Die Angst der Linken vor der Partei
führt in den letzten Tagen zu seltsamen Diskussionen. Ok, vor jeder Wahl beginnen spätestens zu dem Zeitpunkt, ab dem es dem ein oder anderen schwant, dass "seine" Partei womöglich mal richtig abkacken wird, die Emotionen hochzukochen und auf der hysterischen Suche nach doch noch einer Wählergruppe, die vielleicht dieses unausweichliche Ergebnis drehen könnte, überwältigt sie die Wut der Verzweiflung und sie können nicht anders, als sie laut (und dabei auch noch sehr dumm) zu beschimpfen.
Das dürfte normal sein, das beobachte ich seit ich wählen kann und anfangs tat ich das durchaus ebenso.
Aber in den letzten vier Tagen hat das eine absurde Dimension angenommen, und zwar vor allem bei sich politisch links einordnenden Menschen in meinem Bekanntenkreis: Der erklärte Feind, der für den kommenden Sieg der AfD, das Abwandern aller sich links einordnenden Parteien (ja, ich schreib das mit Absicht so) in die Opposition und die drohende Schwarz-Gelbe Mehrheit und natürlich dafür, dass alle Deutschen demnächst zu Nazis werden sind: Die Wähler der Partei DIE PARTEI.
Irre, oder? 0,2% der Wähler sollen Schuld sein, wenn ein von allen etablierten Parteien jahrelang gefütterter politischer Backlash sich in einer Wahl manifestiert. Eigentlich muss man darauf inhaltlich gar nicht eingehen, oder auf die falschen Rechenbeispiele, nach denen eine Stimme für eine Partei, die unter 5% bleiben wird, eine Stimme für die AfD sei. Ein Freund von mir verstieg sich tatsächlich in die Aussage, dass es schlimmer sei, DIE PARTEI zu wählen als gar nicht. All diesen Unsinn habe ich viel zu ausführlich auf Facebook usw diskutiert, wo das alles zum Glück durch die ihm zugestandenen Kurzlebigkeit nicht lange sichtbar ist.
Aber es gibt eine Argumentation, auf die ich doch etwas nachhaltiger eingehen will, nämlich die, die in der Bildzeitung für Linke, der taz aufgemacht wird: Die Wähler der PARTEI sind verantwortungslose, dumme, junge, nur an Spaß interessierte männliche Menschen ohne echte Probleme, der sich auch sonst generell für überhaupt nichts anderes einsetzen, als für die eigene Lustbefriedigung. Diese Leute würden die PARTEI just for the lulz wählen und seien damit gar verachtenswerter als AfD-Wähler. Der taz-autor versteigt sich am Ende sogar in einen Vergleich von Wählern der PARTEI mit Nazi-Mitläufern im dritten Reich.
Sidenote: Ich nannte das in den Diskussionen Wählerbeschimpfung und es gab tatsächlich genügend Mitdiskutanten, die meinten, das wäre doch nicht beleidigend, sondern alles ganz rational.
Die gesamte harsche Verurteilung des PARTEI-Wählers fußt jedenfalls auf einer Behauptung, nämlich der, wer dieser Wähler ist. Ich vermisse da aber die Fakten, die Beweise für all die Annahmen, die da eben mal so über ihn aufgestellt und einfach als gegeben hingestellt werden.
Was wäre denn, wenn es genau die anderen sind, die die Partei wählen? Also die prekär lebenden intelligenten Abgehängten? Immigranten, die in allen Parteien diese Leute ansehen und hören müssen, die sie als Menschen zweiter Klasse und Verhandlungsmasse behandeln? Die Alleinerziehenden, die Menschen die gerade in die Altersarmut rutschen, Hartz4-EmpfängerInnen, KünstlerInnen, Behinderte, junge Frauen die keine Lust mehr haben ständig zu hören, dass sich ihre Zukunftsperspektiven schon irgendwann verbessern obwohl sie sehen wie sie gerade immer schlechter werden? Also die, die unter dem Stillstand am meisten leiden? Die seit vielen Jahren von den "ernsthaften" Parteien ignoriert werden oder sich von ihnen arrogante Sprüche darüber anhören müssen, dass sie halt mal was "leisten" sollen?
Was wenn die PARTEI-Wähler die Menschen sind, für die die großen Parteien nie etwas getan haben, weil ihre Problem keine Presse machen und weil sie den Parteien zu klein und zu unbedeutend sind, um sich ernsthaft um ihre Sorgen zu kümmern?
Wäre das Urteil dann immer noch dasselbe?
Hier wurde erst mal das Urteil ausgesprochen und sich dann nur noch die Vorraussetzung dafür passend zurechtgelegt, statt erst mal zu schauen, wer denn die Wähler sind, über die da gesprochen wird. Aber das ist ja auch nicht neu - man spricht ja immer über die Marginalisierten, nie mit ihnen. Man müsste ja sonst eventuell das vorgefertigte Urteil überdenken, das einem die moralische Überlegenheit sichert und rechtfertigt, warum es trotz seiner "linken" Gesinnung irgendwo insgeheim ganz recht ist, dass es einem selbst besser geht als den anderen.
Abgesehen davon ist so zu tun als ob Partei-Wähler und AfD-Wähler dasselbe sei - oder gar schlimmer - schon irgendwie seltsam, wenn das dieselben Leute tun, die Trumps "there were bad people on both sides" als Verharmlosung von Rassisten verurteilen. Wenn irgendwas Verharmlosung von Rassisten ist, dann doch, ihre erklärten Gegner als schlimmer zu bezeichnen als die Rassisten selbst, oder?
0,2% der Wähler einer Partei, die im Übrigen die einzige ist, die sich klar und lautstark gegen alles positioniert, wofür die AfD steht, sollen für die Krise der linken Parteien verantwortlich sein? Und um dieses haardünne Brett überhaupt hinstellen zu können, muss man auch noch einen Strohmann aus Opas Ressentiment-Kiste gegen Millennials aufbauen, wer diese Wähler sind? Das ist schon arg verzweifeltes wegschauen von den eigenen, riesengroßen Fehlern.
Ich erwähne hier mal nur einen: Es gab in den letzten fünf Jahren eine klare linke Mehrheit im Bundestag.
Wer hat also hier über Jahre aus welchen lächerlichen, egoistischen Gründen nichts getan?
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Kleine Schlußanmerkung, um die (wahrscheinlich dennoch kommenden) Abwehrreflexe und Projektionen zu mildern: Ich selbst weiß noch nicht, welche Partei ich wähle. Ich mag Progressivität (zB in Bildung, Wissenschaft, sozialer Entwicklung), halte das Bedingungslose Grundeinkommen für dringend notwendig und möchte ein Land, in dem Diversität und Pluralismus als positive Eigenschaften und Chance erkannt wird und die Wirtschaft wieder in die Verantwortung für die Gesellschaft genommen wird statt umgekehrt. D.h. es gibt etwa dreieinhalb Parteien, in denen zumindest ein bisschen was davon auftaucht und zwischen denen ich mich am Ende entscheiden werde.
12 Kommentare
Kommentar von: LHME [Besucher]

Kommentar von: Gerd [Besucher]

Ein sehr guter Beitrag! - Entspricht genau meinen Gedanken, - danke!
Kommentar von: ICH - Der KANDIDAT [Besucher]

Kaul? Wer ist eigentlich Kaul?
Kommentar von: Ulf Hundeiker [Besucher]

Vor allem keine echten Probleme. Ich bin Vorsitzender des KV Münster und ich habe - wie etliche andere Genossen - mit Sicherheit einige Probleme mehr als die Wohlstandskinder der taz und ihrer Leser. Chronisch schwer krank, als Mindestlohnempfänger ausgebeutet und mit der Perspektive Altersarmut.
Kommentar von: Mutter [Besucher]

Nein, es gab in den letzten Jahren im Bundestag keine linke Mehrheit. SPD, Grüne und Linke sind allesamt nicht links, sonst würden sie doch mehr von der Gleichheit aller Menschen halten. Außerdem hoffe ich doch sehr, dass wir bei der kommenden Bundestagswahl mindestens 0,5% erreichen und so wenigstens ein bisschen von der Parteienfinanzierung profitieren dürfen, die sich SPD, Grüne und Linke gern großzügig und ohne jegliche Wimpernzuckungen einstreichen, wie es sich für anständige Großkapitalist*innen gehört. Ich gehöre übrigens zum KV Dresden, bin somit also ganz besonders verhasst.

Hallo,
ja, da bin ich sehr dabei. Was ist dass den für eine absurde Diskussion? Zu der These “vielleicht wählen ja auch viele marginalisierte/Prekarisierte die Partei” - Finde ich gut, glaube aber, dass es zumindest nicht hauptsächlich die Marginalisierten sind. Oder es ist ja zum Teil auch nicht so klar abgegrenzbar.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

Maike: Es geht mir auch gar nicht darum, zu erklären, wer die tatsächlichen Wähler sind sondern darum, dass seine Beurteilung nur mit diesem selbstgebauten Strohmann funktioniert. Wer die wirklichen Wähler der Partei sind, weiß ich nämlich genausowenig wie der taz-Autor. Ich stelle ihm nur eine andere Behauptung entgegen und schon funktioniert sein Urteil nicht mehr.

Das habe ich schon verstanden. Ich finde es nur nicht, sagen wir, allerbeste Kernargument, um die Argumentation von Martin Kaul zu entkräften.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

Naja, das ist das Problem mit der heutigen asynchronen Dialektik, die in den Medien inzwischen normal ist: Wer zuerst was behauptet, hat erst mal Recht, egal wie unbewiesen die Behauptung ist. Wer das kritisieren will, soll quasi erst mal die Arbeit dessen machen, der die Behauptung aufgestellt hat und mit Fakten “beweisen", dass diese Behauptung nicht stimmt. Darauf zu verweisen, dass die Behauptung selbst gar nicht auf Fakten basiert, reicht in dieser Art der Diskussionsführung nicht mehr - sollte aber eigentlich. Das ist mir bewusst, aber ich habe keine Lust, nach diesen gezinkten Regeln zu spielen.
Kommentar von: Arnold Schiller [Besucher]

“Wir werden versuchen, monatlich zurückzutreten, um 60 Parteimitglieder durchzuschleusen durch das EU-Parlament. Das heißt, dass jedes dieser Mitglieder einmal für 33.000 Euro im Monat sich Brüssel anschauen kann und dann zurücktritt und noch sechs Monate lang Übergangsgelder bezieht. Wir melken also die EU wie ein kleiner südeuropäischer Staat” Martin Sonneborn bei seinem Einzug in das Europaparlament. Ich habe ihm schon damals nicht geglaubt. Die Spenden vom Titanic Verlag an die Partei hörten mit seinem Einzug auch auf. Wir haben tatsächlich ein System, dass die Amtsinhaber gegenüber anderen ehrenamtlichen Politikengagierten enorm privilegiert. Die Partei war solange glaubwürdig, solange sie die Spielregeln durchbrochen hat. Die Verlockungen des Systems waren aber letztlich zu groß. Es ist die gleiche Selbstbedienung wie sie in den etablierten Parteien stattfindet. Letztlich hat es auch bei den Grünen nicht zu einer Mandatsrotation geführt, nur wollten die Grünen damals noch Politik machen. In gewisser Hinsicht habe ich mehr Respekt vor der MLPD die seit Jahrzehnten mit Großspendern immer wieder antritt als vor “Die Partei". Und nein ich würde auch die MLPD nicht wählen, aber deren Eintreten für ihre Ideen nötigt mir Respekt ab.
Die Partei hätte mein Respekt, wenn sie nicht genauso käuflich wäre wie jede andere Partei. Und mit käuflich meine ich nicht nur Geld, sondern auch die Verlockungen der Mandate. Ich habe gerade eine Parteigründung hinter mir und musste schon in der Gründungsphase erleben, wie das Hauen und Stechen um Listenplätze losging. Hier wurde das Fell des Bären verteilt, bevor es überhaupt auch nur annähernd erlegt ist. Ich befürchte da gibt es so eine äffische Hackordnung. Die Politik ist damit durchzogen, dass wenn wir Anthropologen hätten, die keine Menschen wären und uns von außen betrachten könnten, möglicherweise witzige Gesetze daraus machen könnten.
Was Deutschland anbelangt, ist ein rationales Denken und eine rationale Wahl wohl unmöglich. Die Masse wählt gefühlsgesteuert. Ein Dobrindt ist als Direktkandidat gar nicht rational erklärbar, dennoch möchte ich wetten, dass er seinen Wahlkreis gewinnt.
Linke mögen von Haus aus progressiver und intelligenter sein als konservative und somit mag sich die Kritik an “Die Partei” von linker Seite ergießen. Dennoch ist es alles andere als ein Strohmann. Das Fehlverhalten der “Die Partei” lässt sich auch objektiv nachweisen. Wird aber Ihnen nicht schaden. Ich bin mir sicher, dass der Wähler nicht so weit denkt.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

Es ist ja schön, dass Du so viele Kritikpunkte an der Partei findest, aber das ist gar nicht mein Thema. Mein Thema ist, dass ein Autor der taz es sich mit einem blöden Trick so einfach macht, Wähler einer kleinen Partei zu verachten, dass er keine echten Argumente mehr benötigt, die sich mit der Partei auseinandersetzen. Der “Strohmann” ist das wohlfeile Bild des Wählers, das er entwirft.
Insoweit finde ich Deine Herangehensweise tatsächlich erfreulich: Du schaust Dir an, was Die Partei tut und formulierst daraus eine Wertung. Damit kann man dann auch in eine echte Diskussion gehen (zB. könnte man darauf verweisen, dass Sonneborn tatsächlich den Plan, den Sitz rotieren zu lassen, aufgeben musste und das auch beizeiten öffentlich erklärt hat, weil das natürlich nicht erlaubt ist - denn ein EU-Parlamentssitz ist personengebunden). Was ich aber gerne anderen überlasse, denn mein Artikel ist keine Verteidigung der Partei, was ich Dir auf Twitter ja auch schon mehrfach versucht habe, zu erklären.
Kommentar von: Casus [Besucher]

@Arnold Schiller Der komplette Sinn der PARTEI ist diese Lücken auszunutzen, und dies zugleich zu publizieren, dann dadurch, muss der Gesetzgeber diese Lücken schließen, oder es werden alle machen. Sonneborn konnte nicht rotieren, da das Parlament diese Schwachsinnsverordnung, welche vorher in geringerem Maße von anderen Parteien genutzt wurde, stark eingeschränkt wurde, es hat genauso beim Geldverkauf funktioniert. Es wird gemacht, um diese Lücken zu schließen, und ohne eine Großzahl an sitzen ist dies nur durch Ausnutzung möglich. Wenn man nach dem Verhältnis von herbeigeführten Änderungen zu Abgeordnetenanzahl geht, ist die PARTEI vermutlich die effektivste PARTEI Deutschlands.
@Jensscholz Ich stimme dir zu, vor allem, da nach meiner Persönlichen Erfahrung (Ich bin zwar kein PARTEI MItgleid, geistere jedoch häufiger in deren Umfeld herum), es oftmals eben Leute wie Alleinerziehende, Leiharbeiter, Arbeitslose etc. die in der PARTEI aktiv sind, und auch diese wählen, jedoch erst nachdem sie einmal das Konzept der PARTEI erklärt bekommen haben. In meinem Umfeld gibt es zwischen quasi niemanden mehr, der nicht zumindest mit der PARTEI sympathisiert, ebenso in meiner Familie. (Student, viel auf Konzerten/Festivals, Gaming/eSports und Lokalfussball sollten den Großteil meines Umfelds beschreiben, in der Familie kommt alles vor, von Unternehmern über Polizisten zu Krankenschwestern und Justizvollzugsbeamten alles dabei)
Selbstverständlich ist ein Sympathisant nicht gleich ein Wähler, und ich werde die PARTEI vermutlich auch nicht wählen, aber es ist zumindest ein potentieller Wähler. Wenn man diese Leute fragt, warum sie die PARTEi mögen, kommt selten die Antwort: “Weil sie lustig ist", sondern oftmals Bewunderung für die eine oder andere Aktion (z.B. Geldverkauf) und die kreative Art, auf die mit wenig Einfluss viel bewirkt wird, sowie die Art, auf die Themen in den Diskurs gebracht werden.
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Genau meine Gedanken beim lesen der ganzen Beiträge. Seit Jahren tritt man in Linken Kreisen die eigenen Leute weil sie nicht 100 prozentig die selben Ansichten teilen. So müssen wir uns auch keine Gedanken machen was man verändern könnte wenn man zusammen hält. Lieber die Vorhaben Gleichgesinnter zerreißen, weil man es auch anders machen könnte.