Die haben das Internet nicht verstanden? Ich denke, doch.
Meine These zur neuen Urheberrechtsgesetzgebung und deren Artikel 11 und 13 ist ja, dass die gesamte Novelle vor allem ein Versuch ist, das Internet so umzugestalten, dass es zu einem, - sagen wir mal - konservativerem Verständnis davon, wie Medien funktionieren, passt. Wir hören ja grade sehr oft "die haben das Internet nicht verstanden". Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Die Leute, die zb Axel Voss selbiges vorwerfen haben sein Konzept von Medien, Urhebern und Konsumenten nicht verstanden.
Hier hat jemand eine Stunde lang mit Axel Voss telefoniert und ich finde, dass das meine Vemutung bestätigt. Es geht in der Novelle um die Festlegung der Vorstellung, dass Nutzer nie Urheber sondern immer Konsumenten sind, Urheber ist man nur, wenn man einen Verlag hat und Plattformen sollen Verlegern keine Konkurrenz machen. Letzteres ist wichtig, da Plattformen mit der Verbreitung von Nutzerinhalten quasi wie Verleger agieren und Nutzer damit zu Urhebern machen.
Es geht um die Festlegung eines Status Quo. Einer Konstruktion wie Medien- und Contentdistribution funktioniert, die nun auch im Netz gelten soll, nämlich dass Nutzer nie Urheber sondern immer Konsumenten sind und man nur Urheber ist, wenn man einen Verlag hat. Plattformen sollen Verlegern also keine Konkurrenz machen. Letzteres ist wichtig, da Plattformen mit der Verbreitung von Nutzerinhalten quasi wie Verleger agieren und Nutzer damit de facto auch zu Urhebern machen.
Es geht darum, den Verlagen die Hoheit über die Verwertung von medialen Inhalten zu bewahren. Der Zweck der Ziffern 1 und 2 Artikel 13, der sagt, dass Plattformen quasi pauschal Lizenzen abschließen sollen ist nicht, dass Verlage irgendwie von Plattformen noch ein bisschen Geld einkassieren können (auch wenn dieser nette Nebeneffekt sicher nicht schmerzt), sondern dass Plattformen eine ganz klare und eindeutige Position in der Medien-Struktur zugeteilt wird und zwar die, die sich Verlage wünschen: Die der Hersteller von Musikkassetten in den Siebzigern, die eine Pauschalabgabe in den Verkaufspreis auferlegt bekamen, weil man damit copyrightgeschütztes Material vervielfältigen konnte.
Auch der wenig besprochene Artikel 12 belegt das: Da geht es darum, dass Verlage sogar an den Ausschüttungen beteiligt werden, die für Urheber gedacht sind. Etwas, was vor ein paar Jahren abgestellt wurde und nun über diese Bande wieder eingeführt wird. Dass Verlage und Verwerter sich regelmäßig selbst als "Urheber" bezeichnen, stützt deren Anspruchshaltung, Ausschüttungen zu erhalten, die den eigentlichen Kreativen vorbehalten sind.
Aber, und das haben Leute wie Voss übersehen und deswegen ist der Protest so groß: Das betrifft eben nicht nur die Plattformen, sondern auch ganz massiv die Nutzer*innen, die die Plattformen inzwischen schon lange nutzen, um so selbst Urheber*innen zu sein, ohne von Gatekeeper-Verlagen abhängig zu sein. Das ist, was "die nicht verstanden haben". Und auch die junge Generation, die für die Medienstruktur auf die Straße geht, hat das nicht verstanden weil für sie die "alte" Struktur fast ebenso gar nicht existiert, wie für die Verteidiger der alten Gatekeeping-Struktur die "neue".
Deswegen halte ich auch die Überraschung der Konservativen über die Mobilisierung der Nutzer*innen für echt. Natürlich müssen die glauben, dass das "Bots" sind oder dass die Plattformen ihre Nutzer*innen "steuern". In Wirklichkeit lassen sich die Politiker*innen aber von Verlagen steuern, denn die wissen sehr genau, dass diese neue Struktur existiert und sie wollen sie los werden.
11 Kommentare
Kommentar von: Zepe [Besucher]
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Interessanterweise kommt diese Regelung ja aus den Ministergremien ins Europäischen Parlament, also dem Weg, in der ständig im Kern nationale Länderinteressen in die EU eingespielt werden. Wenn das dann die Stimmung gegen die EU verschlechtert, ist das quasi ein doppelter Gewinn.
Wobei. Ist dann nicht ne Onlinepräsenz eines Verlages auch ne Art Plattform? Ist ein 100% zitierter Tweet nicht klar ein Snippet? Also ich lizensiere gern alle meine Tweets zur Zitierung an Verlage. Sagen wir für nen Hunni im Monat. Wenn jetzt, sehr hypothetisch, 100 oder 1000 Twittererinnern (mfd***) sich in einer, hypothetisch, GbR zusammentätern und Lizensierungen anböten?
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Oliver: Genau! Das ist einer der Knackpunkte, an denen ich meine These u.a. festmache. Verlage, Sender und Redaktionen “klauen” ständig Inhalte von Internetnutzer*innen und schreiben dann “Quelle: Youtube” oder “Quelle: Twitter” drunter, als ob das eine korrekte Autorennennung wäre. Meine Antwort auf die Frage, wie das kommt, dass Verlage einerseits extreme Maßnahmen einsetzen, sobald irgendwo auch nur zwei Takte Musik im Hintergrund eines Youtubevideos zu hören sind, sich aber schamlos im Netz bedient, wenn Inhalte “niemandem” gehören - sprich keinem Verlag oder Verwerter sondern “nur” einer Einzelperson - ist schon seit Jahren: Weil es für sie die oben beschriebene Weltordnung gibt, in der man nur Autor*in ist, wenn man einen Verlag hat und nur Verlagswerke sind schützenswert, denn nur die verdienen Geld. Ein Privatmensch ist Konsument und wenn der was im Netz sagt, kann man das einfach nehmen, denn er will damit ja kein Geld verdienen (denn sonst wäre er ja bei einem Verlag).
Du bist ja oben auch etwas unpräzise iSv: Man sei kein Urheber, wenn man kein Verlag sei bzw nur Verlage würden als Urheber gesehen (jetzt so aus der Erinnerung, nicht nochmal nachgeguckt). der Witz ist ja, dass die URHEBER von dem ganzen Scharmützel NULL haben, denn ihre Leistung ist idR ja mit dem Honotar abgegolten.
Man könnte sogar sagen: sie verlieren, nämlich in de währung “Sichtarkeit", weil Google einfach weder hergeht und nicht mehr verlinkt.
aber im ernst: warum nicht einen ‘Onliner*innen Lizenzverein’ (#licensemebaby) an der VG Wort vorbei gründen. also ggf. ‘nur’ zum Trollen, aber: wer weiß…
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Ja, das ist leider unpräzise, weil die Verlage das auch - wahrscheinlich mit Absicht - sehr unpräzise halten, schon allein dadurch, dass sie sich selbst gern so bezeichnen obwohl sie lediglich Distributoren sind. Schon der Begriff “Urheberrecht” ist ja misleading, weil es darin eigentlich gar nicht um Urheberrechte geht sondern um Vertriebsrechte.
Kommentar von: Barbara Pavelka [Besucher]
Eigentlich ist das eine Watschen ins Gesicht einer jeden eigenständigen Künstlerin und Künstlers! Die Verlage sind genau überhaupt nicht künstlerisch tätig und damit keine Urheber! Verlage dienen lediglich der Distribution von künstlerischen Inhalten, die kreative Menschen erdacht haben! Wenn, dann sollten die Künstlerinnen und Künstlern Tantiemen für ihre Werke erhalten, nicht allein die Verlage. Die bekommen ohnehin eine Prozentsatz für ihre Arbeit. Und vor allem dann sollten die Künstlerinnen und Künstler gewürdigt werden, wenn es sich um kreative Inhalte handelt, die ohne Verlag erstellt wurden!
Die Freiheit der Kunst sollte gewährleistet bleiben! Das geht damit verloren!!
Kommentar von: fr.osch [Besucher]
Das sogenannte konservative Verständnis davon, wie Medien funktionieren, ist auf eine Art rückwärtsgewandt, die kaum zu ertragen ist. Denn dabei werden die Medien als Einbahnstraßen verstanden, die ihre Inhalte verkünden, während der Bürger passiver Konsument ist, der nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Programmen hat.
Die elektronischen Massenmedien haben ihren Ursprung im 3. Reich. Hitler hat als erster erkannt, welche Macht sie haben, und hat deshalb dafür gesorgt, dass jeder Haushalt mit einem Volksempfänger ausgestattet wurde, um darüber dann Propaganda zu verbreiten. Die “Erfolge” sind bekannt.
Die Möglichkeiten des Internets und insbesondere der sozialen Plattformen sind hingegen die erste echte Demokratisierung der Massenmedien, denn sie erlauben erstmals eine umfassende Teilhabe aller. Diese besonderen, neuen Freiheiten müssen erkauft werden durch die Einschränkung anderer Rechte, das ist zweifellos richtig - aber angesichts des demokratischen Freiheitsgewinns in einem gewissen Rahmen zweifellos hinnehmbar, zumal Kompensationsmechanismen möglich sind, die die neuen Freiheitsrechte nicht beeinträchtigen.
Auf jeden Fall muss eine demokratische politische Diskussion über die Funktionsweise der internetbasierten sozialen Medien diese speziellen neuen Freiheiten angemessen berücksichtigen. Ein Beharren auf bisherigen Kommunikationsformen und die kompromisslose Durchsetzung tradierter Schutzrechte alleine wird dem nicht gerecht. Eine Neugestaltung von Schutzrechten und ihrer Durchsetzung ist unvermeidlich und darf keineswegs zulasten der neuen Freiheiten gehen. Das Urheberrecht darf nicht über den grundlegenden demokratischen Grundrechten stehen, sonst wird es selbst wertlos, denn sein Bestand hängt wesentlich von einem Funktionieren der Demokratie ab.
Als unser Grundgesetz geschrieben wurde, konnte niemand ahnen, dass es eines Tages Medien geben würde, die derartige Freiheiten ermöglichen. Das ist dann auch der Grund dafür, dass sie nicht hinreichend ausdrücklich berücksichtigt sind. Aber aus den vorhandenen Grundsätzen lässt sich zweifellos ein Schutz auch der neuen Freiheiten zur demokratischen Teilhabe in sozialen Medien ableiten. Der Schutz dieser neuen Freiheitsrechte ist essenziell für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, wir dürfen uns nicht vor diesen Möglichkieten verschließen, die ansonsten nämlich weltweit Fortschritt bringen. Das Urheberrecht darf nicht als Ausrede herhalten, um Fortschrittsängsten zu folgen. Wir müssen uns aktiv um diesen offensichtlichen Fortschritt bemühen, wenn wir keinen echten Rückschritt erleiden wollen.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Ich stimme Dir größtenteils zu. Im Detail möchte ich aber die heilsbringende Funktion von Plattformen ein gutes Stück relativieren, denn erstens filtern diese jetzt schon massiv. D.h. die Verordnung ändert da faktisch gar nicht mal viel und ich halte die Auswirkungen auf Plattformen daher für relativ gering - die Schwierigkeiten, die durch die Anwaendung von Artikel 13 befürchtet werden sind eigentlich schon längst da, ohne dass es dafür eine Richtlinie oder ein Gesetz geben muss - Usercontent ist schon jetzt massiv der Willkür der Plattformbetreiber ausgesetzt.
Zweitens vergessen wir gerne und regelmäßig bei jedem Anlass der letzten 25 Jahre, der das Ende des Internets beschworen hat, die Resilienz des Systems. Wir reden hier über den obersten Layer - den Anwendungslayer - des OSI-Modells. Das ist aber der, auf dem es immer wieder neue Lösungen gab und gibt, die Kommunikation wieder fließen zu lassen. Wenn Plattformen nicht mehr funktionieren, gehen wir eben in die dezentralen Dienste. Was evtl sogar eine gute Entwicklung ist, die von Artikel 13 angefacht wird. Das will ich nur nicht allzu laut propagieren, man muss die Politiker und Verlage ja nicht mit der Nase drauf stoßen, dass Plattformen nicht das Internet sind sondern nur eine von zig Distributionswegen für kreativen Content ;-).
Des weiteren ein Hinweis zum 3. Reich: Sorry, aber wir sind hier in Deutschland wirklich sehr weit entfernt von staatlich gelenkter Propaganda, dafür haben nach dem Krieg Gesetze - gerade in Erinnerung daran, was passieren kann - gesorgt. Gerade die durch die vor politischem und wirtschaftlichem Einfluss geschützte Gebührenfinanzierung sehr unabhängigen öffentlich rechtlichen Sender sind eine Errungenschaft, die man gar nicht hoch genug preisen kann.
Kommentar von: fr.osch [Besucher]
Der Hinweis zum 3. Reich sollte auch nur der kulturhistorischen Einordnung dienen. Die Erfolgsgeschichte der Einbahnstraßenmedien beginnt nunmal dort. Damit wollte ich keineswegs suggerieren, dass wir hier in Deutschland auf dem Weg in ein totalitäres Regime wären, und auch ich habe großes Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien, manchmal sogar mehr als in die privaten (so z. B. bei den Themen Urheberrecht und Leistungsschutzrecht).
Wenn wir aber mal über die Grenzen zu den Nachbarn schauen, werden wir erschreckt feststellen, welche Auswirkungen es hat, wenn solche Medien gleichgeschaltet werden: Z. B. in Ungarn, oder in Italien (damals mit Berlusconi), in Polen… das ist nicht lustig und betrifft uns indirekt natürlich auch (z. B. über die EU).
Dezentrale Dienste sind sicher eine gute Idee, aber ohne eine entsprechende Beteiligung funktionieren sie nicht, weil sonst die Ressourcen fehlen (redundante Datenhaltung, Rechenleistung, Suchalgorithmen). Das lässt sich alleine durch Freiwillige kaum stemmen, auch nicht durch Spenden für eine Cloud. Milliardenschwere Konzerne (v. a. finanziert durch Investoren) sind da mit riesigen Serverfarmen einfach im Vorteil, nicht zuletzt auch beim Lobbying (Arbeitsplätze!). Außerdem lassen sich solche verteilten Dienste natürlich auch sabotieren bzw. unterdrücken - oder manipulieren. Der Kampf gegen P2P-PLattformen ist legendär, und Kryptowährungen sind auch ein schlechtes Beispiel. SPAM wäre sicher auch ein Problem…
Dass die Plattformen auch heute schon mit dem Usercontent machen, was sie wollen, ist schon richtig, aber es sind deren eigenen Hausordnungen, die sind halbwegs berechenbar, und wenn die meine Inhalte nicht wollen, gehe ich eben woanders hin. Da gibt es ja Konkurrenz. In Zukunft wird aber die Filterung durch den staatlichen Zwang vereinheitlicht, geradezu standardisiert. Dann wird überall dasselbe gefiltert… zumal die Filtersysteme voraussichtlich von nur sehr wenigen Anbietern stammen werden, weil die Entwicklung sehr aufwendig ist.
Europa ist auf den Weg hin zu einem abgekapselten europäischen Internet, das mit den Internet im Rest der Welt nicht mehr viel zu tun hat. Das ist tragisch… die europäischen Bürger haben was Besseres verdient.
Kommentar von: Anna [Besucher]
Genau, die Möglichkeiten des Internets und insbesondere der sozialen Plattformen sind hingegen die erste echte Demokratisierung der Massenmedien, denn sie erlauben erstmals eine umfassende Teilhabe aller.
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Bei Artikel 13 (in Kombination mit Artikel 12) kann man sagen das es um die Verwertungshoheit geht.
Bei Artikel 11 hingegen geht es um die Deutungshoheit = welche allerdings bei dergleichen Gesetzgebung verloren geht.
An andere Stelle schrieb ich dazu folgendes: [mit Berufung auf die “Partido Pirata” ( =Piratenpartei Spaniens). Da Spanien vor Jahren bereits auf nationaler Ebene eine Linksteuer einführte (selbiges wie €U Artikel 11) strichen die Suchmaschinen kurzerhand einfach alle steuerrelevanten Linkverweise um die Steuer zu umgehen. Das ende vom Lied? Spaniens (öffentlich-rechtliche) mediale Deutungshoheit ging verloren … soll wohl mit einer der Faktoren in Sachen Kataloniens Unabhängigkeitsbestrebungen gewesen sein. So was kommt von so was. Los €U mach mal. Schaff Dich einfach selber ab.]
Die EU muss langsam tatsächlich aufpassen, wie unter anderem der Lobo auch schrieb, nicht auch noch die letzten jungen und engagierten EU-Befürworter zu verprellen.