Letztens hab ich drüber geschrieben, wie sich Eigenschaften, die mir früher Schwierigkeiten gemacht haben, heute als hilfreich erweisen. Dabei war mir eine weitere eingefallen, die ich nicht in den Artikel aufgenommen habe, weil ich nicht weiß, ob das eine gute oder eine schlechte Eigenschaft ist. Wahrscheinlich weder noch und auch ob sie irgendwie hilfreich ist, weiß ich nicht. Es ist halt einfach so.
Es geht darum, wie ich darauf reagiere, wenn es so laut wird, dass ich selbst auch nur noch laut herumbrüllen müsste, um mich noch verständlich zu machen: Das tue ich im Normalfall nicht, sondern ich gehe weg. Auf der rein physischen Ebene ist das die Situation in der Kneipe, in der man sich eigentlich gut unterhält. Dann aber glaubt jemand, dass es jetzt wirklich an der Zeit sei, die Musik doppelt so laut aufzudrehen, was dazu führt, dass alle, die gerade miteinander reden, anfangen müssen, sich anzuschreien. Was wiederum dazu führt, dass nicht nur laute Musik läuft, sondern ein massiver, durchgehender Geräuschteppich aus lauten Stimmen entsteht.
Das ist der Moment, an dem ich gehe. Oder wenn ich grade nicht gehen kann oder will, nichts mehr sage - ich höre ja eh nichts mehr sinnvolles ausser der ununterbrochenen Geräuschbrandung.
Warum erzähle ich das, außer dass es halt eine Verhaltensweise beschreibt, von der ich ausgehe, dass sie nicht so selten ist? Naja, ich beobachte ja auch, wie sich verändert, was, wie, wann, wohin und warum ich ins Internet schreibe. Und natürlich fällt mir auf, dass ich früher mehrmals am Tag Dinge ins Blog schrieb, mir viel mehr öffentlich Gedanken über tagesaktuelle Themen machte (oder zu manchen schien) und trotz dessen, dass ich mehr schrieb, alles viel plauderhafter gewesen ist.
Natürlich hat sich einiges von dem, was ich früher ins Blog geworfen habe, auf Twitter und Facebook und sonst wo hin verschoben. Aber auch dort schreibe ich ja inzwischen wesentlich weniger als noch vor ein paar Jahren. Und das geht grade nirgendwo anders hin, jedenfalls nirgendwo, wo man öffentlich was davon sieht. Allerdings: Das Plaudern, das ist wieder da, spielt sich aber komplett in einem anderen Format ab, nämlich drüben im Podcast. Da rede ich mit meinem Bruder oder mit Jan und das klappt wunderbar, weil da muss ich ja nicht laut sein oder die Umgebung übertönen. Und schon kann ich wieder reden.
Aber auf Twitter und Facebook halte ich inzwischen - im Vergleich zu früher - immer mehr die Klappe. Facebook ist immer noch gut, um ein bisschen seine Veranstaltungen zu koordinieren und mit den FreundInnen im lockeren Kontakt zu sein, aber es erinnert mich seit ein zwei Jahren an die Kneipe mit der zu lauten Musik und den Leuten, die sich glauben, anschreien zu müssen, damit sie sich gegenseitig noch hören können.
Natürlich schaute ich mir an, ob ich mich vielleicht insgesamt nicht mehr so viel mit Themen beschäftige, die mir mal so wichtig waren, dass ich Blogs und Social Media damit vollgeschrieben habe und stellte fest, dass das nicht stimmt. Ich schreibe nur nicht mehr drüber. Aber ich rede wieder mehr. Es ist, als ob ich vor 20 Jahren zum Reden ins Internet gegangen bin, weil ich Schwierigkeiten hatte, mit diesen lauten Menschen zu kommunizieren und jetzt gehe ich wieder zu den Menschen zurück, weil mir das Internet zu laut geworden ist.
Ich rede nicht weniger über Politik, Kultur, Musik, Gesellschaft und Stuff. Aber ich schreibe das nicht mehr "für alle" auf, weil ich nicht mehr das Gefühl habe, dass das gelesen wird. Es ist zu leise, zu unspektakulär, nicht laut genug dafür, im momentanen Geräuschpegel des Internets wahrgenommen zu werden. Und anfangen zu brüllen werde ich hier genausowenig wie in zu lauten Kneipen. Ich schreibe keine Rants, ich mag nicht polarisieren, ich greife niemanden persönlich an, nur um dadurch die Spannung zwischen ihm und anderen zur Steigerung der Aufmerksamkeit zu nutzen. Deswegen hab ich auch keine Awards, nehme ich an, und find ich auch ok, weil Preise natürlich keine Anwesenheitsnote sind. Es ist allerdings nicht etwa so, dass ich nicht weiß wie es geht. Ich weiß ja auch, wie man in einen lauten Raum brüllt. Ich hab nur keine Lust dazu.
Da gehn wir lieber mal vor die Tür zum Quatschen, aber eben nur wir beide.
Irgendwie passt es ja, dass dieses Jahr der Mittelteil der neuen Star Wars Trilogie herausgekommen ist. Denn irgendwie fühlt sich dieses Jahr auch so an, als ob ich in einem Mittelteil eines Filmes mitgespielt hätte. Nachdem zunächst alles wirklich gut lief, kam ich ins Zweifeln, ergriff eine Gelegenheit, wieder in mein altes Leben zurückzukehren und stellte dann fest: Da geht es nicht zurück. Mehr noch: Ich will gar nicht mehr zurück. In der typischen westlichen Filmplot-Struktur ist das der 2. Akt: Der hört damit auf, dass der Hauptcharakter des Films einnen Rückzug macht und dabei natürlich scheitert, denn das ist die Stelle, an der er bemerkt, dass er die wichtige Entscheidung schon längst getroffen hat.
Insgesamt war das Jahr eigentlich eins der schönen Jahre: Es gab einen wunderbaren Urlaub, ich war auf coolen LARPs, ich habe wunderbare Freundinnen und Freunde mit denen ich schöne Dinge mache (zB auch einen inzwischen gut und regelmäßig laufenden Podcast, etwas, was ich seit Jahren haben wollte). Aber da über allem so ein bisschen das Gefühl schwebte, insgesamt in eine verkehrte Richtung zu laufen, war ich viel mehr genervt, besorgt und schlecht gelaunt als ich hätte sein müssen. Dafür maßgeblich verantwortlich war meine Entscheidung, mich noch mal anstellen zu lassen. Nicht falsch verstehen: Die Firma war top und die KollegInnen super. Aber es passte einfach nicht. Das passiert, wir waren uns darüber auch beidseitig einig und ich überlegte, warum es nicht passte. Der Grund war, wie ich mit dem Plot-Gleichnis versucht habe, zu bebildern: Ich bin eigentlich schon auf dem Weg ganz woanders hin, auch wenn ich das Anfang des Jahres noch gar nicht wusste, als ich die Vorstellungsgespräche hatte. Natürlich ist es müßig, sich darüber zu ärgern, aber so ein bisschen tu ich es doch, denn diese vier Monate haben mich mehr als nur aufgehalten. Sie haben mich zurückgeworfen und ich bin jetzt sehr darauf aus, diesen Setback wieder aufzuholen.
Zugenommen oder abgenommen? Gleich geblieben, meine ich.
Haare länger oder kürzer? Auch gleich geblieben.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Jaja, auch gleich geblieben.
Mehr bewegt oder weniger? Weniger und dazu leider ungesünder. Dafür weiß ich jetzt, dass Laufen definitiv nicht meins ist, wenn ich nicht 2 Wochen lang Schmerzen im Knie haben will.
Mehr Kohle oder weniger? Weniger. Der Ausflug ins Angestelltenverhältnis hat mich auch finanziell ein gutes Jahr zurückgeworfen.
Mehr ausgegeben oder weniger? Mehr, weil dieses Jahr eine Woche Urlaub dran war. Eine Woche! So lange war ich seit 2007 nicht mehr weg.
Der hirnrissigste Plan? Mich noch mal anstellen zu lassen. Erstaunlich, wie man nach nur einem guten Jahr Selbständigkeit merkt, wie eingeschränkt man in einer Firma ist.
Die gefährlichste Unternehmung? Gefährlich war dieses Jahr zum Glück nichts. Ein gewisses Risiko war es wohl, aus dem Job wieder ins Freelancertum zurückzugehen ohne Reserven und erste Aufträge. Ich hab das mit Einparken bei Vollgas verglichen. Ich wusste aber, dass länger warten alles nur noch schwieriger machen würde.
Der beste Sex? Ich kann nicht klagen.
Die teuerste Anschaffung? Eine Steuerberaterin.
Das leckerste Essen? Fisch in Irland.
Das beeindruckendste Buch? Ich habe dieses Jahr zwar wieder etwas mehr gelesen, aber tatsächlich eher alte Bücher, die ich in meiner Jugend gelesen habe, wie zum Beispiel Robert Heinleins 'Die Katze, die durch Wände geht'.
Der ergreifendste Film? The Last Jedi. Eventuell gar nicht so sehr wegen der Story, die ist halt typisch Star Wars - inklusive der üblichen Plotholes und Zufälle (meine Güte, nach acht Filmen sollten die Leute sich doch dran gewöhnt haben und wenn nicht, warum schauen sie sie dann trotzdem immer wieder?). Nein, wegen Carrie Fisher. Ich habe jede einzelne Szene mit ihr geliebt und der musikalische Tribut am Ende war hart, weil er klar machte, dass man sie jetzt nie wieder in einem neune Film sehen wird. Always my Princess, always my General.
Das schönste Konzert? Dieses Jahr war das erste Jahr seit sehr langer Zeit, in dem ich auf keinem Konzert war. Das muss 2018 anders werden.
Die meiste Zeit verbracht mit...? Gefühlt dem Zahnarzt. Ich hab mir mit einem Körnerbrot ein Stück Backenzahn abgebrochen und war danach fünf Mal beim Zahnarzt, weil der natürlich zig andere Sachen gefunden und behandelt hat. Ja, musste auch alles sein.
Die schönste Zeit verbracht damit...? Auch dieses Jahr: Babysitten. Eine Woche Luna auf dem Conquest betreuen.
Vorherrschendes Gefühl 2017? Anspannung. Erst wegen des Jobs, dann weil der Job nicht das richtige war, dann weil ich bei Vollgas einparken muss (was immer noch im Gange ist).
2017 zum ersten Mal getan? In der Probezeit die Firma verlassen. Auf einer Bühne Klavier gespielt und gesungen.
2017 nach langer Zeit wieder getan? Ich glaube nicht, dass ich dieses Jahr irgendwas gemacht habe, was ich lange Zeit nicht getan habe. Vielleicht "an die Schulzeit denken", da vor einigen Wochen eine Klassenkameradin verstorben ist und wir das zum Anlass nahmen, ein paar alte Fotos herauszukramen und zu teilen.
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? 1. Meinem Bauchgefühl nicht getraut zu haben und einen Job anzunehmen, der nicht der richtige war. 2. Zahnarzt. 3. Dass Netflix Sense8 absetzte.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Dass Erinnerung wichtig ist.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Ein unerwartetes Kompliment an Karneval.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Besagtes Kompliment.
Heute schreibe ich mal wieder so wie bloggen früher war: Ein bisschen Nabelschau und Selbstreflexion, ein bisschen was über früher und heute.
Ich schreibe ja schon seit jeher viel auf - vor allem in Tagebüchern und Kalendern - und beim Herumblättern fand ich einige Themen, mit denen ich früher extrem viel gekämpft habe, die mich heute aber nicht mehr in Schwierigkeiten bringen (täten sie das immer noch, würde ich wahrscheinlich nicht darüber bloggen). Bei der Überlegung, was sich geändert hat, habe ich bemerkt, dass viele Eigenschaften, die früher für Probleme gesorgt haben, heute noch da sind, aber dass ich sie anders nutze. Drei davon hab ich für diesen Eintrag mal herausgegriffen:
1. Aversion gegen Wiederholungen
Das war diese eine Eigenschaft, die mich am längsten schlechter leben ließ: In der zweiten Klasse fiel meine Begeisterung für die Schule rapide ab, nachdem unsere Lehrerin ständig Diktate ansetzte und das schulische lernen, das ja vor allem auswendig lernen war, ist für mich fast körperlich schmerzhaft gewesen. Hausaufgaben habe ich selten gemacht, weil ich mich einfach nicht dazu durchringen konnte, Dinge, die im Unterricht schon mal besprochen und geübt wurden, stupide mit immer weiteren Varianten zu wiederholen. Ich habe nach dem Zivildienst im Krankenhaus gearbeitet und musste irgendwann aufhören, weil ich mich schon bei der Hinfahrt in einer verzweifelten Stimmung befand ob der Aussicht, jetzt einen ganzen Tag lang Dinge zu tun, die ich schon tausend mal gemacht habe. Ich würde (auch heute noch) auf keinen Fall irgendwo hin umziehen, wo ich schon mal gewohnt habe, weil ich das als schrecklichen Rückschritt empfinden würde.
Mit fortschreitendem Alter jedoch konnte ich feststellen, dass diese Aversion mir extrem zu Gute kommt. Da ich dieser schmerzhafte Repetitivität, die es nun mal hier und da immer gibt und geben wird, mit der Aufnahme von möglichst vielen Informationen entgegenwirke, bin ich immer über sehr viele Themen gut bis halbwegs gut informiert. Das schöne daran, dass ich das seit nunmehr Jahrzehnten tue ist, dass ich Entwicklungen und Prozesse nachvollziehen und erklären kann, von denen viele andere Menschen nur Bruchstücke kennen - ich habe völlig aus Versehen eine gut funktionierende Kontextdatenbank im Kopf und möchte gerne, dass sich alles immer weiterentwickelt, verbessert und voran kommt.
Der andere - noch viel wichtigere - Vorteil ist, dass ich mit fast 50 Jahren keine Angst vor Veränderung habe. Im Gegenteil, mir geht es gerade gar nicht schnell genug, ich ärgere mich über so viel Stillstand an Stellen, an denen eigentlich dringend was getan werden muss. Ich fühle mich so beweglich wie nie zuvor, auch weil ich aus dem eben erwähnten gesammelten und ständig aktualisierten und erweiterten Wissen die Sicherheit spüre, dass ich gut genug Bescheid weiß, um nicht nur mithalten zu können sondern sogar vieles von dem zu pushen, was mir wichtig erscheint. Es kommt nicht vor, dass ich wegen Veränderungen jammere oder auf die Bremse trete und ich denke, dass das auch den Beziehungen zu Gute kommt, die ich hatte und habe.
2. Gelassenheit
Wie kann das eine Eigenschaft sein, die einem Probleme macht? Nun, wenn man sie nicht erkennt und kanalisiert, hat man einen Menschen, der sich anscheinend über nichts richtig freut, der nie total überrascht ist, der anscheinend keinen Enthusiasmus zeigen kann und der viel zu spät "Oh, das freut mich." sagt, als dass das noch als spontane Reaktion rüberkommt und nicht als Pflichtschuldigkeit. Und es stimmt, ich war sehr lange nicht besonders gut darin, Begeisterung (oder andere Überschwänglichkeiten) zu zeigen, selbst wenn ich sie verspürt habe. Was das angeht, habe ich aber inzwischen Ausdrucksformen gelernt und nutze sie auch - ich würde mal sagen, dass das heute niemand mehr mit Interesselosigkeit oder Gefühlskälte verwechselt.
Das liegt auch daran, dass ich bei der Beschäftigung mit dieser Eigenschaft erkannt habe, dass meine Zurückhaltung auch gute Seiten hat und nicht nur mir, sondern auch anderen sehr helfen kann, denn sie bewirkt ein hohes Maß an sehr beruhigender Akzeptanz: Ich weiß, dass vieles schwierig ist. Ich habe einige Dinge, die mir täglich Sorgen machen. Ich habe Freundinnen und Freunde, denen es genauso oder zuweilen auch noch schlechter geht und es gibt diesen Punkt, an dem Angst und Panik überhand nehmen. Das passiert dann, wenn es immer wieder ein neues Problem gibt, nie ein Problem alleine auftaucht und weil es zuweilen wirklich haarig wird, wenn schon wieder neue Schwierigkeiten kommen, während man noch dabei ist, andere zu lösen oder mit ihnen klar zu kommen.
Meine Erfahrung nach nunmehr 49 Jahren ist: Dass es immer wieder neue Probleme gibt wird sich nie ändern. Das ist offensichtlich das Leben wie es ist. Diese Erkenntnis führte allerdings nicht dazu, zu verzweifeln, sondern dazu, es zu akzeptieren und das wiederum führte dazu, dass ich in meinen besten Momenten lächelnd im Chaos stehe und in Ruhe ein Problem nach dem anderen löse. Erst das wichtigste, dann die, die ich lösen kann. Und dann mache ich mir vielleicht mal Gedanken über die, die ich nicht lösen kann. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, ich habe nie Panik oder Ängste, aber ich kann sagen, dass Panik und Ängste mir nie dabei geholfen haben, Probleme zu lösen. Gelassenheit aber schon.
3. Introvertiertheit
Wenn ich diese Myers-Briggs Tests machen muss, kommt immer INTJ raus und mein Exchef wunderte sich darüber, weil er mich überhaupt nicht als "Introvertiert" eingestuft hat. Wegen Eigenschaft 1 konnte ich ihm erklären, dass es sich bei solchen Tests nicht um Persönlichkeitsprofile handelt und daher nicht das Verhalten bestimmt wird - das I und E in der Skala zeigt nur an, ob Interaktionen anregen oder stressen - und mich stressen sie. Nichtsdestotrotz mag ich sie inzwischen, weil ich mit der Zeit darin immer besser wurde und mein Beruf basiert inzwischen darauf, da mich der ständige bewusste Umgang damit und die damit lange Übung zu einem guten Beobachter und Berater gemacht hat.
Auch eins meiner wichtigsten Hobbies - das LARP - basiert darauf, sogar noch viel weitgehender als mein Beruf, denn im LARP geht es zum Teil darum, Extremsituationen zu provozieren und zu erfahren, was man im echten Leben niemals tun würde (was, wie ich gerade merke, eine Erweiterung der ersten Eigenschaft ist, denn mit der Zeit wiederholen sich natürlich auch emotionale Situationen).
Da sowas aber immer noch schnell meinen Energiehaushalt erschöpfen kann, habe ich gelernt, regelmäßig auf die Einhaltung von Abstand zu achten. Ich nutze dafür viele Auszeiten aber auch zum Beispiel diese Technik, die auch bestimmt in irgendwelchen Lebensratgebern beschrieben ist und bestimmt einen fancy Namen hat: Wenn ich merke, dass ich mit einer Situation nicht klar zu kommen drohe - ob im Kleinen, wie der typische sensory overload auf einer Veranstaltung oder im Großen, wie ungefähr das ganze Jahr 2015 - setze ich mich eine halbe Stunde hin und entkoppele mich von allem. Ich atme regelmäßig und tief, entspanne den Körper und stelle mir vor, alles um mich herum entfernt sich von mir. Alles wird leiser und kleiner und ist nur noch am Horizont sichtbar. Ich habe nichts mehr damit zu tun. Dann stelle ich mir vor, die ganze Erde, auf der all diese Dinge ohnehin schon weit weg von mir sind, entfernt sich von mir (oder ich mich von ihr), bis auch die nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne ist.
Dann habe ich nur noch mich und kann mich spüren. Es geht überhaupt nicht darum, Entscheidungen zu treffen, wichtige Überlegungen anzustellen oder sonst was zu erreichen. Es geht ausschließlich darum, dass ich merke, dass ich noch da bin. Dass es mich gibt. Wie ich und nur ich mich anfühle, ohne die ganzen Reflexionen von außen. Wenn ich mich lange genug (und das lange genug wirklich abzuwarten ist wichtig) wieder wahrgenommen habe, lasse ich mich wieder zur Erde absinken und ziehe den leeren Raum zwischen mir und meiner Umgebung wieder zurück. Dann öffne ich die Augen und gehe zurück in die Situation, aus der ich mich gerade zurückgezogen habe und etwas interessantes passiert: Ich bin konzentriert und voll anwesend, habe ein klares Bild davon, was passiert und kann vernünftig und ruhig darin agieren und reagieren.
Es gibt viele Aspekte, die auf den momentanen Erfolg von Populisten und Rechtsextremen einzahlen. Ich will auf einen eingehen, den ich für besonders relevant halte. Was weder heißt, dass das der wichtigste oder der einzige ist, noch dass ich mir über andere keine Gedanken mache. Das vorab als Disclaimer, damit niemand kommentieren muss, dass ich ja das ihnen wichtige, "eigentliche" Thema ignorieren würde (was wahrscheinlich dennoch passiert, aber egal).
Warum wir Fremde fürchten
Es gibt wahrscheinlich, seit der Mensch eine gewisse Selbstwahrnehmung und Intelligenz entwickelt hat, eine wichtige Instanz im Bewusstsein, die ihm hilft, mit der Realität klarzukommen und sein Dasein zu ordnen. Das ist die Wahrnehmung von Veränderung und die Angst vor dem Fremden. Wahrzunehmen, wenn sich etwas in der direkten Umwelt eines Menschen verändert oder wenn sie andere Menschen bemerken, die sie in ihrer gewohnten Umgebung noch nie gesehen haben, ist ein wichtiger Instinkt, denn darauf zu reagieren kann lebenswichtig sein. Daher reagieren wir auch heute mit Stress auf Neues und Fremdes. Stress erhöht die Leistungsfähigkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und setzt den Fokus auf alles, was uns hilft, eventuell notwendige Abwehr- oder Fluchtmaßnahmen einzuleiten und erfolgreich eine Krisensituation zu bewältigen, falls sich diese Veränderung oder die fremde Person als Bedrohung herausstellt.
Leider ist eine der negativen Folgen dieses Instinktes der Verlust der Gesamtübersicht, denn er fokussiert uns auf den Moment und blendet alles aus, was gerade nicht wichtig scheint, um eine akute mögliche Bedrohungslage in einem größeren Maßstab oder mit einem rationalen Abstand zu bewerten. Bei Gefahr ist es wichtig, möglichst schnell und direkt zu reagieren und wenn es um Sekunden geht, ist der rationale Teil unseres Hirns dem emotionalen weit unterlegen: Der Sinn von Affekt ist es, schneller zu reagieren als man denken kann und um eine plötzliche Gefahrensituation durch Angriff oder Flucht zu beenden kann das schnelle Handeln aus dem Bauch heraus statt das überlegte Handeln aus dem Kopf heraus entscheidend sein. Wenn wir diesen wichtigen Instinkt nicht hätten, würden wir wahrscheinlich jeden Tag von einem Bus überfahren werden.
Das Fremde in der Dauerschleife
Bleiben wir mal beim Bus: Ich sitze im zweiten Stock und auf der Straße unter meinem Fenster fährt alle 10 Minuten ein KVB-Bus vorbei. Wenn das Fenster offen ist, hört man den auch, und zwar sehr laut. Wenn ich Besuch habe, fragt der mich nach einer Weile, ob mich das nicht stört und ich sage "Wie? Bus? Ich hör das gar nicht". Das liegt nicht daran, dass ich schlechte Ohren habe, sondern daran, dass ich weiß, was da vorbeifährt. Ich habe offenbar gelernt, dass er keine Gefahr ist, da er mich nicht im Wohnzimmer einer Wohnung im zweiten Stock überfahren wird. Mein Hirn blendet ihn aus. So sehr, dass ich nicht mal mehr das laute Geräusch wahrnehme, das er ja unverändert macht. Mein Besuch ist aber in einer fremden Umgebung und sein Hirn meldet ihm daher jedes Geräusch mit der Frage "was ist das? Muss ich darauf reagieren? Ist das gefährlich?"
Wofür dieses Beispiel steht ist: Wir leben in einer Zeit, in der sich die Menge der Geräusche - und ich meine nicht nur akustische - in unserer Umgebung viel schneller erhöht und potenziert hat, als wir uns daran als Gesellschaft gewöhnen konnten. Klar, einzelnen Menschen gelingt das problemlos, einigen ganz gut (zu denen zähle ich mich), einige bemühen sich redlich und erkennen und benennen ihre Überforderung, dann kommen noch ein paar mehr Abstufungen und dann gibt es irgendwann die, die nicht mehr verstehen, was da eigentlich passiert. Das sind die, die im Dauerstress landen und von ihm getrieben in einem ständigen Zustand der Panik, der Angst und der Bedrohung leben.
Stress ist wichtig und hilfreich in ganz konkreten kritischen Situationen, die eine ganz konkrete direkte Reaktion benötigen. Wenn ich aber den Eindruck vermittelt bekomme, ständig von neuen Gefahren umgeben zu sein und die Informationskanäle über die ich darüber informiert werde nutzen dazu noch eine Form, die so tut als wären diese Gefahren alle so dringlich und konkret wie ein Bus, der gerade auf mich zu kommt, und wenn, sobald ich mich dann diesen Gefahren zuwende um sie zu bekämpfen oder aus ihnen zu fliehen, irgendwie gar keine Möglichkeit dazu besteht, dann hab ich irgendwann ein Problem. Nicht mit den Gefahren selbst, weil die natürlich gar nicht so konkret und direkt sind wie sie uns verkauft und vermittelt werden. Nein, dann gerate ich in einen Dauerstress und ein permanentes Gefühl der Panik, der Angst oder der Wut - je nachdem, wie ich da disponiert bin.
Und genau diese Panik, Angst und Wut erkenne ich bei den Menschen, die uns das Fernsehen zeigt, wenn sie sich darüber wundern, dass Menschen selbst dann, wenn Journalisten und Politiker auf sie zugehen um mit ihnen zu reden, diese nur noch anpöbeln, beschimpfen und vielleicht sogar tätlich gegen sie werden.
Opfer der Populisten
Menschen haben ja berechtigte Sorgen: Haben sie morgen noch Arbeit? Reicht die Rente? Wird alles teurer? Warum verändert sich alles so schnell, dass sie nicht mehr mitkommen? Bekommt irgendjemand was geschenkt, während sie sich für alles anstrengen müssen (ja, wichtige Frage für manche)? Und dann kommt jemand und bietet mir Erklärungen: Die Medien belügen Dich! Die Ausländer nehmen Dir Arbeitsplätze und Frauen weg! Die Politiker nehmen Dir Dein Geld und Deine Rente weg! Und das im Affekt-Abwehmodus befindliche Hirn sagt: Da ist endlich ein konkreter Feind! Auf ihn mit Gebrüll!
Natürlich ist die Wahrheit anders: Die Vergangenheit war nie stabiler und sicherer als die Gegenwart. Es sind aber Dinge unsicherer geworden die mal sicherer waren. Es sind dem gegenüber auch genauso Dinge sicherer geworden, die früher unsicherer waren. Es haben sich immer Dinge geändert, es gab immer Fremde. Es gab auch immer Gefahren. Aber wir bekommen inzwischen viel früher davon erzählt, bekommen sofort Livebilder geliefert, hören alle Spekulationen von jedem, der eine äußert und können uns selbst mit beteiligen und helfen, die Panik der Unsicherheit zu erhöhen. Darüber wie das funktioniert und wie wir damit umgehen können hab ich schon mal ausführlich geschrieben.
Die Wähler der AfD sind schon weit über der Grenze dessen, was mit ein bisschen Vernunft, Ruhe und Reflexion behebbar ist. Die Welt in der sie leben ist eine, in der ihre Kultur, ihr Leben, ihre Perspektiven von allen Seiten unter Dauerbeschuss stehen. Je abstrakter und weiter weg, desto mehr sogar: Man weiß ja, dass ausgerechnet dort, wo die wenigsten Ausländer leben, die Angst vor Ausländern am größten ist. Sie sind im Kampfmodus, mit allen Konsequenzen, auch der, dass jedes Entgegenkommen als Angriff empfunden wird. Wenn alle außer denen, die ihre Weltsicht teilen, Feinde sind, kann man mit denen ja nicht reden. Sie sind umzingelt von Fremden. Ihre Heimat verwandelt sich in die Fremde. Wenn sie sagen, sie fühlen sich "fremd im eigenen Land" ist das keine Metapher. Sie sagen die Wahrheit - aber eben die gefühlte, und die ist echter und tiefsitzender als jede objektive Wahrheit - und sobald man versucht, ihnen zu erklären, dass das ja nicht stimmt, hat man schon verloren. Denn es ist die Welt in der sie leben, die sie wahrnehmen und die sie spüren. Wahrer kann sie gar nicht mehr werden. Ich kann einem Ertrinkenden nicht sagen, dass da kein Wasser ist, wenn das Wasser, in dem er gerade ertrinkt, für ihn so echt ist wie es nur sein kann.
Und das ist das Dilemma: Die einzige Lösung, die es für diese Menschen gibt, ist, das Wasser abzulassen. Also Ausländer raus, Politiker an die Wand, Journalisten berichten nur noch was sie hören wollen. Das kann man ja nicht machen, weil die Welt so nicht funktioniert. Aber die Forderungen haben eine übersetzbare Bedeutung: Ich will keine fremden Menschen um mich herum, die alles anders machen als ich. Ich will keine Regierung, die immer nur Kompromisse von mir verlangt und mir die nicht erklärt, sondern einfach mit einem "Basta" als "alternativlos" durchsetzt. Und ich will nicht ständig immer mehr Dinge lesen und hören, die mich verusichern und ängstigen.
Wo sind die besseren Lösungsansätze?
Und da sind wahrscheinlich die Ansatzpunkte, wenn man einen Teil der Gesellschaft in einer leider auch noch sehr ansteckenden Dauerpanik verliert. Einen Teil, der nach Auswegen aus dem Stress sucht, den all das Fremde um ihn herum erzeugt und deren Drang nach einem Ventil und einer schnellen Linderung ihrer Ängste zusätzlich von Leuten ausgenutzt wird, die ihm alle anderen Teile der Gesellschaft als Feindbilder für ihre Aggressionen anbieten sie dadurch gegen jeden Versuch des Entgegenkommens immunisieren.
Das schafft man nicht mit sachlichen Informationen. Die müssen natürlich da sein. Aber zunächst muss ja überhaupt wieder die Bereitschaft das sein, sich die anzusehen. Die herkömmlichen Formen der Kommunikation sind aber wirklungslos - die Menschen wissen, wie Politiker heutzutage reden. Sie wissen, wie Journalisten heutzutage reden. Sie wissen, wie Werbung funktioniert. Sie erkennen Phrasen. Sie wissen genau, dass man ihnen nicht geben will, was sie verlangen. Sie wissen nur nicht, dass der Schlüssel, um ihr Problem besser und nachhaltiger zu lösen als ihre Wut, ihr Hass, ihre Angst es ihnen vorgaukelt, nicht in der Welt um sie herum liegt, sondern in ihnen selbst. Dass es ihr Umgang mit Veränderung und mit dem Fremden ist, der "falsch" ist. Denn Veränderung und das Fremde ist nichts, was man bekämpfen kann. Es sind Prinzipien und die gehen nicht weg. Mit denen muss man lernen, umzugehen. Man muss sie kennenlernen, auf sie zugehen, sich für sie interessieren. Erst dann kann man die Gefahr einschätzen, die von ihnen ausgeht. Oder erkennt eben, dass es da gar keine konkrete Gefahr gibt. Dass sie der größte Teil der Veränderungen auf der Welt gar nicht betrifft und wenn sie wollen, können sie die ignorieren wie den Bus, der vor dem Haus vorbeifährt.
Das bekommt man nur mit neuen Formen hin. Neue Formen der Bildung, neue Formen der Erzählung. Mit ehrlicherer Kommunikation. Und dann auch mit klaren Ansagen und Grenzen des Tolerierbaren. Das ist, worüber ich gerne reden will und wo ich gerne helfen will, denn mit den neuen Erzählformen kenne ich mich aus: Bloggen war so eine. Social Media transportiert einige. Und vor allem LARP ist so eine - sie verbindet sogar Erzählung und Bildung, indem sie Erfahrungen ermöglicht, die auf emotionaler Ebene die Türen für ein viel breiteres Verständnis und tiefere Erkenntnisse öffnet, Vorurteile auflöst und Empathie erzeugt. Das ist eine Stelle, an der man konkret etwas tun kann und ich habe daher vor, mich da wesentlich mehr einzubringen.
führt in den letzten Tagen zu seltsamen Diskussionen. Ok, vor jeder Wahl beginnen spätestens zu dem Zeitpunkt, ab dem es dem ein oder anderen schwant, dass "seine" Partei womöglich mal richtig abkacken wird, die Emotionen hochzukochen und auf der hysterischen Suche nach doch noch einer Wählergruppe, die vielleicht dieses unausweichliche Ergebnis drehen könnte, überwältigt sie die Wut der Verzweiflung und sie können nicht anders, als sie laut (und dabei auch noch sehr dumm) zu beschimpfen.
Das dürfte normal sein, das beobachte ich seit ich wählen kann und anfangs tat ich das durchaus ebenso.
Aber in den letzten vier Tagen hat das eine absurde Dimension angenommen, und zwar vor allem bei sich politisch links einordnenden Menschen in meinem Bekanntenkreis: Der erklärte Feind, der für den kommenden Sieg der AfD, das Abwandern aller sich links einordnenden Parteien (ja, ich schreib das mit Absicht so) in die Opposition und die drohende Schwarz-Gelbe Mehrheit und natürlich dafür, dass alle Deutschen demnächst zu Nazis werden sind: Die Wähler der Partei DIE PARTEI.
Irre, oder? 0,2% der Wähler sollen Schuld sein, wenn ein von allen etablierten Parteien jahrelang gefütterter politischer Backlash sich in einer Wahl manifestiert. Eigentlich muss man darauf inhaltlich gar nicht eingehen, oder auf die falschen Rechenbeispiele, nach denen eine Stimme für eine Partei, die unter 5% bleiben wird, eine Stimme für die AfD sei. Ein Freund von mir verstieg sich tatsächlich in die Aussage, dass es schlimmer sei, DIE PARTEI zu wählen als gar nicht. All diesen Unsinn habe ich viel zu ausführlich auf Facebook usw diskutiert, wo das alles zum Glück durch die ihm zugestandenen Kurzlebigkeit nicht lange sichtbar ist.
Aber es gibt eine Argumentation, auf die ich doch etwas nachhaltiger eingehen will, nämlich die, die in der Bildzeitung für Linke, der taz aufgemacht wird: Die Wähler der PARTEI sind verantwortungslose, dumme, junge, nur an Spaß interessierte männliche Menschen ohne echte Probleme, der sich auch sonst generell für überhaupt nichts anderes einsetzen, als für die eigene Lustbefriedigung. Diese Leute würden die PARTEI just for the lulz wählen und seien damit gar verachtenswerter als AfD-Wähler. Der taz-autor versteigt sich am Ende sogar in einen Vergleich von Wählern der PARTEI mit Nazi-Mitläufern im dritten Reich.
Sidenote: Ich nannte das in den Diskussionen Wählerbeschimpfung und es gab tatsächlich genügend Mitdiskutanten, die meinten, das wäre doch nicht beleidigend, sondern alles ganz rational.
Die gesamte harsche Verurteilung des PARTEI-Wählers fußt jedenfalls auf einer Behauptung, nämlich der, wer dieser Wähler ist. Ich vermisse da aber die Fakten, die Beweise für all die Annahmen, die da eben mal so über ihn aufgestellt und einfach als gegeben hingestellt werden.
Was wäre denn, wenn es genau die anderen sind, die die Partei wählen? Also die prekär lebenden intelligenten Abgehängten? Immigranten, die in allen Parteien diese Leute ansehen und hören müssen, die sie als Menschen zweiter Klasse und Verhandlungsmasse behandeln? Die Alleinerziehenden, die Menschen die gerade in die Altersarmut rutschen, Hartz4-EmpfängerInnen, KünstlerInnen, Behinderte, junge Frauen die keine Lust mehr haben ständig zu hören, dass sich ihre Zukunftsperspektiven schon irgendwann verbessern obwohl sie sehen wie sie gerade immer schlechter werden? Also die, die unter dem Stillstand am meisten leiden? Die seit vielen Jahren von den "ernsthaften" Parteien ignoriert werden oder sich von ihnen arrogante Sprüche darüber anhören müssen, dass sie halt mal was "leisten" sollen?
Was wenn die PARTEI-Wähler die Menschen sind, für die die großen Parteien nie etwas getan haben, weil ihre Problem keine Presse machen und weil sie den Parteien zu klein und zu unbedeutend sind, um sich ernsthaft um ihre Sorgen zu kümmern?
Wäre das Urteil dann immer noch dasselbe?
Hier wurde erst mal das Urteil ausgesprochen und sich dann nur noch die Vorraussetzung dafür passend zurechtgelegt, statt erst mal zu schauen, wer denn die Wähler sind, über die da gesprochen wird. Aber das ist ja auch nicht neu - man spricht ja immer über die Marginalisierten, nie mit ihnen. Man müsste ja sonst eventuell das vorgefertigte Urteil überdenken, das einem die moralische Überlegenheit sichert und rechtfertigt, warum es trotz seiner "linken" Gesinnung irgendwo insgeheim ganz recht ist, dass es einem selbst besser geht als den anderen.
Abgesehen davon ist so zu tun als ob Partei-Wähler und AfD-Wähler dasselbe sei - oder gar schlimmer - schon irgendwie seltsam, wenn das dieselben Leute tun, die Trumps "there were bad people on both sides" als Verharmlosung von Rassisten verurteilen. Wenn irgendwas Verharmlosung von Rassisten ist, dann doch, ihre erklärten Gegner als schlimmer zu bezeichnen als die Rassisten selbst, oder?
0,2% der Wähler einer Partei, die im Übrigen die einzige ist, die sich klar und lautstark gegen alles positioniert, wofür die AfD steht, sollen für die Krise der linken Parteien verantwortlich sein? Und um dieses haardünne Brett überhaupt hinstellen zu können, muss man auch noch einen Strohmann aus Opas Ressentiment-Kiste gegen Millennials aufbauen, wer diese Wähler sind? Das ist schon arg verzweifeltes wegschauen von den eigenen, riesengroßen Fehlern.
Ich erwähne hier mal nur einen: Es gab in den letzten fünf Jahren eine klare linke Mehrheit im Bundestag.
Wer hat also hier über Jahre aus welchen lächerlichen, egoistischen Gründen nichts getan?
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Kleine Schlußanmerkung, um die (wahrscheinlich dennoch kommenden) Abwehrreflexe und Projektionen zu mildern: Ich selbst weiß noch nicht, welche Partei ich wähle. Ich mag Progressivität (zB in Bildung, Wissenschaft, sozialer Entwicklung), halte das Bedingungslose Grundeinkommen für dringend notwendig und möchte ein Land, in dem Diversität und Pluralismus als positive Eigenschaften und Chance erkannt wird und die Wirtschaft wieder in die Verantwortung für die Gesellschaft genommen wird statt umgekehrt. D.h. es gibt etwa dreieinhalb Parteien, in denen zumindest ein bisschen was davon auftaucht und zwischen denen ich mich am Ende entscheiden werde.
Ich hab noch nie eine Blogparade mitgemacht. Nicht, weil ich das Prinzip nicht mag, sondern weil mich bisher kein Thema so angesprochen hat, dass ich dazu dringend etwas beitragen wollte (oder weil ich zu wenig Ahnung darüber habe und die Teilnehmer schon alles viel besser aufgeschrieben haben, was ich hätte beitragen können). Nun aber gibt es eine, die ich unterstützen möchte und die mir persönlich sehr wichtig ist, aus Gründen, die ich vor einer Weile beschrieben habe.
Auch, wenn wir es meist verdrängen: Wir alle werden sterben. Irgendwann, aber dass wir sterben ist sicher.
Testamente und gesetzliche Regelungen zur Verwaltung des physischen Nachlasses gibt es reichlich, aber was ist mit unserem digitalen Nachlass? Mit Blogs, Facebook- und Twitterprofilen oder dem Instagramstream? Sogar die Bundesregierung empfiehlt, Vorsorge zu treffen, aber wie sollen Angehörige oder Erben mit unserem Nachlass umgehen – und wie ermögliche ich ihnen das?
Was für Konventionen bei Todesfällen wünschen wir uns überhaupt? Welche Mechanismen sollen oder sollten Soziale Netzwerke zur Verfügung stellen?
Auf Digital Danach existiert bereits ein Blog zum Thema und auf der re:publica haben Jens Scholz und Wibke Ladwig spontan eine Aktion “re:member” ins Leben gerufen.
Das Digitale Leben nach dem physischen Tod ist ein Thema, bei dem viele Fragen noch gar nicht gestellt sind.
Aber nicht nur die Frage, wie wir digital mit unserem eigenen Tod umgehen, ist wichtig. Es sterben ja auch Verwandte, Freunde, Bekannte. Wie funktioniert digitales Gedenken für die Hinterbliebenen?
Wir – das sind Jens Scholz und ich – laden Euch ein, über Eure Wünsche, Gedanken, Ängste und Erlebnisse zum Thema “Tod und Soziale Medien” zu bloggen und auf diese Weise eine Sammlung von Texten zu verlinken.
Ich würde mich sehr freuen, wenn hier viele Beiträge zusammenkämen. Ich habe vor, nächstes Jahr auf der re:publica ein paar Ideen und Konzepte vorzustellen, wie wir mit Tod und Trauer umgehen können, sei es digital oder auf Veranstaltungen, in denen sich jedes Jahr Menschen treffen, die bemerken, dass einige von ihnen nicht mehr da sind. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam ein paar gute Impulse zusammenbekommen, wie wir das anfangen können.
Ach komm, nee, so schlimm war er nicht, der Sommer bis jetzt. Dass es im Moment einfach seit ner guten Woche kalt ist und regnet ist ja für Ende Juli auch gar nicht unnormal. Aber es nervt trotzdem. Kalt, trübe, dunkel, verregnet bringt mich nun mal schneller runter als es Sonne, Wärme und Helligkeit schafft, mich wieder aufzumuntern.
Genug vom Wetter, was war los in der letzten Zeit?
Ich hab meinen neuen Job bei Fork begonnen. Ich blogge ja üblicherweise nicht viel über meinen Arbeitsplatz, daher wird das auch hier eher wenig stattfinden. Nur soviel: Es ist ein steiler Einstieg gewesen und ich bin auch noch nicht an der Stelle angekommen, an der ich am Ende sein möchte. Die Firma, das Arbeitklima, die KollegInnen und die Themen sind super. Die Gleichzeitigkeit und Menge dessen, was ich alles herausfinden muss, um in den Flow zu kommen in dem ich sein möchte ist das, was mich gerade anstrengt. Mein Eigenanspruch, der mir sagt, dass ich noch so unscharf sehe und der mich verbissen die Augen zusammenkneifen lässt obwohl ich weiß dass das nicht hilft, macht mich ungeduldig. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich nicht gebloggt habe: So lange ich dort eine Baustelle habe, gestehe ich mir an anderen Stellen nicht zu, entspannt zu sein. Als ob das eine am anderen was ändern kann. Eigentlich doof, aber das ist halt so'n Muster bei mir.
Ich habe aber natürlich nicht gar nichts gemacht. Jan und ich haben uns ein weiteres Mal zum Podcasten hingesetzt - diesmal sogar mit Plan - und darüber gesprochen, wo LARPs in Deutschland herkommen, wie das da mit Regeln und Charakteren läuft und wie man es schafft, auf LARPs Spaß zu haben, wenn man damit anfangen will. Wir sind hier allerdings vor allem bei klassischen Fantasy-LARPs geblieben. Die ganzen abgefahreneren Ansätze, die gerade entstehen, gehen wir in einer eigenen Folge durch.
Und a propos LARP: Ich war auch wieder auf einem und nachdem es uns beim letzten Mal in den Dreißigjährigen Krieg verschlagen hat, landeten wir diesmal in der Zukuft. Genauer gesagt in der Zukunft, die die Fernsehserie Defiance erzählt, die mir damals sehr gut gefiel und weswegen ich natürlich auch sofort interessiert war, als die Ankündigung kam.
Auch diesmal gab es neben dem Spiel selbst einiges zu beobachten, denn es gab einerseits viele Fraktionen mit eigenen sozialen Regeln und andererseits jede Menge Einzelpersonen mit eigener Agenda und das wiederum in einer Situation, in der die ganze Gruppe irgendwann gemeinsam auf der Flucht war.
Was ich diesbezüglich am interessantesten fand war, wie sich die politische Führung - das City Council, das dadurch, dass es ein demokratisch legitimiertes Gremium war, ja eigentlich gut begründet die Führungsrolle der Flüchtenden beanspruchen hätte können - sich selbst immer mehr schwächte. Zuletzt dergestalt, dass als sie feststellten, dass die verschiedenen Alien-Gruppen zusammenrücken, die Menschen sich aber immer mehr entzweien, sie quasi eigenmächtig aus jeder Aliengruppe eine Person ins Council beriefen und dabei darauf achteten, dass es die möglichst schwächste oder niederste Person ist. Anstatt auf die Gruppen zuzugehen und diese darum zu bitten, jeweils einen Vertreter zu bestimmen und sich damit zu legitimieren und zu stärken. Die Angst vor dem Machtverlust führte somit zum tatsächlichen Machtverlust. Und das wiederum führte dann sehr schnell zum Ruf nach der einen Person, die sagt wo es lang gehen soll. Auf meine Frage, wann denn diese Ausnahmezustand-Diktatur beendet sein soll, kam nur die Antwort "Sobald alle wieder sicher sind".
Für mein persönliches Spiel habe ich mich auf den Teil meines vorgegebenen Charakters konzentriert, der sich möglichst aus jeder Verantwortung heraushält - etwas, was mir im echten Leben sehr schwer fällt. Da meine Figur aber durch ein Unglück in der Vergangenheit alles verloren hatte und ich so den Charakter dergestalt aufbauen konnte, dass ich die Vergangenheit nicht loslassen will (ich war insgeheim auf der Suche nach dem Verursacher dieses Unglücks) und dadurch auch einen Neuanfang verweigere, fand ich darin einen guten Weg, mich nicht mehr an Commitments zu binden. Natürlich entstanden daraus dann ganz interessante Konflikte, als andere versuchten, mich in Verantwortung zu nehmen und ich stellte fest, das diese "Ich hab eh nichts zu verlieren"-Einstellung auch zu einer gewissen Risikobereitschaft führt, die in meinem Fall dazu führte, dass ich mich - mit mehr Vernunft bertrachtet völlig unnötig - mit einem Earth Republic Offizier angelegt habe, was natürlich ziemlich eskalierte, als die Earth Republic Truppen am Ende des Spiels die Stadt und uns als Bewohner übernahmen. Im Nachhinein und von meiner persönlichen Warte betrachtet, wusste ich durchaus die ganze Zeit insgeheim, dass mein Charakter da ganz klar eine Situation provozierte, die zu einen tödlichen Ausgang entweder für ihn oder den Offizier führen sollte und beides wäre für ihn akzeptabel gewesen.
Ich kann wirklich nur immer wieder empfehlen, LARPs zu spielen, man findet viel über sich, über andere Menschen in deren Rolle man sich begibt und über wichtige Gruppendynamiken heraus. Man wird aufmerksamer, empathischer, verständnisvoller. Man kann mal in Emotions- und Gefühlsräume gehen, in die man sich eigentlich nie hineintraut und man findet durch völlig veränderte Kontexte Verhaltensweisen und Seiten an sich, von denen man nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt.
Daher am Ende noch ein Tip: In Berlin findet das nächste ifoL statt - ein Minilarp-Festival, das ich wärmstens empfehlen kann. Minilarps sollten sich alle anschauen, die an immersiven Narrationstechniken und viel Spaß und Drama interessiert sind. Das schöne daran ist, dass sie sehr zugänglich sind: Man braucht eigentlich keinerlei Vorkenntnisse und es wird sich meistens auch nicht wirklich verkleidet. Wem unsere IfoLs auf dem Lande bisher zu weit weg waren, sollte sich schnellstens anmelden.
Ab Morgen bin ich wieder angestellt. Komisches Gefühl, aber die neuen KollegInnen haben mir eine Postkarte geschickt, in der sie mich baten, doch bitte nicht vor halb zehn im Büro aufzuschlagen, wenn ich an meinem ersten Arbeitstag nicht auch der erste im Büro sein will und das fand ich schon wieder sehr herzig. Ach ja, wer wissen will, wo ich eigentlich bin und was ich da mache, das aktualisiere ich alles morgen.
Ansonsten war der Mai tatsächlich sehr voll: Natürlich zuallererst wegen der re:publica, über die hab ich aber schon geschrieben.
Dann waren wir im Urlaub. So richtig Urlaub. Eine ganze Woche weg, in Irland mit wandern und Sachen anschauen und gut essen und gemütlich herumsitzen und lesen und all dem, was man in einem Urlaub so macht. Ich glaube, das sollte ich öfter machen. Das letzte mal, dass ich eine ganze Woche irgendwohin bin und Urlaub gemacht habe, war erschreckenderweise im März 2006.
Wir waren vor allem im Nordwesten, die Wild Antlantic West Road entlang. Der name ist auch nicht schlecht gewählt, denn es hat ordentlich gezogen und war auch nicht wirklich warm - was aber super zum Wandern gewesen ist. Wir sind über Strände und Klippen gelaufen und sind auf den Diamond Hill im Connemara National Park geklettert. Es gab einen tollen Rundweg durch den Burren und wir fanden heraus, dass man für gutes vegetarisches Essen am besten einfach nur in den nächsten Pub geht statt in teure Restaurants. Wer mehr wissen mag: Ein bisschen über Irland erzählt hab ich letztens in unserem Podcast.
A propos Podcast: Letztes Wochenende fand in Köln die Role Play Convention statt. Die gab sich wieder alle Mühe, durch ihre wirklich bescheuerte Standplanung dafür zu sorgen, dass es völlig unmöglich war, sich zurechtzufinden. Wer auf die Idee kam, alles durcheinanderzuwerfen - wahrscheinlich mit der Absicht, für mehr Vermischung zu sorgen - gehört nachträglich noch mal mit 10 Stunden David Hasselhoff zugedröhnt. Das sorgte nämlich lediglich dafür, dass man niemanden gefunden hat und um innerhalb eines Interessensgebietes von einem Stand zum nächsten zu kommen immer wieder eine Ewigkeit laufen und suchen zu müssen. Und das Problem, dass die Besucher die untere Halle gar nicht erst finden hat man seit letztem Jahr auch nicht gelöst. Aber egal, die RPC ist für mich in Sachen LARP ungefähr das, was die re:publica zum Thema Internet ist: Ich treffe all die tollen und ein bisschen verückten Leute, die da unterwegs sind und da ist es am Ende egal, ob die Location saugt.
Gefreut habe ich mich vor allem, dass ich mich mit Tommy Krappweis unterhalten konnte. ich spreche ja Menschen nicht gerne einfach so an, wenn ich keinen konkreten Anlass habe (oder finde), daher war ich ganz froh, dass ich tatsächlich was mit ihm zu besprechen hatte - ich führe nämlich beim kommenden Conquest durch das Abendprogramm der Pre-Party und da ist Tommy einer der Gäste, mit denen ich in einem Interviewpanel reden werde. Und als Bonus hat er mir auch gleich noch die Gelegenheit gegeben, Professor Simek die Hand zu schütteln, den ich seit Jahren bewundere (der ein oder andere kennt ja vielleicht mein Interesse an vorchristlichen Kulturen).
Jetzt hab ich aber die Überleitung mit dem Podcast begonnen und das hat auch einen Grund: Ich habe nämlich ziemlich lange mit Jan geredet und ihn dann gefragt, ob er Lust hat, an einem halbwegs regelmäßigen Podcast über LARP-Themen mitzumachen. Er fand das prima, wir haben uns direkt für den Dienstag drauf verabredet und schwupp: die erste Folge ist auch schon online. Das heißt, ich habe es endlich geschafft, mit dem We Know Kung Fu Podcast auch das zu machen, was ich ursprünglich damit vorhatte, nämlich mit Menschen, die sich zwar auskennen, aber dadurch dass sie eher im Hintergrund arbeiten, nicht wirklich sichtbar sind, über ihr Thema zu sprechen.
War noch was? Ja, ich war vier mal beim Zahnarzt und muss noch mindestens zwei mal hin. Darauf hätte ich doch lieber verzichtet.
Ich war - wie jedes Jahr - auf der re:publica und es war - wie jedes Jahr - einer der wichtigsten Termine des Jahres für mich. Ich denke mal, wer mich kennt weiß, dass ich nicht beruflich dort bin, mir keine Businesstalks ansehe und keine geschäftlichen Interessen mit dem Besuch der Veranstaltung verbinde. Dennoch, oder besser deswegen, ist diese Woche für mich wichtig. Die re:publica ist für mich ein Familientreffen. Ich würde jede Unannehmlickeit in kauf nehmen, um sie nicht zu verpassen. Es gibt keine andere Veranstaltung, auf der so viele Menschen sind, denen ich mich verbunden fühle und die ich innigst in mein Herz geschlossen habe, auch wenn viele von ihnen das gar nicht wissen, weil ich gar nicht die Gelegenheit habe, mit allen zu sprechen.
Dieses Jahr fühlte sich aber die Vorbereitung auf die re:publica anders an als sonst. Denn einer der Menschen, die ich Jahre lang bewundert habe, war Johannes Korten und er ist tot. Ich habe ihn auf vielen vorangegangenen Veranstaltungen gesehen, aber erst letztes Jahr persönlich kennengelernt. Dass er dieses Jahr nicht da sein würde, ging mir näher als ich dachte. So nahe, dass ich Angst hatte, wie es sein würde, auf einer re:publica zu sein und er ist kein Teil mehr von ihr. Schlimmer, er findet gar nicht statt.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn in meinem Blog hier fand er ja auch nicht statt. Ich hatte durchaus letztes Jahr mehrmals versucht, Worte zu finden, aber es ging nicht. Ich habe am Ende mangels Worte ein Lied aufgenommen und auf Facebook gepostet und selbst da wurde der Text, den ich dazu schrieb, immer kürzer. Erst am Ende des Jahres hatte ich ein paar Zeilen mehr schreiben können.
Nachdem ich meine Situation auf Facebook schilderte kam heraus, dass ich nicht der einzige bin, dem es so ging. So überlegten Wibke und ich, wie wir in der kurzen Zeit doch noch etwas tun können. Um es kurz zu machen: Ich habe direkt am Sonntag abend noch Tanja und die Orga angesprochen die uns sofort alle Unterstützung zukommen ließen die wir brauchten (besonderen Dank an Simone, die trotz Krankheit am Montag ständig für uns da war), Wibke und ich haben Plakattafeln machen lassen und es hing am Ende eine Erinnerungswand für die Geister der re:publica.
Das war zwar aus dem Ärmel geschüttelt und ein erster Schritt, aber besser als gar nichts. Was sich aber bei den ganzen Gesprächen darüber herauskristallisierte war ein wichtiger Punkt: Wir haben noch überhaupt keine Erinnerungskultur. Wir treffen uns seit über zehn Jahren, sind stolz auf den Zusammenhalt und die Familiarität, die wir bewahrt haben und die trotz aller kritikwürdigen Dinge, Fehler, Schwierigkeiten, Dissonanzen, die auf der re:publica nicht ausbleiben, in ihrer DNA verankert ist. Wir erkannten, dass die re:publica nicht nur Themen aufgreift sondern auch eine Kultur geschaffen hat und diese weiterträgt. Aber eine Kultur muss gelebt werden, gepflegt werden und sie muss Platz beanspruchen. Platz für die Dinge, die alle betreffen, ob Businessfuzzi, Nerd, AktivistIn, HackerIn, BloggerIn und einfach egal wen. Und der Tod gehört zu den existenziellen Themen, ohne die es keine Kultur geben kann. Daher brauchen wir Erinnerung. Ich habe dieses Jahr mit so vielen Menschen über ganz persönliche, intime Dinge gesprochen wie lange nicht mehr. Der Bedarf dafür ist immens.
Ich werde daher nächstes Jahr einen Vorschlag machen, der kein Schnellschuss mehr ist: Ich stelle mir vor, dass wir weiterhin auf der re:publica über Technik und über Politik reden, uns über zu viel Business und zu wenig Aktivismus streiten, dass es Blödsinn, Trollerei und Party gibt und dass all das sogar besser wird, wenn wir unsere Geister nicht vergessen, die inzwischen unter uns wandeln. Die DNA der re:publica hat uns, die Menschen, die die Welt irgendwie besser machen wollen, im Mittelpunkt. Wenn wir in unserer Kultur Trauer, Erinnerung und Freude darüber, so wunderbare Menschen gekannt zu haben, dass sie uns fehlen wenn sie fort sind, zulassen, wird diese Kultur auch alle anderen Bereiche aktivieren und uns die Sicherheit geben, dass die re:publica nicht vergessen wird, wo sie herkommt.
Hab ich letzten Monat noch gesagt, ich fühle mich als Selbständiger sehr wohl? Stimmt immer noch. Aber dennoch kam Anfang April ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte, denn es war quasi genau der Job, für den ich vor 2 Jahren sagte, dass ich mich noch mal anstellen lassen würde und nach zwei Gesprächen, die mir sehr gut gefallen haben, war klar, dass ich das machen will. Das besonders Angenehme diesmal ist, dass ich aus einer Situation heraus verhandeln konnte, in der ich keinen Druck hatte und zu der ich auch jederzeit wieder zurückkommen kann, wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht klappt. Nicht dass ich glaube, dass dazu Anlass besteht, aber es ist einfach mal ein schönes Gefühl der Sicherheit, das zu haben mich sehr entspannt. Über das wie und wo schreibe ich dann etwas später.
(Foto: Boris Bernhard)
Dann war ich letztes Wochenende auf einem Larp. Die weiße Dohle spielte im dreißigjährigen Krieg. Da es im Herbst noch einen zweiten Run geben wird, kann ich nicht viel erzählen, aber es ging um Flüchtlinge - von denen ich einer war -, um religiösen Wahn, um die Angst vor dem Fremden und darum, wie unterschiedliche Interessen dazu führen, dass sich am ende keiner mehr vertraut und sich jede gesellschaftliche Gruppierung nur noch um ihre eingenen Interessen kümmert. Für mich war interessant, dass ich verstanden habe, wie Parallelgesellschaften ticken: Es hatte sich mit meiner kleinen Gaunertruppe, die der eigenen "Familie" gegenüber schnell eine hundertprozentige Loyalität und ein Zusammenhalt entwickelt, der uns aber gleichzeitig gegen alle Autoritäten - ob das die Burgherrschaft, der Klerus oder ein Soldatentrupp war - abgrenzte, eine gar nicht so bewusst intendierte Abgrenzung ergeben, wie sie wahrscheinlich auch heute in Vorstädten oder bei ethnischen Minderheiten passiert. Und ich muss sagen: das hat sich sehr gut angefühlt, vor allem, weil wir sehen konnten wie schwach, korrupt oder ideologisch diese ihre Entscheidungen getroffen haben, in denen "wir" keine Rolle spielten.
Ein anderer Effekt, der im Debriefing am Sonntag ganz klar herauskam war, wie erschreckt die SpielerInnen darüber waren, dass sie entgegen besseren Wissens ein Gefühl der Rückerlangung von Kontrolle spüren konnten, als sie am Ende noch ein paar Hexen verbrannten. Der Gedanke war "Wenigstens passiert mal was" oder "Wenigstens tut jemand was", was man auch heute immer mal hört, wenn zum Beispiel ein Asylbewerberheim brennt. Die Erfahrung, dass man mal mitbekommt, wie dieser Gedanke zustande kommen kann - nämlich vor allem durch das Gefühl der Überwältigung und Machtlosigkeit durch die Umstände - war wohl sehr gruselig. Wer so nicht dachte, sagte dennoch nichts, sondern war insgeheim froh, dass es ihn nicht erwischt hat. Am Ende führte beides dazu, dass niemand sich dem sich entfaltenden, offensichtlichen Wahnsinn in den Weg stellte...
Was gabs noch? Ich war auf einer schönen Party eingeladen, die ein warmes und sonniges Wochenende lang dauerte. Sich mit Freundinnen und Freunden viel Zeit zum gemütlichen Feiern und Quatschen und essen und trinken zu nehmen ist etwas, was man viel öfter tun sollte. Leider bin ich sehr schlecht darin, sowas zu initiieren, daher war ich sehr dankbar, dass ich dabei sein durfte.
Das unangenehme Ereignis diesen Monats war, dass ich mir ein gefühlt riesiges Stück Backenzahn abgebrochen habe (Nie wieder Körnerbrot!) und ich jetzt einige Zahnarzttermine vor mir habe.