Wie das ist wenn man sich als Internetdings selbständig macht...
Keine Sorge, ich rede nicht über finanzielle Änderungen, Steuern oder Arbeitszeiten. Das kennt man ja. Nein, ich möchte darüber reden, dass ich bemerkt habe, wie sich mit diesem Schritt meine Online-Persönlichkeit verändern muss. Denn es haben sich mit diesem Schritt doch ein paar wichtige Grundlagen dafür verschoben, wie ich mich bisher professionell bzw. halbprivat darstellte.
Bisher habe ich als Blogger bzw einer dieser halbwegs zumindest szenebekannten Online-People eine strikte Trennungspolitik zwischen beruflichen und privaten Aktivitäten gefahren. Was vielleicht ganz easy aussah, aber in wirklichkeit nicht so einfach war, denn in beiden Feldern war ich ja in digitalen Themen unterwegs. Ich habe mir nämlich immer überlegt, wie ich meine "Businesspersona" und meine Netzpersona so weit auseinanderhalte, dass ich in meinem Beruf nicht anecke - sei es in der Firma oder bei Kunden - als auch dass mein Beruf mich nicht davon abhält, dennoch all die Dinge online zu tun, die ich nun mal gerne tun will.
Das hab ich ganz gut hinbekommen in den letzten 15 Jahren. Obwohl ich hin und wieder auch mal zeitweise etwas sichtbarer gewesen bin, sei es in Sachen Klowände des Internet, Euroweb, Zensursula, den diversen Twitter-Fakeaccounts oder Facebookparties und bei durchaus kritischen Podcast, hat es nie deswegen bei Kunden oder Arbeitgebern Schwierigkeiten gegeben. In der anderen Richtung habe ich meine Arbeitgeber und Kunden nicht ein mal zum Thema gemacht oder genannt. Diese Trennung hat also super funktioniert, sie erschuf einen so großen Abstand zwischen meinen beiden Persona, dass sie sich nie gegenseitig ins Gehege kamen.
Allerdings war diese Trennung natürlich sehr künstlich: Eigentlich habe ich in meiner Arbeit sehr oft dieselben Grundphilosophien genutzt, wie ich sie im onlineaktivistischen Rahmen ansetzte. Transparenz, die Auflösung von Hierarchien, Enablement, Auflösung von Schwellen und Diskriminierung... das sind genauso Themen, wenn es um digitale Strategien, Interaktionskonzepte, (digitale) Bedienbarkeit von Prozessen und nicht zuletzt auch um Marketing und Kampagnen ging, vor allem in Sozialen Medien. Ich habe meine Grundsätze bei einem Schulungskonzept einer Supportabteileung eines Telefonkonzerns vermittelt, bei der Idee eines Game-Based Learning Tools für Menschen die an Fließbändern arbeiten und vertrat diese Philosophien offensiv in meiner Funktion als Führungskraft.
Und nun, als selbständiger Berater, muss ich - nein will ich - diese Trennung aufheben. Denn natürlich sind auch meine "Netzkapriolen" nicht einfach nur aus Spaß entstanden:
Tweets von Wagner zum Beispiel ist ein Proof of Concept dafür, dass ich einen Twitterkanal aufsetzen kann, dem freiwillig alle Journalistinnen und Journalisten folgen: Eine Multiplikatorengruppe, nach der sich jeder PR-Manager die Lippen leckt. Und es hat funktioniert: Über zwei Drittel der knapp 3000 Follower sind Medienmenschen.
Der "Angriff" auf Euroweb damals war der Versuch, die Kritik an einem Geschäftsgebaren sichtbar zu machen, das offensichtlich viele Kunden in große Nöte brachte und wenn diese versuchten, sich auf Foren darüber auszutauschen wurden die Forenbetreiber mit Abmahnungen gezwungen, diese öffentliche Auseinandersetzung zu verhindern. Daher habe ich damals eine Reaktion provoziert, die das Thema in die wesentlich dezentralere Blogosphäre brachte. Inzwischen findet man doch einige Informationen, die auch stehen bleiben.
Die Facebookpartys bei der CDU entstanden damals aus dem Ärger darüber, wie Politiker es immer wieder schaffen, aus Nichtigkeiten große Themen im Sinne ihrer Agenda zu kreieren: In diesem Fall gingen sie mit der scharfen Forderung nach einer Kriminalisierung von Jugendlichen in die Medien, deren Partys, zu denen sie per Facebook eingeladen hatten, aus dem Ruder liefen, weil irgendwelche Leute es lustig fanden, ihre Veranstaltung zu crashen. Sprich: Ausgerechnet an den Opfern von Bullying wollte man ein Exempel statuieren. Die Idee, die ich mit einer Kollegin während der Mittagspause in die Tat umsetzte war einfach und effektiv: Wir suchten nach CDU-Veranstaltungen mit offenen Einladungen, luden alle Freunde ein, baten diese, auch ihre Freunde einzuladen und die Veranstaltungen möglichst absurd, aber "bedrohlich" zu kommentieren. Das Ziel war, der CDU ihr Law-and-Order Sommerlochthema so aus der Hand zu nehmen und es ist uns offenbar nachhaltig gelungen, da sie es seitdem nie wieder angefasst haben.
Das alles kann man - wie mir jemand auf der re:publica letztens sagte - gut unter dem Begriff Social Engineering laufen lassen (zugegeben, eine kleinere und digitale Variante gegenüber der offiziellen Definition von Popper). Es sind möglichst unaufwändige soziale Hacks, die Themen aber mit massivem Druck in die Öffentlichkeit bringen oder Reaktionen manipulieren, gerade in Medien. Und das nicht heimlich oder mit Marketingtricks sondern immer mit möglichst offenen Karten: Der Effekt jedenfalls ist im Nachhinein jedem klar, der sieht was ich gemacht habe und wie die Sache sich entwickelt hat. Daher habe ich auch lange geglaubt, dass das alles gar keine Kunst ist, interessanterweise aber höre ich im vorneherein seltener ein "Ja, das ist ja zu erwarten." Anscheinend mache ich also was richtig, was viele mit wesentlich mehr Aufwand und dennoch weniger Erfolg versuchen.
Nur habe ich eben jetzt dieses Problem: Wie bekomme ich den bisherigen Profi-Jens mit dem Internetdings-Jens zusammen? Wahrscheinlich so, wie ich vieles mache: Mit einem Schritt nach dem anderen und evolutorisch. Ich bin jedenfalls gespannt, wie meine "neue" Persona am Ende aussieht...
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Tweets von Wagner ist von Dir? grandios!