Wow! Du bist jetzt 9 Jahre alt. Ich überleg mir was schönes für Dich. Vielleicht mal wieder einen ganz langen Artikel. Versprochen.
(Und mach Dir keinen Kopf wegen dem Flattr-Button nach 9 Jahren komplett probono bloggen. Der gilt immer fürs ganze Blog. Ich bin wahrscheinlich eh zu faul, für jeden Artikel einen Code und Button zu erzeugen).
Ich lese so alle ein, zwei Jahre mal ein Buch von Murakami. Nicht, weil ich mir das irgendwie vornehme oder unbedingt alle seine Bücher lesen will - ich stolpere meistens in Buchläden drüber. Aber irgendwie passen seine Erzählungen dann jedes Mal gut in meine jeweilige Situation. Vor drei Jahren, als ich so etwas wie ein neues eigenes Leben angefangen habe, hab ich "Mister Aufziehvogel" gelesen. Ich fuhr zu dieser Zeit fast eineinhalb Stunden mit S-Bahnen und Regionalexpress von Düsseldorf zu meiner neuen Arbeitsstelle bzw. zurück und an den Wochenenden mit dem ICE nach Neu-Isenburg. Einerseits war ich zuvor noch nie derart entwurzelt, andererseits aber auch schon lange Zeit nicht mehr so unabhängig von irgendwelchen Tagesverpflichtungen. Der Job ging von selbst, da ich für das was ich tat doch inzwischen auf sehr viel Erfahrung zurückgreifen konnte. Ich genoss es, mich für nichts wirklich beeilen zu müssen, da es keinen Grund gab, zu einer bestimmten Zeit irgendwo hin zu kommen. Ich wurde nirgends von jemandem oder etwas erwartet. Mister Aufziehvogel war ein Buch, das mich darin zu unterstützen schien, diese Situation gut zu finden. Es geht darin um jemanden, der sich ausklinkt, der zunächst vom Gleis rutscht, dann aber diesen Zustand annimmt, sogar verstärkt, sich in einen inneren Retreat begibt und verwandelt wieder herauskommt. Nicht dass es eine Konkretisierung dieser Verwandlung gibt oder eine genauere Beschreibung und Unterscheidung, es gibt keinen Vorher-Nachher Vergleich. Der Protagonist bleibt dieselbe Person, aber er hat sich irgendwie sowas wie gehäutet.
Letztes Jahr hab ich "Kafka am Strand" gelesen, das ebenfalls ein gutes Timing hatte, das ich hier jedoch nicht ausführlich abhandeln muss.
Vor einigen Wochen dann habe ich angefangen, "Wilde Schafsjagd" zu lesen. Hier schien die Parallele zunächst die zusein, dass ich gerade mehr oder weniger absichtlich meinen gemütlichen Job gegen einen sehr viel hektischeren getauscht habe, noch dazu einen, bei dem noch nicht wirklich absehbar ist, wohin er mich noch führen wird. Während des Lesens wurde mir aber klar, dass es darum nicht ging. Es ging um Abschiede und wie man sie richtig macht. Einige lässt man einfach geschehen, andere muss man erarbeiten, wieder andere haben eine größere Bedeutung, eine deren Auswirkungen aber niemals ganz klar werden können, selbst wenn man zumindest schon erfasst hat, wie wichtig sie sind und dass sie unbedingt sein müssen, damit alles - nicht nur für einen selbst - weitergehen kann. Ein besseres Buch hätte ich als Vorbereitung auf die vorletzte Woche nicht lesen können.
Jetzt lese ich direkt hinterher die Fortsetzung - "Tanz mit dem Schafsmann" - in der es, soweit ich es momentan überblicke - darum geht, wieder in den Tritt zu kommen. Der wichtige Satz, den der Protagonist als Rat auf die Frage bekam, was er tun solle, ist wohl "Tanzen. Immer weitertanzen, solange die Musik spielt. Dann wird sich die Starre lösen. Tanzen ist alles. Brillant tanzen, so dass alle dich bewundern." - und ab diesem Moment passieren jede Menge seltsame Dinge, begegnen ihm neue Menschen, die ihm wichtig werden und über allem steht die Drohung, dass er es nicht schaffen könnte, dass er einfriert, dass sich die Verknüpfungen lösen und er in der Dunkelheit verschwinden könnte. Allerdings könnte es sein, dass das Buch noch eine völlig unerwartete Wendung vollführt, denn eigentlich wird, zumindest mir, immer erst in den paar letzten Kapiteln richtig klar, worum es eigentlich geht. Aber schon jetzt ist die Welt, in die mich Murakami da wieder mitnimmt, eine mit der ich gerade jetzt schon wieder sehr viel anfangen kann, die meiner eigenen Welt schon wieder sehr viel mehr ähnelt als es mir lieb ist.
Drei Tage Alex in Hamburg besucht. Drei Tage durch die Stadt gelaufen und alles angeschaut. Drei Tage viel Wind und viel Wetter genossen. Drei Tage viel Ruhe und viel Spaß mit Lewin gehabt.
Und es gibt jede Menge Fotos. Das hier ist mein liebstes:
(alle Fotos hier)
Es ist viel passiert in den letzten eineinhalb Wochen. Nicht viel sichtbares. Aber eine Trennung, die so plötzlich und unvermittelt kam, dass ich zunächst vorsichtshalber auf die Bremse gestiegen bin, um nichts verkehrtes zu machen.
Und eine Woche, in der der neue Job so anspruchsvoll und dicht gepackt war, dass mir die damit verbundene notwendige Konzentration darauf sehr Recht war.
Und am Ende gab es ein gutes Gespräch, das wieder den Blick ausrichtete, das erdete und in dem wir uns auch einig darüber wurden, dass es nicht schlimm ist, wenn eine schöne Zeit zu Ende geht. Dass das nicht heißt, dass wir uns nicht mögen, achten, weiterhin die Dinge zusammen tun können, die uns gut tun. Wenn eine Verbindung nicht mehr passt weil wir uns in drei Jahren beide so sehr verändert haben, dass sie einengt, stresst, den anderen unglücklich macht, kann man nicht verkrampft daran festhalten. Sie reißt ja am Ende sowieso. Und wenn ich ehrlich bin, steckten wir tatsächlich schon eine ganze Weile fest. Sie hat lediglich zuerst den Mut gefunden, das auch zu sagen.
Jetzt packe ich gerade meinen Koffer, denn ich fahre mit Lewin ein paar Tage nach Hamburg und mache dort mit ihm Urlaub. Das kann man mit ihm gut, ich war ja mit ihm auch schon mal für ein paar Tage in Berlin unterwegs. Es ist grade sowieso niemand mehr hier in Köln. Astrid ist nach Kreta abgedüst, Eva nach Schweden, Joshua hat diese Woche auch Besuch und ist beschäftigt. Da kann ich ruhig mal ein paar Tage abhauen.
Giardino fragte im Laufe der Diskussion zum Schienen legen Artikel
... Wie sieht ein Modell des Zusammenlebens aus, das deinen Vorstellungen nahe kommt? Inwiefern bist du dem schon näher gekommen, wie du schreibst? (Das interessiert mich wirklich. Falls dir diese Fragen nicht zu persönlich sind.)
Und ich hatte hier einen ziemlich langen und enthusiastischen Artikel angefangen mit vielen Dingen, die ich in den letzten drei Jahren gelernt habe und wie das Leben aussieht, das ich gerade habe und was davon gut ist und was davon ich noch anders machen will.
Ich habe das alles aber gerade komplett löschen müssen, da - für mich leider völlig unerwartet - seit eben nichts mehr daran stimmt. Statt des Artikels darüber wie schön sich das mit meinem Leben grade entwickelt und wie ich mir vorstelle wie es noch besser wird ist hier stattdessen für wahrscheinlich eine längere Zeit Pause, ich weiß grade schlicht gar nichts.
Meine größte persönliche Niederlage war, dass ich mich an einem Punkt meines Lebens auf die Schienen habe setzen lassen, die bestimmten wie die Menschen in Deutschland idealerweise zusammenzuleben haben und dass ich das zu spät bemerkte. Schienen, die durch gesellschaftliche Bestimmungen und Gesetze aufgebaut wurden und werden und die einem das Leben leicht zu machen scheinen, wenn man ihnen folgt und es holprig und mühsam machen, wenn man versucht, einen anderen Weg zu gehen.
Anfang 2000 war es bei mir so weit, dass ich auf den Schienen fuhr: Verheiratet, zwei Kinder, ich arbeitete Vollzeit, Astrid war hauptsächlich zu Hause - eine typische Einfamilienwohnung mit Garten -, hat sich um die Kinder gekümmert und wir machten 2 Wochen Urlaub im Jahr. Astrid war diejenige, die diese Art zu leben als erste nicht mehr aushielt.
Gerade mal 6 Jahre früher noch fühlte sich das anders an: Ich unterbrach mein Studium für das Kind und Astrid schrieb ihre Diplomarbeit. Dann jobbte ich bei einem Internetprovider und Astrid machte ihr praktisches Jahr. Ich weiss nicht, ob wir groß drüber nachdachten, wie wir unser Zusammenleben organisieren wollten, wahrscheinlich nicht wirklich, denn es lagen ständig direktere Dinge an. Mit der zeit und mit den Notwendigkeiten, die für das Kind anstanden - Kindergarten, Schule - verschwanden die Möglichkeiten, dass wir beide gleichzeitig sowohl unsere berufliche wie auch private Eigenständigkeit und Gleichgestelltheit behalten konnten.
Noch früher waren wir völlig frei in allen unseren Entscheidungen. In der Zeit nach der Schule gab es keine Verpflichtung als der, darauf zu achten dass es dem anderen mit den eigenen Entscheidungen gut geht und halt irgendwie gegenseitig darauf Rücksicht zu nehmen, was der andere tat.
Was war der Grund, aus dem wir unsere Partnerschaft zweier selbstbestimmter Menschen in eine durchstandardisierte Musterehe verwandelten? Es waren offensichtlich die Kinder. Die Kinder sind somit anscheinend der Hebel, mit dem eine Gesellschaft eine politische und kulturelle Ideologie durchsetzen kann: Sie sorgt dafür, dass einige Dinge leicht zu organisieren sind und andere um so schwerer. Kindergarten und Schule zum Beispiel funktionieren in Deutschland auf eine Weise, die ein Elternteil zu hause festsetzen. Der Arbeitsmarkt bevorzugt Männer, erschwert Teilzeit- und Jobsharingregelungen und besonders attraktive Karrierepfade kann man ausschließlich beschreiten, wenn man seine Privatzeit (also auch Zeit mit Kindern) zusätzlich in den Job "investiert". Dazu kommen die Regelungen im Gesundheitswesen und viele weichere gesellschaftliche Mechanismen, die mit dem Rollenverständnis von Frauen und Männern und auch der Beurteilung der Lebensweise zu tun haben. Und schon haben wir eine Matrix in der eine ganz bestimmte, gewünschte, Beziehungsform gut funktioniert und alle anderen nur schwer oder gar nicht. Dass dies alles ein Konstrukt ist sieht man dann, wenn man sich die Matritzen in anderen Ländern ansieht, in denen z.B. die berufliche Gleichstellung einen größeren gesellschaftlichen Wert darstellt als bei uns.
Wie sehr diese Schienen festgelegt sind, wird man nächstes Jahr bei der Volkszählung sehen: Ich gehe davon aus, dass man nur die "Standardbeziehungen" betrachten wird. Es werden jede Menge Menschen in Polybeziehungen, lesbische und schwule Familien, die ganzen Gemeinschaftsprojekte und vieles mehr einfach irgendwie in die zwei Ordungsgruppen ledig und verheiratet/in einer Lebensgemeinschaft (im Sinne von "zwei Personen, wie verheiratet nur ohne Trauschein") eingeteilt werden. Wie falsch das Bild am Ende sein wird erkennt man dann an den Schlagzeilen, die den Rückgang der verheirateten Paare als Untergang des christlichen Abendlandes darstellen werden, denn "nicht verheiratet" ist ja gleichbedeutend mit "ständig wechselnde Partner", Menschen in Polybeziehungen wird ja jetzt schon gerne eine Konsum/Supermarktmentalität unterstellt.
Aber das nur als Exkurs, zurück zum Hebel, also zu den Kindern: Wie dieser Hebel funktioniert kann man momentan an einem neuen Gesetz sehen, das im Prinzip bestimmt, dass ein Kindsvater ein automatisches Sorgerecht erhält. Antje Schrupp hat sich das ganze angesehen und fasst die Auswirkung des geplanten Gesetzes so zusammen:
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bereitet gerade ein Gesetz vor, wonach es auch bei unverheirateten Eltern automatisch ein gemeinsames Sorgerecht geben soll. Frauen, die Mütter werden, ohne mit einem Mann zusammenzuleben, müssten demnach in Zukunft einen Gerichtsbeschluss erwirken, der ihnen das sozusagen „erlaubt“. (...)
und kommt nach dessen genauerer Betrachtung - die zu lesen sich wirklich lohnt - zu folgendem Schluss:
Das neue Gesetzesvorhaben ist letztlich nichts anderes als die Zelebrierung des heterosexuellen Paares als Kern und Keimzelle der Gesellschaft. Und damit ist sie alles andere als „modern“, sondern sehr altbacken. (...)
Das ist, was ich bezeichnen würde als "Schienen legen". Natürlich erkennt man, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich nicht mehr in die zwei bis drei etablierten und gesellschaftlich bevorzugten patriarchalen Beziehungsformen einfügen, mal dahingestellt, mit wie viel echter Absicht das passiert. Und genau denen werden nun Schienen vor die Füße gelegt, die - wieder ein mal über das probate Druckmittel Kind - in die gewünschte Form zurückführen.
Sicherlich gibt es auch gute Gründe für eine Stärkung der Väter, allerdings nimmt man hier eigentlich eine Lösung für einen Extremkonflikt - also eine Situation, in der ein Streit um ein Kind so weit eskaliert ist, dass er z.B. vor einem Gericht entscheiden werden muss - und setzt diese als generelle Norm für alle fest, auch für die, die die Dinge auf ihre eigene Weise regeln möchten. Zufall? Ich glaube nicht. ich denke nicht, dass man darüber - wie man annehmen könnte - einfach nur zu wenig drüber nachdachte. Ich denke viel mehr, dass man hier absichtlich einen Weg sucht, neue Schienen zu legen.
Es ist schon ewig her, dass ich ein Spiel mal wirklich bis zum Ende durchgespielt habe. Mass Effect hat es nun tatsächlich geschafft, mich so lange zu fesseln, dass ich - obwohl ich in den letzten 5 Monaten kaum Zeit zum Spielen fand - immer wieder weitergemacht habe. Es hat sich gelohnt, diese durchweg epische, klassische Space Opera hat ein so großartiges, furioses Finale, dass ich wie im Kino nach einem guten Film den ganzen Abspann vor dem Bildschirm sitzen geblieben bin.
Eine perfekte Technokratie ist dann erreicht, wenn man es geschafft hat, ein System zu erschaffen, in dem jegliche Verantwortung zunächst in kleine Teilverantwortungen aufgeteilt wurde und diese Verantwortungssplitter dann von Personen und Ämtern weg direkt in die Prozesse verlagert wurden.
Das Ergebnis konnte man vor einer Weile schon mal nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs bewundern, wo die Verantwortung für die Einhaltung der Baurichtlinien in einem Karussellsystem ein mal rundherum von einem Beteiligten zum nächsten organisiert wurde, so dass sie am Ende keiner hatte - mit dem fatalen Ergebnis, dass auch keiner die Einhaltung überwachte, weil man sich auf den jeweils nächsten in der Kette verlassen hat.
In diesem Moment wird uns das so ähnlich erneut in Duisburg vorgeführt: Alle an der falschen Planung und Durchführung der Loveparade beteiligten Personen und Behörden können ihren Verantwortungsbereich zirkelgenau auf Bereiche abgrenzen, in denen nichts schiefgelaufen ist (Polizei z.B. sinngemäß: "Unsere Verantwortung lag nur in der Sicherheit außerhalb der Absperrungen des Partygeländes und da ist ja nichts passiert."). In der Pressekonferenz gab es vorgestern Abend eine bezeichnende Szene: Auf die Frage danach, wer denn jetzt eigentlich die Verantwortung übernehme, schaute der am linken Ende des Tisches sitzende den rechts von ihm sitzenden Herrn an. Der daraufhin den nächsten, der wiederum den nächsten und so fort bis kurz vor dem Moment, in dem diese Stafette beim Bürgermeister angekommen wäre, was der hinter der Herrenriege stehende Pressesprecher geistesgegenwärtig verhinderte, indem er die entgültige Beantwortung dieser Frage als im Moment nicht möglich erklärte.
Am Ende wird man - wie schon in Köln - Fehler im Prozess identifizieren. Man wird darüber schimpfen, den Prozess auch klar als mangelhaft bezeichnen und vielleicht sogar als "Pfusch!", aber der Prozess wird Schuld sein. Nicht etwa die Beteiligten am Prozess. Die haben sich nichts vorzuwerfen, weil sie sich klar an den Prozess gehalten haben. Denn in perfekten technokratischen Systemen gibt es keine Verantwortlichen.
Wer erinnert sich an Datex-J? Oder wie es dann noch eine Weile hieß: BTX? Das war das, was man sich in Deutschland als bessere Alternative zum Internet vorgestellt hat. Es war hässlich, unendlich langsam, völlig kompliziert zu bedienen (sogar komplizierter als Teletext, man navigierte auch mit der Eingabe von Zahlen, aber musste ein * voranstellen und mit # abschließen), es war für den Benutzer intransparent organisiert und einfache Möglichkeiten, sich mit eigenen Inhalten zu beteiligen, waren gar nicht erst vorgesehen. Natürlich benutzte diese in ihrer technokratischen Irrsinnigkeit an "Brazil" erinnernde Alptraumversion eines Beamteninternets kein Mensch mehr, sobald es auch ganz normales Internet in Deutschland gab.
Die deutschen Technokraten der Post und in den Verwaltungen dieses Landes haben aber offensichtlich aus ihrer Vergangenheit nicht viel gelernt, denn in diesem Jahr gehen zwei - wie kann mans anders ausdrücken als "typisch deutsche" - E-Maildienste in Betrieb, die vermuten lassen, dass hier irgendwie dieselben Entscheider dahinterstecken, die uns schon das Steuergeldgrab BTX bescherten.
Nummer Eins ist der "E-Postbrief" (ein Name der sich beim Aussprechen in muffige Staubwolken verwandelt). Eine teure, unendlich (völlig unnötig) komplizierte, Abomination, die nicht eines ihrer Versprechen einlöst und eigentlich nichts anderes macht als E-Mails verschicken. Nur dass es seltsamerweise so viel Geld kostet, als gäbe es auf der Welt noch keine E-Mails und die AGBs dem Nutzer vorschreiben wollen, wie oft er in sein Postfach schauen muss. Dass die Nutzung der "E-Post" zusätzlich auch noch ein viel höheres Sicherheitsrisiko darstellt als stinknormale Mails erklärt Richard Gutjahr, der mit den Rechtsanwälten Udo Vetter und Richard Stadler die AGBs mal genauer angeschaut hat. Die fanden dann solche Schoten wie die, die sich aus der hübsche Kombination ergibt, dass man sich erst zur Registrierung komplett nackig macht, dann selbst gelöschte Mails dauerhaft gespeichert würden und zuletzt gewarnt wird, man gebe Inhalte an Ermittlungsbehörden weiter falls die das verlangen:
(...) Wenn man einen Brief – aus was für Gründen auch immer – wegschmeißen, schreddern oder verbrennen will, dann geht das nicht. Die Post behält, und zwar für einen nicht näher definierten Zeitraum, eine Kopie dieses Briefes – ob man das will oder nicht. Ein absolutes „No Go“.(...)
(...) Hinzu komme, so Thomas Stadler, dass man beim E-Postbrief mit seinen kompletten Daten registriert sei, also einschließlich der Personalausweisnummer, weshalb es dem Staat natürlich wesentlicher leichter falle eine bestimmte Person zu identifizieren, als z.B. bei einem freien E-Mail-Provider. (...)
Mit anderen Worten: Diesen Dienst kann man überhaupt nicht benutzen, denn gegenüber der ganz normalen E-Mail bringt er keinen einzigen Vorteil sondern ausschließlich Nachteile. Und zwar nicht zu knappe.
Der andere Dienst, der sich irgendwie ziemlich ähnlich anhört wie die "E-Post" ist De-Mail. Der kommt uns irgendwie als staatlich/offizielle Bürgermail daher und behauptet ebenfalls, eine besonders sichere Mailkommunikation zu ermöglichen. Was schlicht - in der momentanen Form und abgesehen von den auch hier schon in den Nutzungsbedingungen verankerten Befugnissen, die sich Behörden hier herausnehmen - nicht stimmt:
Die von der Bundesregierung als besonders sicher konzipierte elektronische Post weist offenbar deutliche Sicherheitslücken auf. Der Grund: Die Daten werden nicht durchgängig verschlüsselt.(...)
Zwar werden die De-Mails von den Nutzern verschlüsselt an die zentralen Server der De-Mail-Anbieter verschickt. Für diesen Teil des Weges gibt es keine Sorgen um die Sicherheit. Auf den Servern jedoch werden die Mails aus technischen Gründen kurz entschlüsselt und sofort wieder verschlüsselt. (...)
Und wenn die Mail an einen dritten Provider geht passiert das sogar gleich zwei Mal. Dass eine Mail nur dann wirklich verschlüsselt ist, wenn die Verschlüsselung vom Sender bis zum Empfänger reicht dürfte eigentlich auch jedem Laien einleuchten. Nichtsdestotrotz zitiert die Frankfurter Rundschau Gert Metternich, Projektleiter der Telekom so: "Im De-Mail-System werden die Mails für den Bruchteil einer Sekunde auf den Servern der Provider entschlüsselt und sofort wieder verschlüsselt und dann weitergeschickt." - Leider gilt hier aber dasselbe wie bei Schwangerschaften: Ein bisschen Schwanger geht nicht. Die Dauer der Entschlüsselung ist völlig egal: Dass die Mails überhaupt entschlüsselt werden können und dann auch noch werden ist das Problem. Dadurch ist die versprochene Vertraulichkeit - wie auch beim E-Postbrief - nicht vorhanden. Und nicht nur ein bisschen nicht. Und so einfach muss mans dem Staat nun wahrlich auch nicht machen, uns zum gläsernen Bürger machen zu lassen.
Es macht leider immer nur kurzfristig Spass, sich über die Polizei lustig zu machen. Es ist eine Art Hilflosigkeit. Man denkt, was soll man denn anderes tun als lachen, wenn man Meldungen liest wie die vom 36MB Word-File, das mit einer 2 Absätze langen Pressemitteilung auf den Weg geschickt wird, Mailpostfächer zu verstopfen und die gesamte Dokumentenhistorie transparent zu machen?
Oder wenn einen das, was sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter unter dem Internet vorstellt, so bizarr von der Realität unterscheidet, dass man glauben muss, die haben sich ihr Wissen darüber ausschließlich aus schlechten B-Movies zusammenrecherchiert? Und was soll man von einer Polizei halten, die sich einen "Reset-Knopf" fürs Internet wünscht? Reset in welchen Zustand? Das Internet von 1992? Von gestern? Eines in dem auf magische Weise nur noch die guten Inhalte drin sind?
Bild: Metronaut
Man lacht zunächst, schlägt sich in Wirklichkeit aber die Hände über dem Kopf zusammen: Was ist das denn für eine Polizei, die wir da haben? Wenn man es mit den Vorstellungen der Weltmeere vergleichen würde, die die alten Seefahrer tradierten wäre deren Internet-Meer ja schon mit Drachen und Riesenkraken verseucht, wenn sie am Strand nur zwei Meter ins knietiefe Wasser spazierten.
Das geht doch nicht! Ich will keine solche Polizei. Ich will auch keine Polizei, die Leute verprügelt. Ich will keine Polizisten, die glauben, eine Uniform erlaube ihnen, jeglichen Anstand über Bord zu werfen. Ich will keine Polizei, die sich einen Dreck um Bürgerrechte, die Verhältnismäßigkeit der Mittel und Urteile des Bundesverfassungsgerichtes schert. Ich will vor allen Dingen keine Polizei, die meint, lügen zu können.
Ja, es ist ein ungleicher Kampf, wenn die Guten sich an die Regeln halten müssen und die Bösen nicht. Aber das ist nun mal auch eine Möglichkeit, die Guten von den Bösen zu unterscheiden.
Wie ich mir die Polizei stattdessen wünsche ist eigentlich ganz einfach: Sie soll genügend Mittel und genügend Personal haben, um sich echte Kompetenzen und Techniken zu verschaffen, die sie benötigt, um ordentlich arbeiten zu können. Auch soziale Kompetenzen und entsprechende Betreuung gehören da dazu. Polizisten machen einen echt harten Knochenjob, für den sie meiner Meinung nach eigentlich so gut bezahlt und versorgt gehören, damit sie motiviert und gut ausgebildet ihre Arbeit machen können.
Ich möchte eine Polizei haben, die ich wertschätzen kann und der ich vertraue, weil sie mir keinen Scheiß erzählt.
Ich möchte eine Polizei, die korrekt und neutral bleibt und nicht zum Handlanger von Politik- und Machtgeklüngel wird.
Ich möchte eine Polizei, die ihrerseits mir als Bürger zunächst darin vertraut, dass ich nichts böses oder verbotenes tue.
Ich möchte eine Polizei, die ich achten kann und die mich achtet.
Ich möchte eine Polizei, die so gefestigt und selbstbewusst ist, dass sie auch die achtet, die sie nicht achten.
Ich glaube ja, eigentlich war das auch mal so gedacht und es ist ein Jammer, dass sich das so sehr verändert hat.