Mein Leben ist ein Murakami-Roman
(... aber man könnte es wahrscheinlich auch wesentlich schlechter treffen)
Ich lese so alle ein, zwei Jahre mal ein Buch von Murakami. Nicht, weil ich mir das irgendwie vornehme oder unbedingt alle seine Bücher lesen will - ich stolpere meistens in Buchläden drüber. Aber irgendwie passen seine Erzählungen dann jedes Mal gut in meine jeweilige Situation. Vor drei Jahren, als ich so etwas wie ein neues eigenes Leben angefangen habe, hab ich "Mister Aufziehvogel" gelesen. Ich fuhr zu dieser Zeit fast eineinhalb Stunden mit S-Bahnen und Regionalexpress von Düsseldorf zu meiner neuen Arbeitsstelle bzw. zurück und an den Wochenenden mit dem ICE nach Neu-Isenburg. Einerseits war ich zuvor noch nie derart entwurzelt, andererseits aber auch schon lange Zeit nicht mehr so unabhängig von irgendwelchen Tagesverpflichtungen. Der Job ging von selbst, da ich für das was ich tat doch inzwischen auf sehr viel Erfahrung zurückgreifen konnte. Ich genoss es, mich für nichts wirklich beeilen zu müssen, da es keinen Grund gab, zu einer bestimmten Zeit irgendwo hin zu kommen. Ich wurde nirgends von jemandem oder etwas erwartet. Mister Aufziehvogel war ein Buch, das mich darin zu unterstützen schien, diese Situation gut zu finden. Es geht darin um jemanden, der sich ausklinkt, der zunächst vom Gleis rutscht, dann aber diesen Zustand annimmt, sogar verstärkt, sich in einen inneren Retreat begibt und verwandelt wieder herauskommt. Nicht dass es eine Konkretisierung dieser Verwandlung gibt oder eine genauere Beschreibung und Unterscheidung, es gibt keinen Vorher-Nachher Vergleich. Der Protagonist bleibt dieselbe Person, aber er hat sich irgendwie sowas wie gehäutet.
Letztes Jahr hab ich "Kafka am Strand" gelesen, das ebenfalls ein gutes Timing hatte, das ich hier jedoch nicht ausführlich abhandeln muss.
Vor einigen Wochen dann habe ich angefangen, "Wilde Schafsjagd" zu lesen. Hier schien die Parallele zunächst die zusein, dass ich gerade mehr oder weniger absichtlich meinen gemütlichen Job gegen einen sehr viel hektischeren getauscht habe, noch dazu einen, bei dem noch nicht wirklich absehbar ist, wohin er mich noch führen wird. Während des Lesens wurde mir aber klar, dass es darum nicht ging. Es ging um Abschiede und wie man sie richtig macht. Einige lässt man einfach geschehen, andere muss man erarbeiten, wieder andere haben eine größere Bedeutung, eine deren Auswirkungen aber niemals ganz klar werden können, selbst wenn man zumindest schon erfasst hat, wie wichtig sie sind und dass sie unbedingt sein müssen, damit alles - nicht nur für einen selbst - weitergehen kann. Ein besseres Buch hätte ich als Vorbereitung auf die vorletzte Woche nicht lesen können.
Jetzt lese ich direkt hinterher die Fortsetzung - "Tanz mit dem Schafsmann" - in der es, soweit ich es momentan überblicke - darum geht, wieder in den Tritt zu kommen. Der wichtige Satz, den der Protagonist als Rat auf die Frage bekam, was er tun solle, ist wohl "Tanzen. Immer weitertanzen, solange die Musik spielt. Dann wird sich die Starre lösen. Tanzen ist alles. Brillant tanzen, so dass alle dich bewundern." - und ab diesem Moment passieren jede Menge seltsame Dinge, begegnen ihm neue Menschen, die ihm wichtig werden und über allem steht die Drohung, dass er es nicht schaffen könnte, dass er einfriert, dass sich die Verknüpfungen lösen und er in der Dunkelheit verschwinden könnte. Allerdings könnte es sein, dass das Buch noch eine völlig unerwartete Wendung vollführt, denn eigentlich wird, zumindest mir, immer erst in den paar letzten Kapiteln richtig klar, worum es eigentlich geht. Aber schon jetzt ist die Welt, in die mich Murakami da wieder mitnimmt, eine mit der ich gerade jetzt schon wieder sehr viel anfangen kann, die meiner eigenen Welt schon wieder sehr viel mehr ähnelt als es mir lieb ist.
2 Kommentare

Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

Ja, Kafka haben mir alle empfohlen als sein bestes Buch, ich fands aber nur so Mittel, weil ich mit dem ganzen Pubertätsthema nicht so konnte. Ich fand aber die Geschichte von dem alten Mann der mit den Katzen sprach schön.
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Bei mir ging das vor rund 10 Jahren los, als eine Kollegin (inzwischen längst nicht mehr meine Kollegin, sondern meine Frau) mir “Wilde Schafsjagd” schenkte. Mit dem Texter, der routiniert und angeödet seine Tourismus-Riemen runterschreibt und auf einmal aus der Routine herausgerissen wird, konnte ich mich damals auch gut identifizieren. Eine langanhaltende Durchhängerphase wie “Mister Aufziehvogel” habe ich auch durchlebt, ebenso dass immer wieder Dinge passieren (und nicht nur angenehme), die nicht nur purer Zufall sein können, da sehe ich bei mir auch immer wieder so manche Parallele zu Murakami-Romanen.
Allerdings finde ich, dass er seine, ich nenns jetzt mal “magische Masche” in “Kafka am Strand” für meinen Geschmack ziemlich übergeigt hat. Aber das und auch die Tatsache, dass es auch andere Bücher von ihm gibt, die mir nicht sooo viel gegeben haben, ändert nichts daran, dass Murakami für mich persönlich doch der wichtigste Schriftsteller der letzten zehn Jahre ist.