Vom Fluchen
Ich hab vor 20 Jahren mal einen kurzen Workshop mit dem lustigen Titel "Fluchen, aber richtig" entwickelt und seitdem auch öfter mal bei Gelegenheit wiederholt. Es geht darin darum, wie Flüche "funktionieren" (verkleidet in einer etwas launigen Hands-On Anleitung - eigentlich gings darum, nicht auf Gaslighting reinzufallen).
In aller Kürze zusammengefasst ist ein Fluch eine Methode, einen anderen Menschen dazu zu bringen, Spielregeln, die ich aufstelle, zu übernehmen und nach ihnen zu handeln - zu seinem Nachteil, denn das Spiel ist, dass er ja "verflucht ist" - und er selbst dadurch unweigerlich die im Fluch festgelegten Konsequenzen eintreten lässt.
Damit das passiert, gibt es "Hooks":
Ein Fluch hat eine Begründung, meistens ein Vergehen und damit eine Schuld. Ein Schuldgefühl ist etwas, was ein Mensch nicht abstellen kann - noch dazu wenn er das Vergehen wieder oder weiterhin begeht -, dh er wird sich immer wenn ihm die Schuld bewusst wird, auch den Fluch bewusst machen, wenn ich ihn hier platziere. Und ein Fluch funktioniert besser, wenn er gegenständlich sichtbar gemacht wird. Daher gibt es so viele Fluch-Artefakte oder Symbole oder er wird mit einer Verletzung "aufgetragen". Es gibt noch mehr, aber ich wills erst mal dabei belassen.
Das wichtigste ist nämlich - was ja auch aus dem vorher gesagten hervorgeht -, dass der "Verfluchte" erstens weiß, dass er verflucht ist. Sonst könnte er ja nicht die Spielregeln verfolgen. Und zweitens, dass er den Fluch akzeptiert. Ihn nicht zu akzeptieren ist aber enorm schwierig, denn die Hooks sind ja nicht rational verankert sondern in seiner Schuld und in einer Symbolik - möglichst in einer übermächtigen, gegen die man nicht kämpfen kann wie eine Religion oder einem Volksmythos. Und wenn er auch noch einen Gegenstand "annimmt", den man ihm hinhält, ist er ins Spiel eingestiegen - daraus gibts so gut wie kein Zurück.
Warum erzähl ich das?
Auf Twitter geht heute eine Aufnahme herum, wie eine ukrainische Frau mit einem russischen Soldaten umspringt. Und was sie tut hakt alle Boxen in der Checkliste ab.
Plus: sie spricht nicht nur mit ihm, sondern mit den russischen Soldaten als Gruppe und die Verbreitung des Videos wird andere Soldaten erreichen. Insofern muss ich sagen: Well played.
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