Totalüberwachung: Vom vermeintlichen Fehlen der Empörung
Und schon wieder lese ich, dass wir in Deutschland die Totalüberwachung einfach zulassen weil es uns egal sei. Diesmal sinds die mobilegeeks, die mit "keinen intressierts" titeln. Letztendlich geht die Story so: Die Geheimdienste können tun und lassen was sie wollen und die Politiker verhindern die Aufklärung ungestört, weil wir uns nicht genug empören. Der gemeine Deutsche schaut nur mal kurz von der Ablenkung seiner Wahl - momentan wäre das wohl die WM-Übertragung - auf und macht einfach weiter wie bisher.
Felix hatte auf der re:publica schon mal versucht, dieses anscheinend völlig offensichtliche und somit auch weitgehend als wahr anerkannte Phänomen von einer anderen Seite zu betrachten und kam so schon auf ganz andere Erklärungen und zu einer anderen, differenzierteren und unaufgeregteren Einschätzung der Situation.
Ich halte es für gefährlich und kurzsichtig, ständig den Leuten vorzuhalten, sie würden sich - im Gegensatz natürlich zum Autor - nicht interessieren. Der Vorwurf stimmt ja auch nicht. Sie empören sich lediglich nicht so laut wie der, der sich über sie beklagt und dann lediglich fehlende Lautstärke bei der einen von vielen möglichen Reaktionsmöglichkeiten, die er kennt, mit Lethargie verwechselt.
Denn es gibt durchaus viele verschiedene Reaktionen, die - im Gegensatz zum im Internet weit verbreiteten Glauben, dass es immer nur eine richtige Maßnahme geben kann - sogar parallel nebeneinander geschehen. Empörung funktioniert in diesem Mix aber am wenigsten gut, denn Empörung ist eine direkte und schnelle emotionale Reaktion und direkt heißt, dass ich entweder einen sofort eindeutigen, persönlichen Effekt spüre oder dass ich die Situation durch genug Vorwissen überblicke und die heftigen Implikationen dieser Enthüllungen sofort richtig einschätzen kann, auch wenn ich gerade nicht die Hand auf der Herdplatte lege.
Beides - also direkte Auswirkung oder genügend Peil - ist beim großen Teil der deutschen Bevölkerung aber schlicht nicht gegeben, also gibt es auch keine landesweite Empörung. So einfach und unspektakulär ist das. Meine Filterbubble, in der es jede Menge Menschen gibt, die sich entweder gut genug auskennen oder sogar direkt betroffen sind empört sich durchaus und zwar nicht zu knapp. Lustig auch: Der Vorwurf, der an die geht, die sich anscheinden aud lauter Bequemlichkeit nicht empören wollen, geht ins Leere, denn die werden dieses Gejammer eh nicht lesen.
Meine Eltern klicken hin und wieder im Netz herum. Sie schreiben alle paar Wochen mal eine - unverschlüsselte - Mail. Wenns hochkommt ist da ein Familienfoto als Anhang drin (oder eine Powerpoint-Datei mit wahlweise lustigen oder besinnlichen Sprüchen). So sieht für den größeren Teil der Deutschen Internetnutzung aus. Worüber sollten die sich empören? Die sind nicht lethargisch, obrigkeitshörig, desinteressiert, sind keine dummen Schafe oder wie auch immer sonst man diese Menschen seitens der hochnäsigen Netzauskenner beschimpft.
Die haben lediglich ein Leben, in dem diese Überwachung - sorry for breaking this news to you - keine Rolle spielt.
Aber es passiert ja was. Es passiert sogar viel. Das wird aber witzigerweise von den über fehlende Empörung Empörten scheinbar übersehen. Wahrscheinlich deswegen, weil es hier weniger um Aufmerksamkeit geht als vielmehr um Konsequenzen, die aber doch zeigen, dass ein Bedarf entstanden ist, den es vor der NSA-Affäre in der Breite nicht gab. Es gibt zum Beispiel inzwischen eine ordentliche Auswahl von vernünftigen Messenger-Apps, die Verschlüsselungen nutzen und Daten nicht zentral speichern. Und die werden vermehrt genutzt. Das ist meiner Meinung nach ein ganz konkreter Effekt.
Oder: Es gibt endlich ernsthafte Bemühungen, sichere Clouddienste zu entwickeln.
Oder: Es gibt E-Mail Dienste und Cliententwickler, die sich überlegen, wie sie die Kommunikation verschlüsselt bekommen, ohne dass die Nutzer IT-Spezialisten sein müssen.
Solche Sachen zu entwickeln dauert aber nun mal immer ein bisschen länger als eine kurze Empörungswelle. Vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Vergleich, aber ich sags mal so herum: Die Empörung ist eine Art heftige Veliebtheit. Was am Ende zählt ist, welche Beziehung herauskommt, wenn die rosa Wolken sich verzogen haben.
Und da sehe ich doch - wenn man die Empörung mal ausblendet und sich anschaut wie die Internetnutzer sich gerade verhalten - viel konkretes: Es gibt eine stabile Aufmerksamkeit, einen bewussteren Umgang mit Informationen, viele neue Ansprüche und Standards, die jetzt grundsätzlich an Internet-Dienste gestellt werden. Dazu muss man aber ausserhalb seiner Filterblase schauen, in der diese Ansprüche und Aufmerksamkeit ja schon vor Snowden sehr hoch war. Ich werde inzwischen von vielen Freunden und Verwandten danach gefragt, ob das Programm xy sicher ist, oder welche Lösung sie benutzen sollen, weil sie gehört haben, dass es wichtig sei, sich um Sicherheit beim Austausch von persönlichen Inhalten zu kümmern.
Ich sehe daher keinen Grund für lange Gesichter. Die Versuche, mit Desinformation zum Beispiel Anonymisierungsdienste zu verteufeln, funktioniert nicht mehr. Schaut euch doch nur mal an, wo und vieviel mehr Ahnung und Medienkompetenz sich gerade verbreitet. Schaut euch an, wie viele gute Projekte gerade am Start sind, um anonyme, sichere Kommunikation und Datenaustausch zu ermöglichen und wie viel nachhaltiger, massentauglicher und tiefgreifender das allein im jetzt vergangenen Jahr im Vergleich zu den letzten zehn Jahren ist. Das ist der langfristige Snowden-Effekt, den die Empörungs-Fans übersehen.
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