Liebes Tagebuch (Das Frühlingsupdate)
Es ist einiges passiert in den letzten Monaten, daher fasse ich das mal wieder in einem Post zusammen.
Im März habe ich zwei Artikel über (Online-)Handel und Innenstädte geschrieben (diesen und diesen) und da diese beiden Artikel anscheinend einen Nerv trafen wurden sie zusammen gut 250.000 mal aufgerufen und bescherten mir so viele Kommentare wie seit Jahren nicht mehr. Es fühlte sich zwischendurch fast ein bisschen so an wie früher, als Blogs noch dieses Nervenzentrum im Netz war.
Allerdings hat sich doch auch einiges verändert, was ich zwar schon so stark vermutete, dass ich das als These schon länger verbreite, sich nun aber bestätigt hat: Die heute allgemein gängige Internet-Nutzung ist extrem zerstückelt, wenn nicht gar mikroskopisch fragmentiert. Kontexte werden nicht mehr erkannt - oder besser: gar nicht mehr gesucht - und wo ein Artikel steht oder wer ihn geschrieben hat spielt keine Rolle mehr. Menschen picken sich nicht nur überall kleine Informationsschnippsel zusammen sondern lesen sogar in zusammenhängenden Texten nur noch die Kernbotschaften. Wobei das nicht ganz stimmt: Sie picken sich einen Satz heraus, den sie einfach zur Kernbotschaft machen die sie hören wollen (oder der sie widersprechen wollen), egal ob er auch die des Autors ist oder nicht. Das Kommunikationsverhalten ist zusätzlich geradezu offensichtlich von krassen Projektionen gesteuert. Es ist fast so, als ob das Ich aus der Diskussion verschwunden ist und das Ego übernommen hat.
Kommen wir zu schöneren Dingen:
Zeitgeist
Foto: Martina Ryssel
Wir haben - nachdem wir es letztes Jahr verschieben mussten - unser Ghostbusters-LARP Zeitgeist durchgeführt und es war großartig. Dafür dass wir wirklich alles ein bisschen anders gemacht haben als man es in klassischen (und nicht so klassischen) LARPs gewohnt ist, hat es ausnehmend gut funktioniert. Wir hatten irrsinnig viel Technik angeschleppt und installiert, haben einen super creepy-en Upside-Down Raum gebaut, haben Spieler*innen mit Unmengen Props und Kostümen episodenweise hin und her in die Siebziger und Neunziger Jahre versetzt (wir haben sogar in allen Räumen Bilder der jeweiligen US-Präsidenten, Bundeskanzler und UN-Generalsekretäre aufgehängt und mit jedem Zeitwechsel geändert), eine ganz neue Methode ausprobiert, seine Spielcharaktere zu entwickeln und viele Methoden, die man eigentlich aus Minilarps kennt, in ein großes Wochenendlarp integriert. Es hätte uns also auch gut alles um die Ohren fliegen können.
Tat es aber nicht und so werden wir Zeitgeist nächstes Jahr hoffentlich zum zweiten Mal anbieten - natürlich trotzdem mit einigen kleinen und auch größeren Änderungen, weil natürlich auch einiges nicht geklappt hat und wir von den Spieler*innen wertvolles Feedback bekamen, das wir natürlich gerne in unser Konzept integrieren. Wer mehr darüber wissen will, was wir da eigentlich gemacht haben und auch ein paar Original-Töne der Teilnehmer*innen hören möchte: Jan und ich haben darüber eine komplette "We Know Kung Fu"-Podcast-Folge aufgenommen.
re:publica
Foto: (c) Konstantin Klein/DW
Die re:publica dieses Jahr war eine der besseren. Interessanterweise habe ich viel weniger Buzz darüber mitbekommen als sonst, so dass man eventuell meinen könnte, dass gar nicht so viel los war wie in den letzten Jahren, aber das täuscht - zumindest aus meiner Sicht. Denn: Ja, es gab nicht diese großen Leuchtturm-Vorträge über die alle redeten. Es gab keine krasse Erkenntnis, keinen netzideologischen Aufschlag und keine lautstarke Kontroverse. Und ich fand das prima. Ich war begeistert von dana boyds Opening Keynote, die meiner Meinung nach die beste Keynote war, die es je auf der re:publica gegeben hat, denn sie setzte darin quasi das Niveau fest, das dieses Jahr zu gelten hat. Sie erklärte, dass Dinge komplex sind, dass man sie mit Kontexten betrachten muss um sie zu verstehen und dass Idealismus und Schlagworte nicht ausreichen werden, um systemische Probleme zu lösen. Sie erklärte geschichtliche, soziale, technische und wirtschaftliche Zusammenhänge und ihre Wechselwirkungen und machte klar: Wenn wir hier weiter an Oberflächlichkeiten herumdoktern können wir uns vielleicht moralisch gut fühlen, aber verändern tun wir gar nichts.
Das schöne war, dass sich diese Ernsthaftigkeit und dieser Wille, sich um die wenig plakativen, aber essentiellen, komplizierten, verwurschtelten und nun mal nicht einfach zu lösenden Kernprobleme zu kümmern durch sehr viele Programmpunkte hindurchzog. Auch unsere Session - Wibke Ladwig, Nadja Zaboura und ich haben uns das Thema "Vom Tod in der Netz-Familie" vorgenommen - versuchte sich darin, erst mal einen Raum für die Probleme einer (digitalen) Gemeinschaft zu schaffen, die inzwischen in ein Alter kommt, in dem immer mehr Menschen plötzlich fehlen. Wir sind noch gar nicht an der Stelle, an der wir sagen können "So gehen wir damit um, dann klappt das schon". Wir sind erst an der Stelle, an der wir begreifen oder begreifbar machen müssen, dass wir irgendwie damit umgehen müssen. Wie Konstantin in seinem Artikel für die DW schrieb, ist es uns ganz gut gelungen, auf einer Veranstaltung mit 8000 Besucher*innen etwas Intimität zu erzeugen, worauf ich sehr stolz bin:
Etwas abgelegen vom allgemeinen Rummel liegt Stage T - hier geht es um den "Tod in der Netz-Familie", darum, dass Verstorbene im vernetzten Teil der Gesellschaft oft nicht mehr vorkommen...
Die Session wurde nicht aufgezeichnet, was auch gut war: Ich glaube nicht, dass die Offenheit und Verletzlichkeit, die dort von vielen gezeigt und von allen angenommen wurde möglich gewesen wäre.
Der kurze Rest
Ich habe ansonsten ein bisschen gearbeitet. Trotz der für das Geschäftsjahresende üblichen Ruhe konnte ich ein paar wirklich interessante Dinge machen - am meisten Spaß hatte ich bei einem Coaching für eine Agentur, die ich für Social Media Pitches fit gemacht habe. Nächste Woche bin ich in Mainz beim "Speed Consulting" von ZDF Digital. Vielleicht sehen wir uns da?
In den letzten paar Tagen war ich irgendwo in der hessischen Pampa. Wieder auf einem LARP, allerdings als Babysitter für das coolste zweieinhalbjährige Mädchen der Welt, deren Eltern dort beide arbeiteten.
Ich habe das Gefühl, dass es immer wichtiger für mich ist, mich um Dinge zu kümmern, die direkt um mich herum passieren. Meine ständige innere Unruhe, das Gefühl, immer auf der Hut zu sein und aufpassen zu müssen, dass alles irgendwie hinhaut - was leider auch oft begründet ist (heute kam der Steuerbescheid) - geht mir auf die Nerven. Ich mag jede Minute, in der ich mal mit lieben Menschen einen schönen Spaziergang machen oder ins Kino gehen oder auf einen Kaffee zusammensitzen kann. Das wäre mein Wunsch für den Sommer: Weniger stressiges irgendwie alles hinbekommen und mehr Leben.
1 Kommentar
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Schön zu lesen… Im letzten Absatz fand ich mich wieder, das ist gerade eine meiner Übungen… danke fürs teilen
irka