Datenhygiene
Das ist der ausführliche Artikel den Sven und ich geschrieben haben, um aus dem ein 900-Zeichen Statement zusammenzudampfen von dem am Ende nur 500 Zeichen als Zitat für die Sonntags-taz (das dort leider nur mir zugeschrieben wurde) übrig geblieben ist:
‚Datenhygiene‘, das hört sich doch mal richtig positiv an. So schön sauber, sparsam und nach etwas, was einem braven deutschen Staatsbürger ein gutes Gewissen macht. Es suggeriert auch, dass meine Daten vor allem dann wertvoll sind so lange ich sie möglichst bei mir behalte und offensichtlich sind sie ja tatsächlich für unsere Behörden so interessant, dass sie sich seit Jahren darum bemühen, immer mehr davon in ihre Finger zu bekommen: Die ehemals geheimen Bankdaten haben sie schon länger im direkten Zugriff, unsere eMails können sie auch schon bei Bedarf anfordern und lesen und die Speicherung unsere Kommunikations- und Bewegungsdaten bekommen sie sicher über kurz oder lang auch noch hin – so lange das Bundesverfassungsgericht hier noch herumzickt holen sie sich die eben bei unseren amerikanischen Freunden ab, die diese Daten einfach schon mal ganz keck ohne gesetzliche Grundlage abzweigen und speichern.
Die scheinbar logische Forderung nach Datenhygiene seitens des Bürgers bedeutet für ihn:
Er muss einfach aufhören, das Internet zu nutzen, als sei es eine Erweiterung seines Lebensraums.
Im Einzelnen: Du sollst dein Smartphone natürlich nicht ständig in der Gegend herumtragen. Du sollst keine eMails mehr schreiben und musst dich besser bei Facebook und Twitter abmelden. Du musst damit aufhören, direkt mal nach allem möglichen zu googlen, nur weil dich gerade interessiert, ob das was du in den Medien hörst, richtig ist. Du benutzt keine Chats mehr und versendest auch keine SMSe. Den Navi in deinem Auto schaffst Du auch ab und du hörst auf, mit weit entfernten Menschen zu Skypen und konsequenterweise auch, zu telefonieren. Du bestellst nichts mehr online, alles wird nur noch bar bezahlt und wenn Du mal unterwegs bist kannst du ja immer eine Kappe tragen - wegen der Überwachungskameras. Vielleicht bleibst Du aber besser gleich zu Hause.
Das Ergebnis ist, dass du tatsächlich viel weniger Daten erzeugst und schon bist Du - zumindest mit den Daten die Du selbst generierst - aus der Überwachungsmaschinerie raus. Super, oder? Nur: du erzeugst dummerweise nicht nur weniger Daten, du tust dies, indem du dich dafür massiv einschränkst. In deiner Meinungsfreiheit, in deiner Bewegungsfreiheit, in deiner Souveränität als freier Staatsbürger. Obwohl es eigentlich dafür keinen Grund gibt, denn eigentlich sind das in Deutschland Grundrechte. Und eins davon ist zum Beispiel auch die informationelle Selbstbestimmung. Das sagt eigentlich, dass du alleine bestimmst, was mit deinen persönlichen Daten passiert und wer sie wofür verwenden darf. Der Anspruch, der sich aus diesem und den anderen Bürgerrechten ableitet ist, dass deine Lebenssituation, wohin du dich bewegst, mit wem Du kommunizierst und welche Gesinnung du hast niemanden etwas angeht – vor allem den Staat nicht. Klar, es gibt Gelegenheiten, wo es ein berechtigtes Interesse geben kann, nämlich wenn man dich eines Vergehens verdächtigt. In Deutschland galt bislang aber die Unschuldsvermutung. Eine ständige präventive Beweissicherung widerspricht diesem Grundsatz oder es ist inzwischen tatsächlich einfach jeder einer Straftat verdächtig - ich wüßte dann ganz gerne, was ich verbrochen haben soll.
Die Anforderung der Datenschützer dieses Landes kann daher nicht sein, dass sich jeder Bürger möglichst selbständig vor staatlichem Zugriff auf seine Kommunikations- und Bewegungsdaten schützen muss. Die Anforderung muss sein, dass mich der Staat vor solch neugierigen und eigentlich klar illegalen Zugriffen schützt. Und dass er dafür sorgt, dass ich nicht jedes Mal, wenn ich das Smartphone anschalte, vorher ähnliche Überlegungen anstellen muss wie früher, wenn ich einen Brief oder ein Päckchen an Freunde oder Familienangehörige in der DDR geschickt habe, bei denen mir auch bewusst war, dass die jemand mitlesen/reinsehen kann und im Zweifel auch wird. Der Staat aber begegnet dem Bürger stattdessen mit Misstrauen. Und wundert sich, dass man im Gegenzug auch diesem nicht mehr traut. Ein Zwang zur Datensparsamkeit als Notwehrmaßnahme ist keine Lösung sondern ein Alarmsignal dafür, dass der Staat seine Pflichten massiv verletzt.
In Wirklichkeit müssen wir um unsere Datensouveränität kämpfen. Man erreicht Souveränität nicht, indem man sich einschränkt, sondern indem man seine Möglichkeiten erweitert. Ausprobiert, lernt - ja, man kann auch lernen, Mails zu verschlüsseln. Nein, das ist keine Einschränkung – man lernt ja auch nicht, besser mit dem Auto umzugehen, indem man es in der Garage versteckt - , also sich informiert und so seine Kompetenz erweitert.
8 Kommentare
Kommentar von: Ulf J. Froitzheim [Besucher]
Kommentar von: Imner [Besucher]
Ich vermisse/brauche weder Twitter noch Google noch Facebook noch Microsoft.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Das ist ja sehr schön für Dich, aber andere hätten das gerne und haben mE einen Anspruch darauf, dass man dies nicht zu Überwachungszwecken missbraucht. Ich brauche ansonsten ja auch vieles nicht, auf das Du sicher ungern verzichten würdest. Worauf also willst Du hinaus?
Kommentar von: Michael Langenhagen [Besucher]
Ich frage mich: wozu brauchen wir ein Grundgesetz (eine Verfassung haben wir ja leider immer noch nicht), Menschenrechte und Gesetze, die diese schützen sollen, wenn jeder sie ungestraft missachten und brechen kann, wenn er nur über genügend Geld und Macht verfügt? Wozu brauchen wir ein Parlament und eine Regierung, wenn diese weder willens noch in der Lage sind, ihre Bürger vor Machtmissbrauch und Gesetzesbrüchen zu schützen?
Ich bin weder für Anarchie noch für Diktatur, dennoch haben beide wenigstens den Vorzug, dass man weiß, woran man ist.
Kommentar von: Sean Kollak [Besucher]
Hi Jens,
warum eigentlich hegt der Staat dieses Mißtrauen gegen seine Bürger? Wer ist “der” Staat. Am dicken Ende sind es machthungringe Menschen, die uns mit ihrem Wissen über uns kontrollieren und vermarkten wollen. Es geht nicht um Terror-Abwehr. Es geht um Gedankenkontrolle. George Orwell hat das sehr eindringlich beschrieben.
LG Sean
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Ich glaube nicht, dass “Gedankenkontrolle” möglich ist und auch nicht, dass das der Hintergrund oder eine Absicht ist. Ich glaube, es gibt Prozesse, die in einer technokratisierten Welt von ganz alleine ablaufen, wenn man nicht bewusst gegensteuert. Bewusst gegenzusteuern ist aber etwas, was unsere Politiker nicht tun, sei es aus Angst, Uninformiertheit oder schlicht Dummheit. Daher läuft die Entwicklung automatisiert in alle Richtungen, die eine immer größere Transparenz erlaubt. Im Guten wie im Schlechten.
Kommentar von: Thorsten Kerbs [Besucher]
Mir drängt sich, wenn ich die zur Zeit häufig formulierte obige Forderung lese, immer aufs Neue derselbe Gedanke auf. Allerdings frage ich durchaus, ob der womöglich zu kurz greift. Deshalb formuliere ich ihn hier einfach mal:
Die Kostenlos-Kultur des Internet stiftet Abhängigkeiten, die nun boomerangartig wieder zurückkommen. Wenn wir so sinnvolle Dienstleistungen wie die von Google, Facebook & Co. nutzen wollen, haben wir dafür einen Preis zu entrichten. Entweder durch Gebühren oder durch eine von uns nicht mehr zu beeinflussende Verwertung unserer Daten. Für die Anbieter dieser Dienstleistungen gibt es kaum Gründe, sich für unsere Interessen in die Schlacht zu stürzen. Denn nicht wir sind deren eigentlichen Kunden, das sind andere Konzerne; wir sind nur ein Mittel zum Zweck, wir sind eben nur die Datenlieferanten.
Drum werden die Forderungen nach Datensouveränität, wenn die aktuellen Erregungswellen verebbt sind, wohl ungehört verhallen. Denn bekanntlich gilt: Wer zahlt, schafft an.
Oder nicht?
@Thorsten: Du sprichst von Internetdiensten - das sind die, denen wir freiwillig(!) Daten geben und die uns dafür im “schlimmsten” mit irgendwelchen passenden, meist aber eher unpassenden, Werbeanzeigen beglücken.
Überwachung aber wird von Staaten gemacht, und die holen sich die Daten, die sie wollen, und zwar von überall her (auch von allen möglichen Socialmedia-Diensten, die dazu per Gesetz gezwungen werden) und führen sie auf eine Weise zusammen, wie es jene Dienste nicht tun (weil das für sie Geschäftsgeheimnisse sind: Facebook kennt nicht die Daten, die du Google gibst, Google kennt nicht die Daten, die du Yahoo gibst etc.). Du zielst hier also auf die falschen.
Ich habe keine Angst vor Firmen, die mich mit Werbung “bedrohen". Aber ich kann durchaus Angst haben vor Staaten, die Menschen entführen und über Jahre wegsperren (und meinem eigenen Land, deren Verantwortliche nicht nur nichts dagegen tun sondern sogar aktiv dafür sorgen, dass jemand Jahre länger “verschwunden” ist als “nötig"), Geheimgefängnisse betreiben und per Drohnen Bomben auf Häuser werfen, um Menschen ohne Anklage und Gerichtsverhandlung zu töten, egal, ob da noch 20 andere Menschen drin wohnen neben dem eigentlichen “Ziel".
Und vor paranoiden Leuten, die dich schon für eine Suche nach einem “falschen” Wort und die Position deines Handys in der Nähe eines Verdächtigen auf eine Gefährderliste setzen.
Solange Google oder facebook mir nur Werbung einblendet, die ich noch dazu mit einem Adblocker ausblenden kann wenn sie mich nervt, reden wir hier von nicht vergleichbaren “Gefahren".
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Die Unschuldsvermutung ist Teil der Strafprozessordnung. Das heißt im Klartext, dass man uns erst in dem Moment zugesteht, wir könnten eventuell unschuldig sein, wenn man uns unschuldig vor Gericht gezerrt hat. Um uns dorthin zu bekommen, bedarf es selbstverständlich einer Schuldvermutung. Und die ist nun mal am leichtesten darauf zu stüzten, dass wir zur Tatzeit unser Handy ausgeschaltet oder zu Hause liegen hatten, oder?