Vor dreißig Jahren: Eine umstrittene Baustelle und 120.000 Demonstranten
Wenn ich heute die Nachrichten sehe erinnere ich mich mich sehr lebhaft an die Zeit, als ich 13 Jahre alt war. Auch da wurde gegen alle Widerstände gebaut und die Zahlen und Fakten klingen doch sehr ähnlich:
Am 14. November 1981 demonstrierten in Wiesbaden mehr als 120.000 Menschen gegen die Startbahn-Pläne. Dem Landeswahlleiter wurden 220.000 Unterschriften für ein Volksbegehren übergeben. Der Frankfurter Magistratsdirektor Alexander Schubart rief auf der Kundgebung zu einer „Besichtigung“ des Flughafens am nächsten Tag auf. Tags darauf blockierten über Stunden Startbahngegner die Eingänge zum Flughafen. Als die Polizei mit Gewalt gegen die Demonstration vorging, flüchteten die Demonstranten auf die benachbarte Autobahn, wo sie Barrikaden errichteten. Zur Räumung der Autobahn setzte die Polizei per Hubschrauber abgesetzte Bundesgrenzschutz-Einheiten ein.
Über eine Woche war die Innenstadt von Frankfurt und anderen Städten des Rhein-Main-Gebietes durch tägliche Protestaktionen faktisch gesperrt. Eine Besetzung des Frankfurter Hauptbahnhofs wurde von Ordnungkräften verhindert. Am späten Abend des 3. November 1981 kam es in der Rohrbachstraße im Frankfurter Stadtteil Nordend zu einem schwer umstrittenen Polizeieinsatz gegen eine Startbahndemonstration, bei dem mehrere Demonstranten schwer verletzt wurden. (...)
Die Bilder in den Nachrichten waren ebenfalls ähnlich und auch die zunächst scheinbar großen Mobilisierungserfolge: Auch die Gegner der Startbahn West setzten sich aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammen, auch hier wurde der Druck aus der Bevölkerung immer größer und erschien fast übermächtig. Und auch hier ist man dann irgendwann auf die Hardliner-Schiene gewechselt, wodurch zwar zunächst alles noch ein mal eskalierte, aber wodurch man eben auch erreichte, dass die bürgerlichen Lager zu Hause blieben und nur noch die bildwirksamen "Chaoten" zu den Demos kamen.
Denn darum geht es bei dieser Strategie ja: Die Bilder im Fernsehen sind zwar schlimm, die Wut auf selbstherrlich daherfaselnde Innenminister groß, aber der gewünschte Effekt wird sich einstellen und die netten alten Damen und Herren werden nicht mehr zu den Demos kommen, weil sie Angst davor haben müssen, dort von Polizisten verprügelt zu werden. Das ganze ist dabei aber wahrscheinlich gar nicht mal eine 100% bewusste Entscheidung sondern eher ein technokratischer Prozess.
Und dann wird - wie die Startbahn West - auch diese Baustelle errichtet. Ich erinnere mich auch noch an die Betonwand, die man damals aufgebaut hat - ich bin gespannt, ob es so eine auch mitten in Stuttgart geben wird ...
Update: Tilman Aretz vermutet in seinem Kommentar bei n-tv ähnlich.
11 Kommentare
Kommentar von: bembel ::BK:: [Besucher]
Kommentar von: Wolfgang G. Wettach [Besucher]
Ganz viele Baden-Württemberger haben “so etwas noch nie gesehen” oder “noch nie sowas erlebt” - ich schon, auch ich habe an die Startbahn West denken müssen und an Günter Sare, ich war auch an den Baustellen von Brokdorf und Wackersdorf, erinnere mich noch an das Entsetzen auch der internationalen Journalisten über die Räumung der Republik Freies Wendland. Das war Bürgerkrieg gegen das eigene Volk oder jedenfalls gegen eine friedlich protestierende Minderheit darin.
Mag sein, dass jetzt mit immer mehr Polizei immer mehr Fakten geschaffen werden. Es wird nichts daran ändern was im März geschehen muss: Mappus, das hässliche Gesicht dieser Bulldozer-Politik gegen die eigenen Bürger, muss weg.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Ach, Politiker sind austauschbar. Selbst Parteien. Wendland hat Helmut Schmidt räumen lassen und die Startbahn West wurde unter der SPD-Regierung von Holger Börner (DA gabs noch klasse Grüne-Wahlplakate!) durchgeprügelt.
Kommentar von: Julio [Besucher]
Die zentrale politische Kategorie ist die Frage der Tagesthemen-Moderatorin an den Badenwürtembergischen Innenminister Rech: “Schlagstöcke gegen das Stuttgarter Bürgertum?” Die TAZ berichtet, das gestern von den Demonstranten die Nationalhymne gesungen wurde:
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/wasserwerfer-gegen-konservative/
Die offen ausgesprochene Strategie ist, dass jetzt, so früh als möglich, die Empörung hochkocht, um bis zur BW-Landtagswahl im März 2011 abzukühlen. Danach hofft man auf die Unumkehrbarkeit des Projekts.
Und wahrscheinlich hofft man auch auf eine große Koalition mit der SPD: Den Zulauf zu den Grünen nimmt man in Kauf. Aber die SPD hat schwere Bedenken als Juniorpartnerin oder auch nur gleichberechtigte Partnerin in eine Koalition mit der grünen Partei einzugehen, wenn diese gleichstark oder sogar stärker als die SPD aus den Wahlen hervorgeht. Ein akzeptierter grüner MP ist für die SPD ein Präzedenzfall, der belastend in die anderen Bundesländer (Berlin, östl. Länder) ausstrahlen würde, wo Grüne oder Linke ebenfalls bedeutender werden könnten als die SPD. Aber es gibt viele Fleischtöpfe, die die CDU der SPD bieten kann und wird, um im Bundesrat ein Bundesland politisch neutral und nicht rotgrün zu machen. Und im Machbarkeitswahn ist man sich ohnehin nahe.
Mich fasziniert die ganze Angelegenheit auf eine Weise, wie ich sie selten zuvor erlebt habe. Zum Einen die breite Aufstellung des Protests, durch die auch mal das schwaebische Buergertum auf einmal die “falsche” Seite der Staatsgewalt entdeckt, zum Anderen die wahnsinnige Vernetzung und Informationszufuhr. Von der Startbahn West gab es eben nur Journalistenbilder.
Im Wesentlichen geht es ja schon lange nicht mehr um Sach-, sondern um Ideologiefragen (siehe fxneumanns Fragen zur Notwendigkeit der repraesentativen Demokratie). Gerade Konstellationen wie die von Julio geschilderten duerften die Entfremdung von Buergern und Politik _noch_ weitertreiben…
Und was ist aus der Startbahn-West geworden? Ist sie ein Milliardenloch für die Steuerzahler geworden? Oder war sie nach 30 Jahren betrachtet doch eher ein Segen für Frankfurt und die Region? Sprich, würden heute noch genauso viele für die Schließung und den Rückbau der Startbahn-West auf die Straße gehen?
In 30 Jahren wird man über die Possen in Stuttgart sicher nur schmunzeln und sich vielleicht freuen, “dabeigewesen” zu sein und seinen Kindern und Enkeln was erzählen zu haben - und dann ganz gemütlich in einen Zug steigen als sei nichts gewesen. So wie heute sicher viele Demonstranten von damals wie selbstverständlich in Frankfurt mit dem Flieger abheben.
@ konrad
Wenn an allen Ecken und Kanten der Nation gespart werden muss, sollten so viele Milliarden an Steuergeldern nicht in einen Bahnhof gesteckt werden. Egal, wieviele Menschen ihn womöglich(!) in 30 Jahren nutzen werden.
Mal ganz abgesehen von der absolut unangebrachten Gewalt, welche eingesetzt wird, und welche zum (angeblichen) Nutzen in keiner Relation steht.
Mir persönlich wäre es lieber, in einer Diktatur zu leben, die offen zugibt, eine zu sein.
Freiheitlich demokratischer und sozialer Rechtsstaat? Ja, klar…
@konrad: das ist doch Unfug: geschaffene Fakten und der Umstand, dass diese nun halt auch zu dem Zweck genutzt werden, wofür sie gesetzt wurden und das soweit beste draus gemacht wird bzw. sich damit abgefunden/arrangiert wird ist doch kein Argument dafür, dass das damals (mal von der Art und Weise der Durchsetzung dieser Fakten ganz abgesehen) “richtig” war - hätte man diese zusätzliche Kapazität auf einen anderen Flughafen gelegt würdest du heute sagen “Seht ihr, es ging auch ohne, damals hieß es, man schade der Wirtschaft, heute ist man über die Lastenverteilung froh und es haben mehr als eine Region was davon". Mit dem richtigen Konjunktiv bau ich dir jeden Quatsch zum Argument um.
Kommentar von: Tolund [Besucher]
Mir ist schon klar, daß das aktuell keine populäre Meinung ist, aber ich halte unsere mittelbare Demokratie über Wahlen und Parlamente immer noch für den besten Ausgleich zwischen Kompetenz und Bürgerwille.
Ungeachtet der Tatsache, daß ich Stuttgart 21 selbst eher kritisch sehe, hat der ganze Prozess eine lange Vorgeschichte, bei dem es möglich gewesen wäre zu intervenieren.
Die aktuellen Ereignisse sind Ergebnis einer Gemengelage aus persönlichen Interessen, Wahlkampftaktik und der in den letzten Jahren gewachsenen Einstellung, daß direkte Demokratie der mittelbaren irgendwie überlegen, gleichsam hochwertiger sei.
Unser politisches System ist sicher alles andere als perfekt, ich halte es aber für einen Fehler, wenn Demokratie etwas sein soll, was durch Emotionalisierung und Mobilisierbarkeit qualifiziert ist.
Ich finde es bedauerlich, daß die Polizei derartig massig vorgegangen ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das aus Jux und Dollerei getan hat. Vielleicht sollte man erwägen, daß auch die Teilnehmer an Demonstrationen eine Verantwortung gegenüber dem Ganzen haben und sich Provokationen und Mutproben aller Art einfach mal verkneifen sollten. Die Polizisten leben in der gleichen Gesellschaft wie die Demonstranten und vielleicht wäre es nicht zu viel verlangt, gelegentlich mal einer Anweisung der Polizei Folge zu leisten. Wir leben in keiner Diktatur, in der man Widerstand gegen den Staat leisten müßte…
Kommentar von: Heiner [Besucher]
> Ach, Politiker sind austauschbar. Selbst Parteien.
Blogger auch, weil sie immerzu der Autosuggestion erliegen, sie seien zum Schreiben begabt. Statt weiter dumm daher zu tippen, solltest du ernsthaft eruieren, deine sicher jedes Mal akkurat in die Schüssel drapierten Würste zu knipsen und hochzuladen. Das hätte 100 x mehr Charme als die Grütze hier. Peinlich, wie bemüht dein Versuch wirkte, etwas Interessantes über dein Klavier zu schreiben. In case you missed it: Es gibt nichts Interessantes über das Klavier zu berichten. Was kommt als Nächstes? Ein Schuhschränkchen? Eine Kommode? Ein Lattenrost? Lets face it: Du bist eine erbärmliche Flachpfeife, der die Topoi ausgegangen sind. Lauf doch bitte vor einen Bus. Schönen Dank.
Kommentar von: jensscholz [Mitglied]
Hihi, Du bist ja ein niedlicher Troll. Hast es sogar geschafft, mich zu amüsieren. Allerdings hab ich nicht viel Zeit für eine Dauerbeziehung mit dir und ich denke der Unterhaltungswert deiner möglichen Einlassungen hier hat sich hier auch schon vollständig entfaltet. Dein Kommentar wird also ein Einzelgastspiel bleiben. Tschö mal (ach, und denkst Du eigentlich echt, ich weiß nicht, wer du bist?).
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yepp, genau!!! an die Startbahn-Bilder werde ich auch schon den ganzen Tag erinnert, mit all’ den bitteren Gedanken … :-(