Es gibt Menschen, die nicht ständig unter Menschen sind. Nicht weil sie dazu nie Lust haben, sondern weil sie nach Zeiten, in denen sie mit anderen interagieren, erst eine Zeit lang ausruhen müssen. Zu denen gehöre ich. Ich würde zB gerne auf 10 LARPs im Jahr gehen, mehr als 2 schaffe ich aber nie.
Ich arbeite in der Beratung, führe also Workshops durch, mache Coaching und arbeite in ständig neuen Firmen und wechselnden Teams. Das macht mir Spaß, aber auch da suche ich mir inzwischen sehr genau aus, mit und für wen ich arbeite. Kriterien sind zB, dass wenn es nicht grade einen Workshop gibt oder einen anderen sehr guten Grund, vor Ort zu sein, ich zu Hause arbeiten kann. Für Firmen/Agenturen, die verlangen, dass ich selbst zur Erstellung eines Konzeptes oder eines Strategiepapieres vor Ort sein muss, sage ich üblicherweise ab.
Als ich mich 2015 selbständig machte habe ich nicht geahnt, wie sehr mich das entlastet, nicht mehr täglich in ein Büro fahren zu müssen.
Diese Situation - dass soziale Interaktionen mich sehr anstrengen und ich sie daher dort konzentriere, wo ich wirklich Spaß oder Sinn finde - hat auch Vorteile: Ich werde sehr selten richtig krank (mein niedriger Blutdruck und zuwenig Bewegung führt öfter mal zu Wetterkopfschmerzen - but that's quite it) und es ist auch so, dass ich oft darauf angesprochen werde.
Eine Erklärung dafür hab ich heute hier gefunden (via @luca) und ich kann das so nur bestätigen. Demnach verringert schon ein viertel weniger Kontakt gut 60% des Infektionsrisikos. Daher: Hört auf eure Introverts. Die wissen, wie "social distancing" funktioniert.
Die re:publica war sehr lange ein sehr wichtiger jährlicher Fixpunkt: Sie gab mir immer den Startschuss ins nächste Jahr und war für mich, für meine Eigenwahrnehmung und für die Bestätigung meiner ganz persönlichen Wirksamkeit eine wichtige - wenn nicht zuweilen gar die wichtigste - Messstation.
Das ist sie seit einer guten Weile nicht mehr, was allerdings nicht an der re:publica liegt, sondern daran, dass ich mich inzwischen immer mehr auf anderen Gebieten mit Kultur, Zukunft und auch Kommerz beschäftige. Ich habe versucht und werde auch weiter versuchen, diese auch auf die re:publica zu bringen. So wie ich generell gerne alles, was mich interessiert und alle Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle, zusammenbringe. Das klappt auch zuweilen mal (z.B. habe ich vor drei Jahren zum Thema LARP in der politischen Bildung referiert oder vor fünf darüber, wie wir als Gesellschaft auf den Strommarkt Einfluss nehmen können), hat aber eigentlich trotz grundsätzlichem Interesse nie lange nachgewirkt.
Warum ich das tue: Ich fühle mich der re:publica, ihrer inzwischen unbestreitbaren Kulturleistung und den Menschen dort verbunden und möchte 1. selbst daran teilhaben, aber auch 2. andere mitnehmen, die die re:publica noch nicht oder noch nicht so lange kennen und 3. den Menschen, die ich auf der re:publica kennenlerne, auch in "meine" Themen mitnehmen.
Seit letztem Jahr kümmere ich mich daher um das Thema "Tod in der Netzfamilie", das tatsächlich auch verfängt und Anklang findet - im Gegensatz zu den schon erwähnten Themen aber auch nachhaltige Teilnahme erzeugt. Das freut mich sehr und das verfolgen wir daher auch weiter. Gerade aus dem Publikum kamen viele gute Anregungen und Ideen für ganz konkrete Maßnahmen, in der Netzkultur die ihr noch weitgehend fehlende Erinnerungskompetenz zu stärken.
Meine persönliche Situation ist also die, dass ich mein Interesse an partizitativen, pluralismusfördernden Kulturkompetenzen inzwischen woanders auslebe und nur noch "auch" auf der re:publica unterbringe. Das ist allerdings wesentlich gesünder für mich persönlich als früher und daher ist das auch a good thing. Es entspannt nämlich auch mein Verhältnis zur re:publica, die für mich und meine persönliche Verfassung nicht mehr so viel leisten muss wie früher.
Entsprechend entspannter war ich in diesem Jahr auch: Ich finde es zwar immer noch ein bisschen Schade wenn ich drei Tage lang Menschen nicht treffe, die ich gerne mal wieder sehen würde, aber das trifft mich bei weitem nicht mehr so sehr wie früher. Ich habe ja inzwischen an vielen anderen Stellen Freundinnen und Freunde und andere tolle Menschen mit denen ich interessante Dinge mache - bei denen sogar inzwischen mehr konkretes herauskommt als in Berlin. Ich flanierte daher die drei Tage ein bisschen hin und her, sprach mit den Menschen die ich zufällig traf, setzte mich hin und wieder in eine der Vorträge und machte mir eine schöne Zeit.
Inhalt und Ablauf war wie immer - was nicht negativ gemeint ist: Es gab gute und nicht so gute Vorträge, die Essenssituation ist nicht wirklich super (teuer und immer noch kein bargeldloses Bezahlen), es gab nerviges wie dass ein Bundespräsident so wie er da auftauchte ein Störkörper war statt irgendwie hilfreich und es gab nostalgisches wie eine Twitterlesung. Ich hatte schöne Gespräche von denen ich hoffe dass das auch für diejenigen gilt mit denen sie stattfanden, ich hatte Spaß, es gab genug zum nachdenken und herumtheoretisieren und auch genug praktisches. Wir haben am Ende gesungen und ich war gestern irgendwann froh, wieder zu Hause zu sein. Das ist ungefähr das, was ich von der re:publica erwarte und weshalb ich sie mag. Insoweit: Sie war gut und ich bin froh dass ich da war. Nicht mehr, nicht weniger.
Es gibt Verhalten, das nicht akzeptabel ist. Nehmen wir an, jemand kackt in der Öffentlichkeit ständig auf die Straße und erklärt, dass das sein gutes Recht sei und man ihn deswegen nicht gesellschaftlich ächten könne. Da würde niemand sagen, dass er damit recht hat und endlich tuts mal einer, dass man ihn deswegen echt nicht verurteilen könne oder gar, dass das zu kritisieren und ihn davon abzuhalten eine Provokation sei, die ihn erst recht dazu bringt, weiter auf die Straße zu kacken.
Das Problem ist, dass wenn man Leute, die permanent auf die Straße kacken - oder eben ständig ihren Rassismus zur Schau stellen - toleriert oder gar Verständnis dafür signalisiert, man ihre Taten und Äußerungen aus dem Bereich des gesellschaftlich geächteten Verhaltens in den des akzeptierten verschiebt und das darf nicht passieren.
So muss man auch die Sprachformel betrachten, dass man verdammt noch mal kein Verständnis für Rassisten zu haben hat: Ich kann Verständnis haben für eine schwierige persönliche Situation. Für Fehler in der Erziehung die ein Mensch ausbadet. Für Bildungsdefizite die ihm in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft Zugang zu gesellschaftlicher Anerkennung verwehren. Für frustrierende Perspektivlosigkeit und Verzweiflung über seine nicht zu überwindende Existenzängste.
Aber auf die Straße kacken oder Rassismus bleibt davon unberührt und ich werde daher mit niemandem über irgendein anderes seiner Probleme reden, so lange er auf die Straße kackt oder sich rassistisch äußert, denn dass er damit aufhört ist die Voraussetzung dafür, dass ich in eine Interaktion mit ihm eintreten kann.
Dass plötzlich "uns" hier eine Art Holschuld zugeschrieben wird, diesen Leute irgendwie mit einer zugewandten Akzeptanz zu begegnen - also Leuten, deren Verhalten eben jenseits der Akzeptanzschwelle steht genau dieses Verhalten durchgehen zu lassen und mich erst mal um seine anderen Probleme zu kümmern - ist ein (ziemlich unsubtiler) rethorischer Taschenspielertrick, den jede*r kennt, die/der Menschen mit Suchtproblemen in der Familie hat. Alkoholikern kann man auch nicht helfen, indem man erst mal alle ihre anderen Probleme löst. Das ist kontraproduktiv, denn das signalisiert ihnen lediglich, dass sie weiter machen können wie bisher.
Was wir aber bei Rassisten und Neonazis tun ist das Gegenteil dessen, was ihnen helfen würde, wieder ein gutes und eigenständiges Leben führen zu können, denn wir laden sie sogar regelmäßig in Fernsehstudios ein und bringen ihnen bei, dass sie mit ihrem Verhalten in dem Bereich angekommen ist, in dem sich Briefmarken sammeln oder keine Fleischprodukte essen befindet: Manche machen das und wems Spaß macht, meine Güte. Aber erzähl doch noch ein bisschen von Deiner Wut. Klopapier?
Allein schon, dass sie nun auch in der Talkshow vor Millionen Zuschauern auf den Boden kacken oder ihre rassistischen Thesen erklären können ist der Sieg. Keine noch so gut geführte Diskussion wird das ändern. Der Rassist hat gewonnen, wenn man ihm zuhört. Dass man ihm vielleicht auch widerspricht, spielt für ihn keine Rolle. Er ist da angekommen wo er hin wollte: In die Mitte der Gesellschaft, ohne seinen Rassismus ablegen (oder zumindest verschämt verstecken) zu müssen.
Und deswegen ärgere ich mich darüber, dass man einem Sarrazin zuhört, dass der Spiegel morgen hunderttausende kostenlose AfD-Wahlplakate in den Zeitschriftenläden auslegt und dass ein Innenminister, ein Ministerpräsident und ein Verfassungsschutzchef rechtsradikalen Mobs mit semantischen Haarspaltereien zeigt dass sie einfach weiter machen können was sie wollen.
Wenn man mal vergleicht, wie es vor 10 Jahren auf der Straße aussah: Da konnte man noch gemütlich spazieren gehen. Heute tritt man alle paar Meter in den nächsten Kackhaufen. Das ist, was man davon hat, wenn man Leuten, die auf die Straße kacken nicht sagt: Hör auf damit oder verpiss dich!
Ich habe gestern über einen bestimmten Aspekt des Einkaufens geschrieben, nämlich den Normalfall: Der ganz normalen, unspektakulären Vorratskauf, den man immer und immer wieder machen muss, damit was zum Essen im Haus ist, man regelmäßig Duschen und Zähne putzen und immer frische Socken anziehen kann. Die Einkäufe, die man schnell hinter sich bringen will, damit man wieder Zeit für die Dinge im Leben hat, die einem Spaß machen. Lesen, Sport, spazieren gehen, liebe Menschen treffen, Klavier spielen...
...und auch mal ganz gemütlich bummeln und schöne Dinge shoppen gehen.
Wenn man mal absieht von den 80% Einkaufen gehen, weil man muss, gilt nämlich auch: Ich mag durchaus Shoppen - also das, wo ich mir im Gegensatz zum Einkaufen was gönne - oder es zumindest vorhabe. Ich gehe sogar gerne mit Freundinnen mit, wenn sie nach neuen Klamotten suchen. Das stresst mich dann auch überhaupt nicht, denn ich selbst brauche ja nichts. Ich flaniere gerne, ich stöbere in Buchläden, probiere Sachen an, quatsche mit Verkäuferinnen und Verkäufern im Schreibwarenladen über Polychromosstifte und Papiersorten. Und selbstverständlich ist es so, dass sich die Innestädte hier in den letzten vierzig Jahren stark verändert haben. Nur hat der Online-Handel damit zunächst mal überhaupt nichts zu tun.
Das "Innenstadtsterben" - und vielleicht muss man dafür auch wieder älter sein, um das zu wissen - ist nämlich nicht neu und wurde schon in den Achtzigern thematisiert. Die immer gleichen Ketten und Kaufhäuser übernahmen mit den aggressivsten Methoden, die man sich vorstellen kann, die Fußgängerzonen so dass es heute keinen Unterschied macht ob man die Frankfurter Zeil oder die Kölner Schildergasse lang geht. Öffentliche Plätze, freie Sitzgelegenheiten und andere Möglichkeiten der nichtkommerziellen Nutzung der Innenstadtbereiche wurden rigoros abgebaut weil die Leute ja gefälligst ihr Geld ausgeben und nicht herumlungern sollten. Flick und andere teils hoch korrupten Bauhaie bauten überall ihre Einkaufspassagen hin, die ein paar Jahre später der Reihe nach Pleite gingen. Das hat die Innenstädte schon lange bevor das Internet überhaupt in Deutschland Einzug gehalten hat, massiv zerstört und die "Traditionsgeschäfte" entweder direkt vertrieben oder ab diesem Zeitpunkt in eine prekäre Lage gebracht, in der sie sich zwar noch eine Weile hielten und zum Teil noch halten, aber nur unter immensen Mühen und dem Dauerstress des Unternehmens, dem ständig die Luft knapp ist.
Der Online-Handel hat da nicht mehr viel ausrichten müssen. Sicher hat auch der disruptiv gewirkt - vor allem da, wo Waren irgendwann nicht mehr auf Medien gekauft werden mussten wie Musik, Filme, Software, Bilder usw. Aber dieses tolle Spielzeugfachgeschäft an das man sich so wehmütig erinnert ist schon lange vorher von Großmärkten, Kaufhäusern und Toys'R'Us aufgerieben worden.
Der zweite Grund für den Untergang von Fachgeschäften ist auch schon seit den Neunzigern ein Thema, nämlich dass immer mehr Dinge erstens nicht mehr aus neutralen Einzelteilen bestehen und zweitens gar nicht mehr vom Laien repariert werden können. Konsequenterweise begannen die Hersteller auch noch selbst, ihre eigenen exklusiven Marken-Läden in die Einkaufsstraßen zu pflanzen. Die Eisenwaren- und Elektronikläden mit den mürrischen aber fachkundigen Besitzern, die einem eine Schraube für ein defektes Gerät auch mal zurechtfeilten verschwanden somit nicht, weil man im Internet einfacher bestellen kann. Sie verschwanden schon vor dem Internet und man bestellt inzwischen Elektroteile online, weil man sie einfach nirgends anders mehr her bekommt.
Wenn Gemeinden oder Städte hier nicht bewusst steuernd eingreifen, sterben die Einkaufsbereiche durch ganz altmodische unfaire Wettbewerbsmethoden: Ketten drängen die Einzelgeschäfte mit schönen Angeboten an Vermieter, durch Einkaufsrabatte ermöglichte Kampfpreise und auch schlichte Drohungen ("jetzt kriegen Sie noch was für Ihren Laden, wenn wir aber gegenüber eine Filiale eröffnen..") in Nebenstraßen, wo es keine Laufkundschaft gibt bis sie auch dort langsam verschwinden. Da ist kein Digitalisierungs-Menetekel nötig. Das hab ich in schon Anfang der Neunziger in Städten wie Pforzheim, Stuttgart und Karlsruhe live gesehen. Das ging ganz gut ohne Online.
E-Commerce, Amazon und Co bedroht aber dennoch jemanden, das ist aber nicht der "Traditionshandel", sondern jetzt geht's den Ketten-Filialen an den Kragen und da hält sich mein Mitleid in Grenzen. Es gibt halt immer den nächst größeren - oder geschickteren - Fisch. Das Fressen-und-Gefressen-Werden-Spiel haben die dreißig Jahre ganz gut selbst gespielt (und dass Medien den bei LeseIrnnen schöner klingenden Tante Emma Laden zum Online-Opfer erklären liegt vielleicht daran, dass besagte Ketten immer noch gute Anzeigen-Kunden sind).
Hin und wieder wurde aber eingegriffen. Manchmal rechtzeitig, manchmal nur halbherzig, manchmal war auch einfach Glück und Zufall im Spiel. Jedenfalls gibt es neben den komplett verödeten Pforzheims dieses Landes auch Städte, Gemeinden und Dörfer mit halbwegs okayen bis sehr gesunden Innenstadt-Leben. Ich habe das dieses Jahr mit Freude in Regensburg gesehen und in Neustadt and der Weinstraße. Ich sehe das auch hier in Köln. Natürlich kann man sich da die Hohe Straße und die Schildergasse schenken - Kaufhof, P&C, Deichmann, jeder Telcoanbieter, Media Markt, H&M, Pimkies, Zara und wie sie alle heißen... so austauschbar und öde wie in jeder anderen Stadt auch. Aber dann geht man halt ins Belgische Viertel und findet dort ein schönes Geschäft neben dem anderen. Kleine Buchläden, ungewöhnliche Klamotten, ausgefallener Sportkram, alles da. Und dazwischen Plätze mit Sitzbänken unter Bäumen und gemütliche Kneipen oder kleine Cafés. Ich hab zwar keine Ahnung, wie das dort entstanden ist, aber irgendwie hat irgendwer dort was richtig gemacht.
Wenn mans weniger alternativ haben will und mehr so gemütlich, kann man nach Nippes. Auch da gibts die schönen Plätze und kleinen Geschäfte. Und wenn mans doch wieder richtig kommerziell mit Marken und schick und bling haben will, aber trotzdem das Fachgeschäft sucht, gibts die Gegend um die Ehrenstraße. Das sind alles Ecken, in denen ich gerne mal mit etwas Zeit hingehe und vielleicht kauf ich mir ein Paar Schuhe, vielleicht ein Buch, vielleicht eine Jacke und vielleicht auch gar nichts sondern trinke zwischendurch 'nen Kaffee oder ein Kölsch.
Das kann Online mir nicht bieten. Dazu muss ich aus dem Haus und dort hin gehen. Aber dazu muss es dieses "dorthin" eben auch geben und wenn man dann mal genauer hinschaut gibt es sie auch: Die sind schon da, die schönen kleinen Läden in Regensburg und Neustadt, im Belgischen Viertel und überall sonst, wo sich entweder offiziell oder privat mal darum gekümmert wurde, wieder eine Struktur für den kleinen Einzelhandel zu schaffen. Und es gibt auch neue Geschäftsideen wie Popupstores, die wiederum unterstützt werden von lokalen News- und Online-Angeboten, die solche kleinen Läden und Szenen sichtbar und findbar machen. Es gibt oft genug sogar Online-Shops für die Menschen, die z.B. mal in einem Laden waren, aber nicht aus der Gegend sind. Ich habe schon tolle 1890er Larp-Klamotten bei einem kleinen Händler auf dem Fantasy-Markt in Speyer entdeckt und die passende Hose, die sie nicht da hatten, hinterher bei ihnen online bestellt. Das geht ganz prima, diese Offline und Online. Das muss sich nicht immer fressen, das kann sich auch prima ergänzen.
Überhaupt, Stichwort Märkte. Online kann nur gegen Dinge konkurrieren, deren Offline-Version von Menschen als anstrengender, lästiger oder hinderlicher empfunden wird. Das sieht man zum Beispiel an Flohmärkten. Natürlich gibt es eBay, aber es gibt auch immer noch Flohmärkte, weil eBay eben keine Konkurrenz zu Flohmärkten ist, auch wenn es sich da vordergründig um genau das Geschäftsmodell handelt wie bei einem Flohmarkt. Es wird aber nie den Flohmarkt ersetzen können, weil zum Flohmark das herumstöbern, anfassen und sich überraschen lassen gehört. Der Flohmarkt ist ein Event. Er hat ein Flair und eine Stimmung und wegen der gehe ich da hin.
Dasselbe ist mit Innenstädten. Wenn sie eine Stimmung und ein Flair hat, geht man da hin.
Wenn man nur was bestimmtes einkaufen muss, nicht mehr unbedingt.
Man kann also weiter über Amazon schimpfen oder für Gründe sorgen, dass Menschen wieder gerne in die Innenstädte gehen.
Und wenn man eine These sucht, die hinter diesen zwei Artikeln steht ist es die, dass der Mensch unterschiedliche und sich eventuell widersprechende Dinge möchte - im Falle des Kaufens von Dingen einmal ein Angebot für das einfache und bequeme Wegarbeiten von lästigen Verpflichtungen und einmal ein schönes oder überraschendes Freizeit-Erlebnis -, aber unsere Kommerz-Dynamiken oft zu schlecht darin sind, für mehrere Bedürfnisse gleichzeitig Lösungen anzubieten.
Ich lese ja seit 20 Jahren schon, das "Internet macht die kleinen Geschäfte kaputt". Ich las auch schon vor 40 Jahren, dass Supermärkte und Großmärkte die Tante Emma Läden vernichten. Die anonymen, kalten Konzerne vernichten das Einkaufserlebnis: kein persönliches Gespräch mehr mit der netten Verkäuferin hinter dem Schalter, die immer noch ein paar gute Ratschläge hat, was man mit der Packung Gries noch alles anstellen kann. Kein gemütlicher Bummel durch die sonnige Innenstadt über die Flaniermeile, auf der einem lächelnde Menschen begegnen und sich einen schönen Tag wünschen. Keine haptischen Extasen weil man Waren anfassen, Bücher blättern, Stoffe fühlen und Blumen riechen kann. Das ist, was in Gefahr ist. Was schon fast verschwunden ist und was gerettet werden muss, jetzt zur Abwechslung mal wieder vor dem bösen Amazon.
Ich erzähl euch jetzt mal, warum man normalerweise einkaufen geht: Man braucht Sachen - Nahrungsmittel, Waschkram, Klamotten. Oder man möchte bestimmte Sachen: Ein Buch, Musik, eine warme Winterjacke. Dann geht man los und kauft diese Sachen ein - dabei achtet man darauf, dass Preis und die Qualität im Verhältnis der eigenen Ansprüche an beides steht. Dann geht man nach Hause und räumt die Sachen da hin, wo sie hin gehören. Fertig. Das macht man bei den allermeisten Sachen, die man kauft, regelmäßig. Ich bin jeden zweiten Tag im Supermarkt, weil er vor der Haustür ist und ich mir daher den Luxus erlauben kann, in 15 Minuten eingekauft zu haben, ohne ein Auto zu brauchen und ein mal die Woche zum Großmarkt zu fahren, wie es meine Eltern noch taten - weil der Tante Emma Laden nunmal keine fünfköpfige Familie für eine Woche komplett mit Vorräten ausstatten kann.
Ich denke beim ganz normalen Einkauf - den Einkauf, den man immer und immer wieder macht - nicht ein einziges mal "Ach! Wie schön wäre es, wenn ich jede einzelne Ware, die ich brauche, bei einem Schalter bestellen würde oder mich darüber mit netten Verkäufern und Verkäuferinnen unterhalten könnte. Verdammt, Amazon hat mir das kaputt gemacht." Nein, ich denke "Hoffentlich gibt's keine Schlange an der Kasse." und mir ist schon die Frage nach der Paybackkarte zu viel lästige Konversation. Ich habe keinen Spaß beim Einkaufen. Ich spüre da keine Freude. Einkaufen ist kein Erlebnis. Einkaufen ist wie Wohnung putzen. Wenn ich eine Möglichkeit bekomme, diesen Vorgang noch schneller, einfacher und effizienter zu gestalten, dann mache ich das. Da ist nichts, was ich vermissen würde.
Sprich: Die ganze Argumentation basiert seit 40 Jahren auf einer falschen These, nämlich der, dass Einkaufen Spaß macht.
Was Großmärkte, Supermärkte, das Internet, Amazon tun, ist genau das, was ich möchte: Sie erleichtern mir Dinge, die mir lästig sind. Sie sorgen dafür, dass ich nicht in zig verschiedene Läden muss, erleichtern mir das Bezahlen (möglichst ohne vorher noch zur Bank zu müssen) und lassen mich schneller zu Dingen zurückkommen, die mir wirklich Spaß machen und die ich tatsächlich tun möchte.
Daher: Ja, Tante Emma Läden sind in der Theorie herzig. Ich bin aber noch nie in meinem Leben für den täglichen Einkauf in einen Tante Emma Laden gegangen und werde das auch nie freiwillig tun. Ich gehe auch nicht einkaufen, um Menschen zu treffen. Ich möchte auf keinen Fall von Verkäufern angequatscht werden und gehe daher nur im Notfall in kleinere Läden - dann aber sehr bewusst und mit viel Zeit. Ich kaufe Hosen im Klamottenladen und Schuhe im Schuhladen, weil ich die anprobieren muss. Ich kaufe ansonsten alles online, sobald online einfacher ist als offline.
Ich möchte über etwas schreiben, was mir bei der momentanen Reprise der Cambridge Analytica Geschichte auffällt. Denn, schon wieder oder immer noch ist der seltsame Glaube an das eine magische Wort, das im richtigen Moment ausgesprochen den Helden rettet (oder den Schurken zum Superschurken macht) und den entscheidenden Vorteil bringt, eine der Kernelemente der Story um eine Firma, die mit massiven Beweisen und Verdachtsmomenten konfrontiert ist, dass sie mit Datendiebstahl, Betrug, Erpressung und agressivsten Manipulationsmethoden weit außerhalb des auch nur ansatzweise moralisch Vertretbaren agierte.
Das Bild, das sich gerade abzeichnet ist: Cambridge Analytica behauptet, sie würde durch extrem schlaue Datenanalysen mikroskopisch exakte, auf einen psychologischen Angriffspunkt der EmpfängerInnen abgestimmte Werbeposts schalten und sie damit praktisch hirnwaschen und zum gewünschten Wahlverhalten zwingen. In Wirklichkeit arbeitet sie aber als skrupellose grey und black hat Lobbyagentur, holzen sich mit Betrug, Bestechung und Erpressung durch die Politik- und Medienlandschaft, um den Anschein zu stützen, ihre teure und einzigartige Methode sei so erfolgreich wie sie versprechen. Eigentlich bestätigen die Enthüllungen das ganz prima und passt dazu - wenn man im vorletzten Jahr etwas aufgepasst hat - wie krasse, unverhohlene Desinformation den Wahlkampf in den USA bestimmte. Und dazu, dass eben nicht Subtiliät den Erfolg populistischer Kampagnen ausmacht sondern das Gegenteil davon. Wie das eben letztes Jahr dazu schon erarbeitet wurde, nachdem die ersten hyperventilierenden Sensationsartikel durch waren.
Selbstverständlich wurde auch da schon erklärt, dass wir nichtsdestotrotz einige reale massive Probleme haben, deren Aufklärung und Aufarbeitung dringend notwendig sind: Probleme mit Plattformen wie Facebook, mit der Art, wie sie mit Daten arbeiten, mit den Wegen der Einflussnahme und Manipulation, mit dem digitalen Kontrollverlust und vielem anderen. Aber man erklärt mir schon wieder, wenn ich sage, dass Cambridge Analytica Hustenbonbons gegen Krebs verkaufen, dass es doch sein könnte, dass das ja durchaus auch ein magisches Hustenbonbon sein könnte, das vielleicht genau diesen einen wichtigen Ausschlag gegeben haben könnte, der Trump die Wahl gewinnen ließ.
Ein Problem, das meiner Ansicht nach immer wieder verhindert, dass sich um diese Probleme nachhaltig gekümmert werden kann - und das sich gerade wieder exemplarisch zeigt - ist der Verlust von Kontext, bzw das Weglassen davon, wenn über komplexe Sachverhalte berichtet oder diskutiert wird. Das kommt zB auch daher, dass der Onlinejournalismus Informationen schnell, prägnant und verdaulich aufbereiten muss (und dadurch der Weg vom Lesen zum klicken und teilen möglichst nur Sekunden dauert), aber dass es leider Themen gibt, die gar nicht derart kurz und prägnant auf eine griffige Überschrift eingedampft werden können, dass die dieser Anforderung genügen, ohne dass sie durch ihre Emotionalisierung, ihre Vereinfachung, ihre Zuspitzung und durch das Weglassen von Kontexten am Ende plötzlich "falsch" sind. Jede Meldung ist eine Einzelnachricht, ein neuer Aspekt eines alten Themas wird nicht in Beziehung gebracht sondern immer wieder als neue Nachricht verkauft, bis hin zu Absurditäten wie Trumps Tweets, über die sich seit über 12 Monaten quasi täglich einzeln und immer wieder empört wird, als ob er just heute völlig überraschend was völlig dummes geschrieben hat. Das wirkt auf Dauer wie mediales Blitzdingsen am Murmeltiertag und sorgt dafür, dass immer gleiche Stories immer wieder von vorne beginnen.
Ein anderer Grund ist die Art und Weise, wie wir selbst ganz persönlich in Sozialen Medien bei Diskussionen sofort nur noch auf Überschriften oder einen (Halb)satz eines Kommentators antworten und als vollständige These betrachten, weil eine differenziertere Betrachtung zb für einen flüchtigen Facebookkommentar viel zu aufwändig ist. Dass wir dadurch immer nur das zuletzt gesagte beachten ist aber langfristig ein Problem. Ich merke das ja selbst (und letztes Jahr war das ganz genauso), wenn ich schon wieder versuche, zu erklären, dass Cambridge Analyticas Behauptung, mit Daten Verhalten zu verändern zuallererst mal ein Scamsystem ist und gerade die aktuellen Enthüllungen das sogar bestätigen. Das bedeutet aber eben nicht dass alles, was diese Firma tut, harmlos ist, dass sie nicht gefährliche, höchstwahrscheinlich jede Menge illegale Praktiken anwendet um die Erfolge zu erreichen, die sie brauchen, um ihren Scam "echt" aussehen zu lassen. Oder dass Facebook aus dem Schneider sei und deren Datensammeleien und Umgang damit schon ok gehen. Das ist aber das, was mir als meine Behauptung oft unterstellt wird, jetzt und auch schon letztes Jahr.
Die Vereinfachung der Welt in reine entweder/oder, schwarz/weiß, links/rechts, gut/böse Gegensätze zum einen plus dieser Kontextlosigkeit, in der Dinge, die aufeinander Aufbauen, miteinander zusammenhängen oder sich über einen längeren Zeitraum verändert und entwickelt haben ignoriert werden ist eine enorm frustrierende Situation. Ich hab da jetzt auch keine These oder einen Vorschlag oder ein magisches Hustenbonbon, das das schnell lösen würde, aber genau darum gehts halt auch. Das magische Hustenbonbon gibt es nicht. Wir müssen hier den langen Weg gehen und all die Kontexte betrachten, die Veränderungen und Entwicklungen nun mal antreiben...
Es gibt viele Aspekte, die auf den momentanen Erfolg von Populisten und Rechtsextremen einzahlen. Ich will auf einen eingehen, den ich für besonders relevant halte. Was weder heißt, dass das der wichtigste oder der einzige ist, noch dass ich mir über andere keine Gedanken mache. Das vorab als Disclaimer, damit niemand kommentieren muss, dass ich ja das ihnen wichtige, "eigentliche" Thema ignorieren würde (was wahrscheinlich dennoch passiert, aber egal).
Warum wir Fremde fürchten
Es gibt wahrscheinlich, seit der Mensch eine gewisse Selbstwahrnehmung und Intelligenz entwickelt hat, eine wichtige Instanz im Bewusstsein, die ihm hilft, mit der Realität klarzukommen und sein Dasein zu ordnen. Das ist die Wahrnehmung von Veränderung und die Angst vor dem Fremden. Wahrzunehmen, wenn sich etwas in der direkten Umwelt eines Menschen verändert oder wenn sie andere Menschen bemerken, die sie in ihrer gewohnten Umgebung noch nie gesehen haben, ist ein wichtiger Instinkt, denn darauf zu reagieren kann lebenswichtig sein. Daher reagieren wir auch heute mit Stress auf Neues und Fremdes. Stress erhöht die Leistungsfähigkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und setzt den Fokus auf alles, was uns hilft, eventuell notwendige Abwehr- oder Fluchtmaßnahmen einzuleiten und erfolgreich eine Krisensituation zu bewältigen, falls sich diese Veränderung oder die fremde Person als Bedrohung herausstellt.
Leider ist eine der negativen Folgen dieses Instinktes der Verlust der Gesamtübersicht, denn er fokussiert uns auf den Moment und blendet alles aus, was gerade nicht wichtig scheint, um eine akute mögliche Bedrohungslage in einem größeren Maßstab oder mit einem rationalen Abstand zu bewerten. Bei Gefahr ist es wichtig, möglichst schnell und direkt zu reagieren und wenn es um Sekunden geht, ist der rationale Teil unseres Hirns dem emotionalen weit unterlegen: Der Sinn von Affekt ist es, schneller zu reagieren als man denken kann und um eine plötzliche Gefahrensituation durch Angriff oder Flucht zu beenden kann das schnelle Handeln aus dem Bauch heraus statt das überlegte Handeln aus dem Kopf heraus entscheidend sein. Wenn wir diesen wichtigen Instinkt nicht hätten, würden wir wahrscheinlich jeden Tag von einem Bus überfahren werden.
Das Fremde in der Dauerschleife
Bleiben wir mal beim Bus: Ich sitze im zweiten Stock und auf der Straße unter meinem Fenster fährt alle 10 Minuten ein KVB-Bus vorbei. Wenn das Fenster offen ist, hört man den auch, und zwar sehr laut. Wenn ich Besuch habe, fragt der mich nach einer Weile, ob mich das nicht stört und ich sage "Wie? Bus? Ich hör das gar nicht". Das liegt nicht daran, dass ich schlechte Ohren habe, sondern daran, dass ich weiß, was da vorbeifährt. Ich habe offenbar gelernt, dass er keine Gefahr ist, da er mich nicht im Wohnzimmer einer Wohnung im zweiten Stock überfahren wird. Mein Hirn blendet ihn aus. So sehr, dass ich nicht mal mehr das laute Geräusch wahrnehme, das er ja unverändert macht. Mein Besuch ist aber in einer fremden Umgebung und sein Hirn meldet ihm daher jedes Geräusch mit der Frage "was ist das? Muss ich darauf reagieren? Ist das gefährlich?"
Wofür dieses Beispiel steht ist: Wir leben in einer Zeit, in der sich die Menge der Geräusche - und ich meine nicht nur akustische - in unserer Umgebung viel schneller erhöht und potenziert hat, als wir uns daran als Gesellschaft gewöhnen konnten. Klar, einzelnen Menschen gelingt das problemlos, einigen ganz gut (zu denen zähle ich mich), einige bemühen sich redlich und erkennen und benennen ihre Überforderung, dann kommen noch ein paar mehr Abstufungen und dann gibt es irgendwann die, die nicht mehr verstehen, was da eigentlich passiert. Das sind die, die im Dauerstress landen und von ihm getrieben in einem ständigen Zustand der Panik, der Angst und der Bedrohung leben.
Stress ist wichtig und hilfreich in ganz konkreten kritischen Situationen, die eine ganz konkrete direkte Reaktion benötigen. Wenn ich aber den Eindruck vermittelt bekomme, ständig von neuen Gefahren umgeben zu sein und die Informationskanäle über die ich darüber informiert werde nutzen dazu noch eine Form, die so tut als wären diese Gefahren alle so dringlich und konkret wie ein Bus, der gerade auf mich zu kommt, und wenn, sobald ich mich dann diesen Gefahren zuwende um sie zu bekämpfen oder aus ihnen zu fliehen, irgendwie gar keine Möglichkeit dazu besteht, dann hab ich irgendwann ein Problem. Nicht mit den Gefahren selbst, weil die natürlich gar nicht so konkret und direkt sind wie sie uns verkauft und vermittelt werden. Nein, dann gerate ich in einen Dauerstress und ein permanentes Gefühl der Panik, der Angst oder der Wut - je nachdem, wie ich da disponiert bin.
Und genau diese Panik, Angst und Wut erkenne ich bei den Menschen, die uns das Fernsehen zeigt, wenn sie sich darüber wundern, dass Menschen selbst dann, wenn Journalisten und Politiker auf sie zugehen um mit ihnen zu reden, diese nur noch anpöbeln, beschimpfen und vielleicht sogar tätlich gegen sie werden.
Opfer der Populisten
Menschen haben ja berechtigte Sorgen: Haben sie morgen noch Arbeit? Reicht die Rente? Wird alles teurer? Warum verändert sich alles so schnell, dass sie nicht mehr mitkommen? Bekommt irgendjemand was geschenkt, während sie sich für alles anstrengen müssen (ja, wichtige Frage für manche)? Und dann kommt jemand und bietet mir Erklärungen: Die Medien belügen Dich! Die Ausländer nehmen Dir Arbeitsplätze und Frauen weg! Die Politiker nehmen Dir Dein Geld und Deine Rente weg! Und das im Affekt-Abwehmodus befindliche Hirn sagt: Da ist endlich ein konkreter Feind! Auf ihn mit Gebrüll!
Natürlich ist die Wahrheit anders: Die Vergangenheit war nie stabiler und sicherer als die Gegenwart. Es sind aber Dinge unsicherer geworden die mal sicherer waren. Es sind dem gegenüber auch genauso Dinge sicherer geworden, die früher unsicherer waren. Es haben sich immer Dinge geändert, es gab immer Fremde. Es gab auch immer Gefahren. Aber wir bekommen inzwischen viel früher davon erzählt, bekommen sofort Livebilder geliefert, hören alle Spekulationen von jedem, der eine äußert und können uns selbst mit beteiligen und helfen, die Panik der Unsicherheit zu erhöhen. Darüber wie das funktioniert und wie wir damit umgehen können hab ich schon mal ausführlich geschrieben.
Die Wähler der AfD sind schon weit über der Grenze dessen, was mit ein bisschen Vernunft, Ruhe und Reflexion behebbar ist. Die Welt in der sie leben ist eine, in der ihre Kultur, ihr Leben, ihre Perspektiven von allen Seiten unter Dauerbeschuss stehen. Je abstrakter und weiter weg, desto mehr sogar: Man weiß ja, dass ausgerechnet dort, wo die wenigsten Ausländer leben, die Angst vor Ausländern am größten ist. Sie sind im Kampfmodus, mit allen Konsequenzen, auch der, dass jedes Entgegenkommen als Angriff empfunden wird. Wenn alle außer denen, die ihre Weltsicht teilen, Feinde sind, kann man mit denen ja nicht reden. Sie sind umzingelt von Fremden. Ihre Heimat verwandelt sich in die Fremde. Wenn sie sagen, sie fühlen sich "fremd im eigenen Land" ist das keine Metapher. Sie sagen die Wahrheit - aber eben die gefühlte, und die ist echter und tiefsitzender als jede objektive Wahrheit - und sobald man versucht, ihnen zu erklären, dass das ja nicht stimmt, hat man schon verloren. Denn es ist die Welt in der sie leben, die sie wahrnehmen und die sie spüren. Wahrer kann sie gar nicht mehr werden. Ich kann einem Ertrinkenden nicht sagen, dass da kein Wasser ist, wenn das Wasser, in dem er gerade ertrinkt, für ihn so echt ist wie es nur sein kann.
Und das ist das Dilemma: Die einzige Lösung, die es für diese Menschen gibt, ist, das Wasser abzulassen. Also Ausländer raus, Politiker an die Wand, Journalisten berichten nur noch was sie hören wollen. Das kann man ja nicht machen, weil die Welt so nicht funktioniert. Aber die Forderungen haben eine übersetzbare Bedeutung: Ich will keine fremden Menschen um mich herum, die alles anders machen als ich. Ich will keine Regierung, die immer nur Kompromisse von mir verlangt und mir die nicht erklärt, sondern einfach mit einem "Basta" als "alternativlos" durchsetzt. Und ich will nicht ständig immer mehr Dinge lesen und hören, die mich verusichern und ängstigen.
Wo sind die besseren Lösungsansätze?
Und da sind wahrscheinlich die Ansatzpunkte, wenn man einen Teil der Gesellschaft in einer leider auch noch sehr ansteckenden Dauerpanik verliert. Einen Teil, der nach Auswegen aus dem Stress sucht, den all das Fremde um ihn herum erzeugt und deren Drang nach einem Ventil und einer schnellen Linderung ihrer Ängste zusätzlich von Leuten ausgenutzt wird, die ihm alle anderen Teile der Gesellschaft als Feindbilder für ihre Aggressionen anbieten sie dadurch gegen jeden Versuch des Entgegenkommens immunisieren.
Das schafft man nicht mit sachlichen Informationen. Die müssen natürlich da sein. Aber zunächst muss ja überhaupt wieder die Bereitschaft das sein, sich die anzusehen. Die herkömmlichen Formen der Kommunikation sind aber wirklungslos - die Menschen wissen, wie Politiker heutzutage reden. Sie wissen, wie Journalisten heutzutage reden. Sie wissen, wie Werbung funktioniert. Sie erkennen Phrasen. Sie wissen genau, dass man ihnen nicht geben will, was sie verlangen. Sie wissen nur nicht, dass der Schlüssel, um ihr Problem besser und nachhaltiger zu lösen als ihre Wut, ihr Hass, ihre Angst es ihnen vorgaukelt, nicht in der Welt um sie herum liegt, sondern in ihnen selbst. Dass es ihr Umgang mit Veränderung und mit dem Fremden ist, der "falsch" ist. Denn Veränderung und das Fremde ist nichts, was man bekämpfen kann. Es sind Prinzipien und die gehen nicht weg. Mit denen muss man lernen, umzugehen. Man muss sie kennenlernen, auf sie zugehen, sich für sie interessieren. Erst dann kann man die Gefahr einschätzen, die von ihnen ausgeht. Oder erkennt eben, dass es da gar keine konkrete Gefahr gibt. Dass sie der größte Teil der Veränderungen auf der Welt gar nicht betrifft und wenn sie wollen, können sie die ignorieren wie den Bus, der vor dem Haus vorbeifährt.
Das bekommt man nur mit neuen Formen hin. Neue Formen der Bildung, neue Formen der Erzählung. Mit ehrlicherer Kommunikation. Und dann auch mit klaren Ansagen und Grenzen des Tolerierbaren. Das ist, worüber ich gerne reden will und wo ich gerne helfen will, denn mit den neuen Erzählformen kenne ich mich aus: Bloggen war so eine. Social Media transportiert einige. Und vor allem LARP ist so eine - sie verbindet sogar Erzählung und Bildung, indem sie Erfahrungen ermöglicht, die auf emotionaler Ebene die Türen für ein viel breiteres Verständnis und tiefere Erkenntnisse öffnet, Vorurteile auflöst und Empathie erzeugt. Das ist eine Stelle, an der man konkret etwas tun kann und ich habe daher vor, mich da wesentlich mehr einzubringen.
Ich hab noch nie eine Blogparade mitgemacht. Nicht, weil ich das Prinzip nicht mag, sondern weil mich bisher kein Thema so angesprochen hat, dass ich dazu dringend etwas beitragen wollte (oder weil ich zu wenig Ahnung darüber habe und die Teilnehmer schon alles viel besser aufgeschrieben haben, was ich hätte beitragen können). Nun aber gibt es eine, die ich unterstützen möchte und die mir persönlich sehr wichtig ist, aus Gründen, die ich vor einer Weile beschrieben habe.
Auch, wenn wir es meist verdrängen: Wir alle werden sterben. Irgendwann, aber dass wir sterben ist sicher.
Testamente und gesetzliche Regelungen zur Verwaltung des physischen Nachlasses gibt es reichlich, aber was ist mit unserem digitalen Nachlass? Mit Blogs, Facebook- und Twitterprofilen oder dem Instagramstream? Sogar die Bundesregierung empfiehlt, Vorsorge zu treffen, aber wie sollen Angehörige oder Erben mit unserem Nachlass umgehen – und wie ermögliche ich ihnen das?
Was für Konventionen bei Todesfällen wünschen wir uns überhaupt? Welche Mechanismen sollen oder sollten Soziale Netzwerke zur Verfügung stellen?
Auf Digital Danach existiert bereits ein Blog zum Thema und auf der re:publica haben Jens Scholz und Wibke Ladwig spontan eine Aktion “re:member” ins Leben gerufen.
Das Digitale Leben nach dem physischen Tod ist ein Thema, bei dem viele Fragen noch gar nicht gestellt sind.
Aber nicht nur die Frage, wie wir digital mit unserem eigenen Tod umgehen, ist wichtig. Es sterben ja auch Verwandte, Freunde, Bekannte. Wie funktioniert digitales Gedenken für die Hinterbliebenen?
Wir – das sind Jens Scholz und ich – laden Euch ein, über Eure Wünsche, Gedanken, Ängste und Erlebnisse zum Thema “Tod und Soziale Medien” zu bloggen und auf diese Weise eine Sammlung von Texten zu verlinken.
Ich würde mich sehr freuen, wenn hier viele Beiträge zusammenkämen. Ich habe vor, nächstes Jahr auf der re:publica ein paar Ideen und Konzepte vorzustellen, wie wir mit Tod und Trauer umgehen können, sei es digital oder auf Veranstaltungen, in denen sich jedes Jahr Menschen treffen, die bemerken, dass einige von ihnen nicht mehr da sind. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam ein paar gute Impulse zusammenbekommen, wie wir das anfangen können.
Es ist schon ein Weilchen her, dass ich mit Patrick Breitenbach mal darüber gesprochen habe, wie enttäuscht ich von Nerds bin, die es nicht schaffen, aus unserer Geschichte der Diskriminierung und einer Kindheit und Jugend als Opfer von Bullies den einfachen Transfer hin zu bekommen, dass der Schutz und die Solidarität mit Minderheiten und Diskriminierten ein Thema für uns sein muss. Dass es jetzt, wo wir mal Gehör finden und an vielen Stellen sogar die Oberhand haben, wichtig ist, nicht so zu tun, als ob wir nichts mit diskriminierten Gruppen und Menschen, die unter Vorurteile und Klischees leiden, zu tun hätten. Ich habe damals gesagt, dass wenn Nerds hier nichts unternehmen, das ganze Thema Nerds sehr schnell wieder untergehen wird, so wie es den Hippies gegangen ist. Und dass das in diesem Fall auch zu Recht passieren würde, denn dann haben wir es nicht anders verdient.
Ich bin ja bekanntlich kein negativer Mensch. Aber ich versuche, die Dinge realistisch zu sehen, wenn es um eine Einordnung geht. Meine Beurteilung von Dingen, die für andere Menschen gerne mal den Vorabend des Weltuntergangs einläutet, ist meistens wesentlich weniger aufregend. So auch jetzt: Natürlich ist der Aufstieg der Rechten bedenklich und gefährlich. Natürlich ist ein Präsident Trump eine grauenhafte Vorstellung. Natürlich ist die Übernahme der öffentlichen Diskussionen im Netz durch krakeelende Schreihälse, stumpfe Extremisten und hemmunglose Hater schlimm. aber es ist kein Weltuntergang und es ist nicht so, als ob man dagegen nichts tun kann, denn wir haben es weder mit einer Naturkatastrophe zu tun, noch mit einer völlig neuen Sorte Menschen. Gleichzeitig aber sind die momentanen Effekte bedenklich, denn es war nicht zuletzt das Internet und seine Dienste wie Twitter und Facebook, in dem gerade marginalisierte Gruppen sich endlich Gehör verschaffen konnten und in den letzten Monaten wird deutlich, dass der Ton in eben diesen Diensten so unfreundlich und giftig wird, dass sich diese Gruppen daraus zurückziehen müssen und damit Gefahr laufen, wieder zu verstummen.
Vielleicht muss man ein an die Fünfzig Jahre alter Nerd sein, um das zu erkennen, aber: Wir kennen das doch. Wir wissen, wie es ist, "die" zu sein gegenüber denen, die sich als "wir" bezeichnen. Wir kennen die Anführer. Die Trumps. Ich meine: Der Vergleich von Trump mit Biff Tannen, dem Bully aus "Zurück in die Zukunft" lag doch derart auf der Hand, dass er sofort aufkam, sobald Trump seine Kandidatur bekannt gab. Wir kennen diese (virtuellen) Muskelprotze und wir kennen auch die Clique die diesen Leuten hinterherläuft und glaubt, wenn sie nur genauso herumblöken, wären sie wie die oder bekämen ein bisschen von ihrem Fame ab.
Das sind also schlicht die Bullies von früher und jetzt werden sie auch im Internet aktiv: Genauso ignorant, laut, rücksichtlos und schamlos wie eh und je. Mit dem selben klaren Bewusstsein, mit allem durchzukommen, solange sie einfach nur zeigen, wer hier der Macker ist. Und wie früher scharen sie ihre Anhänger und Anhängerinnen hinter sich, die auf der Gewinnerseite stehen wollen, denn der Bully sagt an, wer die Loser sind: Nämlich jeder, der schwächer ist als er und nicht hinter ihm steht. Wir kennen auch die, die sich fein raushalten und zwar nicht mitmachen, aber auch keinen Finger rühren, so lange etwas nicht ihren eigenen Status in Gefahr bringt. Das war für uns als bebrillte, schmale, unbeliebte Kids lange und in zig Variationen das alltägliche Verhältnis zum "Mainstream", dem gegenüber wir daher ein starkes Misstrauen aufgebaut haben, das viele aber offenbar zu schnell wieder vergaßen, als Nerds plötzlich selbst zum Mainstream-"Wir" gehörten.
Der größte Feind des Bullies und seines Gefolges ist die Vielfalt und der Pluralismus. Dass Unterschiede akzeptiert werden mindert seine Deutungshoheit und verunsichert seine Fans, für die es nur ein richtiges und viele falsche Leben geben kann. Und das richtige Leben muss das der Mehrheit sein. Sehen sie plötzlich zu viel von dem, wie Schwule und Lesben leben, dass es Trans- und andere Sexualitäten gibt, dass Frauen individuelle Menschen mit unterschiedlichen persönlichen Zielen sind, dass es unterschiedliche Kulturen, Religionen, Weltanschauungen und Lebensentwürfe gibt, die ihnen den Eindruck vermitteln, dass ihr Anteil an der Welt ein viel geringerer ist, als sie dachten und vor allem fühlten, erscheint ihnen das bedrohlich. Als Angriff auf ihre Vorherrschaft. Und da es ihnen um Macht geht, reagieren sie darauf mit den bekannten Mitteln der Bullies: Den Drohgebärden aus hemmungslosem Hass, verletzendem Spott und - nach diesen Angriffen auf die Seele und der Rückversicherung, dass niemand sich wehrt - am Ende auch körperlicher Gewalt.
Wie konnte das passieren? Wie konnte das, was das Internet zur Vielfalt beigetragen hat, verloren gehen und zu seinem Gegenteil gedreht werden? Wie konnte es passieren, dass Menschen in den Diensten, die mal für Empowerment und Pluralismus standen, heute so massiv Hass und Häme entgegenschlägt, sobald sie wagen, etwas zu sagen?
Eine Erklärung meinerseits dafür ist: Weil das der Mainstream ist. Er war so und ist so. Egal, wie sehr wir dachten, ihn überwunden zu haben. Haben wir nicht, wir waren nur lange an einer Stelle, in dem der Mainstream nicht die Deutungshoheit hatte. Jetzt gewinnt er ihn gerade zurück, auch im Internet. Das ist auch nicht neu, es gibt Stellen, da hat er sie schon seit Jahren: Zum Beispiel in den Kommentarspalten der Massenmedien. Die Community Manager dort bemerken das Fehlen der Meinungsvielfalt gar nicht - es sieht ja so aus, als ob es die gibt, aber es ist nur der alte polare Kampf "die" gegen "wir", "links" gegen "rechts", "richtig" gegen "falsch" oder "gut" gegen "böse", bei dem es immer nur zwei Lager gibt und jede Stimme gnadenlos untergeht, die sagt, es gibt auch noch was "anderes" als diese beiden. Das Andere fand dort noch nie statt. Aber das Andere verschwindet inzwischen auch auf Twitter und Facebook wieder.
Was kann man tun?
Einiges. Zunächst können wir Älteren mal versuchen, nicht entweder in Panik zu geraten oder zu resignieren, sondern festzustellen, dass wir solche Situationen schon mehrfach erlebt, überstanden und auch verbessert haben. Wir müssen uns auch eingestehen, dass wir es nicht geschafft haben, Solidarität zu zeigen und die Tools so zu bauen und zu gestalten, dass Minderheiten geschützt und Pluralismus erhalten oder gefördert wird. Wir können anderen beibringen, dass man nicht auf den ersten hören muss, der was meldet, sondern abwarten kann, bis die Fakten klar sind.
Es gibt die Rückzugsräume. Das waren früher die Selbsthilfegruppen, die Nerdkeller, die Schwulenbars und die Untergrund-Clubs, in denen man sein konnte wie man ist. Das sind im Internet Messenger-Gruppen, geschlossene Foren und Blogs. Mainstream-Plattformen bieten das zum Teil zwar auch, aber die wichtige Anonymität und Pseudonymität gibt es da ja nicht und das ist einer der Gründe, warum gerade junge Menschen sich dort schon länger nicht mehr sicher fühlen und sich beteiligen. Das ist auch alles gut, aber es ist am Ende so wie früher: Man sieht sie nicht mehr. Sie verschwinden aus der Welt.
Was hat das Netz früher richtiger gemacht? Eins war sicherlich die dezentralere Vernetzung über Blogs. Das andere war, dass man in Blogs sein Hausrecht durchsetzen konnte und dumme Kommentare löschen oder die Funktion gar nicht erst freischalten konnte. Die Geschwindigkeit und Heftigkeit, mit der eine Konversation über kontroverse Themen stattfand sowie die Sichtbarkeit, die für die- und denjenigen erträglich war, war durch diese beiden Eigenschaften in einem Rahmen, den man verwalten konnte. Allerdings: Natürlich ist "Back to the Blogs" keine Lösung. "Früher war alles besser, also lasst uns alles so machen wie damals" hat noch nie funktioniert. Aber man kann aus den Prinzipien und aus den erfolgreichen Mustern lernen.
Eins ist, dass die Deutungshoheit wichtig ist. Bei Twitter ist sie verlorengegangen: Zu leicht kann man dort Mobs organisieren, inzwischen unterstützt von zig Bots, die einen unliebigen Account in kürzester Zeit mürbe machen bis er entnervt gelöscht oder verlassen wird. Seit Twitter Threads auch noch automatisch anzeigt und auch noch das hervor hebt, was eine vermeintliche Mehrheit gut findet, ist Twitter für Minderheiten tot, wenn sie nicht als Multiplikatoren etabliert sind. Auf Facebook sieht das noch etwas anders aus, da man dort die Möglichkeit hat, sich wichtige Filterblasen zu bilden (weshalb ich auch gegen das Narrativ bin, dass Filterblasen etwas schlechtes seien) und sich gegen die Bullies zu immunisieren. Dennoch sind auch hier die Algorithmen so geschnitten, dass Lautstärke siegt, was den Bullies und Mobs momentan in die Hände spielt. Daher ist es auch dort an den Multiplikatoren, sich zu äußern und auch rigoroser die Bullies abzuwehren - zum Beispiel, indem sie sie nicht in ihren Threads zulassen (sprich: löschen) und klarstellen, dass sie sich nicht von ihnen einschüchtern lassen. Es gibt keinen Grund, bei Facebook darauf zu verzichten, sich und andere vor Anfeindungen und vor Bullies zu schützen, so wie wir es in den ersten 10 Jahren der Zweitausender Jahre in unseren Blogs auch getan haben.
Was auch damals gut funktioniert hat und was man daher auch mal in die heutige Internet-Landschaft übertragen kann ist, nicht über jedes hingehaltene Stöckchen zu springen und sich damit zu Empörungsgehilfen machen zu lassen. Natürlich ist es ärgerlich, wenn Politiker oder Medienmenschen versuchen, mit Provokationen und Hass gegen Minderheiten zu punkten. Aber man reagiert immer wieder auf neue Provokationen, die doch immer nur das selbe Lied singen. Eigene Lieder sind aber das, was bleibt. Lasst uns daher mehr eigene Themen setzen statt uns an den Themen der Hetzer abzuarbeiten und die auch noch zu verbreiten. Sind wir doch mal erster. Sollen die sich doch an unseren Themen reiben. Auch das funktionierte in der Blogger-Ära gut: Selbst schreiben, statt woanders zu kommentieren. Die eigenen Positionen festigen und die Menschen unterstützen, die unsere Solidarität brauchen geht auch in den heutigen sozialen Medien und funktioniert auf lange Sicht besser, als seine Zeit in endlosen Kommentarthreads auf Seiten zu verschwenden, in denen Community-Manager ihre Arbeit nicht machen. Sichtbarkeit erhält man nicht in Kommentarspalten.
Was auch passieren muss - und meiner Meinung auch wird - ist, dass die Algorithmen, mit denen Aufmerksamkeit geschaffen oder verhindert wird, sich ändern. Es kann nicht sein, dass wer am lautesten und am wüstesten schreit, mit Reichweite belohnt wird. Die "wir zeigen Dir das, was Relevant ist" Mechaniken der Social Media Plattformen, die die frühere, diskriminierungsfreie schlicht nach absteigender Aktualität sortierte Reihenfolge abgelöst haben, haben unsere Timelines in Schlachtfelder verwandelt: Sobald sich irgendwo ein Bully das Wort ergreift, wird diese Stelle für seinesgleichen auch noch hervorgehoben, damit auch ja alle mitbekommen, wo sie mit Fackeln und Heugabeln einfallen müssen.
Ich bin mir sicher, dass Plattformen, die das nicht erkennen und reagieren, mittelfristig untergehen werden und dass andere Plattformen entstehen und wachsen, die es schaffen, sicherere Orte für alle Gruppen zu sein. Da ist dann mein relativer Optimismus: Ich glaube, dass Pluralismus immer im Vorteil sein wird, egal wie oft ein Backlash es schafft, das für eine Weile anders aussehen zu lassen. In der langen Sicht wird die Welt sichtbar bunter, vielfältiger und multikultureller im eigentlichen Sinne des Wortes. Ich kenne die Siebziger, in denen die heutige menschliche Vielfalt kaum sichtbar war, die Achtziger mit dem Aufstieg von Diversität trotz heftiger Vorurteile und die Neunziger, in denen sich so viele Subkulturen nicht mehr im Untergrund verstecken mussten. Die Richtung war und ist immer vorwärts gerichtet und progressiv. Die Welt der Fünfziger ist Vergangenheit und ihre Weltsicht hat bestenfalls nostalgische Bedeutung. Sie ist so weit weg von unserer heutigen Realität und der Richtung, in die sich diese entwickelt, dass sie genauso wenig wiederkommen wird wie das Deutsche Kaiserreich oder das Mittelalter.
Soweit mal meine Gedanken. Da ist noch viel unsortiert und offen, vielleicht habt ihr ja noch Ideen und Vorschläge, wie wir mit der Situation und mit den Bullies besser umgehen können, denn das wird uns jetzt die nächste Zeit erst mal beschäftigen.
Ich habe mich lange gegen den in letzter Zeit inflatorisch aufkommenden Begriff des "postfaktischen" gewehrt. Ich tue das immer noch, aber ich erkenne an, dass es inzwischen immer öfter diese gefühlte Wahrheiten gibt, gegen die mit Fakten oder differenzierenden Argumenten anzureden oder anzuschreiben unmöglich ist. Und ich erkenne auch an, dass diese gefühlten Wahrheiten schneller entstehen, als verschwinden, weshalb ihre Anzahl steigt und man das Gefühl hat, gegen eine immer stärker ansteigende Strömung anzuschwimmen.
Da ich kein Freund von monokausalen Erklärungen bin, hier nun vorab der Hinweis: Worüber ich hier schreibe ist meines Erachten ein Grund dafür, dass Populisten gerade leichtes Spiel haben. Es gibt noch mehr, an ganz vielen verschiedenen Baustellen. In der Politik, in den Medien, in der Bildung, in der Gesellschaft und bei jedem von uns ganz persönlich. Ich greife nur eine heraus, weil ich heute danach gefragt wurde und mir die Beschäftigung damit half, das Gefühl der Taubheit und Wut zu überwinden, das mich nach dieser Präsidentenwahl in den USA den ganzen Tag im Griff hielt.
Die These ist: Es gibt zwei wichtige Gründe, warum etablierte Medien (bzw eigentlich generell das Establishment) uns nicht mehr erreichen.
Erstens: Wir vertrauen uns gefühlt näheren Quellen und Informationen - also solchen, die uns von Menschen die uns nahe stehen (entweder weil verwandt oder befreundet oder weil sie ideologisch auf derselben Wellenlänge sind) vermittelt werden - mehr als weiter entfernten, sprich nicht persönlich an mich gerichteten Massenmedien.
Zweitens: Wir vertrauen Quellen, die "schneller" sind als andere. Schon allein wegen des Umstandes, dass sie dann "erster" waren und weil alle anderen danach erst gegen diese Position konkurrieren müssen.
Den ersten vertrauen wir, weil da eine persönliche oder ideologische Nähe besteht, die einen Vertrauensbonus mitbringt. Den zweiten, weil sie einfach die ersten und schnellsten sind, die ein Thema benennen und besetzen und wir uns das als etwas positives merken, ganz egal wie faktisch korrekt sie das tun.
Ein Problem, das wir als Konsumenten von Informationen und Meinungen bekommen, taucht dann auf, wenn wir ein Nullsummenspiel bei der Vergabe von Vertrauen machen. Es gibt dann einen Vertrauensverlust gegenüber "etablierten" Medien. Der Fehlschluss ist die Annahme, dass unser Vertrauen eine endliche Ressource mit einer definierten Menge sei. Wenn man dann sein Vertrauen schon in die Freunde/Personen oder an die schnellste Quelle gegeben hat, muss man - in der Nullrechnung - logischerweise etablierten Medien das Vertrauen entziehen.
Das ist das grundsätzliche Problem, das jegliches "Establishment" momentan hat. Und das Folgeproblem ist, dass Informations-Konsumenten die Funktion eines etablierten Mediums als Hilfe zur Normerkennung nicht mehr kennen und nicht mehr nutzen bzw. letztendlich nicht mehr anerkennen. Aber es ist eigentlich wichtig, dass es Medien gibt, über die ich abgleichen kann, wie weit meine Ansicht, meine Meinung oder meine Informationen von der Norm abweicht. Früher hat man die Tagesschau gesehen, um auf einen gemeinsamen Wahrnehmungsstand zu kommen. Natürlich war man dann auch unterschiedlicher Meinung, aber man wußte eben auch, was momentan der etablierte Konsens war (Daran, dass diese Funktion, einen Faktenkonsens zu bieten, so schnell verloren ging, sind unsere Medien aber zum Teil schon ganz ohne Digitalisierung mit schuld, weil sie vor einiger Zeit schon die Grenze zwischen Fact- und Opinionpieces nicht mehr klar trennten).
Das alles ist eigentlich noch nicht schlimm: So lange die Fakten stimmen und solange die Diskussionen differenziert sind und solange die Motive transparent sind, funktioniert die neue, schnellere und persönliche Informationsvermittlung auch, wenn die Medienkompetenz den Fehler des Nullsummenspiels nicht korrigiert.
Das Dumme ist nur, dass die Fakten nicht stimmen, die Diskussion nur schwarz-weiß stattfindet und die Motive alles andere als transparent sind. Womit wir plötzlich bei eine postfaktischen Kommunikation sind - basierend auf falschen oder übertriebenen Fakten, polarisierenden und damit rein emotional geführten Diskussionen ohne Chance auf Kompromisse und hidden Agendas, die die "Information" nur noch als Mittel zu einem anderen Zweck benutzt.
Tabuisierung und Ausgrenzung von gesellschaftlich inakzeptablem Verhalten hat ja funktioniert und das wird deswegen auch heute noch als Reaktion von Politik und Medien eingesetzt. Da gab es aber die neuen Medien mit den oben beschriebenen zwei Mechanismen noch nicht und Demagogen und Populisten haben Wege gefunden, das zu nutzen und dadurch einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Tabu und der Ausgrenzung zu schaffen. Nicht umsonst nutzen sie Begriffe wie "Denkverbote", "Nazikeule" oder beginnen ihre Sätze mit "Das muss man wieder sagen dürfen..." und nennen die Instanzen, die sie auf ihre Übertretung gesellschaftlicher Anstandsgrenzen hinweisen "Gutmenschen" und "Lügenpresse".
Diese Wege sind genau die beiden Mechanismen, die ich oben beschrieben habe: Die persönliche Nähe und die Erstbesetzung von Themen: Die Geschwindigkeit erreichen sie damit, dass die AfD-Leute, sobald irgendwas ängstigendes passiert, sofort mit allem was sie haben einfeuern. Damit sind sie schneller als alle anderen, die sich erst mal absprechen oder recherchieren. Den Vertrauensbonus, den ich erwähnte, holen sie sich damit aber schon mal ab, auch wenn hinterher rauskommt, dass es gar nicht gerechtfertigt war (deswegen ja immer die "Mausrutscher", die hinterher gelöscht oder relativiert werden - das ist bis dahin ja verbreitet.). Auch Trumps getwittere füttert diese Mechanik.
Die persönliche Nähe schaffen sie damit, dass sie die etablierten Medien als Zwischenstation auslassen und sich direkt an die Menschen richten. Sie springen dabei auch immer auf ideologische Teilthemen, die gerade passen und im Gespräch sind, sei es EU-Kritik, Griechenland, Flüchtlinge, Impfskepsis, konservative Werte (Genderwahn, Sexualerziehung, Abtreibung)... das nehmen die nur als Trittbrett, die stehen da in Wirklichkeit gar nicht dahinter, was man ja daran sieht, dass sie sie nie wieder erwähnen, wenn sie aus dem Diskurs verschwunden sind (siehe Griechenland). Das erzeugt einen sofortigen Rapport bei denen, die sie erreichen wollen und sie erodieren damit das Vertrauen in etablierte Medien und Politik, was das eigentliche Ziel ist. Denn das Nullsummenspiel sagt uns ja: Wenn Du denen vertraust, misstraust Du den anderen.
Soweit die Erklärung, warum passiert, was passiert. Nun ist die Frage, wie man diese Mechanismen entschärfen kann. Drei Antworten:
1. Nicht mit den üblichen coolen Strategien, die aus dem Marketing entlehnt werden oder von smarten Business-Consulting-Agenturen kommen. Hier geht es um echte und ernsthafte Kommunikation, um ehrliches Umdenken, um innovatives Anders machen. Da helfen keine Kampagnen, keine lustigen Bildchen, keine intelligenteren Social Media Redakteure. Hier muss man an die Strukturen gehen, mit denen man Informationen und Themen erkennt, darüber recherchiert und sie kommuniziert.
2. Individuell: Wenn man glaubt, es lassen sich für Parteien, Medien, Verlage, Sender, NGOs usw. jeweils Standardlösung finden, wird das nicht klappen. Man muss die hundert Prozent passende für jede einzelne Institution entwickeln. Sie kann nicht am Reißbrett entstehen und dann im Unternehmen "implementiert" werden sondern sie muss gemeinsam mit all denen entwickelt werden, die sie verwenden.
3. Man kann nicht so tun, als ob man was ändern möchte. Man kann es nicht mal testweise versuchen. Man muss es tun, ganz oder gar nicht. So häufig ich für Mittelwege und Kompromisse plädiere, aber hier ist ohne ein gemeinsames, ehrliches, konsequentes, verbindliches Bekenntnis keine Veränderung möglich.