Die Forderung nach "Friedensverhandlungen statt Waffenlieferungen" beinhaltet zwei Tricks, die in den letzten Jahren inflationär genutzt werden - leider weil es so gut funktioniert:
Der erste Trick ist, etwas so zu fordern oder zu behaupten, dass es sich so anhört als ob das, was gefordert oder behauptet wird, noch nie passiert ist.
"Die Klimaaktivisten sollen erst mal Vorschläge machen!"
Fakt ist aber: Natürlich machen sie seit Jahren Vorschläge.
"Deutschland zahlt als einziger die Entwicklungshilfe für alle anderen!"
Fakt ist aber: Natürlich zahlen andere auch und oft genug auch wesentlich mehr.
"Warum muss ausgerechnet Deutschland als einziger alle Flüchtlinge aufnehmen?"
Fakt ist aber: Deutschland ist weder das einzige Land, das Flüchtlinge aufnimmt und auch nicht das, das die meisten aufnimmt.
"Warum soll Deutschland immer vorangehen und zuerst seine ganze Wirtschaft auf Nachhaltigkeit umstellen?"
Fakt ist aber: Deutschland ist so langsam, dass wir inzwischen so weit hintendran sind, dass es schon ein Wunder bräuchte, um in einer absehbaren Zeit wenigstens ins Mittelfeld aufschließen.
Und genau so ist es mit "Verhandlungen", die angeblich nicht stattfinden, weil man ja lieber Waffen liefere: Selbstverständlich gab und gibt es und wird es selbstverständlich auch weiter Versuche für Verhandlungen geben. Sie haben halt bisher nichts erreichen können. (*Waffenlieferungen und Sanktionen erhöhen sogar wie Wahrscheinlichkeit für Verhandlungen, denn ihr Zweck ist ja, den Druck hoch zu halten, damit Putin auch irgendwann merkt, dass er nicht ohne Verhandlungen weiter kommt).
Aber es geht noch weiter, das war ja nur ein Trick: Diesen kombiniert man nämlich auch noch mit einem zweiten Trick, nämlich der angegriffenen Partei zu unterstellen, das Gegenteil von dem zu wollen, was man sich gerade als eigene Forderung rausgepickt und so zuvor unterstellt hat, dass es nicht passiert. Also "Waffen liefern".
Es ist allerdings so: Niemand _will_ das und man sieht das zB daran, wie lange das dauert und wie lange sich zB der Kanzler geziert hat, überhaupt das Wort "Waffenlieferung" in den Mund zu nehmen.
Warum macht man das? Es geht den "Friedensaktivist*innen" um Wagenknecht und Schwarzer nicht um Frieden. Es geht - wie allen Populisten - um eine Erzählung, in der es zwei absolute Seiten gibt. Die eigene und die falsche. Das geht nur, wenn die andere Seite vollständig abgelehnt werden kann. Und dafür muss man die andere Seite erst mal so konstruieren, dass alles, was man selbst behalten will, dort nicht mehr vorhanden ist. Also darf der Gegner nicht mehr "Frieden wollen" und "verhandeln". Und daher formuliert man seine Forderungen so, dass es einen Gegensatz gibt und verknüpft das mit der Behauptung, der Gegner wolle das Gegenteil von "uns".
Wer diese Rhetorik verwendet, dem geht es um etwas anderes als die Sache, von der er spricht. Denn sie ist austauschbar. Seit mindestens 2015 erzählen die immer gleichen Leute mit der immer gleichen Rhetorik, dass es ein "Wir" und ein "Die" gibt. Das Thema wechselt: Asylbewerber*innen, Flüchtende, Vegane Freitage, Corona-Impfungen, Gendern, Klima.
Wenn man das Prinzip dieser Rhetorik ein mal verstanden hat, ist es erstaunlich einfach, zu erkennen, wenn sie wieder mal angewendet wird. Es lohnt sich also, darauf zu achten. Denn es ist wie bei des Kaisers neuen Kleidern. Wenn man einmal gesehen hat, dass der Kaiser nackt ist, können die Wagenknechts, Schwarzer, Höckes, Merze oder Lindners sich den Mund fusselig reden: Man erkennt es sofort als das Gaslighting, das es ist.
Ich hab vor 20 Jahren mal einen kurzen Workshop mit dem lustigen Titel "Fluchen, aber richtig" entwickelt und seitdem auch öfter mal bei Gelegenheit wiederholt. Es geht darin darum, wie Flüche "funktionieren" (verkleidet in einer etwas launigen Hands-On Anleitung - eigentlich gings darum, nicht auf Gaslighting reinzufallen).
In aller Kürze zusammengefasst ist ein Fluch eine Methode, einen anderen Menschen dazu zu bringen, Spielregeln, die ich aufstelle, zu übernehmen und nach ihnen zu handeln - zu seinem Nachteil, denn das Spiel ist, dass er ja "verflucht ist" - und er selbst dadurch unweigerlich die im Fluch festgelegten Konsequenzen eintreten lässt.
Damit das passiert, gibt es "Hooks":
Ein Fluch hat eine Begründung, meistens ein Vergehen und damit eine Schuld. Ein Schuldgefühl ist etwas, was ein Mensch nicht abstellen kann - noch dazu wenn er das Vergehen wieder oder weiterhin begeht -, dh er wird sich immer wenn ihm die Schuld bewusst wird, auch den Fluch bewusst machen, wenn ich ihn hier platziere. Und ein Fluch funktioniert besser, wenn er gegenständlich sichtbar gemacht wird. Daher gibt es so viele Fluch-Artefakte oder Symbole oder er wird mit einer Verletzung "aufgetragen". Es gibt noch mehr, aber ich wills erst mal dabei belassen.
Das wichtigste ist nämlich - was ja auch aus dem vorher gesagten hervorgeht -, dass der "Verfluchte" erstens weiß, dass er verflucht ist. Sonst könnte er ja nicht die Spielregeln verfolgen. Und zweitens, dass er den Fluch akzeptiert. Ihn nicht zu akzeptieren ist aber enorm schwierig, denn die Hooks sind ja nicht rational verankert sondern in seiner Schuld und in einer Symbolik - möglichst in einer übermächtigen, gegen die man nicht kämpfen kann wie eine Religion oder einem Volksmythos. Und wenn er auch noch einen Gegenstand "annimmt", den man ihm hinhält, ist er ins Spiel eingestiegen - daraus gibts so gut wie kein Zurück.
Warum erzähl ich das?
Auf Twitter geht heute eine Aufnahme herum, wie eine ukrainische Frau mit einem russischen Soldaten umspringt. Und was sie tut hakt alle Boxen in der Checkliste ab.
Plus: sie spricht nicht nur mit ihm, sondern mit den russischen Soldaten als Gruppe und die Verbreitung des Videos wird andere Soldaten erreichen. Insofern muss ich sagen: Well played.
Es gibt Menschen, die nicht ständig unter Menschen sind. Nicht weil sie dazu nie Lust haben, sondern weil sie nach Zeiten, in denen sie mit anderen interagieren, erst eine Zeit lang ausruhen müssen. Zu denen gehöre ich. Ich würde zB gerne auf 10 LARPs im Jahr gehen, mehr als 2 schaffe ich aber nie.
Ich arbeite in der Beratung, führe also Workshops durch, mache Coaching und arbeite in ständig neuen Firmen und wechselnden Teams. Das macht mir Spaß, aber auch da suche ich mir inzwischen sehr genau aus, mit und für wen ich arbeite. Kriterien sind zB, dass wenn es nicht grade einen Workshop gibt oder einen anderen sehr guten Grund, vor Ort zu sein, ich zu Hause arbeiten kann. Für Firmen/Agenturen, die verlangen, dass ich selbst zur Erstellung eines Konzeptes oder eines Strategiepapieres vor Ort sein muss, sage ich üblicherweise ab.
Als ich mich 2015 selbständig machte habe ich nicht geahnt, wie sehr mich das entlastet, nicht mehr täglich in ein Büro fahren zu müssen.
Diese Situation - dass soziale Interaktionen mich sehr anstrengen und ich sie daher dort konzentriere, wo ich wirklich Spaß oder Sinn finde - hat auch Vorteile: Ich werde sehr selten richtig krank (mein niedriger Blutdruck und zuwenig Bewegung führt öfter mal zu Wetterkopfschmerzen - but that's quite it) und es ist auch so, dass ich oft darauf angesprochen werde.
Eine Erklärung dafür hab ich heute hier gefunden (via @luca) und ich kann das so nur bestätigen. Demnach verringert schon ein viertel weniger Kontakt gut 60% des Infektionsrisikos. Daher: Hört auf eure Introverts. Die wissen, wie "social distancing" funktioniert.
Meine These zur neuen Urheberrechtsgesetzgebung und deren Artikel 11 und 13 ist ja, dass die gesamte Novelle vor allem ein Versuch ist, das Internet so umzugestalten, dass es zu einem, - sagen wir mal - konservativerem Verständnis davon, wie Medien funktionieren, passt. Wir hören ja grade sehr oft "die haben das Internet nicht verstanden". Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Die Leute, die zb Axel Voss selbiges vorwerfen haben sein Konzept von Medien, Urhebern und Konsumenten nicht verstanden.
Hier hat jemand eine Stunde lang mit Axel Voss telefoniert und ich finde, dass das meine Vemutung bestätigt. Es geht in der Novelle um die Festlegung der Vorstellung, dass Nutzer nie Urheber sondern immer Konsumenten sind, Urheber ist man nur, wenn man einen Verlag hat und Plattformen sollen Verlegern keine Konkurrenz machen. Letzteres ist wichtig, da Plattformen mit der Verbreitung von Nutzerinhalten quasi wie Verleger agieren und Nutzer damit zu Urhebern machen.
Es geht um die Festlegung eines Status Quo. Einer Konstruktion wie Medien- und Contentdistribution funktioniert, die nun auch im Netz gelten soll, nämlich dass Nutzer nie Urheber sondern immer Konsumenten sind und man nur Urheber ist, wenn man einen Verlag hat. Plattformen sollen Verlegern also keine Konkurrenz machen. Letzteres ist wichtig, da Plattformen mit der Verbreitung von Nutzerinhalten quasi wie Verleger agieren und Nutzer damit de facto auch zu Urhebern machen.
Es geht darum, den Verlagen die Hoheit über die Verwertung von medialen Inhalten zu bewahren. Der Zweck der Ziffern 1 und 2 Artikel 13, der sagt, dass Plattformen quasi pauschal Lizenzen abschließen sollen ist nicht, dass Verlage irgendwie von Plattformen noch ein bisschen Geld einkassieren können (auch wenn dieser nette Nebeneffekt sicher nicht schmerzt), sondern dass Plattformen eine ganz klare und eindeutige Position in der Medien-Struktur zugeteilt wird und zwar die, die sich Verlage wünschen: Die der Hersteller von Musikkassetten in den Siebzigern, die eine Pauschalabgabe in den Verkaufspreis auferlegt bekamen, weil man damit copyrightgeschütztes Material vervielfältigen konnte.
Auch der wenig besprochene Artikel 12 belegt das: Da geht es darum, dass Verlage sogar an den Ausschüttungen beteiligt werden, die für Urheber gedacht sind. Etwas, was vor ein paar Jahren abgestellt wurde und nun über diese Bande wieder eingeführt wird. Dass Verlage und Verwerter sich regelmäßig selbst als "Urheber" bezeichnen, stützt deren Anspruchshaltung, Ausschüttungen zu erhalten, die den eigentlichen Kreativen vorbehalten sind.
Aber, und das haben Leute wie Voss übersehen und deswegen ist der Protest so groß: Das betrifft eben nicht nur die Plattformen, sondern auch ganz massiv die Nutzer*innen, die die Plattformen inzwischen schon lange nutzen, um so selbst Urheber*innen zu sein, ohne von Gatekeeper-Verlagen abhängig zu sein. Das ist, was "die nicht verstanden haben". Und auch die junge Generation, die für die Medienstruktur auf die Straße geht, hat das nicht verstanden weil für sie die "alte" Struktur fast ebenso gar nicht existiert, wie für die Verteidiger der alten Gatekeeping-Struktur die "neue".
Deswegen halte ich auch die Überraschung der Konservativen über die Mobilisierung der Nutzer*innen für echt. Natürlich müssen die glauben, dass das "Bots" sind oder dass die Plattformen ihre Nutzer*innen "steuern". In Wirklichkeit lassen sich die Politiker*innen aber von Verlagen steuern, denn die wissen sehr genau, dass diese neue Struktur existiert und sie wollen sie los werden.
Sie waren einer der Helden meiner Kindheit. Ich liebte Raumschiff Enterprise und zwar wegen Ihnen. Ihre Figur Spock war - und das wurde mir erst sehr spät bewusst - für mich ein Role Model im besten Sinne: Sie verstanden viel von Dingen, Prozessen, Zusammenhängen und wenig von dem, wie sich die Menschen um Sie herum verhielten. Aber Sie stellten sich nie arrogant über andere, was ja schnell passieren kann. Sie zeigten mir, dass Freundschaften, Respekt, Akzeptanz und Toleranz auch gelebt werden können, wenn man Schwierigkeiten hat, die Umgebung zu verstehen oder wenn die Umgebung Schwierigkeiten hat, Sie zu verstehen. Das ist eine unglaubliche Leistung, die Sie als Schauspieler abgeliefert haben und ich glaube, dass Sie selbst das auch erst später und im Nachhinein bemerkt haben.
Ich habe von dem, was Sie jenseits von Star Trek als Schauspieler gemacht haben, nicht mehr viel mitbekommen. Aber gerade in den letzten zehn Jahren sind sie mir wieder Nahe gekommen, denn Sie haben das Internet für sich entdeckt und in den letzten Jahren vor allem Twitter und Youtube genutzt, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Und sie haben ganz in Ruhe Ihr Weltbild gezeigt: Es ging immer um Genau dieselben Themen, die schon damals wichtig waren: Freundschaft, Respekt, Akzeptanz und Toleranz. Und zusätzlich um Geduld und Optimismus.
Ihr letzter Tweet strahlt auch das alles wieder aus und ich werde mich daran halten. Einerseits die wertvollsten, perfekten Momente in guter Erinnerung zu halten, aber ihnen auch nicht nachtrauern. Es kommen neue. Dennoch, heute trauere ich ein wenig und erinnere mich gerne an Sie.
LLAP
Jetzt sind sie also dran, die Autisten und Asperger. Ein indirekter Hinweis, dass ein Amokläufer die ein oder andere Eigenschaft mit Autisten gemein gehabt haben könnte reicht aus, um Klickstrecken und Artikel zu veröffentlichen, die unserer genormten Gesellschaft die Bestätigung gibt, dass nur kranke Menschen krankes tun.
Mal abgesehen davon, dass Autismus nicht gleich Asperger ist und beides keine Persönlichkeitsstörungen sind. Unwichtige Details, über die sich nur Haarespalter aufregen. Und natürlich Autisten. Sollen sich nicht so anstellen und lieber ihre Medikamente nehmen (die es nicht gibt), damit sie nicht austicken.
Wenn unsere Küchenpsychologen in den Redaktionen ihre Zwanziger-Stricknadeln auspacken, dann werden aus Gerüchten schnell Symptome und aus den Symptomen Gründe. Alles in eine halbwegs passende Kiste gepackt und schon sind Autisten Amokläufer. Nichts neues, Autismus is the new Killerspiele is the new Death Metal is the new Gammler is the new Swingkids. Man kann sich ja nicht immer wiederholen: Aber es gibt ja genügend andere, wenn eine dieser einfachen Erklärungen langwierig widerlegt wurde.
Jetzt also die Autisten.
Eltern dürfen sich wieder gruseln - und es ist vor allem mal wieder der Spiegel*, das Hausblatt für den verklemmten deutschen Oberlehrer in uns allen, der die subtilen Ängste vor allem, was einem seltsam und unnormal vorkommen könnte, schürt. Nicht mehr darüber, ob das Kind durch Computerspiele den Verstand verliert oder wegen zu viel Feminismus zum unmännlichen Weichei mutiert. Diesmal pflanzt man ihnen die Frage in den Hinterkopf, ob dieser eine Mitschüler in der Klasse, der Autist, nicht vielleicht irgendwann unweigerlich zur Gefahr für alle werden könnte und ob es nicht besser wäre, diese bedauernswerten Kreaturen in eine eigene, ihrem Leiden angemessene Einrichtung zu stecken. Wäre ja sicher auch in ihrem Interesse, die können ja nichts dafür.
Eine andere Erklärung für solche Artikel habe ich nicht. Doch, eine: Quote machen durch das kolportieren von Schauermärchen. Aber das wäre ja komplett unjournalistisch. Von sowas ist der Spiegel ja weit entfernt.
Wenn es so wäre, dass Asperger sein und bestimmte Dinge, die einem in der Schule passieren und die man angeblich mit dieser Disposition nicht parsen und verarbeiten könnte - ich schreibe angeblich, denn es ist schlicht nicht wahr, dass man das nicht kann, es ist vielmehr so, dass sich Leute, die das so darstellen nur nicht vorstellen können - reicht, um auszuticken, hätte ich mindestens drei Amokläufe hinter mir.
Aber wie sagte schon der große Alan Rickman in seiner Rolle als Sheriff von Nottingham: "I had a very sad childhood, I'll tell you about it sometime... It's amazing I'm sane."
Update 17.12.2012:
Und BILD kombiniert die vom Spiegel hübsch hingehaltene Kmbination aus Zündholz und Benzinkanister und titelt mit genau der Assoziation, die ja angeblich überhaupt nicht beabsichtigt war und eröffnet unverblümt die Jagd.
Mir fehlen die Worte. Nicht einmal mehr eine passende Beleidigung fällt mir ein.
Update 16.12.2013:
Der Jahrestag. Und RTL sendet zwei Sätze - jedes Wort ein Fehler.
(* Und nein, ich verlinke den Artikel nicht. Er ist erstens nur ein Beispiel und zweitens wird er seit einer Weile ständig umgeschrieben, was ja nett ist, aber meinen Punkt nicht verändert.)
Auch dieses Wochenende gab es wieder eine Demo. Allerdings hat man sich diesmal nicht irgendwo im Kiez versteckt sondern einen Zug vom Dom bis zum Rudolfplatz organisiert, was trotz etwas weniger Beteiligung als letzte Woche (laut Polizei 1200 Menschen) sicherlich erheblich mehr aufgefallen sein dürfte.
Was mir aufgefallen ist: Die Dominanz der "üblichen Verdächtigen" im Kölner Demogeschäft. Mir fiel schon sehr auf, dass die Flugblattverteiler sich viel weniger mit den Leuten beschäftigten, die den Demozug von außen beobachteten als vielmehr den Leute, die mitliefen ihre Pamphlete, Zeitungen und Prospekte in die Hand drücken wollten. Ich habe immer wieder verwirrt abgelehnt, weil ich mich fragte was die von mir wollen: Ich lauf doch schon mit. Angesichts dessen ist es im Nachhinein eventuell doch nicht so ein Zufall gewesen, dass mir das letzte Woche schon als eine Art Insiderveranstaltung vorkam. Wir machten jedenfalls irgendwann unsere Witze darüber, ob uns die judäische Volksfront oder die Volksfront von Judäa gleich den nächsten Zettel vor die Nase halten wird (die Menge der "sozialistischen" Irgendwasse jedenfalls ist enorm).
Die einzigen Flugblätter die in Massen an Passanten gingen waren die der Anonymous-Leute und es war beileibe nicht so, dass man ihnen die aufdrängen musste. Aber so ist das vielleicht, wenn man so ein wenig dem eigenen Mikrokosmos verhaftet ist.
Was mir persönlich sehr gut gefallen hat war der Zwischenstop auf dem Hohenzollernring, wo tatsächlich eine Weile dieses #occupy-Feeling aufkam. Es sprachen dort vor allem auch ein paar jüngere Demonstranten über das Recht auf Bildung, das Problem mit der Bequemlichkeit, die z.B. einem Bankenwechsel zu einer Bank ohne Zocker entgegensteht oder den Wunsch redeten, eine lebenswerte Welt für alle zu erreichen und nicht nur für die, die sich genug Geld dafür zurücklegen können. All das kam erfreulich unideologisiert und authentisch rüber.
Dennoch: Ich bin mir nicht sicher, ob diese Demos in Köln für mich eine Zukunft haben. Ein paar Stunden in der Gegend rumzulaufen während man sich beim Anhören von Achtziger-Jahre Sprechchören ein wenig fremdschämt entspricht nicht meinen Vorstellungen von sinnvoller Teilnahme an der Gesellschaft. Was das vielleicht illustriert: Dieses Bild von mir zeigt nicht etwa meinen Protest gegen soziale Ungerechtigkeit. Ich rufe da gerade "LANGWEILIG!" nach vorne zu den Leuten die zum x-ten Mal "Wir sind hier. Wir sind Laut..." skandieren und fast alle Leute, die um mich herum liefen haben gelacht weil sie wußten was ich meine ...
Der Oktoberfest-Attentäter von 1980 hatte eine stärkere Verbindung zum Neonazi-Milieu als wohl bisher offiziell bekannt gewesen ist. Demnach wollte der Attentäter mit dem Bombenanschlag Franz-Josef Strauß zum Wahlerfolg verhelfen. Soweit, so interessant. Dann wird aber eine Verbindung zur CSU eröffnet:
Nach Auswertung von 46.000 Blatt bislang unter Verschluss gehaltener Akten berichtet der Spiegel, dass Köhler vor allem in seinem Studienort Tübingen in einem Milieu militanter Neonazis verwurzelt war, die ihrerseits teils intensive Kontakte zu CSU-Funktionären pflegten.
Was bedeutet denn "intensive Kontakte zu CSU-Funktionären"? So opportun eine Verbindung von CSU und Attentäter im ersten Moment zu sein scheint, ich denke dass man hier genauer wissen muss, wie diese Kontakte konkret aussahen - ansonsten hat das nicht viel mehr Substanz wie Amokläufern Counterstrike auf dem PC nachzuweisen sondern ist eine billige Abduktion.
Noch dazu, wenn die Verbindung übers Eck geht. Davon dass CSU-Funktionäre Kontakt mit Neonazis hatten, die wiederum Kontakt zum Attentäter hatten lässt sich ja nicht mal deduktiv schließen, dass überhaupt ein Kontakt zwischen CSU-Funktionären und Attentätern bestand.
Bevor also behauptet werden kann (und dieser Schluss wird ja transportiert), dass CSU-Funktionäre für die Idee eines Attentats mitverantwortlich seien braucht es wesentlich mehr Informationen, auf Basis derer man einen entsprechenden gültigen Schluss konstruieren kann. So lange das nicht geht ist alles eine Hypothese und wer da eine Beweisführung draus macht tut dies, weil er Grund und Korrelat verwechselt.
Die Kurzfassung: Köln hat sich recht wacker geschlagen. Je nach dem, wen man fragt waren zwischen 1500 und 2000 Demonstranten am Chlodwigplatz und es war ein recht interessant anzusehendes Aufeinandertreffen von altgedienten Protestlern und den people from teh internets.
Die etwas längere Fassung: Ich kam etwa viertel nach elf am Chlodwigplatz an und war positiv überrascht, daß der Platz doch recht gut gefüllt war. Denn da die Kölner Veranstaltung erst relativ spät angesetzt wurde und im Netz ziemlich lange hin und her überlegt wurde, ob man sich überhaupt auch in Köln treffen soll anstatt gleich lieber nach Düsseldorf oder Frankfurt zu fahren rechnete ich ehrlicherweise mit vielleicht 300 Menschen und wenns gut läuft mit doppelt so vielen. Als die Demonstration einen Zug um den Block unternahm waren es dann aber tatsächlich gute 2000 Menschen, was für Kölner verhältnisse viele sein sollen, wie mir versichtert wurde.
Diese meine positive Verwunderung wurde lediglich von zwei Überlegungen getrübt: Die eine war die, wieso man sich zum Demonstrieren eigentlich so schön selbst in einen Kiez ein Veedel weggeräumt hat, wo man total unter sich blieb und niemanden beim Samstagseinkauf behinderte? Am und um den Chlodwigplatz gibts ein paar kleinere Läden, ne Apotheke, ne Bäckerei und ein paar kleine Bankfilialen - in denen garantiert keine Spekulantenverträge abgeschlossen werden. Was will man da? Warum ist man nicht am Dom, am Heumarkt, irgendwo, wo auch Leute sind, die die Demo wahrnehmen können?
Die zweite: Warum ist es so kalt und warum läuft der Demozug immer dorthin, wo grade Schatten ist? Okay, der zweite Gedanke war nicht so wichtig, aber ich hab zwischendurch schon ordentlich gefroren.
Die Demo schien so gegen zwei Uhr zuende zu sein. Der Platz war zwar noch recht voll, aber irgendwie war rumstehen und den üblichen Verdächtigen auf etwas altbackene links-alt86er-weise Proteste skandieren zuhören nicht so ganz unsere Sache. Inzwischen waren wir auch gut fünfzehn Leute und wir beschlossen, dass es vielleicht doch eine gute Idee wäre, mal etwas weiter in die Einkaufsmeile vorzustoßen. So machten sich also vor allem die Herren und Damen Fawkes mit unserer Begleitung auf den Weg in die Schildergasse und zum Neumarkt und taten, was Leute aus teh Internets so tun: Lulz erzeugen und Massen an Anonymous-Flugblättern verteilen.
Einige machten dann auch noch den Domplatz unsicher, uns war aber dann doch irgendwann zu kalt und wir machten uns gegen fünf wieder zum Chlodwigplatz zurück, wo gerade aufgeräumt wurde, indem man eine Kehrmaschine kreuz und quer über den Platz heizen ließ, was ein wenig bizarr anmutete.
Ich hab mich gefreut, die Jungs und Mädels Anonymous kennengelernt zu haben, es war mir ein Fest, mal wieder Max über den Weg zu laufen und tatsächlich auch Leute aus Pforzheim hier zu treffen, die ich irgendwann mal bei Mario kennengelernt hab, der seinerseits mit Sven in Frankfurt demonstrierte.
Die Realität ist - wie so oft - wesentlich unspektakulärer: Spaltung suggeriert ja, dass es einen halbwegs gleich großen Anteil von Progressiven und Konservativen gibt, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Dass das so gar nicht stimmt, sondern vor allem ein Fehlschluss ist, der aus dem medialen false balancing von Meinungen (Wir bekommen ständig 50/50 eine pro und eine contra Stimme gegenüber gestellt ohne dass berücksichtigt wird, wie hoch der Anteil der beiden Gruppen eigentlich ist) entsteht, wird seit einiger Zeit immer wieder angemahnt, aber so richtig angekommen scheint mir das noch nicht zu sein.
Am Beispiel des pinken Trikots können wir aber erneut sehen, wie klein die Gruppe derer ist, die sich über das ach so woke rosa Shirt echauffieren und das sogar in einem Umfeld, das gerne als positiv ausgedrückt "bodenständig" angesehen wird: Es ist nämlich ein massiver Verkaufsschlager.
Was sagt uns das: Die Aufregung ist gar nicht so groß wie sie erscheint. Und die Spaltung der Gesellschaft ist in Wirklichkeit gar nicht vorhanden - die Kritiker des "Wokismus" einer T-Shirtfarbe ist eigentlich eine winzige Minderheit, die es ja zu jedem Thema gibt und die es auch immer gab. Der einzige Unterschied ist, dass man ihre Bedeutungslosigkeit früher medial korrekt eingeordnet hat und man sie folgerichtig ignoriert hat.