Privilegien
Ich denke, eines ist klar: Es wird immer Unterschiede geben. Es wird immer Vorteile und Nachteile geben. Es wird immer ein Gefälle geben. Und eine Gesellschaft hält solche Unterschiede aus, akzeptiert sie, vergibt sie sogar als Auszeichnung und man gönnt sie anderen sogar oft genug.
Allerdings gibt es dafür Grenzen. Die Gesellschaft ist eine Konsensgemeinschaft, die so lange funktioniert, wie die Mehrheit der sie bildenden Individuen mit den Unterschieden, mit Armut und Reichtum, mit der ungleichen Wohnsituation, mit dem leichteren und schwereren Zugang zu Bildung, Arbeit und Einkommen zurecht kommt. Sprich: So lange das Gerechtigkeitsempfinden noch beruhigt werden kann, selbst wenn es nicht Gerecht zugeht.
Die Menschen sind nämlich meistens nicht neidisch. Es gibt viel seltener die gern beschworene Neiddebatte als man uns glauben machen möchte. Lustigerweise sind es ja sogar genau die, die diesen Vorwurf anbringen, die im eigenen Fall - also wenn es darum geht, dass sie vermeintliche Nachteile erleiden müssen - laut "Ungerecht!" schreien als ob es um existentielle Fragen geht. Meistens geht es aber nicht einmal um Nachteile, sondern um den Wegfall von Vorteilen. Stichwort: Frauenquote.
Vorteile gegenüber anderen zu haben, das ist die Definition von Privilegien. Privilegien sind nicht per se böse: die Taxi- und Busspur privilegiert Taxen und Busse. Sie sind also aus offensichtlich praktischen Gründen sinnvoll. Die englische Queen hat geradezu unendliche Privilegien. Das hat traditionelle Gründe. Ähnliche übrigens wie die von exzentrischen Stars oder den Rockbands, die anscheinend mehr Hotelzimmer zertrümmern und Drogen nehmen dürfen als normale Menschen ohne dass sie zu viel Ärger bekommen. Sie bilden dafür Projektionsflächen. Auch die sind in gewisser Weise Tradition - sie tun stellvertretend für uns die Dinge die wir uns nicht trauen würden.
Reiche und mächtige Menschen dürfen mehr als andere. Auch das ist bis zu einem bestimmten Punkt okay - nämlich dann, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen. Allerdings ist das Adelssystem bei uns abgeschafft und diese Privilegien sind an messbarere Werte gebunden, die z.B. Erfolg heißen. Und was Erfolg ist, ändert sich von Zeit zu Zeit, also sind auch Privilegien meistens kein Geburtsrecht sondern verliehen - unter Umständen auf sehr kurze Zeit.
Das scheint der ein oder andere gerne mal zu vergessen und ab dann wirds häßlich. Männer, die glauben, sie würden unterdrückt, nur weil Frauen dieselben Chancen (und das selbe Gehalt für gleiche Arbeit) verlangen sind da nur kleine Würstchen - ich kann mich über diese Winseleien nicht mal ärgern. Die haben nur Angst, dass ihre Konkurrenz größer wird. Geschenkt. Der Zug ist abgefahren und ansonsten: Tja, willkommen in eurer eigenen Leistungsgesellschaft, weiße Männer.
Wo es wirklich schwierig wird sind die Stellen, an denen wir nicht mehr merken, dass wir Privilegien genießen. Und das passiert uns allen, ständig. Wir Netznerds sind da beileibe nicht frei von, die Überheblichkeit, mit der viele Nerds die Barrieren ignorieren oder gar am liebsten aufrecht erhalten würden, die andere Menschen von der Art der Nutzung und von den damit verbundenen Möglichkeiten des Netzes ausschließen, die Art wie sie über Ängste und Überforderung von weniger Privilegierten Nutzern einfach hinweggehen und ihr "get used to it"-GIF posten ist auch eine Art Privilegienwahrung. Es gibt aber kein Internetprivileg für Nerds. So gerne ich den CCC habe und so sehr ich seine Arbeit begrüße und so nah ich der Piratenpartei und ihren Grundsätzen stehe: Ich sehe so wenig Bewusstsein dafür, dass sie in einer privilegierten Position stehen. Bzw schlimmer: Ich sehe so viele unter ihnen, denen es beileibe nicht darum geht, generelle Gleichstellung zu erreichen, Aufklärung zu betreiben, Barrieren zu senken. So oft geht es in Wirklichkeit darum, Privilegien zu erhalten, Herrschaftswissen zu erzeugen (und sich damit zu brüsten) und die Durchlässigkeit zu Teilhabe und neuen Privilegien vor allem nur für sich und seine "Kaste" zu erreichen.
Warum mir das wehtut, das zu beobachten: Wir Nerds waren in der Schule immer die Underdogs. Wir haben nie dazugehört. Wir wissen, wie sich Ohnmacht anfühlt. Und jetzt, wo wir zu einem gehörigen Teil den Ton angeben können, benehmen sich viele von uns genau so, wie die Spießer, die uns früher das Leben schwer gemacht haben? Sorry, aber das sehe ich nicht ein. Mir ein paar Privilegien - noch dazu auf Kosten anderer - zu ergattern ist mir zu wenig. Zu einem dieser aufgeblasenen, eingebildeten Nerd-Spiesser zu werden ist so viel peinlicher (und ich beobachte das mit einer gehörigen Portion Fremdscham) als schon immer ein herkömmlicher bürgerlicher Spiesser zu sein. Und noch viel erbärmlicher, als wenn sie einfach nur harmlose, schüchterne, aber aufrechte Nerdkinder geblieben wären.
4 Kommentare
Kommentar von: Wirtschaftsphilosoph [Besucher]

Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

Really? Nochmal für Haarspalter?
Über Vorrechte hat man - in meinem kleinbürgerlichen Laienverständnis - Vorteile. Insoweit kann es natürlich sein, dass der juristische Fachbegriff ein anderer ist. Für das tatsächliche Erleben tut das nichts zur Sache.
Mit “Wer sich etwas selbst erarbeitet oder erspart hat, genießt keine Privilegien” hast Du Recht, hab ich aber auch nirgends anders geschrieben, ich nehme also an, Du führst das als Strohmannargument auf (als wahre Aussage, die die Richtigkeit des Folgearguments verstärken soll - was es freilich nicht tut).
Deine eigentliche Argumentation ist dann: “(Es) spricht gegen Frauenquoten, dass das angeborene Geschlecht (…) ein wichtigeres Kriterium wird als die Leistung.". Das stimmt zwar, aber dummerweise nur im Fall der Privilegien, die Männer momentan im Berufsleben haben: Sie verdienen mehr Geld bei gleicher Ausbildung und werden bei der Einstellung bevorzugt. Was sonst sind also - selbst nach Deiner eigenen Definition - diese Vorrechte, die Männern offensichtlich und messbar zugesprochen werden? Doch wohl Privilegien. Und zwar welche, die rein auf Grund des angeborenen Geschlechts existieren und nicht auf Grund einer Leistung.
Eine Frauenquote sorgt nun dafür, dass diese unverdienten Privilegien zumindest eingeschränkt werden (muss ich Dir auch noch vorrechnen, dass eine Frauenquote von 40% immer noch eine Benachteiligung von Frauen bedeutet?).
Logik und Mathematik setzt bei Ideologen gerne mal aus, ich weiß. Aber hier funktioniert beides dummerweise so eindeutig und klar, dass es echt peinlich ist, sich dagegen zu wehren.
Kommentar von: Wirtschaftsphilosoph [Besucher]

“Logik und Mathematik setz[en] bei Ideologen gerne mal aus, ich weiß. Aber hier funktioniert beides dummerweise so eindeutig und klar, dass es echt peinlich ist, sich dagegen zu wehren.”
Volle Zustimmung.
“Über Vorrechte hat man - in meinem kleinbürgerlichen Laienverständnis - Vorteile.” Das ist richtig. Vorrechte führen zu Vorteilen. Aber jetzt kommt die Logik: Es gilt nicht die Umkehrung, dass alle Vorteile auf Vorrechten beruhen (sondern z. B. auch auf Leistung, Glück oder Genen). Die Gleichsetzung von Vorteilen und Vorrechten ist falsch und führt zu Ihrer weiteren Verwirrung, z. B. rund um die Frauenquote.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]

Dass eine Quote überhaupt nötig ist, finde ich ebenfalls unmöglich. Aber wahrscheinlich aus anderen Gründen.
So lange Du verstanden hast, dass eine Frauenquote die etablierten und Vorrechte von Männern - die freiwillig abzubauen sie in den letzten 30 Jahren nicht bereit waren - herunterreguliert und nicht etwa neue Vorrechte für Frauen schafft, ist für mich alles ok.
Update: Die Argumente haben sich ansonsten in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich geändert:
(Quelle)
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“Vorteile gegenüber anderen zu haben, das ist die Definition von Privilegien.” Das ist falsch. Privilegien sind Vorrechte, nicht Vorteile. Wer sich etwas selbst erarbeitet oder erspart hat, genießt keine Privilegien. Entsprechend spricht gegen Frauenquoten, dass das angeborene Geschlecht dadurch ein wichtigeres Kriterium wird als die Leistung. Das wichtigste Privileg heutzutage wird gar nicht erwähnt: Die Staatsbürgerschaft.