Dresden
Ich war in den Siebzigern und Achtzigern als Kind zwar nicht regelmäßig, aber doch wohl öfter in der DDR als viele meiner Altersgenossen. Allerdings war das vor allem im Norden, rund um Rostock. In Berlin oder in anderen bekannten Städten wie Leipzig, Halle und Dresden war ich erst nach dem Mauerfall. Berlin by the way musste sogar am längsten warten. Da war ich tatsächlich nie vor 2001.
Was man eventuell auch schon feststellen konnte wenn man mich ein wenig kennt ist, dass ich gerne Städtereisen mache. Das liegt daran, dass Städte sehr unterschiedliche Charaktere haben. Es gibt natürlich auch immer Statdtteile, in denen bestimmte Ausprägungen stärker oder schwächer sind, aber es gibt auch immer eine gemeinsame Atmosphäre, die sich über eine ganze Stadt zieht und die in jeder Stadt unterschiedlich ist.
Berlin ist zum Beispiel in meiner Wahrnehmung immer etwas aufgeregt. Neugierig. Und verpeilt. Hamburg kommt - sorry - vor allem distanziert und arrogant rüber. Köln ist kumpelig und zuweilen prollig, immer ein bisschen alkoholisiert.
Ich will aber jetzt nicht alle Städte durchgehen und ich merke auch direkt schon, dass das mit ein zwei Begriffen umschreiben zu wollen nicht funktioniert und schnell klischeeig wird. Ich wollte aber damit erklären, dass ich bei der Wahrnehmung einer Stadt so vorgehe wie wenn ich Personen einschätze: Ich versuche bewusst, Eigenschaften zu entdecken, die ich mit Gefühlen verknüpfen kann, um mit ihnen eine Beziehung herstellen zu können (und mir merken zu können, wer das ist. Sonst vergesse ich das nämlich direkt wieder). Das geht wesentlich weiter als drei Worte. Das sorgt dafür, dass Edinburgh mir immer das Gefühl gibt, total Willkommen zu sein und Dresden das, jetzt aber besser mal ganz vorsichtig zu sein.
Bei Dresden war das wirklich von Anfang an so seltsam. Denn eigentlich ist die Stadt doch sehr schön: Es ist nicht eng, es gibt schöne Gebäude, es ist hell und immer, wenn ich da war, war der erste Eindruck der Menschen dort ein eher relaxeder und unaufgeregter. Aber irgendwas war seltsam. Schon beim ersten Mal als ich dort war fühlte ich mich unbehaglich. Es lag nämlich etwas in der Luft, was ich mir nicht erklären konnte und mir das Gefühl vermittelte, es sei besser, hier bloß nichts falsches zu sagen oder mich zu auffällig zu bewegen. Es passte nie zu dem, was ich jeweils tatsächlich gesehen habe, daher habe ich das eine Weile als Fehlwahrnehmung ignoriert.
Aber mit jedem Besuch dort - und ich war sehr oft in Dresden, z.B. bin ich vor ein paar Jahren über Monate beruflich alle zwei Wochen hingeflogen - war es wieder da. Eine unterdrückte Aggression, die irgendwo hinter den alten Fassaden lauerte. Die aufgestellten Nackenhaare kamen immer wieder, die ständige Hab-Acht-Alarmiertheit ging einfach nicht weg. Seltsam, wo die Menschen, mit denen ich dort direkt zu tun hatte, allesamt nett und freundlich waren und ich mich - soweit das für Arbeitsbekanntschaften gelten mag - auch immer freute, sie zu sehen.
Ich empfand es als ungerecht, immer wieder froh gewesen zu sein, die Stadt wieder verlassen zu können, aber es war so: Die Atmosphäre der Stadt machte mir Unbehagen, ob ich wollte oder nicht. Und es verschwand sofort, wenn ich wieder fort war.
Heute nun las ich einen Blogartikel von Peter Richter, der sich mit Dresden und seinen Erinnerungen daran beschäftigte und ich fand darin Formulierungen, die dieses Gefühl, das ich mit Dresden verbinde, ziemlich genau beschreiben.
Es gibt einen anderen Teil in dieser Stadt, der ist ganz und gar nicht gemütlich, sondern in einem Maße hektisch und aggressiv, dass es Auswärtige, und nicht nur die, oft mit der Angst bekommen. In Dresden hatte man damals, als sich aus der Randale, die ersten Demonstrationen formten, das Gefühl, dass die Kirchenleute und die sogenannten bürgerlichen, besonneneren Kräfte die Sache nicht so sehr anführen, sondern eher eindämmen mussten. (...)
Das - und der Rest seines lesenswerten Beschreibung der Stadt - ist auf eine beunruhigende Art beruhigend, denn ich erkenne die Stimmung der Stadt, wie sie sich mir darstellt, darin wieder und habe nun endlich auch ein paar Hinweise, warum das so ist. Dass Dresden irgendwie anders und eigen ist, haben mir auch schon viele Menschen, unter anderem auch Dresdner, bestätigt. Aber so eindeutig beschrieben habe ich es erst heute zum ersten Mal bekommen.
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