Update 13:30h: Der Account ist wieder freigegeben. Ich hab noch keine Info, warum. Sobald ich mehr weiß, schreib ich das hier rein.
Ursprünglicher Artikel von heute früh:
Seit über einem Jahr führen Sven und ich den Satireaccount @bundesamtfvs auf Twitter. Dass es sich dabei um Satire handelt und nicht etwa um einen offiziellen Account des Verfassungsschutzes sollte eigentlich auch jedem schnell klar werden - wir haben weder das offizielle Logo als Avatar (stattdessen einen Adler, der in die falsche Richtung schaut, die Farben der Fahne sind vertauscht und es steht das Wort "Verfaschungsschutz" drin) noch einen Link auf eine offizielle Webseite, der suggerierern würde, der Account wäre offiziell.
Wir twittern normalerweise derart offensichtlich unprofessionell und übertrieben, dass auch hier kein Zweifel daran bestehen sollte: Das ist nicht echt, das ist Satire. Wir haben über 6000 Follower, der erfolgreichste Tweet ist über 1500 Mal retweeted und fast 500 mal gefavt worden. Logischerweise sind das alles Menschen, die verstanden haben, dass es hier um Satire geht und keiner von ihnen wird wohl annehmen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz plötzlich Tips zum zivilen Ungehorsam geben würde.
Gestern wurde der Account "suspended", weil er eine "non-parody impersonation" sei (ja, da steckt irgendwie eine Pointe drin).
Natürlich haben wir am Anfang ein paar Verwechslungen gehabt und natürlich haben wir es auch hin und wieder mal drauf angelegt, die ohnehin schon irre genuge Realsatire aufzugreifen und nur noch sehr wenig draufzusetzen, um den ein oder anderen unbedarften Twitterer für einen Moment so zu irritieren, dass er sich fragte, ob das jetzt Ernst gemeint sein könnte.
Aber: Wir haben immer offen als Satireaccount getwittert, nie behauptet, "the real deal" zu sein und wer nach uns googelt findet auch sofort die Ausgabe des Elektrischen Reporters, in dem wir hierzu interviewt wurden oder meinen eigenen Artikel dazu. Wir haben in letzter Zeit auch gar nicht mehr viel gemacht und eigentlich wollten wir nach einem Jahr eh aufhören. Insoweit ist die Löschung des Accounts auch nicht wirklich ärgerlich, aber sie ist ja doch mindestens befremdlich: Es gibt ja jede Menge ähnliche Satiereaccounts, die zum Teil sogar weniger offensichtlich sind und dennoch in Ruhe gelassen werden und eine Löschung ohne vorherige Rückfrage oder Recherche kommt schon sehr willkürlich rüber, finde ich.
Sven hat jetzt mal eine Erkärung an Twitter geschickt, die auch ungefähr die von mir oben genannten Punkte anführen, um zu erklären, dass wir hier nicht - wie behauptet - eine "no-parody impersonation" sind, sondern eben genau das Gegenteil. Und wenn man nicht erkennen kann, dass es eine Parodie ist, dann ist die Satire anscheinend von der Realität generell nicht mehr zu unterscheiden...
Ich bin Anfang der Neunziger im Usenet unterwegs gewesen, später in Foren, von denen ich nicht wenige selbst betrieben oder moderiert habe und blogge seit über zehn Jahren. In dieser Zeit habe ich einige Taktiken gelernt, mit Trollen umzugehen, also mit Leuten, die versuchen, Boards, Foren und Blogs für ihre eigene - meist gegnerische - politische oder weltanschauliche Agenda zu missbrauchen, aus irgendwelchen Gründen einen persönlichen Groll gegen jemanden ausleben, als Stalker eine Person zu der sie glauben eine Beziehung zu haben, verfolgen oder schlicht einfach nur infantil nerven möchten.
Vielleicht überrascht das zunächst, aber: Die Motivation der Trolle ist letztlich relativ egal. Es ist völlig Wurscht, warum jemand trollt, es steckt immer dasselbe Ziel dahinter, nämlich die Übernahme bzw. Zerstörung der eigentlichen Kommunikation. Es ist am Ende immer ein Machtspiel und es geht darum, dass ihr euch vom Troll vereinnahmen lasst.
Daher lautet Tip 1: Ihr müsst für euch immer Prio eins bleiben!
Dein Blog, deine Foren-Identität, dein Twitter-Account, dein Facebook - überall findet Deine Kommunikation statt. Zum Teil komplett, zum Teil halb öffentlich. Du möchtest mit Freunden kommunizieren, du möchtest über Dinge bloggen, die dir wichtig sind oder dir Spaß machen. Für jemanden, der dir hier seine Themen aufdrückt, mit seiner Kommunikation deine zerstört, sich rücksichtslos in dein digitales Leben zwängt, gibt es überhaupt keinen Anspruch darauf, dass du dich mit ihm oder seinen Themen beschäftigen musst. Egal was er oder andere, die ihn eventuell 'doch gar nicht so schlimm' oder was er sagt 'vielleicht ja gar nicht so falsch' finden. Dein Empfinden zählt hier allein und ohne Widerspruchmöglichkeit. Wer dich nervt, der nervt. Basta.
Daraus folgt Tip 2: Keine Diskussion! Ihr müsst euch nicht rechtfertigen.
Euch sollte immer bewusst sein, dass löschen, blocken oder Missbrauch melden keine Zensur ist! Zensur geht immer vom Staat aus, nicht von Privatpersonen (und auch nicht von Firmen). Kein Mensch muss sich auf jede bescheuerte Diskussion einlassen, nur weil er irgendwo öffentlich ansprechbar ist. Auf eurem Blog, in eurem Forum, auf eurer Timeline sind andere bei euch zu Gast. Wer sich nicht benehmen kann, der fliegt eben. Ihr behaltet ja auch keine Gäste in eurer Wohnung, die sich nicht benehmen können. Daher: Keine Diskussion, mit dem Troll nicht aber auch nicht mit Leuten, die ihm mit falsch verstandenen Toleranzansprüchen sekundieren. Ersterem sagt man gar nichts, letzteren sagt man "Du kannst gern in Deiner Umgebung machen wie Du das willst, in meiner Umgebung mach ich das so, wie ich es möchte."
Tip 3: Nicht reagieren. Und wenn es schon passiert ist, nicht mehr reagieren.
Das wichtigste und eventuell anfangs anstrengendste ist, auf gar keinen Fall ever mit dem Troll zu kommunizieren. Er wird provozieren, drohen, zig mal dasselbe schreiben und wenns ganz schlecht läuft wird er euch immer da treffen, wo es euch zu einer Antwort, einer Rechtfertigung oder einfach nur zu einer wüsten Beschimpfung drängt.
Letztendlich interessiert den Troll nur, dass ihr reagiert. Es ist unerheblich ob euer Argument gut ist, ob ihr nett zu ihm seid (das legt er euch wenn überhaupt als Schwäche aus), ihm mit Anwalt oder Polizei droht… wenn ihr reagiert, hat er gewonnen. So einfach funktioniert seine Welt. Also nicht reagieren. Und wenn schon eine Diskussion im Gange ist, stellt sie sofort ein - und zwar ohne jede weitere Mitteilung oder Begründung. Den meisten Trollen wird das irgendwann zu langweilig.
Leider gibt es aber auch hartnäckigere Exemplare:
Tip 4: Sagte ich nicht reagieren? Ich meinte nicht direkt reagieren.
Eine der wenigen Methoden, die wirklich funktioniert haben, wenn ignorieren nichts hilft und man beginnen muss, mit härteren Bandagen zu kämpfen, ist: Redet weiterhin nicht mit ihm. Aber beginnt damit, über den Troll zu reden. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich habe das schon zig mal durchexerziert, hier und in Foren und in Blogs von FreundInnen, die ihre Trolle lange nicht loswerden konnten. Es funktioniert.
Schreibt einen Blogeintrag, in dem ihr ihn ruhig oder ironisch und mit etwas arrogantem Interesse an der Spezies des Trolls analysiert. Zieht Freunde ins Vertrauen und lasst eure Freunde sich in den Kommentaren oder Threads in dem er auftaucht über ihn unterhalten. Psychologisiert an ihm herum wie an einem interessanten Beobachtungsobjekt (Sascha Lobo hat daraus Vorträge über Trollforschung gemacht), macht euch über den Trottel lustig, plaudert darüber, was für ne arme Sau das sein muss. Vermutet ein sechzehnjähriges pubertierendes Muttersöhnchen in ihm oder einen - wäre er nicht so ein Arsch - bedauernswerten alkoholkranken Arbeitslosen, der von der Gesellschaft abgehängt wurde. Wenn er versucht mitzudiskutieren, zu widersprechen, zu lästern… greift das nicht sofort, aber nach einer Weile und dann wieder nur indirekt auf ("Da oben hat er ja jetzt geschrieben, er würde mehr Geld verdienen als wir alle zusammen. Meine Güte, wie tief will er denn noch sinken? Demnächst postet er Bilder von ner Yacht, die er sich irgendwo zusammengoogelt."). Worum es hier geht ist: Ihr erlangt die Kontrolle über die Kommunikation zurück.
Selbst wenn der Troll das Thema ist: So lange ihr nicht mit dem Troll kommuniziert zeigt ihr ihm, wer die Kommunikation bestimmt. Nämlich nicht er. Und ihr zeigt ihm, dass ihr nicht alleine seid. Trolle mögen es nicht, wenn sie aus der Kommunikation ausgeschlossen werden, die sie eigentlich steuern wollten und sie mögen auch selten, in der Minderheit zu sein. Das ist der Grund, warum das - auch wenns einem seltsam vorkommt - so gut funktioniert.
Tip 5: Nutzt Technik, Rechtsmittel, Öffentlichkeit.
Nicht jeder hat ein dickes Fell. Für Leute, die euch sagen, ihr müsst eben eines haben wenn ihr ins Internet schreibt, gilt Tip 2. Es ist legitim, Kommentare direkt zu löschen. Es ist legitim, in seinem Blog Kommentare zu moderieren. Es ist legitim, einen Troll in Foren oder Facebook oder wo immer ein Moderator zu Hilfe kommen kann, zu melden. Es ist legitim, einen Anwalt einzuschalten - aber hier ist es wichtig, einen zu finden, der sich mit dem Internet und mit der Rechtslage speziell im Internet auskennt. Sonst geht es schief und das Verfahren wird eingestellt, weil man die falschen Rechtsmittel eingesetzt hat.
Es ist gegebenenfalls legitim, die eigene Situation als Thema zu veröffentlichen: So wie in Tip 4 eine Objektifizierung stattfindet, um dem Troll die Kommunikation abzunehmen stellt eine noch größere Öffentlichkeit eine noch größere Objektifizierung dar. Ein Troll will Aufmerksamkeit, das stimmt. Aber er will eure Aufmerksamkeit, nicht die von sehr vielen Menschen, die beginnen, ihn zu beobachten und zu ihrem Thema zu machen. Er wird nicht mögen, dass ihr plötzlich viele neue Freunde und Rückhalt bekommt, wo es ihm doch darum ging, euch zu isolieren, zu verunsichern und zu stören.
Ja, es ist eine Eskalation, aber manchmal ist eskalieren der richtige Schritt. Der Troll wird gegebenfalls dann auch mal eine Weile von anderen Trollen unterstützt werden, aber die kann man wieder ignorieren (Tip 3) oder einfach mit in die Betrachtung des generellen Phänomens integrieren (Tip 4) - letztlich sind die Trolle immer in der Minderheit, egal wie groß euch ein Mob vorkommt. Das wird aber erst offensichtlich, wenn ihr einen Vergleich habt. Aber es ist so: Die Menge eurer Unterstützer wird immer größer sein als die Menge von Bekloppten, ihr müsst sie nur rufen. Transparenz wirkt hier wirklich befreiend. Und manchmal muss man einen Wald halt noch mal woanders anzünden, um ein Feuer zu löschen.
Wortvogel erklärt in seinem Artikel Gezielt vorbei: Mein Problem mit dem ZEIT-Dossier “Filmpiraten: Aufnahme läuft!”, wie gerade versucht wird, den Flop von Cloud Atlas den Raubmordkopierern in die Schuhe zu schieben:
So, wie ich das sehe, bastelt Produzent Stefan Arndt an seiner eigenen Legende, um das Versagen von “Cloud Atlas” zu rechtfertigen – und eine Journalistin hat sich für den intimen Einblick in die Szene genau diese Narrative füttern lassen, ohne sie je zu hinterfragen. Handwerklich sauber geschrieben, exzellent recherchiert, aber absolut unseriös und fragwürdig in den Schlussfolgerungen.
Es wird nicht einmal die Frage gestellt, ob der Film einfach sein Publikum verfehlt hat, ob das Markting falsch war, ob nicht alle Beteiligten zu besoffen von ihrer eigenen Brillanz waren. Nein, es waren die Raubkopien.
Um zu diesem Schluss zu kommen, zerlegt er die ZEIT-Reportage, die über verschiedene Tricks suggeriert: Sollte Cloud Atlas - nachdem er in den Kinos schon nicht wirklich gut lief - auch in der Zweit- und Drittverwertung floppen, dann sind daran die Raubkopien schuld. Und er erklärt, wie es wahrscheinlich tatsächlich ist: Dass der Film nunmal kein großes Publikum gefunden hat, was er hätte tun müssen, um sein Budget einzuspielen.
Was auch rüberkommt: Der Film hat ihm nicht gefallen. Das ist natürlich ok und ändert nichts daran, dass seine Schlussfolgerungen richtig sind. Denn mir hat der Film gefallen und ich komme auf dasselbe Ergebnis.
Aber ich möchte mal weg von Zahlen und Einspielergebnissen. Dass die nicht gestimmt haben und wir es somit mit einem finanziellen Flop zu tun haben: Geschenkt. Aber ist ein Film direkt gescheitert, nur weil er es finanziell nicht geschafft hat? Ist es deswegen automatisch ein schlechter Film? Ich möchte gerne ein paar Absätze schreiben aus der Perspektive eines Kinobesuchers, der Cloud Atlas wirklich mochte und immer noch mag.
Ich habe Cloud Atlas zwei Mal im Kino gesehen, die Blu ray ist vorbestellt und das Buch lese ich auch gerade. Das ist ein gutes Indiz dafür, dass mir der Film etwas mehr gegeben hat, als viele andere Filme. Aber mir war schon beim Trailer klar, dass Cloud Atlas kein Blockbusterpublikum finden wird. Und zwar grundsätzlich, denn:
In den USA funktionieren traditionell Filme nie, wenn sie Zeitsprünge haben (selbst Highlander war denen damals ja zu kompliziert so dass man in der USA-Version alle Rückblenden außer die nach Schottland einfach weggelassen hat). Der Trailer dürfte dort dafür gesorgt haben, dass den Menschen klar wurde: Das wird mir zu kompliziert, das ist nur was für ein entsprechendes Geekpublikum.
Dann: Als Blockbuster funktionieren Filme generell nicht, wenn nicht ganz genau gesagt werden kann, worum es geht: Ist das ein Abenteuerfilm, eine Komödie, ein Science Fiction Film? Ist diese 2012-Story mit dem Verleger im Altenheim eigentlich Satire? Es gibt nicht einmal eine übergreifende Lovestory (es gibt in einer der Episoden schon eine, die ist dann aber die Zuschauer verwirrend erstens nicht hetereosexuell und zweitens nicht die Hauptsache)? Es gibt immer Ausnahmen dieser Regel, aber die entfernten sich auch nicht gleich in ganz so vielen Punkten von dem, womit man Massenkompatibilität erreicht.
Die generelle Kritik im Vorfeld war auch vor allem die: Keiner weiß, was der Film eigentlich sein will. Man verlangte mehr Führung, mehr Klarheit, man beschwerte sich darüber dass man keine klare Identifikationsfigur finden und dadurch keinen Bezug zur komplizierten aber dadurch beliebigen Handlung herstellen konnte.
Ich kann diese Kritik sogar nachvollziehen. Ich sehe ein, dass genau das passieren kann: Dass man keinen Zugang findet. Ich saß im Kino und um mich herum stiegen die Leute reihenweise aus - jeder an einer anderen Stelle: Einige schon direkt bei der homosexuellen Liebesszene (um diese Leute tut es mir am wenigsten Leid). Andere bei der Science Fiction Geschichte: Die Herrschaften neben mir lehnten sich jedenfalls geräuschvoll mit einem pikierten "Jetzt wirds doof!" zurück, sobald das typische SciFi-Setting von Neo-Seoul erschien - machen wir uns nichts vor, Science Fiction läuft in Deutschland kulturell immer noch als alberner Kinderkram. Wieder andere kamen dann irgendwo anders beim zweiten Durchgang durch die sechs Handlungsstränge raus. Der Film gibt einem nunmal viele Gelegenheiten, auszusteigen.
Dass ich drin blieb und dass ich ihn auch noch großartig fand liegt an vielen kleinen ganz persönlichen Vorlieben und Eigenschaften, die ich habe. Die hat der Film einfach bedient. Mir macht Pathos nichts aus (im Gegenteil, er darf nur nicht platt sein), mir machen Zeitsprünge nichts aus, ich liebe es wenn ich, während ich eine Handlung verfolge, auch Metaüberlegungen machen kann - zum Beispiel welche Ideen hinter dem zigfachen Einsatz der selben Schaupieler stehen könnte -, ich konnte etwas mit dem ganzen "Format" anfangen: Sechs Kurzfilme, die wie TV-Serien in Episoden hintereinander liefen. Ich fand das alles gar nicht so verwirrend: Die Stories waren doch am Ende alle nicht besonders komplex - wenn man hinterher das Buch liest bemerkt man auch, dass sie für den Film noch mal sehr stark vereinfacht wurden -, die Sprünge waren vorhersehbar (immer die sechs Zeitabschnitte aufwärts), und auch vom Stil hat man sich abgewechselt zwischen mal mehr Drama, mehr Krimi, mehr Spaß, mehr Abenteuer, mehr Zeitkritik... das Problem ist natürlich aber wie gesagt: Ein Blockbuster wird immer nur genau ein Genre und einen Stil bedienen.
Das ist wie McDonalds: Je genauer man vorher weiß, was es gibt und wie es schmeckt, desto niedriger die Hemmschwelle, das zu essen. Da sind wir alle gleich. Im Zweifel greifen wir zum bekannten statt zum anderen. Das könnte eventuell sogar besser sein aber die Chance, enttäuscht zu werden, ist eine reale: Ein neues Restaurant auszuprobieren bringt oft genug keine positive Überraschung hervor. Das Andere nehmen wir daher nur, wenn wir wirklich Lust haben, das jetzt mal auszuprobieren. Und Cloud Atlas ist eben einer dieser anderen Filme und hat nicht die Garantie, dass man bekommt, was man mag oder was man erwartet. Und deswegen kann ich nachvollziehen, dass Cloud Atlas einem nicht gefallen muss. Das passiert mir bei anderen Gelegenheiten auch, ich kann z.B mit Kubrick-Filmen absolut nichts anfangen.
Letztlich ist Cloud Atlas zunächst ein teurer Nischenfilm, der gefloppt ist: So wie es Blade Runner passierte, Heavens Gate, Cutthroat Island, Wyatt Earp, Der Dreizehnte Krieger, Havanna, Speed Racer (auch von den Wachowskys) und vielen vielen mehr. Auch Metropolis war im Jahr 1927 alles andere als ein Kinoerfolg. Einige kommen zur falschen Zeit heraus, z.B wenn das Genre gerade überhaupt nicht aktuell ist (Piratenfilme, Western, überhaupt Epochenfilme sind fast automatisch gefährdet), für andere gibt es schon thematisch niemals ein Publikum in nennenswerter Größe (Anime-Realverfilmungen) und ich möchte hier auch mal daran erinnern, dass auch Scott Pilgrim an den Kinokassen fürchterlich gefloppt ist. Aber die ganze Welt ist sich einig darüber, dass das alles dennoch gute Filme sind.
Und wenn die Epoche nicht für Masse taugt, wie schlimm wirds erst, wenn man auch noch mit dem Genre Spielchen treibt? Hudson Hawk ist ein Beispiel für einen Film, der kein klares Genre bedienen und sich nicht an gewohnte Strukturen halten will: er ist Comedy, hat aber durchaus brutale Actioneinlagen, einen schrägen Verschwörungs/Krimiplot und sogar eine Musical-Einlage. Oder Last Action Hero: Eine Persiflage auf Schwarzenegger-Filme mit Schwarzenegger, der einmal den Cut zwischen lustiger Filmwelt und ernsthaft gefährlicher Realwelt macht, zum anderen mit einem "Zauber-Ticket" ein astreines Fantasy-Element nutzt und noch dazu gibt es ein Kind in einer Hauptrolle. Sowas wird an der Kinokasse nie massenkompatibel sein.
Klar floppen auch Filme deswegen, weil sie wirklich grottenschlecht sind. Um die geht es mir aber nicht. Ich will erklären, warum Cloud Atlas fürs Kino floppen musste: Er spielt erstens direkt mal in gleich mehreren Nischenepochen und er beschränkt sich zweitens nicht darauf, ein klares Genre zu bedienen. Dass ein Mix von unterschiedlichen Themen die Zuschauermenge nicht vergrößert sondern auf diejenigen verringert, die mit allen Themen etwas anfangen können weiß man inzwischen ja auch: Cowboys versus Aliens hat nicht etwa SciFi- und Westernfans zusammengebracht sondern war nur für Zuschauer interessant, die alle beide Genres mögen.
Dennoch: Diese Filme wird es zum Glück immer geben. Kein Mensch muss sich davor fürchten, dass nur weil wieder einer dieser Nischenfilme, die eigentlich zu teuer für die objektiv zu erwartende Publikumsgröße sind, gefloppt ist, nun keine interessanten Filme jenseits des Mainstreams mehr gedreht werden. Wäre es so, hätte Disney sich nach TRON auf Kinderzeichentrickfilme zurückverlegt. Ich zitiere mal Christoph Waltz, der sagte "In Deutschland werden Filme gemacht wie Produkte und vermarktet wie Kunstwerke, in den USA ist es umgekehrt." - Das kann einem wirklich so vorkommen, wenn man sich anschaut, wie oft US-Filme herauskommen, bei denen man sich wundert, wie wenig man auf den Mainstream gibt und wie viel Mühe man sich für die Bedienung einer kleinen Nischengruppe macht (und wie das in Deutschland dagegen so gar nicht passiert). Es ist aber aus strategischer Sicht wichtig, dass es diese Filme gibt, und das wissen die Amis (im Gegensatz zu den Deutschen) sehr gut: Sie sorgen für eine kulturelle Bandbreite, für mehr Inspiration und somit auch für mehr Publikum insgesamt, so dass möglichst alle weiterhin ins Kino gehen und nicht nur z.B. Fans von Beziehungskomödien mit Til Schweiger.
Man macht außerdem Filme immer noch und hoffentlich weiterhin zum Glück ja nicht nur, um Geld zu verdienen. Es gibt genügend Filme, die finanziert werden, weil sich genügend Leute wünschen, dass es genau diesen Film geben soll. Ich gehe davon aus, dass Cloud Atlas genau in diese Kategorie gehört und wette, dass die Wachowskys durchaus die Möglichkeit in Betracht zogen, dass der Film kein finanzieller Erfolg wird.
In diesem Artikel: Kein Link zur ZEIT wegen LSR.
Isa hat da mal wieder so was angefangen: Und zwar sammelt sie Schweinkram-Limericks.
Zum Zeitpunkt dieses Posts sind es schon über 40 Stück.
Ich hab mal zwei Exemplare beigesteuert:
Ein Installateur aus dem Loh
marschiert bei ner Kundin ins Klo
und kommt dort ins grübeln
wer kanns ihm verübeln:
„Warum liegt denn hier überall Stroh?“
Besagte Kundin im Loh
- Sie wissen schon, die mit dem Stroh -
war ebenso baff
als den Klempner sie traf:
„Du trägst eine Maske? Wieso?“
Aber ihr müsst sowieso alle lesen. Die sind super.
Dinge, die man Nerds mal sagen muss.
Nerds haben die Chance, heute und vor allem zukünftig einiges zu bewegen. Frank Schirrmacher würde ihnen am Liebsten die Welt übergeben und tatsächlich kommen viele wichtige politische und soziale Impulse aus der Nerdsphäre: Transparenz, Beteiligungsprozesse, Abbau von Machtstrukturen, Akzeptanz von vielem, was "Anders" ist.
Das alles tun Nerds, weil sie begonnen haben, ihre etwas spezielleren Eigenschaften in die Gestaltung der Welt einzubringen. Das ist auch echt toll. Sie können jedoch sehr viel auch ganz prima vermasseln, wenn sie ihre typischen Nerdeigenschaften falsch einsetzen. Nerds können sehr schnell auch besinnungslose Technokraten und furchtbare Spießer sein. Die Weltfremdheit der Nerds kann sie zu Ignoranten machen: Sichtbare Themen hier sind Sexismus, Ausgrenzung von Menschen die Technik nicht verwenden wollen, sie nicht verstehen oder sie sich nicht leisten können und die Ablehnung von Themen, die anderen Menschen als Nerds nun mal wichtig sind (zB Körperhygiene).
Und warum zum Teufel entwickeln Nerds genau die Überwachungstechnik, die wir eigentlich gar nicht haben wollen?
Nerds hatten es als Kinder meistens echt schwer. Sie müssten also eigentlich dafür ein Bewusstsein entwickeln und viel mehr dafür sorgen, dass 'anders sein' nicht ausgrenzt. Sie entwickelten Schutzmechanismen, die ihnen - mehr oder weniger erfolgreich - geholfen haben, sich in einem System bewegen zu können, das sie nicht verstand und schlimmstenfalls verachtete. Die stehen ihnen aber jetzt, wo sie die Oberhand haben, oft genug im Weg: Wenn man als erfolgreicher Erwachsener diese Methoden weiterführt, benimmt man sich nämlich plötzlich genauso wie die Bullys von früher.
Die Nerdpredigt ist ein kleiner Vortrag über eine veränderte Realität für uns Nerds und wirbt für die Überwindung von Ignoranz, Elitarismus und Arroganz. Denn wenn das nicht gelingt, wird die momentane Hochzeit der Nerds nur eine weitere kurze Hippie-Episode der Geschichte sein. Und das wäre wirklich Schade.
Die letzten Jahre liefen immer in einem bestimmten Rythmus ab. Der Winter war zäh, anstrengend und deprimierend, im Frühling gings mir super und ich war total aktiv. machte Pläne und fing tausend Dinge und Projekte an, im Sommer versandete das Meiste davon wieder weil jedes mal überraschend viel Kram auf der Arbeit zu tun war und zum Winter hin ging die Luft dann raus und es kam der nächste anstrengende, zähe und deprimierende Januar.
Dieser Kreislauf ging so die letzten vier, fünf Jahre. Allerdings war in 2012 das Ganze irgendwie verschoben: Der Winter war tatsächlich noch nervig, aber im Frühling schon ging es diesmal bei weitem weniger aufregend zu. Klar, wie immer habe ich einiges gestartet so wie jedes Jahr. Aber davon hat das meiste diesmal direkt im Ansatz schon nicht hingehauen. Das war neu, aber an sich gar nicht so schlimm, denn dadurch hab ich über das weitere Jahr mehr Zeit für Privates gehabt, konnte mehr mit den Kindern machen, habe auch endlich wieder mehr - oder überhaupt - gelesen und habe auch endlich wieder mal Zeit zum Computerspielen gehabt.
Der Sommer zog sich aber echt hin. Ich hatte auf Grund dessen, dass irgendwie nichts zum Starten kam nicht viel zu tun, der Urlaub war einen guten Tick zu langweilig und irgendwie fühlte er sich schon an wie die Herbste der letzten Jahre, was mich doch etwas beunruhigte.
Der Herbst dann war jobtechnisch plötzlich eine Achterbahn... Ich schreibe hier ja nichts über meine Arbeit, aber soviel kann ich sagen: Ich hatte ab September sehr plötzlich sehr viel zu tun, musste viel reisen, hatte als Unitleiter viel Verantwortung zu übernehmen und wollte unbedingt auch meinem Selbstanspruch gerecht werden. Das hat auch alles gut bis einigermaßen okay hingehauen, aber es war definitiv keine Zeit zum Ausruhen und dadurch war sehr plötzlich Dezember. Der gewohnte Herbst, in dem die Luft langsam rausgeht, war also plötzlich so turbulent wie sonst der Frühling. Und er war im Nu vorbei. So war ich zwar wie üblich zu den Weihnachtsferien total ko, aber diesmal aus ganz anderen Gründen als sonst und die letzten 2 Wochen, in denen ich mich auch anders als sonst überraschend klar von der Arbeit ausklinken und mich komplett auf mich und alle meine Lieben fokussieren konnte, waren auch nicht der typische zähe Winter sondern erfüllt von Intensität, Nähe, Wärme, guten Gesprächen und erholsamen Momenten.
Der Jahresbeginn jedenfalls fühlt sich nun sehr anders an. Sehr ungewohnt. Komplett verändert. Und das ist schön, weil das hoffentlich bedeutet, dass auch weiterhin die Dinge mal etwas anders laufen. So entspannt bin ich jedenfalls schon lange nicht mehr in ein neues Jahr gestartet. Das könnte echt gut werden.
Dieses Jahr ist es echt schwierig, den Fragebogen auszufüllen oder sonstwie ein Fazit zu ziehen. Größtenteils war es nämlich wirklich schön und harmonisch. Ich fühlte mich - zumindest bis September - durchgehend wohl und alles schien recht gut zusammenzupassen.
Ab September war ich aber beruflich von einem Tag auf den anderen (und zwar wirklich genau so) im Megastress. Es hat zwar alles den Umständen entsprechend alles gut hingehauen, was für das kommende Jahr wichtig ist aber seit zwei Wochen sehne ich mich nur noch danach, nur mal auszuruhen. Privat sieht es bei mir persönlich auch recht ruhig und unaufgeregt aus (was gut ist) aber es wurde - auch just zum Jahresende - wichtig, dass ich mich um einige Menschen um mich herum kümmere.
Von zwölf Monaten waren also beruflich 9 und privat 10 wirklich in Ordnung. Die Heftigkeit und Geschwindigkeit der letzten drei vier Monate in denen sich das änderte und die sich anfühlten wie mit einem Segelboot durch einen Sturm zu navigieren, sorgen aber momentan für dieses Gefühl völliger Erschöpfung, das dem gesamten Jahr als Fazit jedoch gar nicht gerecht wird.
(Hier auch wieder die Rückblicke auf 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003).
Zugenommen oder abgenommen? Ich denke, gleich geblieben.
Haare länger oder kürzer? Erst ziemlich lang, dann viel kürzer, jetzt wieder länger.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Keine Veränderung seit letztem Jahr.
Mehr bewegt oder weniger? Genauso wenig wie letztes Jahr. Was natürlich nicht gut ist.
Mehr ausgegeben oder weniger? Weniger. Zumindest für mich. Gab aber auch nichts, wofür ich unbedingt Geld ausgeben hätte wollen.
Der hirnrissigste Plan? Immer noch Urlaub machen. Ja, ein Deja vu seit Jahren.
Die gefährlichste Unternehmung? Konsequent ins brennende Haus zu laufen und zu löschen. Das ist nicht wörtlich gemeint, aber es hat sich so angefühlt. Knapp zwei Monate Tag und Nacht und am Wochenende durchgestresst, aber es hat wohl hingehauen.
Der beste Sex? Ja.
Die teuerste Anschaffung? Ich hab meinem Rechner mal eine Verjüngungskur gegönnt. Neues Mainboard, CPU, Speicher und ungeplant auch ne Festplatte weil die alten dann nicht mehr ins neue Setup passten.
Das leckerste Essen? Sushi.
Das beeindruckenste Buch? Das war ganz klar "Last Call" von Tim Powers, direkt gefolgt von "Three Days to Never". "Last Call" ist eine großartige okkultistische Actiongeschichte, in der es um Poker, Tarot und eine Welt hinter der Welt geht - ein bisschen wie bei Neil Gaiman. Ich mochte besonders, wie sehr Powers seine Figuren liebt und sie auch füreinander kämpfen lässt. Die Geschichten sind echt hart und die Protagonisten bekommen ordentlich aufs Maul, aber im Gegensatz zum allgemeinen Trend von Autoren, sich möglichst von ihren eigenen Figuren zu distanzieren und den Leser damit zu nerven, eine sympathische Figur einzuführen, nur um sie zwischendurch einfach mal sterben zu lassen gibt es bei ihm noch schön altmodische Happy Ends.
Der ergreifendste Film? Cloud Atlas
Die beste CD? Dieses Jahr hab ich tatsächlich wieder mehr Musik gekauft als die Jahre zuvor. Das liegt vor allem daran, dass die Preise für Downloads auf ein vernünftiges Preismaß gesunken sind, es das DRM-Problem nicht mehr gibt und es endlich auch total schnell und einfach ist, sich ein Album überhaupt kaufen zu können. Super, Musikindustrie, das hättest Du echt schon 10 Jahre früher haben können.
Aber zur besten CD. Das ist ohne Frage "Changeling" von Camille O'Sullivan.
Das schönste Konzert? Irgendwie gab es dieses Jahr keine gute Gelegenheit, auf ein Konzert zu gehen. Wir waren spontan bei Runrig, was ganz lustig war. Aber sonst war dieses Jahr mal nix.
Die meiste Zeit verbracht mit...? Arbeit. Gefühlt zumindest wegen der letzten Monate.
Die schönste Zeit verbracht damit...? LARP. Ich wollte dieses Jahr auf drei Larps. Das Drachenfest hab ich am Ende wenigstens mal für einen Tag besucht, das Jetland fand mitten im Herbststress statt und ich war so unter Tage das ich nicht mal abgesagt habe, aber auf dem Vinland war ich dann doch wenigstens und das war wirklich schön. Drei Tage, die sich aber angefühlt haben wie 2 Wochen Urlaub, weil ich mich mal komplett aus der Welt ausklinken konnte.
Vorherrschendes Gefühl 2012?Das muss ich jetzt wirklich zweiteilen. Januar bis August: konstruktiv. September bis Dezember: stressig.
2012 zum ersten Mal getan? Eine feste Plotrolle bei nem Larp gespielt. (Ansonsten gabs nicht wirklich 'zum ersten Mal'. Einiges hab ich vielleicht anders als sonst gemacht. Auch ging vieles weiter was neu für mich ist aber eine Entwicklung aus den Dingen ist, die letztes Jahr begonnen haben.)
2012 nach langer Zeit wieder getan? Wegen Stress eine komplette Nacht nicht schlafen können.
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? Mitte September. Den Stress danach.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Das ist eigentlich immer das selbe: Dass man sich auf mich verlassen kann.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Eine achthändige Tantra-Massage. Und das als Überraschung so gut eingefädelt, dass ich wirklich keine Ahnung hatte was kommt. Das war echt toll.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Das weiß ich nicht mehr im Wortlaut. Aber ich bin rot geworden und habe mich sehr darüber gefreut.
2012 war mit 1 Wort...? turbulent
Tatsächlich habe ich die letzten Tage die interessantesten Geschichten in Blogs gelesen. Daher kommt die heutige Linkliste auch ohne irgendwelche anderen Medienseiten aus:
Konstantin Binder schreibt über seinen Londoner Kiez und macht dabei eine wichtige Anmerkung:
(...) Die Dummkoepfe da draussen reden dann von Ueberfremdung und wissen nicht was ihnen entgeht. Das fremde im Leben ist das schoene, das neue, das spannende, und wer fuer sich fremd mit schlecht belegt, wird niemals Aufregung erleben, wenn man anderen begegnet.
Jemand erklärt, wie man "Can i touch your butt?" auf elbisch schreibt - oder um genau zu sein und weil Elben ja Manieren haben "Would you give me permission to touch your rear?". Ja. Ich weiß.
Warren Ellis schreibt über die Argumentation, dass Amokläufe verhindert werden könnten, wenn es mehr Waffen gäbe statt weniger:
So turn the news off. Write a note to your American friends. Give them a call. Tell them you love them, and that you think of them often. Because one day, it’s going to be them on the news. Or, more likely, their kids. It really is as simple as that. Because there’s no such thing as magic. And there’s no such thing as one good bullet.
Den Wahnsinn einer so technokratisierten Welt, dass sie schon wieder komplett willkürlich wird erleben Arbeitslose in Deutschland täglich. Wie man in diesem Paralleluniversum mit Menschen umgeht, beschreibt Schnittler hier in mächtigen Worten:
Nachdem ich zwei Drittel dieser “Wiedereingliederungsmaßnahme” hinter mich gebracht hatte, wurde ich in sog. “Seminare” geschickt, die ab da wöchentlich stattfanden. Die Titel der ersten drei Veranstaltungen ließen nichts Gutes erahnen. 1. “Networking im Sinne meines zukünftigen Arbeitsplatzes”, 2. “Gesundheit und Stressbewältigung für die erfolgreiche Jobsuche”, 3. “Zwischenmenschliche Kommunikation am Arbeitsplatz”. (...)
Und immer wieder die Suche nach der einfachen Erklärung für Amokläufe. Jetzt ist es dann auch der Feminismus:
Dahinter schwebt natürlich die Vorstellung einer angeblichen alle gesellschaftlichen Strukturen durchsetzenden Weiblichkeit, der die Männer mit ihrem wahren Wesen unterworfen sind. In einem anderen Text Ende September hat Hollstein das so umschrieben: „In der Geschlechterrevolution der späten Sechzigerjahre wurde der gesamte zwischenmenschliche Bereich von Frauen umgedeutet und inhaltlich neu gefüllt.“ Das ist begrifflich so vage, wie es inhaltlich nur von verschwörungstheoretischem Gebrubbel aufgeblasen gehalten wird. (...)
Jetzt sind sie also dran, die Autisten und Asperger. Ein indirekter Hinweis, dass ein Amokläufer die ein oder andere Eigenschaft mit Autisten gemein gehabt haben könnte reicht aus, um Klickstrecken und Artikel zu veröffentlichen, die unserer genormten Gesellschaft die Bestätigung gibt, dass nur kranke Menschen krankes tun.
Mal abgesehen davon, dass Autismus nicht gleich Asperger ist und beides keine Persönlichkeitsstörungen sind. Unwichtige Details, über die sich nur Haarespalter aufregen. Und natürlich Autisten. Sollen sich nicht so anstellen und lieber ihre Medikamente nehmen (die es nicht gibt), damit sie nicht austicken.
Wenn unsere Küchenpsychologen in den Redaktionen ihre Zwanziger-Stricknadeln auspacken, dann werden aus Gerüchten schnell Symptome und aus den Symptomen Gründe. Alles in eine halbwegs passende Kiste gepackt und schon sind Autisten Amokläufer. Nichts neues, Autismus is the new Killerspiele is the new Death Metal is the new Gammler is the new Swingkids. Man kann sich ja nicht immer wiederholen: Aber es gibt ja genügend andere, wenn eine dieser einfachen Erklärungen langwierig widerlegt wurde.
Jetzt also die Autisten.
Eltern dürfen sich wieder gruseln - und es ist vor allem mal wieder der Spiegel*, das Hausblatt für den verklemmten deutschen Oberlehrer in uns allen, der die subtilen Ängste vor allem, was einem seltsam und unnormal vorkommen könnte, schürt. Nicht mehr darüber, ob das Kind durch Computerspiele den Verstand verliert oder wegen zu viel Feminismus zum unmännlichen Weichei mutiert. Diesmal pflanzt man ihnen die Frage in den Hinterkopf, ob dieser eine Mitschüler in der Klasse, der Autist, nicht vielleicht irgendwann unweigerlich zur Gefahr für alle werden könnte und ob es nicht besser wäre, diese bedauernswerten Kreaturen in eine eigene, ihrem Leiden angemessene Einrichtung zu stecken. Wäre ja sicher auch in ihrem Interesse, die können ja nichts dafür.
Eine andere Erklärung für solche Artikel habe ich nicht. Doch, eine: Quote machen durch das kolportieren von Schauermärchen. Aber das wäre ja komplett unjournalistisch. Von sowas ist der Spiegel ja weit entfernt.
Wenn es so wäre, dass Asperger sein und bestimmte Dinge, die einem in der Schule passieren und die man angeblich mit dieser Disposition nicht parsen und verarbeiten könnte - ich schreibe angeblich, denn es ist schlicht nicht wahr, dass man das nicht kann, es ist vielmehr so, dass sich Leute, die das so darstellen nur nicht vorstellen können - reicht, um auszuticken, hätte ich mindestens drei Amokläufe hinter mir.
Aber wie sagte schon der große Alan Rickman in seiner Rolle als Sheriff von Nottingham: "I had a very sad childhood, I'll tell you about it sometime... It's amazing I'm sane."
Update 17.12.2012:
Und BILD kombiniert die vom Spiegel hübsch hingehaltene Kmbination aus Zündholz und Benzinkanister und titelt mit genau der Assoziation, die ja angeblich überhaupt nicht beabsichtigt war und eröffnet unverblümt die Jagd.
Mir fehlen die Worte. Nicht einmal mehr eine passende Beleidigung fällt mir ein.
Update 16.12.2013:
Der Jahrestag. Und RTL sendet zwei Sätze - jedes Wort ein Fehler.
(* Und nein, ich verlinke den Artikel nicht. Er ist erstens nur ein Beispiel und zweitens wird er seit einer Weile ständig umgeschrieben, was ja nett ist, aber meinen Punkt nicht verändert.)