Alternativlos?
Ich kenne aus Projekten diesen Moment, in dem es nicht weiter geht, obwohl das Konzept schon lange fertig ist. Es wird immer wieder diskutiert, geändert, diskutiert und wieder geändert. Wenn ich in so einem Projekt Concept Lead bin ist es mein Job, allen zu erklären, dass wir an der Stelle sind, an der eine Entscheidung gefällt werden muss. Denn das Konzept wird nicht mehr besser, es wird nur noch anders. Es gibt nämlich für Systeme, die mehr als das Prinzip "eine Ursache - eine Wirkung" abbilden und noch dazu berücksichtigen müssen dass Menschen sie bedienen, nicht die eine beste Lösung. Und es gibt für jede Lösung, die man sich ausdenkt, zig Alternativen die genauso gut funktionieren, nur eben anders.
Daher wundere ich mich immer wieder darüber, wie schnell Menschen (und Politiker) glauben, keine Alternativen mehr zu haben. An Alternativen mangelt es eigentlich nie und dadurch auch nicht an möglichen guten Lösungen. Ich frage mich tatsächlich öfter, was daran Schuld sein könnte, dass sich so viele Menschen so eingeschränkt fühlen. Ist es der Wunsch nach einfachen Lösungen, selbst bei Problemen, die alles andere als einfach sind? Oder liegt es daran, dass man immer wieder vor "entweder - oder" Fragen gestellt wird, obwohl es weder notwendig ist, sich ausschließlich für eine der beiden vorgeschlagenen Alternativen zu entscheiden noch dass diese beiden Möglichkeiten die einzigen Lösungswege darstellen. Versucht hier doch mal die Gegenfrage "Warum nicht beides?" zu stellen. Meistens funktioniert das nämlich sogar.
Ein Beispiel. Auf Facebook kursieren ja immer mal solche Logikspielchen wie das hier:
Man geht dabei davon aus, dass es genau eine richtige Lösung dafür gibt*, welche Zahl das Fragezeichen ersetzt. Aber stimmt das denn so? Ich finde problemlos schon mal drei völlig unterschiedliche: Zum Beispiel wenn man die Anzahl der kleinen Quadrate zählt plus 1, dann wäre die Lösung 10. Zählt man aber alle Punkte, an der sich eine gerade Anzahl Linien trifft, ist die Lösung 8. Und zieht man die Anzahl der Quadrate von der Anzahl der Punkte ab an denen sich zwei Linien treffen, ist die Lösung 7. Und wenn ich ein bisschen länger darüber nachdenke, fallen mir noch viel mehr ein, möglicherweise auch solche, in denen gar keine Zahl als Lösung herauskommt oder ich finde eine Logik, nach der das Fragezeichen einfach stehen bleibt.
Ich vermute, was Menschen davon abhalten könnte, eine Entscheidung zu treffen ist, dass ihnen Informationen fehlen, sie daher Annahmen treffen müssen und es macht ihnen Angst, dafür die Verantwortung zu übernehmen. In dem obigen Bild gibt es keine Angabe darüber, welche Bedingungen meine Lösung erfüllen muss. Dennoch wird angenommen, dass es eine "richtige" Antwort geben muss und alle anderen möglichen falsch sind. Was aber nicht stimmt, denn alle meine oben genannten Lösungen erfüllen die Anforderung einer logischen Verknüpfung, die für beide Zeilen gemeinsam gilt und sind daher richtig. Wenn schon bei einer Aufgabe, die derart überschaubar ist, solche Probleme entstehen, wie potenziert sich das bei wirklich komplizierten Herausforderungen? Oder bei einer gesellschaftlichen Aufgabe?
Wir können nicht Entscheidungen ewig hinauszögern, aber Entscheidungen müssen auch nicht alternativlos sein. Man kann - und das vergisst man so oft obwohl man es ständig tut - Dinge gleichzeitig machen. Zum Beispiel akute Not bekämpfen und Flüchtlinge aufnehmen und dafür sorgen dass Menschen in Deutschland nicht mehr so schnell sozial abstürzen können damit die ihre Ängste nicht auf daran völlig unschuldige Ausländer projezierern. Oder eben, ein flexibleres Konzept abnehmen, das einem erlaubt, später Erfahrungen zu sammeln und jederzeit Verbesserungen zu machen wenn sie sinnvoll oder notwendig werden. Es ist ja nunmal so, dass man nie weiß was passiert, bevor es passiert. Erfahrungen helfen, Informationen helfen, aber am Ende wird der erfolgreich sein, der dafür gesorgt hat, dass es immer genug Platz für Alternativen und Änderung gibt.
*P.S.: Ich habe die allgemein als "richtig" akzeptierte Lösung für das Rätsel nicht genannt.
1 Kommentar

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“Man hat immer zwei Möglichkeiten im Leben!”
Der Leitspruch von Jakobowsky, gespielt von Danny Kaye, in der Verfilmung von Franz Werfels “Jacobowsky und der Oberst” (mit Curd Jürgens als Oberst).
Und vermutlich sogar mehr als zwei. Ich habe den Film sogar so in Erinnerung, dass es heißt “Es gibt immer eine Alternative", aber da erinnere ich mich wohl falsch.