Kommunikation kann davon profitieren, wenn man die Prozesse der Informationsvermittlung richtig (aus)nutzt. Daher kann es gefährlich werden, wenn Medienprozesse sich nicht verändern. Die AfD und andere Populisten sind super darin, das Medienverhalten zu analysieren, die Schwachstellen zu finden und dann dazu zu nutzen, ihre Inhalte so darin unterzubringen, dass sie nahezu ungefiltert ans Publikum weitergereicht werden.
Wir können mit den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus derzeit beobachten, was passiert, wenn so eine etablierte Kommunikationsschleife durchbrochen wird und Populisten ihre Deutungshoheit und Initiative verlieren.
Wie die AfD es schaffte, über Jahre ihre Narrative in die Medien zu puschen und warum Kommunikationsmenschen seit Jahren ungehört erklären, warum es wichtig ist, dass sich Medien hier anders verhalten, erklärt der Soziologe Nils C. Kumkar mit drei Punkten.
1. Die AfD hat es geschafft, sich als das grundlegende "Nein zur Politik" zu etablieren.
2. Die AfD spricht Menschen mit Abstiegsängsten an.
3. Sie erreicht die 20% der Bevölkerung, die einfach generell fremdenfeindlich sind.
Dazu meine Anmerkungen:
zu 1. Die wichtigste Grundregel des Populismus ist die 100% Ablehnung von einfach allem. Egal, zu was man gefragt wird, es ist Mist und man ist dagegen. Deswegen ist es auch egal, ob man Gegenargumente hat, wenn man mit ihnen spricht und eigentlich ist die richtige Reaktion auf Leute, die grundsätzlich alles ablehnen, sie stehen zu lassen und die Dinge zu tun, die man tun möchte. Man kann niemanden "mitnehmen", der nicht mitgenommen werden will und das einzige, das man schafft, wenn man es versucht, ist ihnen ein Machtgefühl zu geben, das aber fest an ihre Ablehnung geknüpft ist. D.h, sie werden die Ablehnung verstärken, um ihre gefühlte Macht zu behalten.
zu 2. Angst erzeugen ist einfacher als Angst nehmen. Daher wird die AfD hier immer einen Vorsprung haben, sobald man sie sprechen lässt. Es ist auch egal, ob diese Ängstszenarien völlig übertrieben oder sogar komplett irreal sind, wie die von millionenfachen Impfschäden, dass Ausländer die Bevölkerung austauschen oder dass es zu Stromblackouts kommt, wenn wir keine Atomkraft mehr nutzen.
Gegen diese Szenarien zu argumentieren hält sie länger am Leben als sie mit "Das ist halt Quatsch und über solchen ausgedachten Blödsinn rede ich nicht mit dir, das kannste mit deinen Verschwörungsmärchenfreaks diskutieren" abzuschmettern.
zu 3. Da sagt Kumkar bereits das Richtige: Diese Leute werden dann aktiviert, wenn ALLE über das Thema sprechen, nicht nur die, die ohnehin fremdenfeindlich sind.
Denn wenn ein Thema als politisches "Problem" hochgejazzt wird (obwohl es in Deutschland gar keine nennenswert hohen Einwanderungszahlen gibt und das somit gar kein reales Problem ist), braucht sich die AfD ja nur hinstellen und sagen: "Nur wenn ihr uns wählt, bekommt ihr wirklich, was ihr wollt", weil sie sich gar nicht die Mühe machen müssen, Einwanderung als Problem zu framen - das machen die anderen ja bereits.
Mit anderen Worten: Alle drei Punkte zeigen, was Medien und Politik seit mindestens 2015 falsch machen und was Soziolog*innen und Kommunikationsleute schon immer bemängeln: Man spricht nicht mit Extremisten, sondern über sie - nur so behält man die Deutungshoheit.
Und wie Kumkar sagt: „Sobald die Debatte nicht mehr um ihre Themen kreist, hat die AfD Schwierigkeiten.“
Bitte schaut euch mal dieses Video an: https://www.youtube.com/watch?v=Qu3e4nL6_y0
Das Nostalgieproblem - also die Annahme, dass früher alles besser war - wird in diesem Video recht gut erklärt. Ich möchte aber eine Ergänzung hinzufügen, da es 2x wirklich ganz kurz davor ist, eine wesentliche Erkenntnis zu formulieren, aber dann nicht dort hingelangt - vor allem, weil am Schluss die Frage gestellt und offen gelassen wird, ob es nicht vielleicht doch so ist, dass die derzeitigen Kritikpunkte über neue Medien doch valide sind.
Die Antwort ist: Ja, sie sind valide, aber das waren die Punkte von früheren Medienkritiken, die er im Video auflistet, zu ihrer Zeit auch und hier ist die Erkenntnis, die im Video zwar offen vor uns liegt, aber nicht benannt wird: Es sind nicht die Medien selbst - also ihre Technik und Mechanismen -, die problematisch sind, denn die sind ja offensichtlich austauschbar. Es ist der Lern- und Adaptionsprozess, um mit Medien umzugehen, wenn sie sich verändern oder neu entstehen. Ob es Bücher waren, dann Filme, Radio, Fernsehen, Computerspiele und die gesamte Bandbreite an medial gestützen Interaktions/Konversationsmitteln: Es musste und es muss auch weiterhin immer die Kompetenz entwickelt werden, diese zu nutzen und das Ungleichgewicht zwischen Sendern und ihren Möglichkeiten und Empfängern und ihren Fertigkeiten auszugleichen.
Der Autor des Videos fällt am Ende ein bisschen auf genau die Effekte herein, die es vorher beschreibt (und er vermutet das ja sogar, weiß aber nicht genau, warum), denn er ist heute im Umgang mit den aktuellen Medien in einer anderen Situation als im Umgang mit den Medien, mit denen er aufgewachsen ist. Für die hat er nämlich ein Verständnis in einer Zeit entwickelt, in der er nicht bewusst darüber nachgedacht hat, dass er das überhaupt tut.
Das ist aber dieselbe Situation die Kinder, Jugendlichen und junge Menschen heute durchleben und da er ja zuvor schon herausgearbeitet hat, dass es vor allem ein Problem der älteren Generationen ist, deren Erfahrungen auf Veränderungen nicht mehr anwendbar sind, könnte er dennoch sehen, dass so, wie er damals ein "natürliches" Verständnis für die Medien seiner Jugend entwickelt hat, dasselbe für die jüngeren Generationen heute gilt.
Und wenn er diese vor manipulativen Algorithmen, Fakenews und Suchtspiralen warnt, ist das zwar valide - denn wie gesagt: die gibt es - aber die Gefahr ist am Ende dieselbe wie die Suizidgefahr durch "Die Leiden des jungen Werther", das sich verlieren in Traumwelten durch Dungeons&Dragons, das Abgleiten in geschlossene Subkulturen durch Heavy Metal Musik oder die Reizüberflutung durch 50 Fernsehkanäle statt nur dreien.
Und so ist es genau, wie er sagt: Am Ende warnt er die falschen vor viereckigen Augen, denn wirklich lernen, mitzukommen müssen die älteren Generationen. Und das ist die Erkenntnis, die fehlt: Wir könnten das gut, wenn wir uns die Kompetenzen der jungen Menschen abschauen würden. Aber das ist nicht so leicht, wenn wir glauben, dass wir diejenigen sind, die schon alles wissen und den Jüngeren beibringen müssen, mit Medien umzugehen.
(Und als empirischen Beweis dafür möchte ich gerne mal darum bitten, nachzusehen, aus welchen Alterskohorten diejenigen wohl kommen, die ständig wütend und unreflektiert unter all die Klickbait-Artikel kommentieren und jede noch so offensichtlich falsche Fake-News teilen).
Ein bisschen Hypekunde: Die meisten angeblichen Shitstorms sind in Wirklichkeit keine, sondern zunächst mal Diskussionen in sehr kleinen Nischen. Was Medien inzwischen aber gerne tun ist, immer wieder solche Diskussionen zu suchen und zu behaupten, es gäbe da gerade einen massiven Streit, der die Gesellschaft "spaltet".
Den gab es aber bis dahin gar nicht und "gespaltet" hat der auch nichts neues (darüber schrieb ich schon mal), sondern der berichtete "Streit" entsteht gemeinhin erst durch die Aufmerksamkeit, die die Medien durch den Bericht darüber dafür erzeugen. Denn Medien haben immer noch eine relevante Reichweite, um ein Thema zu pushen, aber nur wenn man es so emotional, provokant und provokativ wie mur möglich präsentiert und leider hat sich in den letzten Jahren dort herumgesprochen, dass Kontroversen am meisten Klicks und "Engagement" (in Form von zig Menschen, die sich tagelang ununterbrochen gegenseitig beschimpfen) bringt - die Währung, von der sie glauben, die wichtigste im Internet zu sein.
Derzeit lässt sich das wieder schön beobachten and Hand des "Winnetouverbotes", das angeblich irgendwelche woken Linken fordern würden und den Ravensburger Verlag dazu gebracht hätten, ein Kinderbuch - übrigens nicht von Karl May geschrieben - nicht mehr weiter zu veröffentlichen. Magnus Nufer hat auf Twitter mal nachgesehen, wann der "Shitstorm" wirklich stattfand und fand heraus: nicht während der Zeit, in der er laut Medien stattfand und nicht seitens derjenigen, die ihn angeblich angezettelt haben:
Nichts von dem, was zuvorderst natürlich wieder die Bildzeitung berichtete ist wirklich passiert, aber alle Medien und Verlage sind inzwischen auf den Hype-Zug aufgesprungen und heizen den "Shitstorm" kräftig an mit immer abstruseren, absichtlich missverständlich formulierten Headlines wie "ARD will nie wieder Winnetou zeigen" (worum es wirklich geht: 2020 sind die Senderechte ans ZDF gegangen. Völlig normaler Vorgang, der auch nichts mit der jetzigen Diskuusion zu tun hat) und freuen sich einen Ast darüber, endlich wieder mal eine öffentliche "Debatte" zu steuern. Denn darum geht es eigentlich - man möchte Relevanz demonstrieren. Auf der einen Seite ist das natürlich eine sehr zynische Sicht auf die eigene Arbeit und den Umgang mit seinem Publikum, auf der anderen Seite ist es auch sehr traurig und zeigt eine gewisse Verzweiflung, wenn man dort keine anderen Möglichkeiten mehr sieht, relevant zu sein, als im künstlichen Anheizen von Pseudoaufregungen, die keinerlei Mehrwert für irgendwen haben. Am Ende nicht mal für sie.
Weiterer Input:
Datenanalyse der Winnetou-Debatte
Bildquelle: Twitterthread von Magnus Nufer
Man fragt sich ja oft, wie ein bestimmter Menschenschlag es schafft, mit der erstaunlich egoistischen Weltsicht durch die Welt zu gehen, dass Regeln für sie nicht gelten, sondern nur für alle anderen.
Tatsächlich gibt es dafür aber eine Erklärung, wenn wir uns anschauen, wodurch sich narzisstisches Verhalten auszeichnet:
"(...) Es dominiert eine typische Anspruchshaltung, gepaart mit einem oft eklatanten Mangel an Mitgefühl, rascher Kränkbarkeit und Neigung zu Schuldzuweisungen. Darüber hinaus besteht eine Tendenz zu bedrohlichem und aggressivem Verhalten und einem erhöhten Delinquenzrisiko." (Delinquenzrisiko = Neigung zu Straftaten).
Wichtig ist, dass ich absolut nicht der Meinung bin, diese Menschen seien alle Narzissten. Aber ihre Verhaltensweisen erscheinen klar narzisstisch und daher würde ich vermuten, dass es systemisch Voraussetzungen & Prozesse gibt, die uns Menschen anfällig dafür macht, narzisstische Denkmuster und Verhaltensweisen zu entwickeln.
Eine davon wird in der Argumentation der Titelperson auch offenbar: Falschparken sei ja erlaubt. Das heißt: Man kann sich daran gewöhnen, dass etwas, das verboten ist, als erlaubt wahrgenommen wird, wenn es nicht geahndet wird. Wenn dann plötzlich doch durchgegriffen wird, ist man empört: Denn die Wahrnehmung ist nicht "Es ist verboten, aber bisher hatte ich Glück und ab jetzt muss ich mich eben an die Regeln halten." sondern "Die Regel wurde für mich aufgehoben, also ist es ungerecht und willkürlich, sie mir jetzt wieder aufzuerlegen".
Beim Falschparken ist das noch etwas amüsant, aber wir sehen derzeit an vielen Stellen wo es scheinbar eine gesellschaftliche Gruppe gibt, die ein sehr eingeschränktes Unrechtsbewusstsein hat und da ist es gar nicht mehr lustig: Wenn es um Steuerhinterziehung, Spekulationsbetrug, Korruption, aber auch um Vergewaltigung, Missbrauch und Nötigung geht, fallen uns diese Menschen immer wieder auf.
Was allen gemeinsam ist: sie sind wohlhabend, erfolgreich und haben eine gewisse Macht. Also eine Position, in der sie sehr gut abgesichert sind sich sehr einfach vom Rest der Gesellschaft abkoppeln und fernhalten können. Solche Leute haben also viel weniger Berührungspunkte mit dem System und seinen Regeln als Menschen, die Bezüge erhalten oder unter höherer Beobachtung durch Ämter und ahnlichen Apparaten - zb Krankenkassen - stehen (Migrant*innen, Frauen, Behinderte).
Und sie beginnen irgendwann, Regeln als externe Mechanismen zu betrachten, die für all die anderen Menschen, mit denen sie ebenso nichts zu tun haben, zuständig sind. Wenn daher plötzlich Regeln auf sie angewendet werden, die in ihrer Welt für eine andere Klasse Menschen gilt als ihre, reagieren sie empört, selbst wenn es nur um 50 Euro geht: Es geht aber nicht um das Geld, sondern um die Kränkung, dass man behandelt wird wie eine Schicht, zu der man nicht gehört.
Und das ist etwas, was ein System befördern oder verhindern kann. Zum Beispiel, indem man Menschen nicht zeigt, dass dem einem sofort 40 Euro von seinem Hartz4 gestrichen wird, wenn er seinem Kind ein 9-Euro Ticket kauft und gleichzeitig dem SUV-Fahrer, der auf dem Radweg parkt, die 50 Euro nicht abgenommen werden, die dem System eigentlich zustehen. Denn wenn Regeln vor allem für die Schwachen gelten, dann glauben die Starken nicht nur fälschlicherweise, dass sie über dem Gesetz stehen sondern es ist tatsächlich so der Fall. Und so entstehen dann die narzisstischen Verhaltensmuster, denn das System bildet eine narzisstische Welt ab. Und wir alle müssen höllisch aufpassen: Wenn wir selbst mal irgendwie reich und wohlhabend werden sollten ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir uns schneller in den oben gezeigten Herrn verwandeln werden, als wir glauben.
Um mal wieder einen aktuellen Anlass (Xavier Naidoos Versuch, in die Konsensgesellschaft zurück zu kommen) für einen Artikel zu nutzen, schreibe ich was über Krisenaussteiger und ihre "Rückkehr".
Erstmal zur Lage: Ich hab ja schon gesagt, dass die Gesellschaft sich gar nicht so sehr "spaltet", wie es in Medien gerne dargestellt wird, sondern dass das ein Logikfehler ist: Die Mehrheiten in der Gesellschaft verändern sich gar nicht so sehr, wir beschäftigen uns nur viel mehr mit den Extrempositionen, wodurch die Verhältnisse unsichtbar werden.
Der 2. Faktor, der gerne falsch dargestellt wird und sich als ein Folgefehler daraus ergibt ist, dass sich hier gar keine zwei Extreme bilden, sondern nur eines: Menschen, die auf Krisen mit Realitätsflucht reagieren, spalten sich ab. Die Mehrheit bleibt aber einfach dort, wo sie ist. D.h die Dynamik ist eigentlich, dass sich ein gewisser Prozentsatz von Menschen aus dem gesellschaftlichen Konsens ausklinkt und in eine Parallelrealität wechselt.
Was gut ist: Die meisten von ihnen kommen nach der Krise auch wieder zurück. Soviel also vorweg.
Worum es mir jetzt geht ist die Dynamik, die sich an genau dieser Stelle ergibt, die man auch bei Naidoo grade beobachten kann*: Das Misstrauen gegen die Rückkehrer ist massiv und das ist auch verstärkt dadurch, dass es so klingt, als ob sie relativ locker damit umgehen: "Bin da ein bisschen auf Quatsch reingefallen, aber jetzt ist wieder alles klar" und wir denken "WTF, Du hast 2 Jahre total am Rad gedreht, hast gefährliche Verschwörungsmythen verbreitet, warst super aggressiv, Du hast alle um Dich herum gefährdet und Dich dabei auch noch als Opfer gebärdet. Wie kommst Du darauf, dass wir jetzt sagen 'Ach prima, dann hallo, magst Du nen Kaffee? Was machen wir morgen?'"
Diese Diskrepanz werden wir im Laufe der kommenden Zeit öfter spüren und ich möchte erklären, wieso unsere Rückkehrer so entspannt sind und wir nicht: Das kennen wir nämlich von woanders. Wer mit Kindern eine lange Strecke fährt, hat sicher schon mal erlebt, wie nervig es sein kann, wenn die Kids die ganze Fahrt lang immer weiter eskalieren. Nach dem hundertsten Mal "Wann sind wir da?" und "Wie lange dauerts noch?" und "Ich will nach Hause!" ist auch der geduldigste Mensch mit den Nerven durch und völlig fertig, wenn man endlich zu Hause ist. Denn nicht nur hat man vier Stunden fahren müssen, sondern auch zusätzlichen Stress ausgehalten, weil man die Kids trösten, beschwichtigen, beruhigen musste (oder die Nerven verlor und selbst aggressiv wurde).
Es ist aber auch so, dass sobald man zu Hause ist, die Kinder auf einen Schlag wieder völlig entspannt und gut gelaunt sind und überhaupt kein Bewusstsein dafür zeigen, warum die Eltern immer noch so gestresst sind: Wir sind doch jetzt da. Ist doch alles prima.
So ähnlich wie den Kindern geht es den Rückkehrern: Sie melden sich bei einem, als wäre nichts gewesen und verstehen gar nicht, warum man ihnen so reserviert begegnet: Die Krise ist doch rum, jetzt können wir uns doch wieder treffen. Dass sie uns 2 Jahre das Leben schwerer gemacht haben, als es mit der Krise für alle eh schon war, kommt ihnen nicht in den Sinn. Was auch logisch ist, denn sie waren ja nicht in unserer Welt sondern in ihrer eigenen und haben daher überhaupt keinen Bezug zu unserem Erleben. Und mit dem Abschluss der Krise schließen sie auch mit ihrer Parallelwelt ab. Das heißt, sie haben überhaupt keinen Ballast, den sie mitbringen und können sich quasi ganz entspannt wieder in den Alltag einfügen, den sie zuvor ohne es zu merken mit ihrem Verhalten massiv belastet haben.
Daher stellt sich die Frage: Wie gehen wir damit um? Kindern kann man keinen Vorwurf machen, wenn sie nach der stressigen Autofahrt einfach wieder auf "normal" umschalten. Aber Erwachsenen? Die auch noch beleidigend waren, Hass verbreitet haben, ihre Umwelt gefährdet haben?
Ich hab da keine pauschale Antwort. Ich nehme an, es kommt auf jeden Einzelfall an. Und auch, wie hoch die eigene Stressstabilität ist. Ob es noch etwas zu reparieren gibt und wie bereit der Rückkehrer ist, das zu reflektieren und zu verarbeiten. Aber vielleicht hilft ja schon, wenn man ein bisschen mehr darüber weiß, was da eigentlich passiert ist.
* 2 Disclaimer:
Ich behaupte hier nicht, dass alle Verschwörungsfuzzies so denken und dass für alle von ihnen gilt, dass sie nur für eine Weile aus realen Krisen flüchten. Es gibt zB auch gefährliche antidemokratische Leute, die genau wissen, was sie da tun.
Und: Es geht nicht um Naidoo. Er ist lediglich der Anlass für diesen Post gewesen. Ich glaube, dass Naidoo nur zu einem Teil in die beschriebene Kategorie fällt und er ganz andere Probleme hat, die wesentlich schwerer wiegen. Ich glaube nicht, dass er zB seinen Antisemitismus abgelegt hat oder es jemals tut. Der hat ja eine ganz andere Ursache und ist in seiner Weltsicht komplett internalisiert. Den bemerkt er auch gar nicht, er denkt ja sein Problem ist, dass er vor 2 Jahren noch weiter abgedriftet ist.
Weil mir grade dieser Tweet in die Timeline gespült wurde nutze ich ihn mal als Gelegenheit, ein bisschen über Angst zu schreiben und wieso Maskengegner immer noch nicht zufrieden sein werden, obwohl doch jetzt alle - so wie sie sich das ja wünschten - tun können was sie wollen.
Maskengegner, Pandemieleugner, Impfgegner oder wie auch immer wir sie nennen wollen sprechen ja erstaunlich oft über Angst. Sie behaupten, Masken werden aus Angst getragen und sie erklären allen Umsichtigen ständig, der Unterschied zu ihnen sei, dass sie keine Angst haben.
Masken und Impfungen sind aber natürlich keine irrationale Reaktion auf Angst sondern Maßnahmen, ein Risiko, das von einer ansteckenden Infektionskrankheit ausgeht, zu verringern. Wenig emotional, das ganze. Und Masken tun nicht weh und sorgen dafür, dass man ganz normal seinem Alltag nachgehen kann. Wo kommen also diese hochemotionalen Reaktionen gegen Masken her?
Eine Maske zu tragen zeigt - ob gewollt oder nicht - neben dem rein praktischen Nutzen auch, dass man die Situation ernst nimmt und damit auch, dass sie real ist und existiert. Und hier ist der Unterschied: Menschen, die sich gegen das Tragen von Masken wehren, geht es nicht primär um die Maske selbst, sondern darum, dass sie die Pandemie sichtbar macht. Und damit real. Wenn wir den Tweet da oben lesen, können wir das Problem gut erkennen: er erkennt, dass er trotz Aufhebung der Maskenpflicht immer noch Angst hat und zwar jetzt - in seiner Wahrnehmung - deshalb, weil andere Menschen die Maske immer noch tragen. Er muss nicht mal "schräg angesehen" werden, um sich unwohl zu fühlen.
Was ist also wirklich sein Problem, wenn es nicht die Leute sind und wenn er doch keine Maske tragen muss?
Was er tat ist seine Angst vor der Pandemie auf die Maske zu externalisieren. Die Maske repräsentiert dann die Quelle seiner Angst und er kann sie bekämpfen, weil man die - im Gegensatz zu einem unsichtbaren Virus - ja sieht (und netterweise keine direkte Gefahr von ihr ausgeht). Sein Problem jetzt ist aber, dass er zwar keine Maske mehr tragen muss, aber irgendwie ist sie immer noch überall sichtbar. Die Masken, und somit die Pandemie, sind nicht einfach verschwunden, wie er sich das gewünscht hat.
Und weil er ohnehin schon so viel mit Projektionen arbeitet, entwickelt er direkt ein paar neue: der Kampf gegen den Zwang, eine Maske zu tragen wird ersetzt durch eine Opfererzählung. Die Angst, die trotz des Sieges gegen die Diktatur überraschenderweise immer noch da ist, bekommt eine neue Repräsentanz, diesmal die anderen Menschen, die weiter ihre Masken tragen. Sie wirken bedrohlich auf ihn, obwohl sie ihm nichts tun und sogar "nett wie immer" sind.
Er scheint mir zum Glück jemand zu sein, der auf Konflikte nicht mit Angriff reagiert sondern mit Flucht, aber es gibt genug Beispiele von Tätlichkeiten seitens Maskengegnern, weil die bereits das Tragen einer Maske als Aggression gegen sich auffassen und sich dagegen "wehren".
Der Begriff Angst prägt also nicht von ungefähr die gesamte Rhetorik dieser Menschen. Ihre ist so groß, dass sie sie externalisieren.
Die Hauptargumentation von Egoisten - egal ob es gegen Impfung, Klimarettung, Aufnahme von Flüchtenden, Verbesserung der Situation von weniger Privilegierten usw. geht - ist immer "das löst das Problem ja nicht, also lehne ich es ab.", also ein "ganz oder garnicht", bei Themen, wo eigentlich alles, was mehr ist als "garnichts" tun die Situation aller Menschen mittelfristig verbessern würde, auch wenn es die individuelle Situation kurzfristig etwas unangenehmer macht.
Daher ist dieses Argument selbstverständlich nur ein Trick, denn das sind Themen, bei denen die Lösung das Durchlaufen eines Prozesses ist. Und wenn den genügend Menschen mitmachen, können sie sich ganz ohne Unannehmlichkeiten einfach mittreiben lassen. Allerdings wird ihnen ja vorgeworfen, sie seien Egoisten und daher brauchen sie ein Rechtfertigung, und das ist eben die genannte.
Das wissen die auch, denn sie finden durchaus richtig, dass Geschirr gespült werden muss, obwohl es morgen wieder dreckig ist. Es geht ihnen aber darum, dass der Teil dieser Prozesse nicht zustande kommt, an dem sie mit Spülen dran sind. Denn eigentlich haben sie nur keine Lust auf Spülen. Sie sagen, "es lohnt sich nicht, solange es kein selbst spülendes Geschirr gibt", lachen dann die aus, die ihren Dreck mitspülen (zB in Form der Lachsmileys unter Meldungen über neue Umweltschäden) und jammern lauthals, Spülaufforderungen beschneide ihre Freiheit, und Spülpflicht ist Diktatur, weil alle es ja nur genauso machen müssten wie sie.
Und damit sie diese recht einfach zu durchschauende kognitive Dissonanz aufrecht halten können, tösen sie jetzt jeden Samstag zur Selbstbestätigung bei uns vor den Haus vorbei und fühlen sich ganz großartig rebellisch. Diese wohlstandsverwahrlosten Pinscher.
Ich hatte eine ähnliche Beobachtung schon mal vor gut 10 Jahren bei einigen Piraten bzw in der Nerdkultur gemacht, wie jetzt bei einigen Menschen, die sich in ihrer Eigenwahrnehmung wahrscheinlich als Vertreter von "Alternativen Lebensweisen" betrachten: Ein signifikanter Anteil der Menschen aus Milieus, die es in der Gesellschaft schon mal eine längere Zeit sehr schwer hatten, akzeptiert zu werden und deren Situation und Status sich durch die positiven Entwicklungen der letzten Dekaden verbessert hat, verwandeln sich in diejenigen, die sie vorher mit Intoleranz und überheblichem Spott verletzt und diskriminiert haben, statt selbst solidarisch mit anderen zu sein.
Ich glaube daher, dass es für Menschen aus Gruppen, für die sich eine lange Zeit der gesellschaftlichen Kränkung auflöst, mehrere Reaktionen gibt, nämlich mindestens drei.
Die harmloseste ist, dass sie die Erleichterung nutzen, um endlich in Ruhe leben zu können.
Das habe ich oft erlebt, als ich Menschen vor einigen Jahren, als ein bestimmter Webdienstleister kleine Unternehmen in Knebelverträgen festhielt, half und wenns geklappt hat, nahezu immer sofortige Funkstille eintrat - die wenigsten haben sich daran beteiligt, anderen zu helfen, die noch in derselben Situation steckten, wie sie sie erfahren hatten. Ich kann das sogar nachvollziehen: Man möchte die schlechte Erfahrung einfach hinter sich lassen und vergessen. Es ist zwar Schade und man müßte eigentlich und überhaupt, aber warum ich?
Eine weitere Möglichkeit ist, dass sie diese Erfahrung nutzen, um sich nun mit anderen Gruppen, die noch immer diskriminiert und gekränkt werden, zu solidarisieren, da sie das Muster wiedererkennen, unter dem sie aus anderen Gründen gelitten haben. Das ist natürlich das beste Ergebnis, da das dazu führt, dass sich nach und nach auch was verbessert, und zwar nachhaltig. Wobei das ja nicht nur ein netter Zug anderen gegenüber ist, sondern auch die eigene Position stabilisiert - man sieht ja seit einigen Jahren, wie fragil freie Gesellschaften werden, sobald Populisten Minderheiten doch wieder als Sündenböcke benutzen.
Aber es gibt eben auch diejenigen, die die Prozesse nicht hinterfragen sondern sich so tief im gelernten System eingegraben haben, dass diese Erkenntnis ausbleibt. Dann übernehmen sie - weil sie sich nun in derselben Privilegiensituation befinden wie ihre Peiniger - genau dieselben Verhaltensweisen, nur nicht mehr als Opfer sondern als Täter. Denn die Prägung ist ihre einzige Realität. Ihr Problem war nicht, dass sie in einem System von Unterdrücker:innen und Unterdrückten leben, sondern nur, dass sie die Unterdrückten waren und auch nur Unterdrücker:innen sein wollen. Sobald sie die Seiten gewechselt haben, haben sie, was sie wollten. Nicht etwa Gerechtigkeit, sondern Macht und leider ist der Wille, diese Macht um jeden Preis zu behalten, dann so groß, dass sie zu intoleranteren, fanatischeren Unterdrücker:innen werden, als die, die in diese Privilegien hineingeboren wurden.
So kommt es, dass Nerds frauenfeindliche Chauvis sind oder Immigrant:innen gegen Flüchtlinge hetzen oder Feminist:innen trans Menschen unsichtbar machen wollen oder eben, dass Hippies mit Nazis auf Demos gehen. Der Vorgang ist derselbe: Hinter sich wird die Tür zugemauert, durch die man zuvor selbst reingekommen ist.
Das eine positive daran ist, dass der Anteil derjenigen, die die letztere Entwicklung machen, die Minderheit ist. Das zweite vielleicht an irgendeiner Stelle zumindest teilweise positive ist, dass es bedeutet, dass Menschen sich am Ende doch viel ähnlicher sind als man glaubt.
Ich bin ja meistens bei Sascha Lobos Kolumnen weitgehend bei ihm, aber bei der aktuellen finde ich, springt er mit seiner Klage gegen Exzessurteile arg kurz.
Einmal ist es so, dass vom Extrem auf das Allgemeine geschlossen wird, ein Medienphänomen ist, das wir in etwa über die letzten 20 Jahre internalisiert haben und irgendwie gar nicht mehr in Frage stellen. Diese Logik, die versucht, ein Bild der Gesamtheit aus der Betrachtung von Einzelphänomen zu ermitteln nennt sich Induktion (im Gegensatz zur für die Bewertung einer Gesamtbetrachtung einer Situation eigentlich notwendigen Deduktion - also die Ableitung des relevanten Details aus der Analyse des Gesamtbildes) und ist per se schon meistens eine logische Fehlleistung, wie David Hume schon vor sehr langer Zeit festgestellt hat.
Die allerdings in der Kombination mit der reinen Betrachtung der Extreme und damit der nicht mal mehr versehentlichen Eliminierung der tatsächlichen empirischen Verhältnisse und Bandbreite gekoppelt - was Journalist*innen gerne "Zuspitzung" nennen - führt zu einer oft hyperventilierenden, weil völlig übertriebenen und verzerrten Fehlwahrnehmung und -beschreibung der Realität. Wenn man sich zB im Fall der Coronamaßnahmen die tatsächlichen Verhältnisse anschaut (75-80% der Menschen sind für Pandemiemaßnahmen und mehr und mehr davon gehen sie nicht weit genug, 20 -25% gehen sie zu weit) und dann schaut, wie die mediale Interpretation uns dennoch ständig als eine unvereinbar gespaltene Gesellschaft beschreibt, ist die Diskrepanz ja immens.
Das funktioniert so nur deswegen, weil man die jeweiligen (wahrscheinlich sogar immer noch zu hoch angesetzen) 10% "radikalen Gegner" und 10% "radikalen Befürworter" in der journalistischen "Zuspitzung" als eine 50:50 Ratio betrachtet und beschreibt, aber die 80% dazwischen ignoriert.
Wenden wir Deduktion an, dann erkennen wir das eigentlich viel wichtigere Detail, nämlich, dass sich die Ablehnung der Maßnahmen seit über einem Jahr gar nicht groß verändert hat - die ist nämlich stabil zwischen 20% und 25%. Was sich aber verändert ist der Anteil derer, denen die Maßnahmen nicht ausreichen. Das waren nämlich erst 15%, dann 20%, dann 35% und inzwischen gut 50%. Es geht also in Wirklichkeit gar nicht darum, dass man einen Kompromiss zwischen "zu wenig" und zu viel" finden muss. Denen, denen das "zu viel" ist, ist ohnehin immer alles zu viel und da hilft auch kein Kompromiss. An dieser Gruppe ändert sich auch nichts. Wenn wir also wirklich daran interessiert sind, wo eine Diskussionsline verläuft und wo es wachsende Unzufriedenheit gibt, müssen wir ganz woanders hinsehen. Und diese Stelle ist gar nicht so schwer zu finden, wenn wir deduktiv rangehen statt induktiv.
Wir haben uns aber offenbar schon so sehr daran gewöhnt, dass wir inzwischen ebenfalls viel zu oft induktive Logiken anwenden statt deduktive. Das ist schade, denn gerade diejenigen, die sich in ständiger Alarmstimmung befinden und darunter auch leiden, könnten hier prima ihre selbstgemachte, völlig unnötige Misantropie, in die sie sich dadurch manövriert haben, abbauen.
Die Realität ist - wie so oft - wesentlich unspektakulärer: Spaltung suggeriert ja, dass es einen halbwegs gleich großen Anteil von Progressiven und Konservativen gibt, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Dass das so gar nicht stimmt, sondern vor allem ein Fehlschluss ist, der aus dem medialen false balancing von Meinungen (Wir bekommen ständig 50/50 eine pro und eine contra Stimme gegenüber gestellt ohne dass berücksichtigt wird, wie hoch der Anteil der beiden Gruppen eigentlich ist) entsteht, wird seit einiger Zeit immer wieder angemahnt, aber so richtig angekommen scheint mir das noch nicht zu sein.
Am Beispiel des pinken Trikots können wir aber erneut sehen, wie klein die Gruppe derer ist, die sich über das ach so woke rosa Shirt echauffieren und das sogar in einem Umfeld, das gerne als positiv ausgedrückt "bodenständig" angesehen wird: Es ist nämlich ein massiver Verkaufsschlager.
Was sagt uns das: Die Aufregung ist gar nicht so groß wie sie erscheint. Und die Spaltung der Gesellschaft ist in Wirklichkeit gar nicht vorhanden - die Kritiker des "Wokismus" einer T-Shirtfarbe ist eigentlich eine winzige Minderheit, die es ja zu jedem Thema gibt und die es auch immer gab. Der einzige Unterschied ist, dass man ihre Bedeutungslosigkeit früher medial korrekt eingeordnet hat und man sie folgerichtig ignoriert hat.