Ob es um diese mehr als durchsichtige "Studie" und die Zahlendrehereien geht, die das BKA momentan nutzt, um mal wieder Zensursperren einzufordern oder um die durchaus ernste Angelegenheit "Volkszählung": Vor einigen Jahren noch hätte ich Artikel um Artikel darüber gebloggt, Aufrufe und Pressemeldungen verlinkt und wäre überhaupt der Meinung gewesen, laut und agitatorisch sein zu müssen und das Ende der freien Welt zu verhindern, das Politiker und Lobbyisten still und heimlich an Journalisten und Volk vorbei vorbereiten und unbemerkt von der Masse durchziehen.
Heute aber bin ich wesentlich entspannter und das liegt - glücklicherweise - wohl nicht daran, dass ich alt werde, bzw. nicht maßgeblich. Es liegt daran, dass das Internet heute ein so unendlich anderes und tatsächlich besseres Internet ist als noch vor fünf Jahren oder zehn Jahren oder fünfzehn Jahren. Es ist in einem sehr positiven Sinne zum Mainstream geworden. In dem Sinne nämlich, dass es ein breiterer, schnellerer und detailreicherer Informationsfluss geworden ist: Kein Politiker, kein BKA, keine Lobby schafft es momentan, irgendetwas heimlich zu machen. Ob es um ACTA geht oder SWIFT oder ELENA oder um das Sparpaket oder den JMStV: Es gibt immer und sofort alle relevanten Informationen. Und jedes mal schneller, ausführlicher und auch noch double- und triplechecked.
Das Internet ist nicht zur Kloake für Sinnlosigkeiten geworden, wie es einige befürchtet (und in Wahrheit wohl eher erhofft) hatten. Es ist zum verlässlichsten Medium geworden, das wir haben und - okay, hier spielt auch mein Alter nun doch eine gewisse Rolle - ich habe seine Entwicklung nun über 15 Jahre so direkt miterlebt wie man es nur kann. Es istin all dieser Zeit nie schlechter geworden, sondern immer nur besser: die Geschwindigkeit, mit der relevante Informationen beim ganz normalen Nutzer ankommen ist immer nur gewachsen. Die Möglichkeiten und die Tools, um Dinge nachzuprüfen oder nachzufragen, sind immer nur besser und verlässlicher geworden. Die Verfügbarkeit, die Vernetzungsmöglichkeiten, die Interaktionsmöglichkeiten entwickeln sich mit der neuen Handygeneration nochmals rasender als zuvor schon. Die vielen, in ihrer Kompaktheit einzigartigen guten Eigenschaften, die das Netz etabliert und fördert - Transparenz, Dialog, die Möglichkeit gehört zu werden, die Möglichkeiten sich zu beteiligen - haben die negativen Eigenschaften - Trollerei, Spam, Phishing, Abzocker-Betrügereien - in all dieser Zeit immer bei weitem überwogen. Die Backlashes der Vergangenheit - Forderungen nach Internet-"Sendezeiten", NRW-Sperrverfügungen, Abmahnwahsinn, Zensursula - haben diesen unglaublichen Dampf, mit dem sich dieses Kulturinstrument entwickelt nicht einmal ansatzweise ausbremsen können. Vielleicht hätte man sich den ein oder anderen Umweg sparen können und vielleicht würde das Internet an einigen Stellen besser funktionieren als es das jetzt tut. Aber dafür, es abschaffen oder in etwas anderes umregulieren ist der Zug schon seit zehn Jahren abgefahren.
Denn: Es geht nicht. Es geht nämlich nicht um Technik und die Einschränkung der Technik. Es geht darum, dass die Menschen das, was diese Technik ermöglicht und was sie mit Hilfe dieser Technik erreicht haben, gut finden. Und keine Regierung, kein BKA, keine Jung(vergreist)e Union, kann ändern, was die Mehrheit wünscht.
Und die Mehrheit wünscht: Mehr von dieser Kultur, die Informationen allen zugänglich macht, die ganz neue Kunst und so viel Kreativität erzeugt und verbreitet wie nichts jemals zuvor. Mehr von dieser Experimentierfreude die neue Parteien hervorruft, die mit neuen direkteren Demokratieformen herumprobiert, mehr von diesem ständigen Betastadium, wo man alles einfach erst einmal ausprobiert bevor man sich Gedanken macht, ob es auch gebraucht wird oder Geld einbringt. Immer mehr Menschen finden das gut. Seit 15 Jahren. Immer mehr Menschen achten darauf, dass das so bleibt. Immer mehr Menschen beteiligen sich, informieren sich nicht also nur sondern tun etwas, unterschreiben Verfassungsbeschwerden, machen Politik von unten, engagieren sich erfolgreich für ihre Themen und hacken sich damit an dem daneben immer schwerfälligeren und in technokratischen, formelhaften Prozessen verfestigten System vorbei und fühlen sich mit wachsendem Bewusstsein, tatsächlich etwas verändern zu können plötzlich verantwortlich für die Welt in der sie leben. Das ist die Entwicklung, die ich seit fünfzehn Jahren sehe. Das ist, warum ich nicht mehr das Gefühl habe, mich um alles kümmern zu müssen weil es sonst keiner tut. Das ist, warum ich glaube, dass das alles gar nicht aufzuhalten ist, egal für wie mächtig sich die Lobbyisten halten. Keiner, der diese Freiheiten, die uns das Netz ermöglicht hat, einmal kennen, nutzen und schätzen gelernt hat lässt sich die mehr von Leuten wegnehmen, die ihnen erzählen wollen, dass das nur zu ihrem besten sei.