Und dann kam Freddie...
Gestern abend, Olympia-Endparty. Eine Mischung aus ganz okayer Ü40-Party, überlagert vom nervigsten Livekommentar ever. Dann ein erster Moment zum Schlucken. John Lennon, eine meiner Jugendikonen. Der Moment war schnell vorbei, unter anderem mit Hilfe der strunzblöden Kommentatoren.
Es ging weiter mit typische englischen Showacts. Mir gefielen die Kaiser Chiefs, Annie Lennox, sogar die Spice Girls waren unterhaltsam. Ich mag solche Shows, die nicht so wirklich ernst hin und her hüpfen.
Und dann stand in der Mitte dieser Bildschirm - ein wenig wie der Monolith aus 2001.
Und es erschien ein Mann darauf mit einer gelben Jacke, den zu erkennen Menschen meines Alters nicht einmal eine hundertstel Sekunde brauchen. Ein kleiner Mann mit heftigem Überbiss, einem pornösen Oberlippebart und schwarzen kurzen Haaren. Freddie Mercury aus dem Wembley-Conzert 1986.
Es war unvermittelt und so unwirklich, ein Moment in dem die Zeit zu einem Teil stillstand, zu einem anderen weiterlief. Eine Schocksekunde, in der alles andere um diese Person in gelber Jacke einfach komplett verschwand und Bilder, Töne, Erinnerungen, Gefühle nicht ein mal irgendwoher herkamen sondern sich einfach materialisierten. Schwer, dicht, klar, direkt, massiv und ohne Vorwarnung. Sie gaben einem nicht die geringste Chance. Und dann war ich wieder in den Achzigern...
Die Achziger waren keine besonders schöne Zeit für Kinder, die sehr viel kleiner sind als die Altersgenossen, eine dicke Brille trugen und mit denen so ziemlich keiner ihrer Mitschüler etwas anfangen konnte. Man brauchte ein dickes Fell, um diese Zeiten zu überstehen und es konnte lange dauern, bis man sich das zugelegt hat. Wir haben das hinbekommen. Nerds wie wir es waren konnten sich auch früher schon in Nischeninteressen retten, eine trotzige Gegenarroganz aufbauen und wir konnten uns auch ohne Internet die wichtigen Rückzugsräume erzeugen, in denen wir uns ungestört wohlfühlen konnten: Das geschah mit Büchern - vorzugsweise Science Fiction und Fantasy -, sehr viel Fernsehkonsum der später von der Zeit am Computer nahezu komplett ersetzt wurde und natürlich mit Musik.
Der Walkman und dessen kleinen, leichten Kopfhörer waren eine der wichtigsten Erfindungen der Achziger Jahre, denn sie erlaubten einem das, wofür sie von vielen Erwachsenen heftig kritisiert wurden: Sich jederzeit und überall aus der Welt abschotten zu können. Was diese Leute nicht verstanden haben war ja: Ihre Welt war für uns ein sehr anstrengender, feindlicher, unfreundlicher, oft auch gefährlicher Lebensraum. Sie stresste uns und wir kamen zwar nach und nach immer besser in ihr zurecht weil wir lernten, rechtzeitig auszuweichen, uns unauffällig zu machen oder möglichst harmlos zu sein, aber wirklich gefallen hat sie uns nur selten. Die Auszeiten waren daher lebenswichtig. Ich tankte Energie über Musik. Ich hörte gerne Filmmusik und alles, was irgendwie bombastisch war - ich nahm an, für mich eignete sich sowas deswegen gut, weil sie wenig Platz für unangenehme Gedanken ließ - und natürlich Queen.
Queen waren immer dabei. Genauer gesagt: Freddie. Denn irgendwie war er ja einer von uns. Er sah nie aus wie einer der sportlichen Bullies, war eigentlich klein und fast schmächtig. Aber seine Persönlichkeit, die er auf die Bühne brachte war übermenschlich. Eine vor Stolz, Kraft und überwänglicher Freude berstende, sprühende Präsenz, deren Wirkung sich niemand entziehen konnte, nicht einmal diejenigen, die Menschen wie ihn normalerweise diskriminierten*. Freddie hob nie ab, obwohl seine Bühnenfigur ein brennender Halbgott war, ließ er nie einen Zweifel daran, dass es die Fans sind, die ihn so stark machten.
Und genau diese einmalige Eigenschaft war nirgends so manifest und so eindeutig sichtbar wie in diesen Momenten, wenn er auf der Bühne stand und mit seinem Publikum Kanon sang. Und wie groß dieser Mensch war, wie einmalig und dann wie schmerzhaft und unglaublich ungerecht sein viel zu früher Tod für uns gewesen ist zeigte sich gestern, als er ein paar Minuten, nur ein paar wenige Minuten auf flackernden Bildschirmlämpchen zu sehen war und jeder, wirklich jeder - ohne dass das irgendwer erklären, vorbereiten, ankündigen musste - mit ihm sang, so wie früher. Als ob die 20 Jahre nie vergangen sind. Ich weiß nicht, was anderen durch den Kopf ging, aber ich war sicher nicht der einzige, dem in diesem Moment jegliche Metaebene unter den Füßen wegbrach und einfach in Tränen ausbrach.
...und es wieder tut, nur bei der Erinnerung daran.
(Bild: Hwei)
* Sehr schräg fand ich ja, wie verzweifelt aber erfolgreich sich ein großer Teil seiner Fans bemühte, die eigentlich völlig offensichtliche homosexuelle Seite seiner Persönlichkeit zu ignorieren, was offenbar wurde, als kurz vor seinem Tod seine AIDS-Diagnose veröffentlicht wurde und einem Teil der Fans gewahr wurde, dass einem anderen Teil der Fans dieser Umstand völlig unbekannt gewesen zu sein schien.
1 Kommentar
Kommentar von: Kai [Besucher]
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Freddie Mercury als Schutzpatron der Nerds? ich weiß nicht, ob man diese These aufrecht erhalten kann. :)
Aber die Gefühle kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich war zwar “normal groß” dunnemals, aber charakterlich eher als Nerd einzuordnen. Ich war in Schwimm- und Segelflugverein, aber doch gleichzeitig in meiner eigenen Welt versunken. Wenn ich nicht so introvertiert wäre (damals wie heute), hätte ich eigentlich ein “Jock” sein müssen.
Und was soll ich sagen, ich bin froh dass ich keiner war.
Mit Queen konnte ich nie was anfangen. Und schon gar nicht hatte ich den Eindruck, er würde meine Gefühle ausdrücken. Abgesehen von meinen geschmacklichen Verirrungen anfangs der 80er (dont’ ask), waren das bei mir eher The Cure und Sisters of Mercy. Aber selbst für einen Goth war ich zu nerdig. Ich sah es nicht ein, mich in schwarze Kutten zu hüllen, nur um Dark Wave zu hören - was ja auch wieder nur eine Art von Anti-Uniform ist. Für das Pathos hatte ich U2 und die mag ich heute noch (und schäme mich nicht, bätsch!).