Treutlers Desaster (das trotzdem ein Sieg der Faschisten war)
Ich unterstütze das derzeit sich etablierende Narrativ, dass die AfD in Thüringen mal gezeigt hat, was passiert, wenn Demokratiegegner die Demokratie im Geist von Göbbels "...wie der Wolf, der in die Schafsherde einbricht"-Rede zerstören.
Allerdings: passiert ist eigentlich was leicht anderes. Ich hab mir das jetzt mal genau angesehen und teilweise auch mal ohne Ton, um zu sehen, ob Treutlers Kommunikationsverhalten sich mit dem Narrativ deckt, Und das tut es zu keinem Zeitpunkt, denn für eine bewusste, geplante Blockade wäre seine gesamte Körperhaltung, sein spontanes Verhalten, seine Wortwahl und "Argumentation", diametral anders als das, was wir gesehen haben.
Was wir in Wirklichkeit sehen, ist ein Mensch, der in eine Funktion gesetzt wurde, für die er absolut keine Kompetenz hat. Er ist ein Aufschneider der behauptet, er spiele besser Klavier als alle anderen ohne je ein Klavier angefasst zu haben und dann in einem vollen Konzerthaus vor ein Klavier gesetzt wird und von dem dann erwartet wird, ein Bachkonzert zu spielen. Und seinen "Auftritt" beginnt er auch noch in einer klar sichtbaren Haltung voller Stolz und Selbstüberzeugung. Und dann stellt sich raus: Zum Bach spielen muss man die Regeln kennen, die Technik gelernt haben, die Situation vor dem Publikum beherrschen und jede Menge Fertigkeiten besitzen von denen er weder wusste, dass es sie gibt und dass man sie braucht, die er nicht hat.
Denn man kann ab dann dabei zusehen, wie schnell seine Souveränität und damit sein eigentlicher Plan zerbröselte, eine Filibuster-Situation herzustellen indem er eine nicht endende AfD-Rede hält um dadurch die Konstituierung zu verzögern. Stattdessen begann er quasi ab Minute 5 zu schwimmen und sein Leben wird zu einem sehr langen "Ich muss das Abi noch mal machen, aber ich habe keine Ahnung vom Stoff, die Lehrer lachen mich aus und ich verstehe die Regeln gar nicht."-Albtraum, der nach und nach auf seine Konstitution geht: Seine Hände zittern, er schlägt verbal um sich, er macht ständig Unterbrechungen, um sich irgendwie wieder in den Griff zu bekommen, was nicht klappt bis er irgendwann sogar aufs Klo flüchten muss. Er versucht immer wieder, an den Anfang seines Plans (seine Rede halten) zurückzufinden, den er sich ja so gut zurechtgelegt hat.
Was wir sehen ist jemand, der völlig überfordert mit einer Situation ist, von der er glaubte, sie zu beherrschen. Er hat aber keine Ahnung von den Prozessen, von den Abläufen, von den Anforderungen und von den Skills, die er eigentlich mitbringen hätte müssen, um den Job zu machen, für den er sich gemeldet hat und von dem er glaubte, er können ihn besser als jede*r andere. Die Panikticks und unbewussten Kämpfe gegen Flight-Attempts und Abwehrgestiken, das verzweifelt autoritär klingen sollende Herumeiern und sich berufen auf Status (etwas was man tut, wenn man seine Autorität verloren hat), das Flattern in der Stimme und so viele andere Zeichen von Verunsicherung und Überforderung steigern sich die gesamte Zeit.
Das heißt: Ja, natürlich wollte er und wollte die AfD (es ist ja anzunehmen, die haben sich das so überlegt) hier eine Machtdemonstration abliefern und trotz allen Dilettantismus hat das zumindest im Ergebnis auch geklappt. Aber sie hat auch zwei andere Dinge gezeigt, nämlich
1. eine Demonstration dessen, was passiert, wenn Menschen, die sich in einer Parallelwahrnehmung befinden, in der sie die Souveränen und alle anderen dumme Schafe sind, in der echten Welt bewähren müssen. Plötzlich müssen sie in einer Welt funktionieren und agieren, in der nicht nur ihre Vorstellung valide und vorhanden ist, Dinge, Abläufe, Menschen, Interaktionen anders funktionieren und nicht Genehmes nicht einfach ignoriert werden kann.
2. dass sie tatsächlich demokratiefeindlich sind, da sie keinerlei Ahnung, kein Interesse, ja nicht mal ein Bewusstsein von demokratischen Abläufen haben. Er war völlig unfähig, seine Rolle als Alterspräsident zu erfüllen, für die Neutralität und die Bereitschaft zur Kompromissfindung und Moderation nötig ist. Ich glaube nicht, dass er bewusst darauf verzichtet hat, sondern dass er keine Ahnung hat, dass es das überhaupt gibt und dass das eine Notwendigkeit für demokratische Entscheidungen ist. Denn er/die AfD will keine demokratischen Entscheidungen sondern autoritäre - dafür ist Kompromissfähigkeit ja unnötig.
Insofern war das ein Glimpse of Truth in vielerlei Hinsicht und man sollte sich das gut ansehen, wenn man herausfinden will, wie die ticken. Denn eins ist klar: Dietrich Bonhoeffer hatte Recht, als er schrieb, der größte Feind der Demokratie ist die Dummheit. Denn so dumm sich Treutler auch anstellte, der Wille zur Zerstörung trieb ihn dennoch voran. Und das ist durchaus erschreckend, denn Dumme gibt es ja leider genug.
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