Atomkraft
Wie schnell sich Atomkraft innerhalb von einer guten Woche statt als vermeintliche Zukunftstechnologie als dieses endgültig rückständige, hochgefährliche Relikt der naiven Technikhybris der Wirtschaftswunderzeit entpuppte. Wie hilflos die Politiker sind, die diese Technik in ihre ebenso rückständige Ideologie vom unendlichen Wachstum eingebaut haben, der in Wirklichkeit nur ein immer schnellerer Kreislauf von Produktion und Verbrauch ist und somit ebenfalls eine unbeherrschbare, selbstzerstörende Kettenreaktion beinhaltet...
Am Sonntag haben Eva und ich darüber diskutiert, wieso eigentlich aus Tschernobil nicht dieselbe Erkenntnis gezogen wurde und meine Vermutung war, dass das ja nunmal die Russen waren, der Klassenfeind. Die Bösen, die die Technik nicht beherrschen, die wir im fortschrittlichen Westen natürlich viel besser im Griff haben, weil hier - im Gegensatz zum Ostblock - ja auf das Wohlergehen der Bürger geachtet würde. Ich erinnere mich gut an das Mantra "Eine Katastrophe wie Tschernobil ist bei uns zum Glück ausgeschlossen."
Don Alphonso bestätigt mich in seiner Erinnerung daran, wie es wirklich war damals, als die friedliche Nutzung der Atomkraft zum Wohl des Volkes durchgesetzt wurde:
(...) Die Antworten meiner bayerischen Landesregierung auf meine Auffassung, dass eine WAA [Wackersdorf, j.s] nicht so toll ist, trugen Namen wie "Gummischrotgeschosse" und "Blendschockgranaten". So war das damals im Rechtsstaat Bayern, der unbedingt in der Oberpfalz eine WAA haben wollte, als Tschernobyl schon explodiert war. "Terroristensicher" wurde das Gelände ausgebaut, eine Festung, ein Staat im Staat. (...)
Es gab keine Diskussion. Es gab keine Volksabstimmung wie in Österreich, die seitdem Atomfrei sind und glücklich darüber. Dass nur der rückständige und rücksichtslose Russ die Technik nicht beherrscht war eine Lüge, die aber funktionierte. Dass es jetzt die Japaner trifft, die man weder als rückständig noch als rücksichtslos bezeichnen kann sondern wo man nur noch sagen kann "Wenn nicht einmal die Japaner sichere Kernkraftwerke bauen können", dann liegt die Lüge so offen wie die schmelzenden Brennelemente und wer sie immer noch nicht erkennt wird es in wenigen Tagen tun. Eine Kettenreaktion wie diese ist - wie man seit Tagen gut beobachten kann - nun mal nicht zu stoppen.
Ich glaube nicht, dass wir von unserer Regierung hier viel erwarten können. Nicht weil sie nicht wollten sondern weil sie nicht können. Die offensichtliche Ratlosigkeit, die uns aus den Plänen und Worten der CDU und FDP entgegenkommt spricht Bände: Die sind noch viel zu weit hinterher, um jetzt schnell so umzudenken, wie es nötig wäre. Sie haben ein ideologisches Problem. In Japan bricht gerade ihr Weltbild zusammen. Das müssen die erst ein mal verarbeiten, bis sie daraus wirklich sinnvolle Schlüsse ziehen können dauert es noch lange.
Die Chance für neue Ideen ist jetzt so groß wie nie. Wir können jetzt gar nicht laut genug an die anderen Parteien appellieren, die richtig mutigen Schritte zu machen. Es geht nicht nur um den Ausstieg aus einer rückständigen Form der Energieerzeugung, sondern aus dem Ausstieg aus einer ebenso gefährlichen Ideologie.
2 Kommentare
Kommentar von: Kai [Besucher]

Kommentar von: summka [Besucher]

Einfach unglaublich. Wenn ich die Bilder sehe kann ich es immer noch nicht glauben. Auch mit der Strahlung. Die heftige Reaktion der Regierung ist auch nicht nachvollziehbar. Wird wohl sehr teuer werden.
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Richtig, der Reaktor vom Typ Tschernobyl ist weniger sicher als Reaktoren westlichen Typus (wir sind uns wohl einig, dass dieser Unterschied heute nur noch ein hypothetischer ist). Das waren auch die Argumente damals.
ABER: das Desaster wurde auch wesentlich rücksichtsloser bekämpft. Da wurden eben Leute buchstäblich “verheizt", um weitere Explosionen (siehe zB die Doku “Battle of Chernobyl") zu verhindern. Da hat man eben die Leute in den Tod geschickt, etwas was sich wiederum westliche Gesellschaften (die Japaner zähle ich einfach mal mit) nicht trauen (wollen/können, macht keinen Unterschied).
Zum Ausstieg: der ist für ein Land wie die BRD (Österreich, pfff! Haben die überhaupt Industrie? :) natürlich nicht unproblematisch. Aber der rot-grüne Konsens war ja beschlossene Sache, die Firmen konnten sich darauf einstellen. Von daher sehe ich keinen Grund, nicht dahin zurückzukehren. Außer vielleicht Merkels Gesichtsverlust.
Viel schwieriger ist ein europaweiter oder gar weltweiter Ausstieg. Wenn ich da nur an die Franzosen denke…
Allerdings sollte man nicht die Macht der Bilder unterschätzen. 1986 gab es praktisch keine, bzw Standbilder ganz schlechter Qualität. Heute braucht man in einer Diskussion nur noch kommentarlos Bilder der explorierenden AKWs zeigen, dann erübrigt sich jedes weitere Argument.
Gut, wenn der Preis für einen Ausstieg ein höherer Strompreis sein soll (Abzocke oder nicht), so be it! Ich zahle das gerne, auch wenn’s weh tut.