Publikumsbeschimpfung
Es ist echt wieder ein Déjà vu mit dieser "Fair lesen"-Initiative.
Und immer wieder lustig finde ich
1. die (m.E. gar nicht mal so reflektierte) Grundthese, dass jemand, der alle Möglichkeiten nutzt, um etwas zu bekommen, ohne dafür zahlen zu müssen, plötzlich all das zahlen würde, wenn man ihm die Möglichkeit nimmt, es umsonst zu bekommen.
Erstaunlicherweise ist das aber nicht der Fall - und das ist auch schon lange bekannt -, denn Menschen, die viele Bücher leihen, sind auch die, die viele Bücher kaufen (wenn sie sie sich leisten können) und wenn ich dafür sorge, dass es schwerer wird, Bücher zu leihen, sinkt die Zahl der gelesenen Bücher und steigt nicht die Zahl der gekauften.
2. die (m.E. ebenfalls gar nicht so reflektierte) Gleichsetzung von allem was "Gratis" ist und allen, die "Gratisangebote" nutzen.
Es gibt zig Gründe, sich Bücher zu leihen und jede Menge Wege, Dinge zugänglich zu machen, die anders funktionieren als "ein individueller Verkauf eines Mediums an eine Person". All das wird aber zusammengeworfen und durchgemischt, bis das Stehlen eines Buches im Buchladen und die Nutzung einer Bibliothek dasselbe geworden ist.
Und warum ein Déjà vu?
Weil diese Diskussion im Prinzip eine Reprise der Diskussion von Anfang der 2000er ist, als jede Menge Musikverlage und deren Musiker:innen sich mit Hörer:innenbeschimpfung ihre Fans vergraulten, indem sie über die "Gratiskultur" jammerten. Auch damals sind diese rein anekdotischen Empörungserzählung klar widerlegt worden, zB damit, dass es die Menschen sind, die sich Songs und Alben herunterladen, die bei weitem mehr Geld für Musik ausgaben, als Menschen die das nicht taten (denen reichte nämlich das Radio) und dass Musiker und Bands schneller bekannt wurden und deren Verkäufe auch messbar stiegen, sobald sie beliebter in den damaligen Tauschbörsen waren.
Insofern dürfte diese ganze Diskussion so enden wie damals auch schon: die digitalen Distributionswege werden durch Verlage so lange ausgebremst wie möglich (da der Profit von physischen Medien wesentlich höher ist), dann übernehmen Techfirmen das Geschäft komplett (zT haben sie es ja schon, weil die Verlage ja keine Lösung anbieten, werden die halt am Ende ebenso wie die Musikverlage zu reinen Contentlieferanten degradiert) und die sinkenden Margen werden den Autor:innen weitergegeben, denen man was von bösen Raubkopierer:innen erzählt oder dass man Millionen durch Leihbüchereien verlöre. Am Ende waren die Musiker:innen die gearschten, vor allem die, die am Ende von den Verlegern über den Tisch gezogen wurden, weil die die Künstler:innen bei der Digitalverwertung einfach mal richtig krass ausgebootet haben.
Ich sehe, wie das mit Autor:innen gerade ganz genauso passiert. Denn wieder erzählen Verlage ihren Autor:innen, dass die bösen Rezipienten Schuld seien. Dabei werden Jahr für Jahr immer mehr Medien verkauft als zuvor, obwohl sie gleichzeitig einfacher zu kopieren sind. Dass von den Verkäufen eben nicht mehr so viel bei den Erzeugern ankommt, den Leser:innen und Hörer:innen in die Schuhe zu schieben ist schon ein Kunststück.
Funktioniert aber nach wie vor, scheints.
2 Kommentare
Danke für den Beitrag. Ich hoffe, dass auch einige der Autor*innen die dort unterschrieben haben, sich den Beitrag zu Herzen nehmen. Das wäre auch in deren eigenen Interesse.
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Danke! Das hat mir wirklich aus des Herzen gesprochen. Ich verstehe das Anliegen der AutorInnen, aber id sehe es auch so,dass es am Ende genauso wie den Musikern ergehen wird, wenn man sich hier wieder einmal verweigert. Wie ist das heute mit Spotify und Co.?