Wortvogel erklärt in seinem Artikel Gezielt vorbei: Mein Problem mit dem ZEIT-Dossier “Filmpiraten: Aufnahme läuft!”, wie gerade versucht wird, den Flop von Cloud Atlas den Raubmordkopierern in die Schuhe zu schieben:
So, wie ich das sehe, bastelt Produzent Stefan Arndt an seiner eigenen Legende, um das Versagen von “Cloud Atlas” zu rechtfertigen – und eine Journalistin hat sich für den intimen Einblick in die Szene genau diese Narrative füttern lassen, ohne sie je zu hinterfragen. Handwerklich sauber geschrieben, exzellent recherchiert, aber absolut unseriös und fragwürdig in den Schlussfolgerungen.
Es wird nicht einmal die Frage gestellt, ob der Film einfach sein Publikum verfehlt hat, ob das Markting falsch war, ob nicht alle Beteiligten zu besoffen von ihrer eigenen Brillanz waren. Nein, es waren die Raubkopien.
Um zu diesem Schluss zu kommen, zerlegt er die ZEIT-Reportage, die über verschiedene Tricks suggeriert: Sollte Cloud Atlas - nachdem er in den Kinos schon nicht wirklich gut lief - auch in der Zweit- und Drittverwertung floppen, dann sind daran die Raubkopien schuld. Und er erklärt, wie es wahrscheinlich tatsächlich ist: Dass der Film nunmal kein großes Publikum gefunden hat, was er hätte tun müssen, um sein Budget einzuspielen.
Was auch rüberkommt: Der Film hat ihm nicht gefallen. Das ist natürlich ok und ändert nichts daran, dass seine Schlussfolgerungen richtig sind. Denn mir hat der Film gefallen und ich komme auf dasselbe Ergebnis.
Aber ich möchte mal weg von Zahlen und Einspielergebnissen. Dass die nicht gestimmt haben und wir es somit mit einem finanziellen Flop zu tun haben: Geschenkt. Aber ist ein Film direkt gescheitert, nur weil er es finanziell nicht geschafft hat? Ist es deswegen automatisch ein schlechter Film? Ich möchte gerne ein paar Absätze schreiben aus der Perspektive eines Kinobesuchers, der Cloud Atlas wirklich mochte und immer noch mag.
Ich habe Cloud Atlas zwei Mal im Kino gesehen, die Blu ray ist vorbestellt und das Buch lese ich auch gerade. Das ist ein gutes Indiz dafür, dass mir der Film etwas mehr gegeben hat, als viele andere Filme. Aber mir war schon beim Trailer klar, dass Cloud Atlas kein Blockbusterpublikum finden wird. Und zwar grundsätzlich, denn:
In den USA funktionieren traditionell Filme nie, wenn sie Zeitsprünge haben (selbst Highlander war denen damals ja zu kompliziert so dass man in der USA-Version alle Rückblenden außer die nach Schottland einfach weggelassen hat). Der Trailer dürfte dort dafür gesorgt haben, dass den Menschen klar wurde: Das wird mir zu kompliziert, das ist nur was für ein entsprechendes Geekpublikum.
Dann: Als Blockbuster funktionieren Filme generell nicht, wenn nicht ganz genau gesagt werden kann, worum es geht: Ist das ein Abenteuerfilm, eine Komödie, ein Science Fiction Film? Ist diese 2012-Story mit dem Verleger im Altenheim eigentlich Satire? Es gibt nicht einmal eine übergreifende Lovestory (es gibt in einer der Episoden schon eine, die ist dann aber die Zuschauer verwirrend erstens nicht hetereosexuell und zweitens nicht die Hauptsache)? Es gibt immer Ausnahmen dieser Regel, aber die entfernten sich auch nicht gleich in ganz so vielen Punkten von dem, womit man Massenkompatibilität erreicht.
Die generelle Kritik im Vorfeld war auch vor allem die: Keiner weiß, was der Film eigentlich sein will. Man verlangte mehr Führung, mehr Klarheit, man beschwerte sich darüber dass man keine klare Identifikationsfigur finden und dadurch keinen Bezug zur komplizierten aber dadurch beliebigen Handlung herstellen konnte.
Ich kann diese Kritik sogar nachvollziehen. Ich sehe ein, dass genau das passieren kann: Dass man keinen Zugang findet. Ich saß im Kino und um mich herum stiegen die Leute reihenweise aus - jeder an einer anderen Stelle: Einige schon direkt bei der homosexuellen Liebesszene (um diese Leute tut es mir am wenigsten Leid). Andere bei der Science Fiction Geschichte: Die Herrschaften neben mir lehnten sich jedenfalls geräuschvoll mit einem pikierten "Jetzt wirds doof!" zurück, sobald das typische SciFi-Setting von Neo-Seoul erschien - machen wir uns nichts vor, Science Fiction läuft in Deutschland kulturell immer noch als alberner Kinderkram. Wieder andere kamen dann irgendwo anders beim zweiten Durchgang durch die sechs Handlungsstränge raus. Der Film gibt einem nunmal viele Gelegenheiten, auszusteigen.
Dass ich drin blieb und dass ich ihn auch noch großartig fand liegt an vielen kleinen ganz persönlichen Vorlieben und Eigenschaften, die ich habe. Die hat der Film einfach bedient. Mir macht Pathos nichts aus (im Gegenteil, er darf nur nicht platt sein), mir machen Zeitsprünge nichts aus, ich liebe es wenn ich, während ich eine Handlung verfolge, auch Metaüberlegungen machen kann - zum Beispiel welche Ideen hinter dem zigfachen Einsatz der selben Schaupieler stehen könnte -, ich konnte etwas mit dem ganzen "Format" anfangen: Sechs Kurzfilme, die wie TV-Serien in Episoden hintereinander liefen. Ich fand das alles gar nicht so verwirrend: Die Stories waren doch am Ende alle nicht besonders komplex - wenn man hinterher das Buch liest bemerkt man auch, dass sie für den Film noch mal sehr stark vereinfacht wurden -, die Sprünge waren vorhersehbar (immer die sechs Zeitabschnitte aufwärts), und auch vom Stil hat man sich abgewechselt zwischen mal mehr Drama, mehr Krimi, mehr Spaß, mehr Abenteuer, mehr Zeitkritik... das Problem ist natürlich aber wie gesagt: Ein Blockbuster wird immer nur genau ein Genre und einen Stil bedienen.
Das ist wie McDonalds: Je genauer man vorher weiß, was es gibt und wie es schmeckt, desto niedriger die Hemmschwelle, das zu essen. Da sind wir alle gleich. Im Zweifel greifen wir zum bekannten statt zum anderen. Das könnte eventuell sogar besser sein aber die Chance, enttäuscht zu werden, ist eine reale: Ein neues Restaurant auszuprobieren bringt oft genug keine positive Überraschung hervor. Das Andere nehmen wir daher nur, wenn wir wirklich Lust haben, das jetzt mal auszuprobieren. Und Cloud Atlas ist eben einer dieser anderen Filme und hat nicht die Garantie, dass man bekommt, was man mag oder was man erwartet. Und deswegen kann ich nachvollziehen, dass Cloud Atlas einem nicht gefallen muss. Das passiert mir bei anderen Gelegenheiten auch, ich kann z.B mit Kubrick-Filmen absolut nichts anfangen.
Letztlich ist Cloud Atlas zunächst ein teurer Nischenfilm, der gefloppt ist: So wie es Blade Runner passierte, Heavens Gate, Cutthroat Island, Wyatt Earp, Der Dreizehnte Krieger, Havanna, Speed Racer (auch von den Wachowskys) und vielen vielen mehr. Auch Metropolis war im Jahr 1927 alles andere als ein Kinoerfolg. Einige kommen zur falschen Zeit heraus, z.B wenn das Genre gerade überhaupt nicht aktuell ist (Piratenfilme, Western, überhaupt Epochenfilme sind fast automatisch gefährdet), für andere gibt es schon thematisch niemals ein Publikum in nennenswerter Größe (Anime-Realverfilmungen) und ich möchte hier auch mal daran erinnern, dass auch Scott Pilgrim an den Kinokassen fürchterlich gefloppt ist. Aber die ganze Welt ist sich einig darüber, dass das alles dennoch gute Filme sind.
Und wenn die Epoche nicht für Masse taugt, wie schlimm wirds erst, wenn man auch noch mit dem Genre Spielchen treibt? Hudson Hawk ist ein Beispiel für einen Film, der kein klares Genre bedienen und sich nicht an gewohnte Strukturen halten will: er ist Comedy, hat aber durchaus brutale Actioneinlagen, einen schrägen Verschwörungs/Krimiplot und sogar eine Musical-Einlage. Oder Last Action Hero: Eine Persiflage auf Schwarzenegger-Filme mit Schwarzenegger, der einmal den Cut zwischen lustiger Filmwelt und ernsthaft gefährlicher Realwelt macht, zum anderen mit einem "Zauber-Ticket" ein astreines Fantasy-Element nutzt und noch dazu gibt es ein Kind in einer Hauptrolle. Sowas wird an der Kinokasse nie massenkompatibel sein.
Klar floppen auch Filme deswegen, weil sie wirklich grottenschlecht sind. Um die geht es mir aber nicht. Ich will erklären, warum Cloud Atlas fürs Kino floppen musste: Er spielt erstens direkt mal in gleich mehreren Nischenepochen und er beschränkt sich zweitens nicht darauf, ein klares Genre zu bedienen. Dass ein Mix von unterschiedlichen Themen die Zuschauermenge nicht vergrößert sondern auf diejenigen verringert, die mit allen Themen etwas anfangen können weiß man inzwischen ja auch: Cowboys versus Aliens hat nicht etwa SciFi- und Westernfans zusammengebracht sondern war nur für Zuschauer interessant, die alle beide Genres mögen.
Dennoch: Diese Filme wird es zum Glück immer geben. Kein Mensch muss sich davor fürchten, dass nur weil wieder einer dieser Nischenfilme, die eigentlich zu teuer für die objektiv zu erwartende Publikumsgröße sind, gefloppt ist, nun keine interessanten Filme jenseits des Mainstreams mehr gedreht werden. Wäre es so, hätte Disney sich nach TRON auf Kinderzeichentrickfilme zurückverlegt. Ich zitiere mal Christoph Waltz, der sagte "In Deutschland werden Filme gemacht wie Produkte und vermarktet wie Kunstwerke, in den USA ist es umgekehrt." - Das kann einem wirklich so vorkommen, wenn man sich anschaut, wie oft US-Filme herauskommen, bei denen man sich wundert, wie wenig man auf den Mainstream gibt und wie viel Mühe man sich für die Bedienung einer kleinen Nischengruppe macht (und wie das in Deutschland dagegen so gar nicht passiert). Es ist aber aus strategischer Sicht wichtig, dass es diese Filme gibt, und das wissen die Amis (im Gegensatz zu den Deutschen) sehr gut: Sie sorgen für eine kulturelle Bandbreite, für mehr Inspiration und somit auch für mehr Publikum insgesamt, so dass möglichst alle weiterhin ins Kino gehen und nicht nur z.B. Fans von Beziehungskomödien mit Til Schweiger.
Man macht außerdem Filme immer noch und hoffentlich weiterhin zum Glück ja nicht nur, um Geld zu verdienen. Es gibt genügend Filme, die finanziert werden, weil sich genügend Leute wünschen, dass es genau diesen Film geben soll. Ich gehe davon aus, dass Cloud Atlas genau in diese Kategorie gehört und wette, dass die Wachowskys durchaus die Möglichkeit in Betracht zogen, dass der Film kein finanzieller Erfolg wird.
In diesem Artikel: Kein Link zur ZEIT wegen LSR.