Was den Traditionshandel wirklich getötet hat und warum das nette kleine Geschäft gar nicht so tot ist wie man glaubt
Ich habe gestern über einen bestimmten Aspekt des Einkaufens geschrieben, nämlich den Normalfall: Der ganz normalen, unspektakulären Vorratskauf, den man immer und immer wieder machen muss, damit was zum Essen im Haus ist, man regelmäßig Duschen und Zähne putzen und immer frische Socken anziehen kann. Die Einkäufe, die man schnell hinter sich bringen will, damit man wieder Zeit für die Dinge im Leben hat, die einem Spaß machen. Lesen, Sport, spazieren gehen, liebe Menschen treffen, Klavier spielen...
...und auch mal ganz gemütlich bummeln und schöne Dinge shoppen gehen.
Wenn man mal absieht von den 80% Einkaufen gehen, weil man muss, gilt nämlich auch: Ich mag durchaus Shoppen - also das, wo ich mir im Gegensatz zum Einkaufen was gönne - oder es zumindest vorhabe. Ich gehe sogar gerne mit Freundinnen mit, wenn sie nach neuen Klamotten suchen. Das stresst mich dann auch überhaupt nicht, denn ich selbst brauche ja nichts. Ich flaniere gerne, ich stöbere in Buchläden, probiere Sachen an, quatsche mit Verkäuferinnen und Verkäufern im Schreibwarenladen über Polychromosstifte und Papiersorten. Und selbstverständlich ist es so, dass sich die Innestädte hier in den letzten vierzig Jahren stark verändert haben. Nur hat der Online-Handel damit zunächst mal überhaupt nichts zu tun.
Das "Innenstadtsterben" - und vielleicht muss man dafür auch wieder älter sein, um das zu wissen - ist nämlich nicht neu und wurde schon in den Achtzigern thematisiert. Die immer gleichen Ketten und Kaufhäuser übernahmen mit den aggressivsten Methoden, die man sich vorstellen kann, die Fußgängerzonen so dass es heute keinen Unterschied macht ob man die Frankfurter Zeil oder die Kölner Schildergasse lang geht. Öffentliche Plätze, freie Sitzgelegenheiten und andere Möglichkeiten der nichtkommerziellen Nutzung der Innenstadtbereiche wurden rigoros abgebaut weil die Leute ja gefälligst ihr Geld ausgeben und nicht herumlungern sollten. Flick und andere teils hoch korrupten Bauhaie bauten überall ihre Einkaufspassagen hin, die ein paar Jahre später der Reihe nach Pleite gingen. Das hat die Innenstädte schon lange bevor das Internet überhaupt in Deutschland Einzug gehalten hat, massiv zerstört und die "Traditionsgeschäfte" entweder direkt vertrieben oder ab diesem Zeitpunkt in eine prekäre Lage gebracht, in der sie sich zwar noch eine Weile hielten und zum Teil noch halten, aber nur unter immensen Mühen und dem Dauerstress des Unternehmens, dem ständig die Luft knapp ist.
Der Online-Handel hat da nicht mehr viel ausrichten müssen. Sicher hat auch der disruptiv gewirkt - vor allem da, wo Waren irgendwann nicht mehr auf Medien gekauft werden mussten wie Musik, Filme, Software, Bilder usw. Aber dieses tolle Spielzeugfachgeschäft an das man sich so wehmütig erinnert ist schon lange vorher von Großmärkten, Kaufhäusern und Toys'R'Us aufgerieben worden.
Der zweite Grund für den Untergang von Fachgeschäften ist auch schon seit den Neunzigern ein Thema, nämlich dass immer mehr Dinge erstens nicht mehr aus neutralen Einzelteilen bestehen und zweitens gar nicht mehr vom Laien repariert werden können. Konsequenterweise begannen die Hersteller auch noch selbst, ihre eigenen exklusiven Marken-Läden in die Einkaufsstraßen zu pflanzen. Die Eisenwaren- und Elektronikläden mit den mürrischen aber fachkundigen Besitzern, die einem eine Schraube für ein defektes Gerät auch mal zurechtfeilten verschwanden somit nicht, weil man im Internet einfacher bestellen kann. Sie verschwanden schon vor dem Internet und man bestellt inzwischen Elektroteile online, weil man sie einfach nirgends anders mehr her bekommt.
Wenn Gemeinden oder Städte hier nicht bewusst steuernd eingreifen, sterben die Einkaufsbereiche durch ganz altmodische unfaire Wettbewerbsmethoden: Ketten drängen die Einzelgeschäfte mit schönen Angeboten an Vermieter, durch Einkaufsrabatte ermöglichte Kampfpreise und auch schlichte Drohungen ("jetzt kriegen Sie noch was für Ihren Laden, wenn wir aber gegenüber eine Filiale eröffnen..") in Nebenstraßen, wo es keine Laufkundschaft gibt bis sie auch dort langsam verschwinden. Da ist kein Digitalisierungs-Menetekel nötig. Das hab ich in schon Anfang der Neunziger in Städten wie Pforzheim, Stuttgart und Karlsruhe live gesehen. Das ging ganz gut ohne Online.
E-Commerce, Amazon und Co bedroht aber dennoch jemanden, das ist aber nicht der "Traditionshandel", sondern jetzt geht's den Ketten-Filialen an den Kragen und da hält sich mein Mitleid in Grenzen. Es gibt halt immer den nächst größeren - oder geschickteren - Fisch. Das Fressen-und-Gefressen-Werden-Spiel haben die dreißig Jahre ganz gut selbst gespielt (und dass Medien den bei LeseIrnnen schöner klingenden Tante Emma Laden zum Online-Opfer erklären liegt vielleicht daran, dass besagte Ketten immer noch gute Anzeigen-Kunden sind).
Hin und wieder wurde aber eingegriffen. Manchmal rechtzeitig, manchmal nur halbherzig, manchmal war auch einfach Glück und Zufall im Spiel. Jedenfalls gibt es neben den komplett verödeten Pforzheims dieses Landes auch Städte, Gemeinden und Dörfer mit halbwegs okayen bis sehr gesunden Innenstadt-Leben. Ich habe das dieses Jahr mit Freude in Regensburg gesehen und in Neustadt and der Weinstraße. Ich sehe das auch hier in Köln. Natürlich kann man sich da die Hohe Straße und die Schildergasse schenken - Kaufhof, P&C, Deichmann, jeder Telcoanbieter, Media Markt, H&M, Pimkies, Zara und wie sie alle heißen... so austauschbar und öde wie in jeder anderen Stadt auch. Aber dann geht man halt ins Belgische Viertel und findet dort ein schönes Geschäft neben dem anderen. Kleine Buchläden, ungewöhnliche Klamotten, ausgefallener Sportkram, alles da. Und dazwischen Plätze mit Sitzbänken unter Bäumen und gemütliche Kneipen oder kleine Cafés. Ich hab zwar keine Ahnung, wie das dort entstanden ist, aber irgendwie hat irgendwer dort was richtig gemacht.
Wenn mans weniger alternativ haben will und mehr so gemütlich, kann man nach Nippes. Auch da gibts die schönen Plätze und kleinen Geschäfte. Und wenn mans doch wieder richtig kommerziell mit Marken und schick und bling haben will, aber trotzdem das Fachgeschäft sucht, gibts die Gegend um die Ehrenstraße. Das sind alles Ecken, in denen ich gerne mal mit etwas Zeit hingehe und vielleicht kauf ich mir ein Paar Schuhe, vielleicht ein Buch, vielleicht eine Jacke und vielleicht auch gar nichts sondern trinke zwischendurch 'nen Kaffee oder ein Kölsch.
Das kann Online mir nicht bieten. Dazu muss ich aus dem Haus und dort hin gehen. Aber dazu muss es dieses "dorthin" eben auch geben und wenn man dann mal genauer hinschaut gibt es sie auch: Die sind schon da, die schönen kleinen Läden in Regensburg und Neustadt, im Belgischen Viertel und überall sonst, wo sich entweder offiziell oder privat mal darum gekümmert wurde, wieder eine Struktur für den kleinen Einzelhandel zu schaffen. Und es gibt auch neue Geschäftsideen wie Popupstores, die wiederum unterstützt werden von lokalen News- und Online-Angeboten, die solche kleinen Läden und Szenen sichtbar und findbar machen. Es gibt oft genug sogar Online-Shops für die Menschen, die z.B. mal in einem Laden waren, aber nicht aus der Gegend sind. Ich habe schon tolle 1890er Larp-Klamotten bei einem kleinen Händler auf dem Fantasy-Markt in Speyer entdeckt und die passende Hose, die sie nicht da hatten, hinterher bei ihnen online bestellt. Das geht ganz prima, diese Offline und Online. Das muss sich nicht immer fressen, das kann sich auch prima ergänzen.
Überhaupt, Stichwort Märkte. Online kann nur gegen Dinge konkurrieren, deren Offline-Version von Menschen als anstrengender, lästiger oder hinderlicher empfunden wird. Das sieht man zum Beispiel an Flohmärkten. Natürlich gibt es eBay, aber es gibt auch immer noch Flohmärkte, weil eBay eben keine Konkurrenz zu Flohmärkten ist, auch wenn es sich da vordergründig um genau das Geschäftsmodell handelt wie bei einem Flohmarkt. Es wird aber nie den Flohmarkt ersetzen können, weil zum Flohmark das herumstöbern, anfassen und sich überraschen lassen gehört. Der Flohmarkt ist ein Event. Er hat ein Flair und eine Stimmung und wegen der gehe ich da hin.
Dasselbe ist mit Innenstädten. Wenn sie eine Stimmung und ein Flair hat, geht man da hin.
Wenn man nur was bestimmtes einkaufen muss, nicht mehr unbedingt.
Man kann also weiter über Amazon schimpfen oder für Gründe sorgen, dass Menschen wieder gerne in die Innenstädte gehen.
Und wenn man eine These sucht, die hinter diesen zwei Artikeln steht ist es die, dass der Mensch unterschiedliche und sich eventuell widersprechende Dinge möchte - im Falle des Kaufens von Dingen einmal ein Angebot für das einfache und bequeme Wegarbeiten von lästigen Verpflichtungen und einmal ein schönes oder überraschendes Freizeit-Erlebnis -, aber unsere Kommerz-Dynamiken oft zu schlecht darin sind, für mehrere Bedürfnisse gleichzeitig Lösungen anzubieten.
27 Kommentare
Kommentar von: ClaudiaBerlin [Besucher]
Kommentar von: Christoph Brem [Besucher]
ein sehr guter Artikel mit der richtigen Schlussfolgerung. Trotzdem muss der lokale Einzelhandel mit der Zeit gehen und sich digitalisieren. Nicht um gegen Amazon zu kämpfen oder auf der Google Suche sichtbar zu werden. Das schafft man gegen die pure Player und grossen Ketten eh nicht und die zerreiben sich dort mit Unsummen gegeneinander. Aber Digitalisierung der lokalen Händler bedeutet die internen Prozesse zu optimieren, um mehr Zeit für die Kunden und Gestaltung des Ladens zu haben. Um das Sortiment zu optimieren und den eigenen Webshop als zusätzlichen Kanal der stationären Kunden zu gewinnen, oder um über die lokale Produktverfügbarkeit auch auf Google oder Apple Maps gefunden zu werden, wenn jemand aus der Nähe was sucht. Immerhin haben 70% aller Suchen auf dem Handy irgendwas mit Location zu tun. Und das kann man heute nicht mehr ignorieren.
Kommentar von: Christine [Besucher]
Inzwischen finde ich, die beste Beratung bekommt man beim Internetkauf. Nämlich beim digitalen kleinen Laden, der sich mit viel Liebe und Fachkenntnis auf genau eine Nische spezialisiert hat. Früher hätte ich entweder lange fahren müssen, oder mit weniger Fachkenntnis und Auswahl leben müssen, inzwischen ist die Fachfrau nur einen Klick entfernt.
Kommentar von: Nicolas [Besucher]
Zum vorherigen Artikel habe ich geschrieben, was für ein Schwachsinn das Wort “Einkaufserlebnis” und Shoppen als Hobby sind.
Dieser Artikel zeigt, warum die Werbewirtschaft solche Lügen nötig hat.
Die in jeder Stadt, auch im Ausland, immer gleichen Fillialketten sind so öde, dass Einkaufen eben keinen Spaß mehr macht. Corporate Design ist kein geeigneter Ersatz für Stil und Originalität. Selbst seltene Einkäufe wie ein Wintermantel oder ein neuer Fernseher sind nur noch nervig. Also muss der Spass am Einkaufen herbeigelogen werden.
Je weniger tatsächlich für etwas spricht, um so mehr Rummel muss die Werbung dafür machen. Gute Angebote brauchen das nicht. Das gilt nicht nur für die angebotene Ware, sondern auch für den Akt des Einkaufens.
Der Einzelhandel hat sich selbst abgeschafft. Einen online-Totengräber brauchte er dafür nicht.
Kommentar von: Marco [Besucher]
Ja, Amazon ist die Steigerung der großen Ketten, die viele Nachteile haben. Jeder einzelne dieser Nachteile ist für mich ein Grund, nicht bei Amazon zu kaufen. Natürlich macht Amazon Geschäfte kaputt. Vielleicht sollte man auch nicht nur Städte vergleichen. Vielleicht sollte man auch auf dem Land wohnen dürfen und versorgt sein, ohne dass Lieferwagen zu jedem einzelnen rumpeln. Lieferwagen und Postdienste und Drohnen, die vielleicht auch bald zu Amazon gehören.
Wer nicht unter solchen Bedingungen arbeiten möchte wie die Amazon-Lagersklaven, der sollte auch lieber in einer Buchhandlung vor Ort kaufen. Wenn es die kleine nicht mehr gibt, dann wenigstens bei dem Geschäft von der Kette, immer noch besser als Amazon. Und wenn unbedingt online, dann besser auch bei den kleinen, einheimischen (buch7.de, buecher.de oder meinetwegen auch buch.de).
Ich finde übrigens alles, was ich brauche, in einem Umkreis, den ich gut mit dem Fahrrad erreichen kann, obwohl ich nicht in der Stadt lebe. Ich brauche nicht die Shopping-Mall mit den kostenlosen Parkplätzen, die es hier auch in der Nähe gibt (auch hier im Ort und im Nachbarort parke ich kostenlos mit dem Auto).
Amazon drückt die Firmen, die sie beliefern. Amazon bringt selbst Produkte heraus, Amazon macht Filme, Hörbücher, Bücher und die möglichst exklusiven Lesegeräte dazu, und Handys und diese Spionage-Zylinder. Amazon vermeidet Steuern. Amazon betrügt uns und unsere Nachkommen, unser Land und auch die USA. Amazon überwacht, wie weit E-Books gelesen werden und will die Autoren entsprechend niedriger entlohnen. Was letztlich überhaupt noch produziert/verkauft wird, bestimmt irgendwann Amazon (da haben sie schon Mißbrauch betrieben). In den USA machen sie ja auch schon dick in Lebensmittel.
Wer solche alles verschlingenden Über-Firmen wie Facebook (Fast-Kommunikationsmonopol mit Facebook, Whatsapp, Instagram, Oculus-Rift, Tinder), Google (Fast-Alltags-Monopol mit Google, Youtube, Google-Maps, CAPTCHA, Android, Nest für Smarthomes, Online-Werbung und -Auswertung) und Amazon nicht zu vermeiden versucht, handelt m. E. nicht online-kompetent. Und verharmlost, was hier vorgeht zu einem ganz normalen technologischen Umbruch. Ich glaube nicht, dass es für all die verdrängten Geschäfte UND Hersteller eine schöne neue Arbeitswelt als App-Entwickler gibt. Man gibt hier den skrupelosesten Händlern zu viel Macht.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Ich halte Kritik an Amazon und anderen Internet-Größen für berechtigt und wichtig - wenn sie auf systemischer Ebene passiert, denn dort sind die eigentlichen Probleme. Aber wundere mich doch ein wenig über die viel zu platte Dämonisierung und emotionale Heftig- und Einseitigkeit und über die Verherrlichung des edlen, authentischen Einzelhändlers auf der anderen Seite. Ich sehe im Einzelhandel ständig Zettel an den Türen, auf denen Verkaufspersonal gesucht wird. Grundsätzlich auf Minijobbasis. Da gibt sich - an dieser Stelle - keiner was.
Kommentar von: Karludwig [Besucher]
Ich hab heute in der Gärtnerei um die Ecke Kräuter für die grüne Sauce gekauft. Die gibts hier nicht an jeder Ecke. Also hab ich vorher auf der Internetseite der Gärtnerei nachgeschaut. Das kann ich zu Hause machen. Weil die Seite informativ war, bin ich hin und hab meine Kräuter fast alle bekommen. Und ein Glas Tee von der 9-jährigen Tochter selber aufgebrüht und serviert und dazu kostenlos noch einen kleinen Ratsch über die Blumen, die ihr gefallen. Derweil hatte die Mama meine Kräuter sauber hergerichtet und neben die Kasse gelegt. Ich werds beim nächsten Mal wieder so machen, denn die fünf Minuten für den Tee haben sich rentiert: Für mich und für die Gärtnerei, die einen Kunden mehr hat, der weiß, daß er nicht immer Tee trinken muß. On-Offline - doch, das paßt schon.
Und amazon & Co. können da nicht mithalten, selbst wenn ich dort einen Tee bekäme. Daß sie immer neue Geschäftsfelder suchen, hängt nicht damit zusammen, daß sie die ‘kleinen’ schlucken wollen, sondern damit daß sie den Hals nicht voll genug bekommen können und deswegen auch ums Überleben kämpfen müssen. Nur auf einem höheren (Kosten)Niveau
Kommentar von: werner [Besucher]
Bereiche, wo man sich wohlfühlt, werden erhalten, wenn die Leute dort auch was kaufen. Das kann in meinem Stadtteil auch sein. Der war vorher schon schön, dann kamen endlich die Autos von den breiten Gehwegen weg, damit konnten sich ein paar nette Lokale etablieren, was wieder mehr Krimskrams-Geschäfte anlockte.
Bis dann die Vermieter entdecken: da geht was, da erhöhe ich mal. Und dann ists bald wieder vorbei. Ein Beispiel: Der schöne, kleine Plattenladen mit dem sympathischen Verkäufer, der auch alle paar Wochen ein Konzert in seinem kleinen Laden hatte musste schließen, weil es sich dann finanziell nicht mehr ausging. War auf einmal zu. Ich dachte mir “Mensch, hätt er doch früher was gesagt, wir hätten mit allen Kunden gemeinsam vielleicht Wege gefunden", so wie in einem anderen Stadtteil, dieser Eisenwarenhändler übergeben konnte an engagierte Kunden und Interessenten: http://www.fedorbleibt.de/
Wenn die Bewohner sich mit ihrem Stadtteil verbinden, und den nicht nur als Schlaf- und Autoabstellgegend wahrnehmen, kann was werden daraus. Aber wie bekommt man sie dazu - und hält auf der anderen Seite die Vermieter im Zaum, damit die zarten Pflänzchen nicht gleich wieder austrocknen?
Kommentar von: Jonas [Besucher]
Ich selbst habe auch keine Lust in den einschlägigen Ketten-Läden einkaufen zu gehen. In Den Neunzigern als diese Ketten überall ihre Läden öffneten, wurden sämtliche Berliner Einkaufsmeilen so uniform, dass man sie nur noch am Strassennamen unterscheiden konnte.
Jetzt wohne ich in der Badischen Provonz im Schwarzwald und bin zumindest in meiner Kleinstadt (5800 Einwohner) von Ladenketten verschont geblieben. Bis auf wenige Ausnahmen, sind die Läden hier sehr gut geführt und bieten ein gutes Sortiment.
Man muss auch bedenken das die Warenvielfalt ganz egal um was es geht seit den Siebzigern extrem stark zugenommen hat.
Darin liegt das Hauptproblem aber gleichzeitig auch die Chance von keinen Läden.
Komplettanbieter kann man als kleiner Laden nicht werden. Sonst hätte ja Tante Emma auch überlebt. Aber man kann als Ladenbesitzer ein interessantes und nicht alltägliches Sortiment in die Regale legen dass die Kunden anzieht. Das war Früher schwerer als Heute.
Ich war noch nie bei McPaper und bin schon fast stolz drauf. :-D
Ich hab auch schon lange den Eindruck dass “Klein” von “Gross” gefressen wurde und “Gross” wird grad von “noch Grösser” gefressen.
Ich glaube aber langsam auch dass “noch Grösser” von “Klein” gefressen werden wird.
Alle die ich kenne haben diese Ketten satt die man in allen Städten mit überall gleichen und beliebig austauschbarem Sortiment wiederfindet. Einkaufen, selbst für aussergewöhnliche und nicht alltägliche Dinge ist zur Qual und Last geworden anstatt zum spannenden Erlebnis von “was werd ich Heute alles finden das ich noch nicht kenne". Das ist wie Spaghetti Bolognese an acht Tagen die Woche.
Kommentar von: Volker Bischoff [Besucher]
Beide Teile der Serie haben mir sehr gut gefallen Herr Scholz!
Mein Kommentar, gerade auch zu den anderen Kommentaren: Es ist ja klar das die Sympathien bei den kleinen Läden liegen. Dort wo Menschlichkeit vor Effizienz geht. Aber darin liegt auch das Problem: Die hypereffiziente Amazon-Welt ist unschlagbar billig, auch wenn sie uns auf lange Sicht vielleicht alle arbeitslos macht. Und die schönen, individuellen Läden machen am Ende kaum Umsatz, jedenfalls im Verhältnis zum gesamten Konsum.
Dazu gab es mal einen schönene ZEIT-Artikel, den ich leider gerade nicht mehr finden kann: Es ist eine Illusion, dass Liebhaber-Läden mit ganz tollen Weinen, ganz tollem Spielzeug, ganz tollen Gartenkräutern ein wirtschaftliches Modell sein könnten außer für eine verschwindend geringe Zahl von Menschen. Dort zu kaufen ist eine schöne Form der Freizeitbeschäftigung - das ist es was der Autor auch in seiner Unterscheidung Einkauf vs. Shopping beschreibt - aber es entsteht keine Alternative zu den Konzernen, ob on- oder offline.
Kommentar von: Tim Schreiber [Besucher]
Der Kunde hat die Wahl: Internet oder Handel vor Ort. Natürlich wird er für seine Wahl auch verantwortlich gemacht. Na klar, der Handel vor Ort wird benötigt, um Arbeits- und Ausbildungsplätze und einen Sponsor für städtische Broschüren und die Trikots der E-Jugend-Kicker zu haben. Wenn es das alles nicht mehr gibt, ist das schon doof. Aber die Verantwortung dafür dem Kunden aufzubürden, ist nur die halbe Wahrheit.
Beispiel Schuhgeschäft: Ich komme da rein, der Laden erinnert mich an einstmals Salamander aus den 70er Jahren. Zwar gibt es die Lurchie-Comics nicht, aber renoviert wurde seit der Zeit auch nicht mehr. Die Frage “Haben Sie den Schuh auch in Größe 42″ kontert eine verbissene, alte Schachtel mit “Wenn er da nicht steht, dann wohl nicht". Aha… Ich habe der Inhaberin geraten: Hier muss ein kleiner Tisch in, vielleicht ein Stuhl oder ein Sessel, eine Senseo-Kaffeemaschine und vor allem eine Sport- und eine Autozeitung. Die Herren wollen nicht mit den Einkaufstüten rumstehen und darauf warten, dass ihre Angebetete das zehnte Paar Schuhe anprobiert. Steht der Kaffee erst auf dem Tisch, ist der Zeitdruck raus. Dann kann man sogar mal freundlich sein: “Da schaue ich mal, ob ich das Paar noch in ihrer Größe habe oder ob ich es vielleicht nachbestellen kann.”
Ja, der Kunde trägt Verantwortung. Der Handel aber auch. Sowohl die Inhaber als auch die Bediensteten, jeder einzelne. Wer seinen Job genervt erledigt und seine Laune am Kunden ablässt, muss sich nicht wundern, wenn die Umsätze ausbleiben. Wer seinen Job liebt und mit Begeisterung bei der Sache ist, der ist auch von Amazon nicht zu ersetzen.
Kommentar von: Robert Schlegl [Besucher]
Es ist ja schon zu spät zum aufwachen, die ganzen Gluckscheißer, die “jetzt” erkennen wollen, warum ihr doch so geliebtes Teil im Leben verschwindet. Est fing es an in den kleinen Städten, Fußgängerzonen und nicht zu erreichnete Geschäfte, mangels abgeschafften Parkplätzen…bis hin zum kostenlosen Transport an die “grüne” Wiese….dafür hat man versucht die Innenstädte zu begrünen. Nun fällt einem plötzlich auf, es gibt fast nicht mehr zu kaufen, in der Stadt, außer Cafe und Pommes. Die werden wohl auch verschwinden und die wenigen Mieteinnahmen bleiben aus, es wird wohl ausschauen wie nach der grenzöffnung im Osten….es ist auch um jeden weiteren Satz zu schade…Tote wird man nicht mehr wecken…also macht euch keinen Kopf und schaut in die Zukunft. Die hat schon begonnen, die großen Fische fressen sich jetzt, nachdem die Kleinen gestorben sind…und da fehlt mir auch jedes Mitleid.
Kommentar von: Joh Alf Ziemer [Besucher]
Sehr geehreter Herr Scholz!
Mich würde interessieren ob Sie schon mal einen, so genannten Tante- Emma-Laden betrieben haben? Meine Frau betreibt einen!
Meiner Einschätzung nach kann kaum ein Klein-Betrieb noch auskömmlich wirtschaften. Fragen Sie mal .ua. die Mietbelastungen in Relation zu den Einnahmen ab. Erkundigen sie sich nach der oft selbstausbeuterischen Situation der Betreiber, Krankenkasse, Rente ; kurz: den Rahmenbedingungen unter ein denen ein Inhaber geführtes Geschäft arbeiten muss.
Und dann machen Sie sich bitte an die Beantwortung der Frage, die mit dem Zentralisierungprozessen zu sammen hängen. (Amazon und Konsorten, zahlen z.B. keine Steuern). und insbesondere nach deren Rahmenbedingungen, soweit welche vorhanden sind. ..Nach den Ursachen der schrumpfen der Mittelschicht, usw. Wo und wie ist da die Politik?
“Warum kann sich ein Handwerker machmal keinen Handwerker mehr leisten?! ” Stimmt dieser “Spuch” außer für mich auch für andere?
Es sollte mich mich schwer wundern, wenn sie nicht auch schnell über die systemischen Hintergründe stolperten.
Ich wäre gespannt wie die Reaktionen Ihrer Leser ausfallen würden.
Freundliche Grüße
ALF
P.S.
Ich fürchte Sie haben etwas zu kurz gedacht. Das Einkaufsverhalten reagiert auf die Gegebenheiten, und zunehmend(!) kann es auch nicht anders. Wertung ist da fehl am Platz, aber Veröffentlichungen könnten was bewegen.
Kommentar von: Matthias [Besucher]
Am Ende ist es eben auch eine Frage des Ergebnisses.
Letztes Wochenende redete ich mit Freunden das ich die Norwegen Karte besorge für unseren Urlaub.
Mittwoch war ich in der Buchhandlung weil ich den lokalen Handel unterstützen wollte.
Norwegen Karte hatten Sie keine da, in keinem der 2 Buchhandlungen.
Bestellen hätten sie zwar können aber das hätte wieder bedeutet jeweils 15km hinzu fahren, Parkticket zu lösen etc.
Dazu konnten sie mir nicht sagen wie die Karten nun sind, und mehrere Karten zur Ansicht bestellen wollten Sie auch nicht.
Hätte ich die Karte gleich bei Amazon bestellt, hätte ich sie inzwischen,
Kommentar von: Hartmut Bies [Besucher]
Wir sind uns schon einmal begenet, Jens Scholz irgendwo in Nordbaden…! Wenn dem nicht so ist, lass es mich wissen…! Man könnte über Brötchen und das Universum schreiben, aus der Sicht eines Bäckers, aus der Sicht eines Brotes nur produktiv und erst recht nicht sehr Geistreich ist so etwas nicht!LG
Kommentar von: Claudia [Besucher]
Der Kommentar von Karludwig hat mich dran erinnert: Mir ist letztes Jahr auf der Suche nach einem Rosmarinstämmchen fast das gleiche passiert. Online gesucht, bei Amazon fündig geworden, der Versender saß jedoch keine 5 km von mir entfernt im nächsten Ort. Da hab ich natürlich den Kräutergarten vorgezogen und mir meinen Rosmarin selber ausgesucht. Günstiger war’s obendrein, weil Versandkosten gespart.
Ansonsten kaufe ich, nach meiner persönlichen online-Einkaufshochzeit vor ein paar Jahren, insgesamt wieder lieber offline. Ich komme gern mit Leuten ins Gespräch, ich sehe und fühle und probiere gern, was ich zu kaufen gedenke. Online kaufen und dann unzufrieden sein und zurückschicken ist nichts für mich.
Kommentar von: Helena [Besucher]
Ich brauch beides. Online und stationär. Klamottenshoppen im Internet finde ich einfach nur meganervig. Würde ich im Leben nicht machen, Lebensmittel sowieso nicht. Erst recht keine Bücher. Wer das in Zeiten der Buchpreisbindung macht, wenn er nicht am Ende der Welt wohnt, dem ist nicht zu helfen. Aber es gibt einfach Dinge, deren Handel sich stationär nicht flächendeckend lohnt. Stichwort LARP, Reenactment, Cosplay. Wer da unterwegs ist, kommt ohne Onlinehandel nicht sehr weit. Wenn ich alle Stoffe und anderen Materialien stationär kaufen wollte, wär ich pausenlos im Auto unterwegs. Allerdings gibt es sowas in der Regel auch nicht bei Amazon sondern bei kleineren Anbietern.
Flohmärkte: liebe ich heiß und innig, kann mir Ebay niemals ersetzen.
Stichwort Sklavenarbeit. Die Logistikbranche ist eine der besch… überhaupt. Flächendeckend. Amazon gehört da noch zu den Guten der Branche mit knapp über Mindestlohn, geregelten Arbeitszeiten und Betriebsrat. Das wirkliche Problem sind die Speditionen, die das Zeug dann breitfahren. Was da abgeht, wünscht sich niemand wirklich.
Kommentar von: Frank Kirchner [Besucher]
Das kannibalisieren findet auf allen Kanälen statt, das ist ein Teil der Entwicklung der Menschheit, dem Streben nach mehr. Wir als Verbraucher können selbst die Entscheidung treffen, wo wir wie und wieviel Geld für Dinge oder Dientleistungen ausgeben. Die beiden Artikel habe ich mit Freude gelesen und ich finde, dass keine so extrem negative Darstellung von amazon stattfindet. Erst kürzlich ging ein Aufschrei durch unsere Branche: “amazon macht einen eigenen Friseurgrosshandelshop auf.” Wie doof für den Friseurgrosshandel, der doch schon mindestens ein Jahrzehnt lang selbst Shops eingerichtet hat, um Friseurartikel an die Endverbraucher oder an die Heimfriseurin zu verkaufen, natürlich gestützt von der Industrie. Irgendwann haben dann größere Friseursalons ihre eigenen Internetshops aufgemacht und ihre Verkäufe durch Preisdumping angekurbelt, teilweise tauchten sogar Markenartikel in grossen Mengen zu billigsten Preisen auf Flohmärkten auf. Dennoch gibt es auch bei uns im Salon den Kunden, der zu schätzen weiss, dass Beratung auch ihren Wert hat, dass bei uns auch mal Leerlaufzeiten bezahlt werden müssen, die Heizung läuft und das Licht brennt. Wir gehören nicht zu den billigsten, aber wir versorgen unsere Kundschaft mit den nach unserem Empfinden besten Produkten, nicht mit Shampoos für 10,- € aus dem 10l-Kanister, sondern mit Produkten die auf die Haarqualität abgestimmt sind und dann selbst für uns mal gerade 30,- € der Liter kosten. Ist teuer, aber unsere Kunden danken es uns und kommen gerne. Und diese Entscheidung treffen Sie, wie auch ich meine Kaufentscheidungen treffe, ganz bewusst.
Kommentar von: Dinah [Besucher]
Ich musste etwas schmunzeln, als ich Neustadt an der Weinstraße gelesen habe, da dies meine Heimatstadt ist und für mich ein Beispiel kontinuierlichen demographischen Verfalls, bei dem sich wunderbar ein Beispiel umgekehrter Gentrifizierung beobachten lässt (die wenigen Besserverdiener und Winzer residieren auf den Vorstadthügeln und die Innenstadt wird immer ärmer und günstiger, entsprechendes Publikum inklusive), aber wenn man als Tourist dort ist, merkt man es dank der hübschen Fassaden nicht.
Aber! Dann dachte ich kurz darüber nach, was du über die Verdrängung durch Warenhausketten geschrieben hast und stellte fest, da steckt sehr viel Wahrheit drin. Die Neustadter FuZo wurde Jahrzehnte lang dominiert von Karstadt. Dadurch war der obere Teil der FuZo nahezu tot und kaum eine Neueröffnung hat sich gehalten. Dann ging Karstadt pleite und alle fingen an zu jammern, wo man denn jetzt in der Stadt nun einkaufen solle.
Aber oh Wunder! Fast ein Jahrzehnt später hat Neustadt nicht nur eine FuZo, sondern auch noch ein Netz von kleineren Einkaufsstraßen, das sich durch den ganzen Ortskern zieht. Tatsächlich werden alle Abteilungen des Kaufhauses inzwischen durch florierende kleine Einzelhandelsgeschäfte und kleinere lokale Modeketten wie Jakob ersetzt. Dazu kommt, dass die Stadt ausnahmsweise frühzeitig Potential erkannte und die Fußgängerzone(n!) umfangreich aufhübschen ließ, so dass ein gemütlicher Stadtbummel sogar wieder Spaß macht. Einkauf + Erlebnis scheint also immernoch attraktiv zu sein.
Zudem: viele Käufer haben die Nase voll von Ketten und den immer gleich aufgebauten Malls. Ich z.B. kaufe nur deshalb bequem online ein, weil ich weiß, dass ich in den 1000+1 Shoppingmalls von Berlin garnicht schauen muß, weil sowieso alle das gleiche haben. Dagegen sind es vor allem die kleinen neu eröffneten “Traditionsgeschäfte", die niedergelassenen Jungdesigner in F-Hain oder andere Kuriositäten, die mich weg vom PC in die Stadt locken.
Am Ende siegt deshalb glaube ich immernoch ein gutes Konzept und Sortiment - egal ob im Internet oder in der Stadt, oder in beiden Bereichen orientiert.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
@Dinah: Wenn Du den Vortagsartikel gesehen hast, wirst Du den verlassenen Hertie gesehen haben - den hab ich in Neustadt fotografiert, eben an dem Tag, an dem mir auffiel, dass die Innenstadt schön hergerichtet ist und an den Rändern diese etwas ranzigen Mall-Ruinen stehen. Ich kann natürlich nichts über die Entwicklung sagen, ob die positiv oder negativ ist und ob bzw wie hier ein Plan dahintersteht oder nicht. Mir fiel aber die große Anzahl zentral in der Altstadt befindlichen kleinen, individuellen Läden auf und das gefiel mir sehr gut.
Kommentar von: Andreas [Besucher]
Schön auf den Punkt gemacht und seit Jahren mein Reden. Die jetzigen Riesen werde vom Internethandel deshalb gefressen, weil sie überflüssig sind. Sie bieten mir in der Regel keine Leistung die ich brauche. Sie haben sich dadurch überflüssig gemacht, dass oft unwissende Verkäufer mir nicht beratend zur Seite standen und ich somit auch gleich im Internet einkaufen konnten. So wird das Internet nicht meinen Schuh- und Bekleidungsverkäufer nicht ersetzen. Ich habe dort “meine” Geschäfte die ich aufsuche. Dort sind Verkäufer, die wissen was ich mag, sehen, ob ein Produkt zu mir passen könnte und mir unaufgefordert Alternativen oder auch ganz neue Möglichkeiten vorschlagen. Bei den Schuhen muss ich nicht stundenlang suchen. Welche Passform für mich in Frage kommt? Er hat es im Kopf. Ich habe Spaß beim Einkaufen (obwohl ich es hasse….). Ich kaufe meinen Kaffe in einer kleinen Rösterei (weil ich den Inhalber schätze und der Kaffee schmeckt). Mein Auto kommt in eine kleine Werkstatt (und ich kaufe die Ersatzeile nicht billiger im Internet) da der Meister sich gerade macht, wenn etwas nicht läuft. Und damit sind wir genau bei dem Punkt, wo das Internet vom Handel her angreifbar ist: Der kleine Händler / Handwerker etc. muss im Netz sichtbar sein. Er muss seine persönliche Leistung einbringen und sich somit von der anonymen Masse der Großen absetzen und er muss seinen Kunden kennen. Damit wird er die Erbsenzähler nicht gewinnen können, aber von denen könnte er sowieso nicht leben. Das kann er getrost den Internetriesen überlassen.
Leider mangelt es vielen lokalen Händlern an Kompetenzen, um sich heutzutage noch ansatzweise sichtbar zu halten. Karludwig kommentierte hier “Also hab ich vorher auf der Internetseite der Gärtnerei nachgeschaut. Das kann ich zu Hause machen. Weil die Seite informativ war, bin ich hin und hab meine Kräuter fast alle bekommen.” und Christoph Brem kommentiert richtig “Trotzdem muss der lokale Einzelhandel mit der Zeit gehen und sich digitalisieren.“
Genau da mache ich tägliche schlechte Erfahrungen als lokales Geschäftsverzeichnis meines Kiezportals KIEZEKATZE in Berlin Reinickendorf. Da haben Leute sogar (nach langer Überlegung)einen Eintrag incl Anzeigenflatrate Werbe Beiträgen gekauft und nutzen das dann nicht! Die könnten mit einem Artikel auf unserer Kiezplattform Tausende Nachbarn sogar per Push Mitteilung in der App erreichen und machen das nicht (obwohl es schon bezahlt ist!).
Warum die das nicht machen? Weil sie es nicht können. Die können nicht formulieren und jede kleine Hürde zur Online Präsenz ist denen zu hoch. Da helfen auch keine Webbaukästen oder Google Angebote.
Was die lokalen Geschäfte benötigen ist, dass sie sich zusammentun und gemeinsam Marketing- und Onlinekompetenzen einkaufen oder sich besser austauschen. Noch besser wäre jemand, der jeden einzelnen Friseur, Bäcker, Schuster, Blumenhändler an die Hand nimmt und ihn zu seinem Glück zwingt.
Ich habe kürzlich eine Website für einen Blumenladen hier ums Eck gebaut. Davor habe ich recherchiert, was andere Blumenläden in Berlin so für Webseiten haben. Ergebnis: Grauenhaft! Natürlich hat der Blumenladen jetzt im mobile View einen Whatsapp Kontakt Button. Aber die anderen…?
Als wir in unserer Nachbarschaft einen Unternehmerstammtisch zum Zwecke des Kompetenzaustauschs gegründet hatten, meinten doch die meisten gleich: “Ja, aber ein zweiter Blumenhändler kommt mir hier nicht an den Tisch". Ey Leute, die sind doch nicht Euer Problem! Sondern die wirklich großen, egal ob online oder offline.
So, das lag mir schon länger auf der Seele…
Kommentar von: Kloppi64 [Besucher]
Super Artikel. Anfang der 90er waren wir öfter in Amerika. Dort fiel, bei kleineren Städten folgendes auf: Stadteinwärts: Einkaufszentrum-Autohändler-Hotel; Stadtauswärts: das Selbe nur umgekehrt. Ich sagte noch: “Hoffentlich machen die das im Osten nicht genauso…” Ich lebe nun seit dieser Zeit im Nordosten und leider, ja, es geschah genau so. Nirgendwo gibt es mehr Verkaufsfläche pro Einwohner als hier. Die Center der Otto-Gruppe sind chick und stehen mitten im Zentrum. Darum herum noch ein C&A und ein H&M und dann: Nichts mehr. Den Kaffee´s in der Fußgängerzone wurden jetzt auch noch die letzten 2m Tischfläche um das Gebäude genommen. Ach ja, und parken kann man dort auch nicht mehr. Nur noch Anwohner. Also auf zum Center auf die Wiese. Was interessiert mich die Innenstadt. Dabei gingen wir ursprünglich dort gerne einkaufen und bummeln. Jetzt nur noch Eigentumswohnungen oder Häuser, die vor allem eines brauchen: Viel Ruhe! Schade.
Kommentar von: Marko [Besucher]
@Dietmar:
Genau mein reden! Ich habe echt kein Problem, beim lokalen Händler ein paar Euro mehr zu zahlen, wenn ich denn weiß, dass er das Produkt vor Ort hat. Das könnte ich ja auf seiner Webseite nachschauen. Wenn er denn eine hätte.
Aber was heute eben nicht mehr geht: Das der Kunde alle fünf Nachbarkäffer abfahren muss um jedes mal bei jedem Händler zu erfahren “haben wir nicht, kommt vielleicht in zwei Wochen, vielleicht dauerts aber auch länger".
Und was das Gejammere wegen Amazon angeht, gibt es ein schönes Bonmot von Jeff Bezos: “Die Konkurenz überlegt morgens unter der Dusche, was sie gegen Amazon unternehmen könnte. Ich überlege mir unter der Dusche, was ich für meine Kunden tun könnte".
Und ich frage mich immer wieder, warum Otto, Quelle, Wenz, Neckermann und wie sie alle heissen und hiessen, heute nicht in Europa (oder wenigstens Deutschland) ansatzweise eine Konkurenz sind.
Kommentar von: Marco [Besucher]
Wenn mir der eine Schuhladen zu doof ist, kann ich in den anderen gehen. Wenn es vor Ort nicht geht, dann online. Zu unterstützen, dass das alles monopolisiert wird, halt ich für keine gute Idee.
Muss ich wirklich wegen einem Artikel loslegen, brauche ich den wirklich sofort, kann ich es nicht mit was Sinnvollem verbinden? Was Amazon an Gutem macht, macht es auf dem Rücken anderer, bis hin zu den Steuertricks, die unserer Infrarstruktur schaden. Ein Händler vor Ort kann unmöglich auch nur annähernd so schlimm sein.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass der Amazon-Chef (inzwischen der reichste Mann der Welt) sich die vielleicht traditionsreichste, politisch wichtigste Zeitung der USA gekauft hat, die Washington Post? Auf allen Amazon-Lesegeräten ist sie nun vorinstalliert.
Mich erinnert das schwer an Berlusconi, nur größer, ist halt Amerika. So wie Trumps Karriere. Und der hat Amazon gerade für sein vernichtendes Handeln kritisiert. Fand noch nicht viele Aktionen von ihm gut, aber hier hat er getroffen.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
@Marco: Ist mir viel zu viel Simplifizierung und Generalisierung. Dafür dass Du das alles so kritisch siehst hast Du das mit der einfachen schwarz-weiß Sicht der Medien selbst ganz gut drauf.
Kommentar von: Marco [Besucher]
Die Kritik an meinem Kommentar versteh ich nicht, Jens Scholz, sie ist ja selbst simpel und generell. Amazon ist groß geworden mit Büchern, die es überall zum gleichen Preis gibt. Wir sind schuld, dass wir für dasselbe Geld viel kaputt gemacht haben an Arbeitsplätzen, Innenstädten und Steuereinnahmen.
Viel zu oft geht es um Bequemlichkeit und um Widersprüchlichkeit. Jeder will mitmachen und keiner will schuld sein. Und alles wird immer einseitiger. Google, Whatsapp, Amazon, Facebook, Youtube. Mehr fällt den Leuten nicht mehr ein, und das soll fortschrittlich sein.
Und immer sind es dieselben paar Firmen, die dahinter stecken, alle weit weg, alle Steuertrickser erster Güte, alle Daten- (und damit Menschen-) Rechte-Verachter vom Dienst. DVDs? Amazon. Streaming? Amazon. Clouds? Amazons größte Einnahmequelle.
Ich bin Online-affin. Ich liebe Bücher und Filme. Ich habe immer mehr als genug davon bekommen, auch heute noch, Bestellungen gab es in der Buchhandlung in der Regel rucki-zucki.
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Spitze! Eine tolle Weiterung des letzten Artikels.
Zu erwähnen wäre noch, dass nach dem Niedergang der kommerzialisierten “Fußgängerzone” in den 90gern die “Shopping-Mall” startete - und derzeit ebenfalls an Grenzen stößt. Die lukrative Verbindung aus kommerz-orientiertem Großneubau und der Abschaffung des “öffentlichen Raums", der auch noch den letzten Geschäften, die nicht “einziehen” wollen den Garaus macht, hat ein Wachstum hingelegt, das nun mangels Käuferwachstum in Teilen wieder mit Leerstand und Verödung kämpft. (In Berlin gibt es 67 Einkaufszentren und es sollen sogar noch mehr werden).
Was du zu den kleinen Geschäften sagst: Ich denke, das ist auch eine Lebensart! Es gibt jedenfalls Menschen, die gerne einen kleinen Laden eigenständig betreiben und kreativ entwickeln - und wenn es die Mietpreise zulassen, wird es sie immer geben. Inhaltlich denken sie sich halt etwas Neues aus, wenn ihr aktuelles Geschäftsmodell wegbricht, warum auch immer.