Liebes Tagebuch ("Sommer")
Ach komm, nee, so schlimm war er nicht, der Sommer bis jetzt. Dass es im Moment einfach seit ner guten Woche kalt ist und regnet ist ja für Ende Juli auch gar nicht unnormal. Aber es nervt trotzdem. Kalt, trübe, dunkel, verregnet bringt mich nun mal schneller runter als es Sonne, Wärme und Helligkeit schafft, mich wieder aufzumuntern.
Genug vom Wetter, was war los in der letzten Zeit?
Ich hab meinen neuen Job bei Fork begonnen. Ich blogge ja üblicherweise nicht viel über meinen Arbeitsplatz, daher wird das auch hier eher wenig stattfinden. Nur soviel: Es ist ein steiler Einstieg gewesen und ich bin auch noch nicht an der Stelle angekommen, an der ich am Ende sein möchte. Die Firma, das Arbeitklima, die KollegInnen und die Themen sind super. Die Gleichzeitigkeit und Menge dessen, was ich alles herausfinden muss, um in den Flow zu kommen in dem ich sein möchte ist das, was mich gerade anstrengt. Mein Eigenanspruch, der mir sagt, dass ich noch so unscharf sehe und der mich verbissen die Augen zusammenkneifen lässt obwohl ich weiß dass das nicht hilft, macht mich ungeduldig. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich nicht gebloggt habe: So lange ich dort eine Baustelle habe, gestehe ich mir an anderen Stellen nicht zu, entspannt zu sein. Als ob das eine am anderen was ändern kann. Eigentlich doof, aber das ist halt so'n Muster bei mir.
Ich habe aber natürlich nicht gar nichts gemacht. Jan und ich haben uns ein weiteres Mal zum Podcasten hingesetzt - diesmal sogar mit Plan - und darüber gesprochen, wo LARPs in Deutschland herkommen, wie das da mit Regeln und Charakteren läuft und wie man es schafft, auf LARPs Spaß zu haben, wenn man damit anfangen will. Wir sind hier allerdings vor allem bei klassischen Fantasy-LARPs geblieben. Die ganzen abgefahreneren Ansätze, die gerade entstehen, gehen wir in einer eigenen Folge durch.
Und a propos LARP: Ich war auch wieder auf einem und nachdem es uns beim letzten Mal in den Dreißigjährigen Krieg verschlagen hat, landeten wir diesmal in der Zukuft. Genauer gesagt in der Zukunft, die die Fernsehserie Defiance erzählt, die mir damals sehr gut gefiel und weswegen ich natürlich auch sofort interessiert war, als die Ankündigung kam.
Foto: Leuengold Photographie
Auch diesmal gab es neben dem Spiel selbst einiges zu beobachten, denn es gab einerseits viele Fraktionen mit eigenen sozialen Regeln und andererseits jede Menge Einzelpersonen mit eigener Agenda und das wiederum in einer Situation, in der die ganze Gruppe irgendwann gemeinsam auf der Flucht war.
Was ich diesbezüglich am interessantesten fand war, wie sich die politische Führung - das City Council, das dadurch, dass es ein demokratisch legitimiertes Gremium war, ja eigentlich gut begründet die Führungsrolle der Flüchtenden beanspruchen hätte können - sich selbst immer mehr schwächte. Zuletzt dergestalt, dass als sie feststellten, dass die verschiedenen Alien-Gruppen zusammenrücken, die Menschen sich aber immer mehr entzweien, sie quasi eigenmächtig aus jeder Aliengruppe eine Person ins Council beriefen und dabei darauf achteten, dass es die möglichst schwächste oder niederste Person ist. Anstatt auf die Gruppen zuzugehen und diese darum zu bitten, jeweils einen Vertreter zu bestimmen und sich damit zu legitimieren und zu stärken. Die Angst vor dem Machtverlust führte somit zum tatsächlichen Machtverlust. Und das wiederum führte dann sehr schnell zum Ruf nach der einen Person, die sagt wo es lang gehen soll. Auf meine Frage, wann denn diese Ausnahmezustand-Diktatur beendet sein soll, kam nur die Antwort "Sobald alle wieder sicher sind".
Für mein persönliches Spiel habe ich mich auf den Teil meines vorgegebenen Charakters konzentriert, der sich möglichst aus jeder Verantwortung heraushält - etwas, was mir im echten Leben sehr schwer fällt. Da meine Figur aber durch ein Unglück in der Vergangenheit alles verloren hatte und ich so den Charakter dergestalt aufbauen konnte, dass ich die Vergangenheit nicht loslassen will (ich war insgeheim auf der Suche nach dem Verursacher dieses Unglücks) und dadurch auch einen Neuanfang verweigere, fand ich darin einen guten Weg, mich nicht mehr an Commitments zu binden. Natürlich entstanden daraus dann ganz interessante Konflikte, als andere versuchten, mich in Verantwortung zu nehmen und ich stellte fest, das diese "Ich hab eh nichts zu verlieren"-Einstellung auch zu einer gewissen Risikobereitschaft führt, die in meinem Fall dazu führte, dass ich mich - mit mehr Vernunft bertrachtet völlig unnötig - mit einem Earth Republic Offizier angelegt habe, was natürlich ziemlich eskalierte, als die Earth Republic Truppen am Ende des Spiels die Stadt und uns als Bewohner übernahmen. Im Nachhinein und von meiner persönlichen Warte betrachtet, wusste ich durchaus die ganze Zeit insgeheim, dass mein Charakter da ganz klar eine Situation provozierte, die zu einen tödlichen Ausgang entweder für ihn oder den Offizier führen sollte und beides wäre für ihn akzeptabel gewesen.
Ich kann wirklich nur immer wieder empfehlen, LARPs zu spielen, man findet viel über sich, über andere Menschen in deren Rolle man sich begibt und über wichtige Gruppendynamiken heraus. Man wird aufmerksamer, empathischer, verständnisvoller. Man kann mal in Emotions- und Gefühlsräume gehen, in die man sich eigentlich nie hineintraut und man findet durch völlig veränderte Kontexte Verhaltensweisen und Seiten an sich, von denen man nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt.
Daher am Ende noch ein Tip: In Berlin findet das nächste ifoL statt - ein Minilarp-Festival, das ich wärmstens empfehlen kann. Minilarps sollten sich alle anschauen, die an immersiven Narrationstechniken und viel Spaß und Drama interessiert sind. Das schöne daran ist, dass sie sehr zugänglich sind: Man braucht eigentlich keinerlei Vorkenntnisse und es wird sich meistens auch nicht wirklich verkleidet. Wem unsere IfoLs auf dem Lande bisher zu weit weg waren, sollte sich schnellstens anmelden.
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