Warum man manchmal nicht "kompromissbereit" sein kann
Eines der weit verbreitetsten Kommunikationsprobleme derzeit ist, dass Menschen zwar sagen, sie möchten einen Kompromiss, dann aber eine unverrückbare Position einnehmen, was ihre eigenen Anforderungen angeht. Das heißt: Alle anderen sollen sich bewegen und ihnen entgegenkommen, denn der gemeinsame "Middle Ground" ist für diese Menschen dort, wo sie selbst stehen und sich nicht bewegen.
Das liegt daran, dass wir für Kompromisse Rahmenbedingungen festlegen müssen. Was eigentlich auch erst mal gut ist, denn natürlich sind nicht alle Anforderungen verhandelbar. Aber diese nicht verhandelbaren Eckpunkte für eine Entscheidung müssen die sein, die entweder für alle als unverhandelbar gelten und nicht nur für eine Partei oder es sind die Minimalanforderungen einer Partei. Und genau hier passiert es eben, dass jemand versucht, seine Maximalanforderung einzukippen.
Was ich in Workshops tue, um eine solche Situation zu klären ist, alle "Muss"-Kriterien aufzuschreiben und dann alle Teilnehmenden ankreuzen zu lassen, welche für sie ebenfalls "Muss"-Kriterien sind. Daraus ergibt sich meist eine Liste, in der es vielleicht ein 100%iges "Muss" gibt und noch ein oder zwei mit einer hohen Mehrheit. Dann hängen wir die untereinander und überlegen, wo die Linie ist (nur die 100%? bis zu 60%? Oder nehmen wir alles?), die bestimmt, was auf jeden Fall beachtet werden muss.
An dieser Stelle kommt es natürlich vor, dass auch mal eine Person ihren einen Punkt unbedingt durchsetzen will, obwohl alle anderen sagen, dass er kein "muss" ist. Das ist dann der Moment, an der ich erkläre, dass nur, weil etwas nicht in den kritischen Anforderungen steht, es nicht automatisch gar nicht beachtet wird. Die Anforderung ist ja da und es gibt mindestens eine Person, die diese Anforderung stellt. Also werden wir auch alles dafür tun, dass sie beachtet wird. Nur wenn eine "muss"-Anforderung nicht umsetzbar ist, weil diese Anforderung das gesamte Projekt verhindert, fällt sie raus und selbst dann ist es nicht so, dass sie für immer draußen bleibt, denn wir können Dinge ja immer verändern und es kann später eine Möglichkeit geben, diese Anforderung noch zu integrieren. Oder uns fällt eine Möglichkeit ein, noch etwas anderes zu tun, das dabei hilft, das was fehlt über eine andere Maßnahme abzufangen. Das ist in einem professionellen Umfeld alles möglich, braucht aber viel Arbeit, viel Aufmerksamkeit und ein grundsätzliches Vertrauen untereinander.
In typischen Online-Diskussionen hat man das alles aber nicht. Im Gegenteil: Wird über Themen diskutiert, bei denen sich Anforderungen gegenseitig störend auswirken, dominiert Misstrauen und Unverständnis für die Position des Gegenübers. Und das führt dazu, dass man sich direkt als Minderheit und Einzelkämpfer*in gegenüber einer Oppositionsmehrheit betrachtet. Lustigerweise tut das aber jede einzelne Person. Und jede Person versucht daher, ausschließlich ihre Position zu verteidigen und stellt Maximalanforderungen selbst dann, wenn sie glaubt, es sei keine. Sind sie aber fast automatisch, denn in der Verteidigung fragt man nicht "was brauchen _wir_" (auch wenn natürlich "wir" gesagt wird), sondern "was brauche _ich_" und schlimmer: Jede andere Person, die meine Anforderung nicht genauso wichtig nimmt wie ich, scheint das aus böser Absicht zu tun und will auf keinen Fall, dass sie erfüllt wird (dabei teilt sie sie nur nicht - was nicht heißt, dass er sie nicht erfüllen kann). Also kämpfe ich nun gegen die Anforderungen der anderen. Womit ich genau das tue, was ich den anderen unterstelle. In dieser Situation ist es nicht möglich, eine Lösung zu finden und am Ende ist keine Anforderung erfüllt.
Wer es unglücklicherweise da am Einfachsten hat sind die, die den Status Quo nicht verändern wollen. Die brauchen nur genug Konkurrenzkampf und die eben beschriebene vergiftete Debatten-Situation unter allen erzeugen, die etwas ändern wollen. Und dann ändert sich gar nichts.
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