheidungen müssen auch nicht alternativlos sein. Man kann - und das vergisst man so oft obwohl man es ständig tut - Dinge gleichzeitig machen. Zum Beispiel akute Not bekämpfen und Flüchtlinge aufnehmen und dafür sorgen dass Menschen in Deutschland nicht mehr so schnell sozial abstürzen können damit die ihre Ängste nicht auf daran völlig unschuldige Ausländer projezierern. Oder eben, ein flexibleres Konzept abnehmen, das einem erlaubt, später Erfahrungen zu sammeln und jederzeit Verbesserungen zu machen wenn sie sinnvoll oder notwendig werden. Es ist ja nunmal so, dass man nie weiß was passiert, bevor es passiert. Erfahrungen helfen, Informationen helfen, aber am Ende wird der erfolgreich sein, der dafür gesorgt hat, dass es immer genug Platz für Alternativen und Änderung gibt.
*P.S.: Ich habe die allgemein als "richtig" akzeptierte Lösung für das Rätsel nicht genannt.
... Aus meiner Warte offenbart es eine tiefe Unkenntnis, nach welchen Mechanismen sich eine öffentliche Meinung bildet, wenn man Kritik an der eigenen Position für Zensur und den Unwillen zur weiteren Zusammenarbeit für ein Berufsverbot hält. In solchen Menschen scheint mir mehr Obrigkeitshörigkeit und Angst vor „dem großen Anderen“ (...) zu walten, als ihnen selbst auch nur ansatzweise klar ist.
Wie überhaupt sehr viel Projektion im Spiel ist. Wir können ja mit Leichtigkeit mehr solche Widersprüche aufmachen:
Ob es die Gewaltfantasien sind, die sie täglich in Sozialen Medien herumposaunen oder die sie tatsächlich als Brandanschläge und Handgreiflichkeiten gegen fremd aussehende Menschen in die Tat umsetzen. Ob es die ständigen Drohungen sind, man "wird sich die Namen merken" für den Fall dass man nach der Revolution (sie befinden sich ja in einem klassischen faschistoiden Endzeitszenario) mal am längeren Hebel säße. Oder ob es der seltsam geschichtsvergessene Wunsch ist, "Zäune und Schießanlagen zu bauen und gut ist", die ihr Leben und ihren Wohlstand irgendwie absichern soll:
Das sind die Lösungen und Ideen der selben Menschen, die sich als zukünftige Opfer der sicher irgendwann mal kommenden "islamistischen" Gewalt und Unterdrückung sehen. Es sind die Ideen derer, die sich als ohnmächtige Spielbälle einer übermächtigen Diktatur einer "Deutschland GmbH" sehen*, die sie mit Chemtrails, Mediendruck und Geheimpolizeien gefügig macht. Es sind die Ideen derer, die ihre Werte - wobei das bei näherem Fragen doch meist materielle Werte sind, also ihr Wohlstand - und ihre Freiheiten gefährdet sehen.
Wenn man sich also mal anschaut, wie diese Menschen sich ihre Welt vorstellen - und zwar einmal die, in der sie sich als diejenigen sehen, die das Sagen haben und einmal die, in der sie sich gerade zu befinden glauben - dann ist das am Ende ganz genau dieselbe Welt. Nur eine andere Machtverteilung.
Insoweit ist die Frage "Was wollen die eigentlich?" auch einfach zu beantworten: Sie wollen weiterhin in ihrer schwarzweißen, gewalttätigen und faschistischen kleinen Welt leben. Nur eben lieber als diejenigen, die sie beherrschen, die andere unterdrücken dürfen und in der sie diejenigen sind, deren Willkür und Skrupellosigkeit folgenlos bleibt. Und nicht als die machtlosen und beherrschten. Es ist eine konsistente Welt.
Eine Welt in der es keine Mitbestimmung von Minderheiten, keine Interessenesausgleiche und keine demokratischen Kompromisse gibt, sondern in der sie allein bestimmen oder untergehen.
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* (obwohl sie die Zusammensetzung der Parlamente und politischen Strukturen ständig wählen können)
** (und daher brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn die plötzlich auch bei TTIP-Demos auftauchen)
Auf der re-publica unterhielt ich mich mit jemandem, der für eine Studie Hartz-4 Empfänger interviewte.
Er erzählte, dass jede von ihnen einen guten Grund hatte, auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein: Der eine ist zu alt für seinen Job, die andere ist zu lange krank gewesen, der nächste kann die Gegend nicht verlassen in der es einfach keine Jobs gibt, die nächste hat einen Beruf, der heute nicht mehr benötigt wird. Und so weiter. Er sagte, es kam eigentlich heraus, was zu erwarten war: Auch Hartz-4 Empfänger sind ein ganz normaler Querschnitt der Bevölkerung was Schulbildung, Ausbildung oder Studium, Familienverhältnisse oder sonstige biographische Eigenschaften angeht.
Soweit, so erwartbar.
Was auch erwartbar war, war das Gefühl dieser Menschen, zu Unrecht stigmatisiert zu sein und von Ämtern und Behörden überwacht und gegängelt zu werden.
Was dann aber überraschte war, dass sie zwar alle ihre eigene Situation realistisch beschrieben haben, aber bei der Beurteilung der anderen Interviewkandidatinnen komplett daneben zielten: Ihr Wunsch, nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden galt nämlich absolut nicht für die anderen da draußen im Wartezimmer: Die seien eben genau die Schmarotzer und Faulenzer, wegen denen das Sozialsystem so versagt und die nehmen ihnen, die berechtigt auf Hilfe angewiesen sind, das Geld, die Chancen und den guten Ruf weg.
Jeder Einzelne von ihnen war dieser Meinung.
2.
Cory Doctorow erklärte - ebenfalls auf der re-publica - warum wir den Kampf gegen Überwachung verlieren werden. Ein wichtiger Punkt (von mehreren): Menschen sind misstrauisch. Sie wollen zwar selbst nicht überwacht werden, aber sie sagen im gleichen Atemzug, dass es leider nötig ist, alle anderen zu überwachen.
Wir sind nicht gerade dabei, durch Überwachung die Gesellschaft mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung in eine Gesellschaft mit dem Prinzip des Generalverdachts zu verwandeln. Die Überwachung ist lediglich ein Symptom und das Ergebnis dessen, dass diese Gesellschaft sich schon längst geändert hat.
Die Idee, dass die Überwachung aller Menschen etwas notwendiges sei, hat traurigerweise eine Mehrheit und Solidarität und Vertrauen gilt nicht mehr als Wert sondern als romantische und naive Schwäche!
3.
Eine Kusine von mir postete letztens einen NPD-Spruch in Facebook. Demnach würden für Flüchtlinge Millionen ausgegeben werden, die bei Schulen und Rentnern eingespart würden. Natürlich ist das völliger Unsinn und populistischer Quatsch. Wir könnten problemlos sowohl wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen, als auch gleichzeitig Schulen sanieren und bessere Bildung ermöglichen und wir könnten Rentnern auch mehr Geld geben.
Aber warum sollte man das tun, wenn man doch anscheinend die, die zu kurz kommen, so wunderbar gegeneinander ausspielen kann? Wenn das sogar dazu führt, dass sie dann die wählen oder denen blindlings folgen, die von dieser Situation profitieren und den Teufel tun, daran auch nur irgendetwas zu ändern?
So lange Menschen glauben, dass sie zu kurz kommen weil Menschen, die ebenfalls zu kurz kommen Schuld daran sind, wird sich da wenig ändern und schlecht gelaunte Menschen neidisch auf andere schlecht gelaunte Menschen schimpfen.
4.
Eins der Argumente, das ich immer höre, wenn es um das Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen" geht ist, dass dann ja niemand mehr arbeiten würde und dass es ungerecht sei, wenn andere - im Gegensatz zu einem selbst - nicht für ihren Lebensunterhalt arbeiteten sondern "alles" geschenkt bekämen.
Natürlich lautet die Antwort auf die erste Gegenfrage "Wie, Du würdest dann nicht mehr arbeiten?" - "Nein, ich würde auf jeden Fall weiter arbeiten. Aber alle anderen nicht und das ist ja dann ungerecht." und es ist ihnen seltsamerweise auch nicht zu erklären, dass ja jeder, also auch sie, dieses Grundeinkommen beziehen würden, zusätzlich zu dem, was sie durch ihre Arbeit verdienen.
Was mir hier jedes mal auffällt ist diese sehr seltsame Sichtweise, nach der man anscheinend einen nicht tolerierbaren Nachteil davon hat, dass andere etwas bekommen, wenn sie nicht dieselbe Vorstellung davon haben, warum sie es "verdienen".
Lieber lehnen sie also sogar Ein BGE für sich selbst ab, als dass das zur Folge hat, dass andere dasselbe bekommen.
5.
Ich könnte noch mehr Beispiele aus verschiedenen weiteren Themenbereichen geben:
- Datenschützer wollen jetzt angeblich auch Menschen töten (Das dürfte die perfideste Idee sein, um Datenschutz zu diskreditieren und natürlich klappt es, wenn man die Kommentare liest, die diese schrecklichen "Datenschützer" gerne am nächsten Baum baumeln sehen würden).
- Oder schauen wir uns die einer Demokratie völlig unwürdige Art und Weise an, wie man heutzutage auf Streiks reagiert, sei es der Bahnstreik oder der Streik der ErzieherInnen: Ich bin entsetzt über den ungezügelten, offenen Hass aus komplett unreflektiertem, purem Egoismus, der noch dazu völlig verantwortungslos von Medien aufgestachelt und von Politikern legitimiert wird.
Auch die Anspruchshaltung dahinter ist bemerkenswert: Wenn der Zug nicht kommt oder das Kind nicht betreut wird sind Menschen sofort bereit, Streikverbote oder Arbeitszwang zu verlangen. Dass das im Zweifel auch für sie gelten könnte ist offenbar keinen Gedanken wert.
- Wir schicken Soldaten los, um Flüchtlingen ihre letzten Hoffnungen zu versenken statt ihnen zu helfen.
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Ich glaube inzwischen ist es nicht mehr schwer, das Muster zu erkennen. Oder? Ich erinnere mich jedenfalls an Leute, die sowas vorhergesagt haben, als Helmut Kohl in den Achtzigern begonnen hat, das Solidaritätsprinzip konsequent zu vernichten (und Schröder den Staffelstab übernommen hat und geradewegs weitergemacht hat).
Wenn wir nicht hier ansetzen sondern glauben, es reicht doch, sich dafür einsetzen, dass unser schönes, gemütliches Internet schön und gemütlich bleibt und der Rest der Menschen um uns herum geht uns nichts an, haben wir kein besseres Internet verdient als das, das wir am Ende bekommen.
Und schon wieder lese ich, dass wir in Deutschland die Totalüberwachung einfach zulassen weil es uns egal sei. Diesmal sinds die mobilegeeks, die mit "keinen intressierts" titeln. Letztendlich geht die Story so: Die Geheimdienste können tun und lassen was sie wollen und die Politiker verhindern die Aufklärung ungestört, weil wir uns nicht genug empören. Der gemeine Deutsche schaut nur mal kurz von der Ablenkung seiner Wahl - momentan wäre das wohl die WM-Übertragung - auf und macht einfach weiter wie bisher.
Felix hatte auf der re:publica schon mal versucht, dieses anscheinend völlig offensichtliche und somit auch weitgehend als wahr anerkannte Phänomen von einer anderen Seite zu betrachten und kam so schon auf ganz andere Erklärungen und zu einer anderen, differenzierteren und unaufgeregteren Einschätzung der Situation.
Ich halte es für gefährlich und kurzsichtig, ständig den Leuten vorzuhalten, sie würden sich - im Gegensatz natürlich zum Autor - nicht interessieren. Der Vorwurf stimmt ja auch nicht. Sie empören sich lediglich nicht so laut wie der, der sich über sie beklagt und dann lediglich fehlende Lautstärke bei der einen von vielen möglichen Reaktionsmöglichkeiten, die er kennt, mit Lethargie verwechselt.
Denn es gibt durchaus viele verschiedene Reaktionen, die - im Gegensatz zum im Internet weit verbreiteten Glauben, dass es immer nur eine richtige Maßnahme geben kann - sogar parallel nebeneinander geschehen. Empörung funktioniert in diesem Mix aber am wenigsten gut, denn Empörung ist eine direkte und schnelle emotionale Reaktion und direkt heißt, dass ich entweder einen sofort eindeutigen, persönlichen Effekt spüre oder dass ich die Situation durch genug Vorwissen überblicke und die heftigen Implikationen dieser Enthüllungen sofort richtig einschätzen kann, auch wenn ich gerade nicht die Hand auf der Herdplatte lege.
Beides - also direkte Auswirkung oder genügend Peil - ist beim großen Teil der deutschen Bevölkerung aber schlicht nicht gegeben, also gibt es auch keine landesweite Empörung. So einfach und unspektakulär ist das. Meine Filterbubble, in der es jede Menge Menschen gibt, die sich entweder gut genug auskennen oder sogar direkt betroffen sind empört sich durchaus und zwar nicht zu knapp. Lustig auch: Der Vorwurf, der an die geht, die sich anscheinden aud lauter Bequemlichkeit nicht empören wollen, geht ins Leere, denn die werden dieses Gejammer eh nicht lesen.
Meine Eltern klicken hin und wieder im Netz herum. Sie schreiben alle paar Wochen mal eine - unverschlüsselte - Mail. Wenns hochkommt ist da ein Familienfoto als Anhang drin (oder eine Powerpoint-Datei mit wahlweise lustigen oder besinnlichen Sprüchen). So sieht für den größeren Teil der Deutschen Internetnutzung aus. Worüber sollten die sich empören? Die sind nicht lethargisch, obrigkeitshörig, desinteressiert, sind keine dummen Schafe oder wie auch immer sonst man diese Menschen seitens der hochnäsigen Netzauskenner beschimpft.
Die haben lediglich ein Leben, in dem diese Überwachung - sorry for breaking this news to you - keine Rolle spielt.
Aber es passiert ja was. Es passiert sogar viel. Das wird aber witzigerweise von den über fehlende Empörung Empörten scheinbar übersehen. Wahrscheinlich deswegen, weil es hier weniger um Aufmerksamkeit geht als vielmehr um Konsequenzen, die aber doch zeigen, dass ein Bedarf entstanden ist, den es vor der NSA-Affäre in der Breite nicht gab. Es gibt zum Beispiel inzwischen eine ordentliche Auswahl von vernünftigen Messenger-Apps, die Verschlüsselungen nutzen und Daten nicht zentral speichern. Und die werden vermehrt genutzt. Das ist meiner Meinung nach ein ganz konkreter Effekt.
Oder: Es gibt endlich ernsthafte Bemühungen, sichere Clouddienste zu entwickeln.
Oder: Es gibt E-Mail Dienste und Cliententwickler, die sich überlegen, wie sie die Kommunikation verschlüsselt bekommen, ohne dass die Nutzer IT-Spezialisten sein müssen.
Solche Sachen zu entwickeln dauert aber nun mal immer ein bisschen länger als eine kurze Empörungswelle. Vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Vergleich, aber ich sags mal so herum: Die Empörung ist eine Art heftige Veliebtheit. Was am Ende zählt ist, welche Beziehung herauskommt, wenn die rosa Wolken sich verzogen haben.
Und da sehe ich doch - wenn man die Empörung mal ausblendet und sich anschaut wie die Internetnutzer sich gerade verhalten - viel konkretes: Es gibt eine stabile Aufmerksamkeit, einen bewussteren Umgang mit Informationen, viele neue Ansprüche und Standards, die jetzt grundsätzlich an Internet-Dienste gestellt werden. Dazu muss man aber ausserhalb seiner Filterblase schauen, in der diese Ansprüche und Aufmerksamkeit ja schon vor Snowden sehr hoch war. Ich werde inzwischen von vielen Freunden und Verwandten danach gefragt, ob das Programm xy sicher ist, oder welche Lösung sie benutzen sollen, weil sie gehört haben, dass es wichtig sei, sich um Sicherheit beim Austausch von persönlichen Inhalten zu kümmern.
Ich sehe daher keinen Grund für lange Gesichter. Die Versuche, mit Desinformation zum Beispiel Anonymisierungsdienste zu verteufeln, funktioniert nicht mehr. Schaut euch doch nur mal an, wo und vieviel mehr Ahnung und Medienkompetenz sich gerade verbreitet. Schaut euch an, wie viele gute Projekte gerade am Start sind, um anonyme, sichere Kommunikation und Datenaustausch zu ermöglichen und wie viel nachhaltiger, massentauglicher und tiefgreifender das allein im jetzt vergangenen Jahr im Vergleich zu den letzten zehn Jahren ist. Das ist der langfristige Snowden-Effekt, den die Empörungs-Fans übersehen.
Es gab einige Dinge, von denen ich - und eigentlich alle Welt - zwischen den Siebzigern bis fast in die Neunziger hinein überzeugt waren, dass es sie bis zu Jahr 2000 geben wird. Fast nichts davon ist eingetroffen. Es gibt keine fliegenden Autos, kein Holodeck und keine Städte unter Wasser. Das meiste hat sich tatsächlich überlebt: Es braucht viele dieser Dinge nicht geben. BEi einigen aber tut es mir sehr Leid, dass es sie wohl sie geben wird.
Hier daher eine Liste solcher Dinge, die ich gerne gesehen hätte, die aber nicht mehr nur als etwas verspätet angesehen werden müssen sondern von denen ich annehme, dass ich sie nicht mehr erleben werde:
1. Kolonien auf dem Mars
Oder wenigstens auf dem Mond. Wobei der Mars tatsächlich wahrscheinlicher war - was will man denn auf dem Mond? Außer vielleicht Atomabfälle endlagern? Das war in den Siebzigern keine Frage ob, sondern nur die Frage, wann. Irgendwann hat sich die Idee, Menschen in den Weltrauf und auf andere Planeten zu schaffen, aber wieder völlig verflüchtigt. Man hörte fast vollständig auf, hier Engagement zu zeigen und nur das Space Shuttle Programm war was Neues. Allerdings ist auch das schon Anfang der Achtziger mehr oder weniger stillgestanden, die Dinger haben einfach nur zwanzig Jahre lang Satelliten in die Umlaufbahn geschubst weil man sie halt noch hatte und wurden dann schließlich eingemottet als die Technik am Ende völlig veraltet war. Zumindest ist das mein Eindruck.
Mir ist allerdings auch klar, warum man da den Fokus änderte. Instrumente und Roboter sind nicht so leicht kaputtzubekommen wie Menschen. Außerdem muss man denen keine Häuser bauen, Nahrung mitgeben und sie überhaupt aufwändig am Leben halten.
Aber ich finde es schade, dass man von der Vision so sang und klanglos zurückgetreten ist. Es geht ja auch ein wenig um das Prinzip. Hätte man sowas gemeinsam geschafft, wäre das nicht nur ein technisches Kunststück gewesen sondern es hätte die Erde kleiner gemacht. Was uns allen gut getan hätte.
2. Saubere Energie
Das Thema, bei dem ich seit den Siebzigern immer wieder dachte "Ach, jetzt dann aber!". Die Ölkrisen 1973 und 1979, von denen mir vor allem zweitere sehr gut in Erinnerung ist, führten damals zu allen möglichen Diskussionen, wie man Energie erzeugt, ohne ständig Dinge zu verbrennen. Der saure Regen in den Achtzigern bestätigte die Dringlichkeit, von Kohle wegzukommen. Three Miles Island und später vor allem Chernobyl bestätigte, dass der Mensch die Atomkraft nicht kontrollieren kann.
Dann kamen sechzehn Jahre Helmut Kohl. Sechzehn Jahre kompletter Stillstand unter Regierungen, deren Wirtschaftsfreundlichkeit dazu führte, dass Deutschland in fast allen Zukunftstechnologien den Anschluss verpasste. Und in denen das Thema nachhaltige Energie komplett und mit voller Absicht stillgelegt wurde. Die Achziger und Neunziger unter Kohl waren ein deutscher Dämmerzustand. Dass Kohl Probleme durch "Aussitzen" löste war überall spürbar. Es erzeugte ein eigentlich völlig falsches Gefühl von Stabilität, auf das Wahl für Wahl zu viele Deutsche hereinfielen, als dass man irgendwas hätte ändern können.
Und wenn ich mir anschaue, wie momentan die "Energiewende" von politischer Seite aus möglichst unmöglich gemacht wird nur um irgendwann sagen zu können "Seht ihr, es geht nun mal nicht anders... ", sag ich "Dejá vu" und hake das Thema ab.
3. Keine unheilbaren Krankheiten
Ok, natürlich war allen auch schon in den Siebzigern klar, dass es das so nicht geben wird. Gemeint war, dass man medizinische Durchbrüche machen wird, die es der Menschheit erlauben wird, vormals tödliche Krankheiten wie Krebs zu heilen oder den Verfall im Alter zu verhindern. Das ist durchaus eine klare, rationale Erwartung gewesen. Das Vertrauen in die technische und medizinische Entwicklung war so groß. Allerdings kam dann AIDS und das war schon mal ein riesiger Dämpfer. Und es hörte nicht auf. Jede Menge Autoimmunkrankheiten, resistente Viren, mutierte Bakterien, Alzheimer... Anstatt das Leben immer beschwerdefreier wurde gab es plötzlich immer gefährlichere Krankheiten.
Wahrscheinlich stimmt das Bild so nicht. Wahrscheinlich können wir heute wesentlich mehr heilen als noch vor dreißig Jahren. Was man sich aber damals wünschte war das Gefühl, dass die Medizin das Leben spürbar ungefährlicher machen würde. Das ist nicht eingetroffen. Die Erwartung, den Körper einfach mal reparieren zu können wenn es ihn richtig übel erwischt hat - Krebs, Zuckerkrankheit, Gicht, Multiple Sklerose, Parkinson, Nierenversagen... - hat sich nicht erfüllt und inzwischen denke ich, das wird es auch nicht mehr tun.
4. Ganztagesschulen
Mal ab von den "ganz großen" Dingen, bei denen man sich zumindest noch einigermaßen erklären kann, warum es nicht hinhaute damit: Was mich wirklich völlig verblüfft ist, dass sich das Ganztagesschulsystem nicht durchgesetzt hat. Ich war von der neuten Klasse bis zum Abi auf einer Schule, in der grundsätzlich von halb neun morgens bis vier Uhr nachmittags reguläre Schulzeit war. Wer mitrechnen kann stellt fest: Das ist genau die Zeit, die man braucht, um schlicht die doppelte Menge an Zeit für dieselbe Menge Stoff zu vermitteln. Und so funktionierte das auch: Es gab einfach 90 statt 45 Minuten Unterricht für eine Fachstunde. Die Vorteile lagen auf der Hand. Weniger Stress, viel mehr Zeit, um in Ruhe alles erklärt zu bekommen und zu verstehen, viel mehr Zeit um Aufgaben und Methoden durchzuführen, die auch mal längere Zeit benötigten (Yay, Chemie-Experimente!) und vor allem: Sehr wenige Hausaufgaben.
Ich war mir damals 100% sicher, dass meine Kinder genau so eine Schule besuchen werden. Jetzt ist Sohn 1 schon längst aus der Schule und Sohn 2 braucht auch nicht mehr lang und beide haben genau dasselbe schrecklich ineffektive, die Lust auf Lernen und Wissen vernichtende, Eltern überfordernde Schulsystem durchlebt wie wir selbst vor über 20 Jahren. Und wenn ich sage, es hat sich nicht das Geringste getan dann übertreibe ich kein Bisschen, denn Sohn 2 hat letztes Jahr was als Schullektüre lesen müssen? Die Vorstadtkrokodile! Ein Buch, das die Realität von Jugendlichen im Jahr 1977 abbildet! Das war nicht nur noch vor der Atarikonsole geschweige denn dem C64, da gabs noch nicht mal Videorecorder!
Grundschüler lernen übrigens auch heute noch schreiben mit "Vater und Sohn" (1934-37) Bildergeschichten. Die Chance, dass sich bei so einem Schulsystem also irgendwann noch was zu meinen Lebzeiten tun wird hab ich daher abgeschrieben.
Das Einzige, das sich übrigens über jede Erwartung hinaus wie irre weiterentwickelt hat ist Unterhaltungstechnik.
Vielleicht sollte ich ein Stöckchen draus machen, mich interessiert brennend, ob ihr auch solche Dinge habt. Falls ihr also nen Blogartikel schreibt, schreibt mir das doch bitte in die Kommentare.
Ich hoffe, ich muss nicht erklären, was genau an der Freitagskarikatur der Süddeutschen antisemitisch ist. Wenn doch, die Titanic hat das schon ganz gut erledigt. Dazu gibt es auch keine "Meinung". Die entsprechenden Kriterien werden erfüllt, also ist sie antisemtisch. Wer hierzu also unbedingt eine Meinung haben möchte, muss darüber diskutieren, ob antisemitsche Karikaturen in Ordnung gehen oder nicht. Viel Spaß dabei.
Warum mich die Sache aber heute beschäftigt ist, dass es ein weiteres - sehr krasses - Beispiel für einen sehr besonderen Umgang mit dem Internet in Deutschland ist.
Vorgestern kamen Oliver und ich im Gespräch darüber, wie man Ende der Achziger und in den frühen Neunzigern das Internet erlebt hat darauf, dass es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern vergleichsweise wenige Menschen gibt, die die ersten Online-Phasen bewusst erlebt haben. Was schade ist, denn in dieser Zeit war jedem Nutzer klar, dass alles, was er im jeweiligen Netz, in den BBSen, in seiner Mailkommunikation oder in einem Board bzw in der Newsgroup tut, erstens für alle anderen Netzteilnehmer sichtbar ist und zweitens wenn etwas nicht direkt sichtbar ist, einem lediglich eine Berechtigung fehlte. Das wurde einem nämlich in diesen Fällen genau so gesagt. Und so wußte damals jeder: Es gibt Nutzer mit OP- und Adminrechten und die können alles sehen, was auf ihren Servern gespeichert wird. Wenn meine Mailbox hakte, rief ich daher beim Admin an und der löschte mir den kaputten Maileintrag, damit die Mailbox wieder funktionierte.
Als ich selbst bei einem Provider arbeitete, machte ich dasselbe bei unseren Kunden. Und ja, selbstverständlich konnte ich die Mails lesen. Und den Kunden, die anriefen um sich helfen zu lassen war das offensichtlich auch klar, denn keiner von ihnen hat sich darüber gewundert, wenn ich ihnen erklärte, woran es gelegen hat oder ihnen den noch lesbaren Teil der korrupten Mail zugeschickt habe. Mails sind Postkarten und jeder der sie auf dem Weg von Sender zu Empfänger weitergibt, kann sie lesen. Dieser Satz war 1995 der zweite Satz über E-Mails in jeder Internet-Schulung, die ich gegeben habe. Das Internet kennt technisch keine Privatsphäre.
Die magische Ikonografie des Internet
Das alles aber haben offensichtlich nicht viele Menschen gelernt. Kein Wunder, denn als das Internet in Deutschland einzog, hatte es schon eine Oberfläche, die den Nutzer von dieser Art von Erkenntnis abschirmte. Die Ikonografie und das Image des Internets war nie besonders technisch in Deutschland, sondern wurde immer emotionalisiert und geradezu hysterisch übertrieben gefeiert oder verdammt: Auf der einen Seite waren die Chiffren völlig verkitscht, auf der anderen teuflisch bedrohlich. Auf jeden Fall blieb es dabei immer eine rein magische Weltsicht - der Unterschied war nur, ob es sich um schwarze oder weiße Magie handelte. Heutzutage hat sich die Bildsprache der schwarzen Magie ziemlich durchgesetzt.
Das Problem mit dieser magischen Ikonografie ist: Sie vermittelt, dass man sich nicht wehren kann. Sie ist eine geheimnisvolle Macht, ausgeübt von bösen Menschen, die nichts anderes im Sinn haben als uns niederträchtig zu verführen und das Blut die Daten auszusaugen. Sie macht uns - Moment: nicht uns, sondern unsere Kinder - sofort abhängig. Die Firmen sind keinesfalls vertrauenswürdige Unternehmen sondern geheimnisvolle Fabelwesen aus unbekannten Tiefen wie (Daten)kraken und Moloche. Das Internet ist eine übernatürlicher Horrorlandschaft. Das moderne Mordor, die Unterwelt in die man zwar rein, aber nie wieder herauskommt, oder auch gleich die Hölle, in der immer apokalyptische Kämpfe ausgetragen werden. Für die der einzelne natürlich zu klein, zu schwach und zu unwissend ist um zu bestehen.
Nun hat die Süddeutsche diese Ikonografie versehentlich mit den Motiven einer anderen vermischt (dicke Unterlippe, Hakennase, Schläfenlocken), die einmal dieselbe Idee verfolgte: Die Dämonisierung. Und entlarvt sich damit selbst, denn man dachte ja offensichtlich, dass es sich hier um eine legitime Bildsprache handelt, um ein Bild von einem Internet zu zeichnen, vor dem man sich fürchten und gegen das man sich wehren muss.
Gewehrt haben sich die Deutschen auch hin und wieder - zum Beispiel indem sie Google-Streetview verboten haben, öffentlich sichtbare Häuserfronten von der Straße aus zu fotografieren. Dass Verlage und Profil-Firmen schon immer genau dasselbe tun und diese Fotos und jede Menge anderer Daten für viel Geld verkaufen, geschenkt.
Oder sie tun es gerade, indem sie WhatsApp nach Jahren der Ignoranz über die massiven Sicherheitslücken verlassen: Der Dämon Facebook ist für den Deutschen User offenbar mächtiger als jahrelange konkrete Sicherheitsmängel. Klar, ich finde es durchaus erfreulich, dass mein Bekanntenkreis endlich vom komplett löchrigen zu wenigstens halbwegs sichereren Anbietern wechseln. Sie tun es aber nichtsdestotrotz aus den falschen Gründen.
Es wird sich nichts ändern
Ich bin an vielen Stellen optimistisch. An dieser bin ich es nicht, denn ich glaube nicht daran, das sich diese Darstellung des Internets in den Medien mittelfristig ändern wird. Auch das kann ich mit der antisemitischen Karikatur der Süddeutschen erklären: Diese Art der Bildsprache ist eine Tradition. Besonders in Deutschland. Die konzeptionell inhärente Nähe zu offen diskriminierenden, stereotypisierenden Bildsprachen ist hier lediglich mal besonderst deutlich geworden. Wenn man nicht einmal merkt, welche altehergebrachten Steretoypisierungen man kolportiert, wie soll man denn dann ein Bewusstsein für neuere entwickeln?
Diese hochemotionale Dämonisierung, Entmenschlichung und Entsachlichung ist aber ein altes mediales Werkzeug, das viel zu gut funktioniert, als dass man sich davon verabschieden würde. Ich finde nicht ein mal, dass das besonders verwerflich ist. Das Problem ist, dass es so übermäßig benutzt wird, dass es die Wahrnehmung bei den Rezipienten so sehr dominiert, dass er auf keine sachlichere Darstellung mehr reagiert. Und das kann nicht gut sein.
Vor einer Weile hab ich auf Facebook einen alten Artikel von mir zitiert und dazu geschrieben, dass ich jedes mal wenn ich mir überlege, was ich eigentlich zu dieser ganzen NSA-Geschichte schreiben könnte einfällt, dass ich das ja eh schon zig mal erklärt habe. Daraufhin meinte Patrick, dann müssten wir eben darüber podcasten.
Und so kam es, dass wir vorgestern abend fast drei Stunden über Prism, Datensammlungen, Algorithmen und Analysten gesprochen haben und warum das Speichern von Daten aus einem Medium, das über das ständige Kopieren von Daten funktioniert, so einfach ist und eigentlich nicht verhindert werden kann. Außerdem geht es um Kreditkarten, false positive, dass Verschlüsselung schon noch funktioniert und dass man sich darüber Unterhalten muss, wie wir und wie Staaten mit der immer weiter wachsenden Transparenz umgehen.