Es gibt nicht mehr Narzissten unter Reichen sondern wir leben in einem System, das narzisstisch macht
Man fragt sich ja oft, wie ein bestimmter Menschenschlag es schafft, mit der erstaunlich egoistischen Weltsicht durch die Welt zu gehen, dass Regeln für sie nicht gelten, sondern nur für alle anderen.
Tatsächlich gibt es dafür aber eine Erklärung, wenn wir uns anschauen, wodurch sich narzisstisches Verhalten auszeichnet:
"(...) Es dominiert eine typische Anspruchshaltung, gepaart mit einem oft eklatanten Mangel an Mitgefühl, rascher Kränkbarkeit und Neigung zu Schuldzuweisungen. Darüber hinaus besteht eine Tendenz zu bedrohlichem und aggressivem Verhalten und einem erhöhten Delinquenzrisiko." (Delinquenzrisiko = Neigung zu Straftaten).
Wichtig ist, dass ich absolut nicht der Meinung bin, diese Menschen seien alle Narzissten. Aber ihre Verhaltensweisen erscheinen klar narzisstisch und daher würde ich vermuten, dass es systemisch Voraussetzungen & Prozesse gibt, die uns Menschen anfällig dafür macht, narzisstische Denkmuster und Verhaltensweisen zu entwickeln.
Eine davon wird in der Argumentation der Titelperson auch offenbar: Falschparken sei ja erlaubt. Das heißt: Man kann sich daran gewöhnen, dass etwas, das verboten ist, als erlaubt wahrgenommen wird, wenn es nicht geahndet wird. Wenn dann plötzlich doch durchgegriffen wird, ist man empört: Denn die Wahrnehmung ist nicht "Es ist verboten, aber bisher hatte ich Glück und ab jetzt muss ich mich eben an die Regeln halten." sondern "Die Regel wurde für mich aufgehoben, also ist es ungerecht und willkürlich, sie mir jetzt wieder aufzuerlegen".
Beim Falschparken ist das noch etwas amüsant, aber wir sehen derzeit an vielen Stellen wo es scheinbar eine gesellschaftliche Gruppe gibt, die ein sehr eingeschränktes Unrechtsbewusstsein hat und da ist es gar nicht mehr lustig: Wenn es um Steuerhinterziehung, Spekulationsbetrug, Korruption, aber auch um Vergewaltigung, Missbrauch und Nötigung geht, fallen uns diese Menschen immer wieder auf.
Was allen gemeinsam ist: sie sind wohlhabend, erfolgreich und haben eine gewisse Macht. Also eine Position, in der sie sehr gut abgesichert sind sich sehr einfach vom Rest der Gesellschaft abkoppeln und fernhalten können. Solche Leute haben also viel weniger Berührungspunkte mit dem System und seinen Regeln als Menschen, die Bezüge erhalten oder unter höherer Beobachtung durch Ämter und ahnlichen Apparaten - zb Krankenkassen - stehen (Migrant*innen, Frauen, Behinderte).
Und sie beginnen irgendwann, Regeln als externe Mechanismen zu betrachten, die für all die anderen Menschen, mit denen sie ebenso nichts zu tun haben, zuständig sind. Wenn daher plötzlich Regeln auf sie angewendet werden, die in ihrer Welt für eine andere Klasse Menschen gilt als ihre, reagieren sie empört, selbst wenn es nur um 50 Euro geht: Es geht aber nicht um das Geld, sondern um die Kränkung, dass man behandelt wird wie eine Schicht, zu der man nicht gehört.
Und das ist etwas, was ein System befördern oder verhindern kann. Zum Beispiel, indem man Menschen nicht zeigt, dass dem einem sofort 40 Euro von seinem Hartz4 gestrichen wird, wenn er seinem Kind ein 9-Euro Ticket kauft und gleichzeitig dem SUV-Fahrer, der auf dem Radweg parkt, die 50 Euro nicht abgenommen werden, die dem System eigentlich zustehen. Denn wenn Regeln vor allem für die Schwachen gelten, dann glauben die Starken nicht nur fälschlicherweise, dass sie über dem Gesetz stehen sondern es ist tatsächlich so der Fall. Und so entstehen dann die narzisstischen Verhaltensmuster, denn das System bildet eine narzisstische Welt ab. Und wir alle müssen höllisch aufpassen: Wenn wir selbst mal irgendwie reich und wohlhabend werden sollten ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir uns schneller in den oben gezeigten Herrn verwandeln werden, als wir glauben.
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