Klar gibt es Cancel Culture...
Zig Medien berichten derzeit unisono und mit massiven Reichweiten über die "cancel culture", also den - durchaus gerne wütenden - Widerspruch gegen diskriminierende Thesen und die Forderung nach Konsequenzen gegen Menschen mit Macht und Privilegien, die ihren Status dazu nutzen, besagte Thesen auch sehr laut hörbar und sehr weit sichtbar zu machen.
Eigentlich ist es einfach zu erklären, wie die Idee entstehen kann, es gäbe eine "cancel culture" gegen Menschen, die mehr Geld, Einfluss und Reichweite haben als ihre Kritiker*innen je haben werden, und zwar - wieder mal wie so oft bei Konservativen - mit einer simplen Projektion.
Minderheiten sind seit jeher leise gehalten worden, ignoriert worden und kamen in Kultur, Medien und in öffentlichen Diskursen kaum oder gar nicht vor. Also genau das, was als "cancel culture" bezeichnet wird. Wenn nun genau diejenigen, die über die Reichweite verfügen, sie bereitstellen (oder verweigern) und nutzen können, plötzlich selbst über "cancel culture" klagen sehe ich das so, dass sie eigentlich sehr gut wissen - oder ahnen -, dass es ihnen in diesem System ganz gut geht, das allerdings auf Kosten anderer passiert, und daran plötzlich permanent erinnert zu werden ist natürlich unangenehm.
Da diese Menschen aber auch die Instrumente und Mechanismen kennen, mit denen Minderheiten aus Medien und Reichweite gehalten werden, erkennen sie die natürlich auch wieder, wenn sie plötzlich mal auf der Empfängerseite stehen - zB wenn öffentliche Empörung plötzlich einen hörbaren und spürbaren Druck erzeugt. Den spüren sie freilich auch sofort und richtig gut, denn der ist ja neu und ungewohnt. Das einzige, was sie nicht reflektieren, ist ihre privilegierte Position gegenüber der diskriminierten Position ihrer Kritiker*innen (selbst wenn letztere ausnahmsweise mal etwas besser sichtbar sind - das passiert aber nicht durch das System, sondern trotz des Systems).
Und sie bekommen nun Angst, dass ihnen das passieren könnte, was anderen seit jeher passiert (Spoiler: kann es ja nicht, ihre privilegierte Position hat sich ja nicht geändert, aber es ist ja was neues und das amplifiziert die Ängste natürlich). So sehen sie sich plötzlich als Opfer einer Meinungsmacht und fühlen sich in der Minderheit. Weil jemand mit ihnen Dinge tut, die eigentlich sie anderen antun.
Daher ist das diese typisch konservative Projektion: Sie hinterfragen gar nicht das System, sondern sie gehen davon aus, dass ihre Kritiker*innen genauso sind wie sie selbst. Der Vorwurf einer "cancel culture" verrät daher ungewollt, dass es diese auch wirklich gibt. Allerdings wird sie seit jeher von denen betrieben, die sich nun lautstark über sie beschweren. Sie wollen sie nämlich eigentlich gar nicht abschaffen, sie wollen nur weiter alleine diejenigen sein, die sie nutzen.
Die Antwort auf Projektionen dieser Art ist übrigens relativ einfach:
The signatories should swallow their own medicine. If, as the letter itself suggests, the way to defeat bad ideas is "by exposure, argument, and persuasion, not by trying to silence or wish them away," let the people expose, argue and persuade — rather than silencing them, or wishing them away.
1 Kommentar
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Verdammt gute Argumentation! Schön auf den Punkt gebracht. Danke dafür!