Duisburg und die perfekte Technokratie
Eine perfekte Technokratie ist dann erreicht, wenn man es geschafft hat, ein System zu erschaffen, in dem jegliche Verantwortung zunächst in kleine Teilverantwortungen aufgeteilt wurde und diese Verantwortungssplitter dann von Personen und Ämtern weg direkt in die Prozesse verlagert wurden.
Das Ergebnis konnte man vor einer Weile schon mal nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs bewundern, wo die Verantwortung für die Einhaltung der Baurichtlinien in einem Karussellsystem ein mal rundherum von einem Beteiligten zum nächsten organisiert wurde, so dass sie am Ende keiner hatte - mit dem fatalen Ergebnis, dass auch keiner die Einhaltung überwachte, weil man sich auf den jeweils nächsten in der Kette verlassen hat.
In diesem Moment wird uns das so ähnlich erneut in Duisburg vorgeführt: Alle an der falschen Planung und Durchführung der Loveparade beteiligten Personen und Behörden können ihren Verantwortungsbereich zirkelgenau auf Bereiche abgrenzen, in denen nichts schiefgelaufen ist (Polizei z.B. sinngemäß: "Unsere Verantwortung lag nur in der Sicherheit außerhalb der Absperrungen des Partygeländes und da ist ja nichts passiert."). In der Pressekonferenz gab es vorgestern Abend eine bezeichnende Szene: Auf die Frage danach, wer denn jetzt eigentlich die Verantwortung übernehme, schaute der am linken Ende des Tisches sitzende den rechts von ihm sitzenden Herrn an. Der daraufhin den nächsten, der wiederum den nächsten und so fort bis kurz vor dem Moment, in dem diese Stafette beim Bürgermeister angekommen wäre, was der hinter der Herrenriege stehende Pressesprecher geistesgegenwärtig verhinderte, indem er die entgültige Beantwortung dieser Frage als im Moment nicht möglich erklärte.
Am Ende wird man - wie schon in Köln - Fehler im Prozess identifizieren. Man wird darüber schimpfen, den Prozess auch klar als mangelhaft bezeichnen und vielleicht sogar als "Pfusch!", aber der Prozess wird Schuld sein. Nicht etwa die Beteiligten am Prozess. Die haben sich nichts vorzuwerfen, weil sie sich klar an den Prozess gehalten haben. Denn in perfekten technokratischen Systemen gibt es keine Verantwortlichen.
3 Kommentare
Kommentar von: Stephan Ritter [Besucher]

Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

danke für den Texttip! ich hab ihn gleich mal verlinkt.

Es funktioniert. Ich glaube nicht einmal, dass es Boshaftigkeit ist, die Menschen verlangen - vollkommen zu Recht - nachvollziehbare Prozesse und Arbeitsteilung. Verantwortung wurde schon lange zu Verantwortlichkeit, und die kann man so lange hin und her schieben und zerteilen, bis keiner mehr wirklich schuld ist. Ist ja auch logisch, alles in der Welt hängt irgendwie zusammen und viele, viele Leute denken, illustrative Metaphern wie, sagen wir, Schmetterlinge in Hongkong, die Stürme in England auslösen, seinen tiefere Wahrheiten.
Ob sprudelnde Öllecks, tragische Unfälle, bürokratisch durchgeplante und -führte Genozide und Weltkriege, sie alle haben keinen Schuldigen. BP kann doch nichts dafür, dass so viele Autofahrer und Fabriken billigen Brennstoff wollen, oder? Die amerikanische Regierung kann doch nichts dafür, dass sie ihren Bürgern hilft, dass sie von BP versorgt werden. Amerikanische Behörden können doch nichts dafür, dass sie von der Politik gedrängt werden, Genehmigungen zu erteilen.
Polizei und Feuerwehr in Duisburg bekommen Anweisungen und sind für öffentliches Gelände zuständig. Veranstalter und dessen Sicherheitkräfte sind für das Veranstaltungsgelände zuständig. Der Fluss der Besucher kommt am Eingang an, wo auf Waffen und harte Gegenstände kontrolliert wird - leider hat der Sicherheitsdienst keinen Einfluss auf die Menschenmenge, die ja von öffentlichem Gelände kommt …
Herr Schaller wollte der Stadt Duisburg zu einem tollen, werbewirksamen Event verhelfen. Er hat’s doch nur gut gemeint. Herr Sauerland wollte Besucher, Geld und Prestige nach Duisburg bringen. Er hat’s doch nur gut gemeint. Behörden wollten dem natürlich keine unnötigen Stolpersteine in den Weg legen, man kann ja nicht immer nur dagegen sein. Sie haben’s doch nur gut gemeint.
Die Besucher aber konnten sich nicht an die Pacman-Simulation halten und benahmen sich wie verantwortungslose Menschen, die bekamen erst Lust, dann Druck, dann Angst. Und ob die das gut gemeint hatten?!
Natürlich haben vor allem die keine Verantwortung für das ganze, die nichts unterschrieben haben …
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Sehr guter Text.
Im Unterschied zum Stadtarchiv habe ich noch die Hoffnung, dass _nur_ Ignoranz und Idiotie und nicht zu guter Letzt noch ein verbrecherischer Ursprung zuTage gefördert wird. Oder ist das durch die gezielte Besucherzahlen-PR-Manipulation schon zu spät?
Zum Prozessthema einer meiner Lieblingstexte: http://www.omnisophie.com/day_73.html