re:publica XI - Teil eins
Mittwoch: Das Wetter saugt und die re:publica fängt für mich unglaublich lahm mit einem langweiligen, sehr generischen Vortrag darüber an, wie toll eine Ideenagentur ihre Idee findet, eine Ideenplattform ins Web zu setzen und dazu aufzurufen, da doch mitzumachen, weil da mitzumachen ja irgendwie für alle super wäre. Man bekommt auch Punkte dafür. Für die Punkte bekommt man freilich nichts. Und zwischendurch fällt das Consuting-Buzzword von letztem Jahr für "es war schon wichtig, wenn man viele Leute - vor allem die, die irgendwas später auch benutzen sollen - in die Entwicklung von neuen Sachen integrieren würde" (Design Thinking). Meine Lösung für solche reinen Luftverbrauchsnummern ist aber generell pragmatisch: Einfach schnell vergessen, das Ganze.
Der nächste Vortrag - und übrigens möchte ich hier mal meine Feststellung unterbringen, dass es vor allem die Sessions der vielen weiblichen Speaker waren, die dieses Jahr für mich die hohe Qualität des Programms entscheidend ausgemacht haben - war dann zum Glück gleich ein erstes Highlight und ich war wirklich erleichtert darüber. Gabriella Coleman erklärte uns Anonymous. Sehr präzise, sehr fundiert, sehr unterhaltsam - wobei mich Wissensvermittlung generell ja sehr unterhält. Es gibt wenig inspirierenderes als neues Wissen zu erfahren. Schade, dass sich so viele Menschen dagegen wehren und lieber das hören, was sie eh schon wissen.
Der nächste Vortrag, der mir gut gefallen hat war wenig überraschend auch wieder von einer Frau: Jillian C. York referierte über die Tücken von Policies von großen Community-Sites wie Facebook und Flickr. Das tat sie sehr spannend und trotz aller Ernsthaftigkeit mit viel Charme, auch wenn die Auflösung schon in den ersten 10 Minuten gespoilert wurde, denn sie verriet, dass die Menschen eben schnell vergessen, dass es sich bei Facebook und Co nicht um öffentliche Plätze oder Gemeingüter handelt sondern um kommerzielle Webseiten: Der Vergleich z.B. mit Facebook als Internet-Land mit Usern als Bürger hinke daher. Man könnte besser sagen, es ist ein Einkaufszentrum mit Konsumenten - inklusive Hausordnung und eigener Security, die gerne auch mal aus willkürlicher Auslegung jener Hausordnung Leute rausschmeißt. Dennoch: Der Einblick in die Tücken dieser Konstellation und wie man in schwierigen Fällen wie z.B. der Löschung des Accounts eines chinesischen Dissidenten, der auf die Öffentlichkeit angewiesen ist, versucht, zu helfen, war enorm interessant und die Notwendigkeit für unabhängige, dezentrale, nicht kommerzielle Angebote wurde einem gut vor Augen geführt.
Aber eigentlich will ich gar nicht so viel über die Sessions erzählen. Viele davon sind ja aufgezeichnet worden und werden entweder offiziell (die aus dem Friedrichsstadtpalast und dem großen Saal der Kalkscheune) oder als Bootleg in den nächsten Tagen ins Netz plätschern.
Neben der im letzten Jahr begonnenen und in diesem Jahr erfolgreich wiederholten Strategie, Sessions zu besuchen, deren Speaker ich noch nie gehört habe und unter deren Themen ich mir wenig vorstellen konnte, war ich ja vor allem wegen des großen Klassentreffens in Berlin. Wie jedes Jahr stellte ich fest, wie sehr ich das auch brauchte. Ich muss sehen, dass die Leute, mit denen ich mich seit 10 Jahren irgendwie verbunden fühle alle noch da sind und dass es ihnen gut geht. Ich bin sicherlich nicht der herzlichste Mensch der Welt und da ich immer befürchte, anderen schnell auf den Keks zu gehen entsteht vielleicht auch mal der Eindruck, ich interessiere mich gar nicht so sehr für die Leute (was zusätzlich gerne von meinem schlechten Gesichtergedächtnis befeuert wird, weshalb ich z.B. Nuf - eine meiner langjährigen Lieblingsbloggerinnen, die mit Felix zusammen jeden Lakonik-Wettbewerb gewinnen würde - auch direkt zwei Tage hintereinander neu kennenlernte - sorry nochmal, das ist mir echt immer noch peinlich). Aber das Gegenteil ist wahr: Ich lief am Ende drei Tage lang auf dieser Veranstaltung herum und bin ständig unglaublich gerührt, mit so vielen Menschen zusammen zu sein, die mir seit vielen Jahren lieb und teuer sind.
Aber es ist natürlich auch schön zu sehen, dass da immer mehr neue, tolle Menschen dazu kommen. Es ist klasse, wie breit, vielschichtig, divers, heterogen und pluralistisch diese "Szene" inzwischen ist. Es ist zum allergrößten Teil sehr ok, wie viel und wie heftig über wichtige Themen gestritten und diskutiert wird, für die es keine einfache oder eindeutige Lösung gibt. Es ist schließlich auch ok, dass wir überhaupt noch nicht alles im Griff haben, so dass Sascha Lobo uns beschimpfen musste, weil immer noch nur er angerufen wird, wenn mal was übers Netz erklärt werden soll - allerdings hab ich selbst auch dieses Jahr wieder lieber mein PAL-Feld eingeschaltet, sobald ein Mikrofon oder ne Kamera zu Nahe kam.
Jetzt hab ich aber den Faden verloren. Wo ich hin wollte: Ich habe mit so vielen Menschen nicht reden können, weil einfach keine Gelegenheit war. Ich habe mich riesig gefreut, hin und wieder mal etwas aus dem Gewusel zu kommen, um mit Frau Kaltmamsell gemütlich zu Frühstücken, mit sehr netten neuen Bekanntschaften Mittag oder in einer etwas seltsamen Speed-Dating-Atmosphäre mit Caro, Maike, Don, Britt und Nuf Abend zu essen. Es war vor allem ab Freitag Nachmittag mit Felix Vortrag im inversen Lobo-Stil, dem Geplauder der Bloggerveteranen Jörg, Anke, Felix und Don bis hin zu Johnnys wunderbaren und erfreulich langen Abspannvortrags und Maikes Wodka, den wir auch wirklich alle bekamen genau das Klassentreffen, auf das ich mich ein Jahr lang gefreut habe und ich gehöre zu denen, die lauthals mit einer wehmütigen Träne im Auge die Bohemian Rhapsody mitsingen weil es vorbei ist und es sich vier Minuten lang anfühlt, als liegen wir uns alle in den Armen. Danke dafür.
Ach so, was andere Reaktionen angeht: Bis jetzt lese ich re:publica-Bashing genau bei den Leuten, wo ich es schade gefunden hätten, wenns ihnen gefallen hätte. Ich hoffe, dass die die re:publica auch weiterhin so Scheiße finden, dass sie nie mehr hinkommen. Doofe Chauvis, SEO-Spacken und narzisstische Trottel, die sich zu wenig beachtet fühlen brauch ich nicht um mich, da hab ich durchaus auch hohe Ansprüche an die Qualität der Gäste.
1 Kommentar

Formular wird geladen...
Mich mit Lakonik und Felix in einem Satz zu nennen, macht alles mehr als 100 Mal wieder wett.