(via)
Ich mach ja manchmal Experimente mit diesem Internet. Die klappen oft auch mal nicht, weil niemand drauf anspringt. Wir wissen ja aber inzwischen, dass ein großer Anteil dafür, ob im Netz eine Welle (nein, ich schreibe jetzt absichtlich nicht "Buzz") entsteht oder nur ein laues Kräuseln ergibt, reiner Zufall ist: moot hat das auf der re:publica ja schon mal ganz gut erklärt. Dementsprechend ist es das Beste, nichts wirklich zu erwarten, wenn einem irgendein Quatsch einfällt sondern ihn einfach zu machen und mit dem Strom zu schwimmen den er erzeugt (was im Zweifel eben eine sehr kurze Reise sein kann).
So geschah es denn am Montag mittag, dass ich über eine Facebookeinladung zu einer CDU-Veranstaltung in Berlin stolperte und bemerkte, dass diese komplett offen gehalten war: Jeder konnte auf die Wall schreiben, jeder konnte zusagen und nachdem ich einfach mal mein Kommen angekündigt hatte, um zu sehen ob auch der Button "Freunde einladen" auftaucht, geschah auch dies.
Also lud ich einfach alle meine Freunde ein und schrieb auf die Wall sowas wie "Super! Hoffentlich gibt's genug Bier!", um mindestens einen Hinweis darauf zu hinterlassen, dass der Ersteller dieser Seite genau den selben Bedienungsfehler gemacht hat, der hin und wieder mal zu dem Schabernack führt, der in den Medien und bei Politikern unter "Facebookparty" kursiert. Die Maximalerwartung war, dass es möglichst viele Zusagen und lustige Trollereien auf der Wall gibt.
Am Dienstag dann fanden wir noch viel mehr solcher Seiten und innerhalb von 30 Minuten hatten wir gute fünf neue Einladungswellen gestartet. Eine davon mit einer Veranstaltung bei mir um die Ecke in Bergisch-Gladbach schob ich auf Twitter an, was diesen Effekt hatte. Da ich den ganzen Tag arbeitete bemerkte ich das erst nach Feierabend zu Hause. Auch dass es plötzlich Medienberichte gab, die auf Grund des Tweets entstanden waren habe ich erst spät gemerkt.
Interessant wurde es dann gestern mit dem Anruf von SAT1, die anscheinend ebenfalls die Bergisch-Gladbach Einladung zum Anlass nahmen, einen Bericht für die 17:30-Sendung zu machen. Ich sagte natürlich einem Interview zu, da ich dann schon etwas strategischer denken konnte: Entweder die machen daraus eine reißerische Story über den Versuch, CDU-Veranstaltungen zu partycrashen oder sie wollten einfach darüber berichten, dass ein paar Facebookuser die CDU gerade ein wenig auf Facebook durch den Kakao ziehen. Lasst mich kurz überlegen, was mediengerechter wäre PARTYCRASHEN!
Also tat ich im Interview das, was ich am liebsten tue: Erklären was hier eigentlich grade wirklich passiert ohne dass es am Ende jemanden interessieren wird.
- Ich erklärte, was Trollen ist.
- Und dass das Internet eine eigene Form der Ironie hervorgebracht hat deren Haupteigenschaft es ist, dass sie von Nicht-Internetnutzern oft nicht wahrgenommen und für bare Münze genommen wird was allerdings gewünscht ist und einen weiteren Ironielevel drauf setzt.
- Und dass das dann die besonders hohe Kunst des Trollens ist.
- Und, dass wir die CDU trollen, weil sie's ganz besonders gut nicht blicken.
- Ich erklärte, dass wir hier nicht zu "Facebookpartys" aufrufen und ungefähr zehn mal sagte ich, dass kein Mensch auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wirklich zu einer der Veranstaltungen hinzugehen.
- Ich erklärte, dass "Facebookpartys verbieten" natürlich völlig dummes Zeug ist, weil "Partys crashen" existiert, seit es Partys gibt und dass das jetzt auch mal über Facebook passiert ist lediglich zeigt, dass die Leute eben inzwischen auch über Facebook kommunizieren.
- Ich erklärte auf die mehrfach gestellte Frage, was ich denn denken würde, wenn jetzt tatsächlich eine Veranstaltung gestürmt würde, dass das ja nicht passieren wird - aber im rein hypothetischen Fall dass doch, habe ich dafür ja nichts gemacht (wie der Satz weitergeht kann man im Bericht sehen).
- Ich erklärte auch, dass wenn wirklich total viele Leute da hin gehen würden, dann nicht, weil sie die Einladung in Facebook falsch verstanden haben sondern weil sie die Medienberichte darüber gesehen haben und auf Medienpräsenz hoffen.
- Ich erklärte, dass das Verbot von Facebookpartys ja bedeuten würde, dass jemand absichtlich 7000 Leute zu seiner Party einladen würde, was aber ja gar nicht der Fall ist, sondern das einfach nur auf Grund dessen passiert, dass diese Person Facebook falsch verwendet (auch dieser Satz ist im Bericht).
Letztlich hatten die Reporter also alle Informationen, um daraus entweder ein interessantes Infostück über Netzkultur oder einen launigen Reißer zu machen. Und da ich ein guter Troll sein kann überließ ich es ihnen, daraus zu machen was sie wollten - ich hoffte darauf, dass sie der Versuchung nicht widerstehen konnten, mitzutrollen. Und so wurde dann das hier gesendet:
Was mich interessieren würde: Der interviewte "Experte" hat ja offensichtlich wenig Infos darüber erhalten, worüber er da eigentlich befragt wurde und sieht im Kontext freilich nach allem anderen aus wie ein Experte. Wie denkt der eigentlich jetzt, wie er rüberkommt?
Auch lustig: Auf die Frage was ich beruflich mache antwortete ich wahrheitsgemäß "Internet-Berater". Und ich war sehr erfreut über die Inszenierung der beiden Telepolis-Bücher.
Update: Der Tagesspiegel berichtet nun auch schon zum zweiten Mal nachdem er letzte Woche schon mal darüber berichtete, weil Nico einen Screenshot der Einladungsseite gepostet hatte (und in dessen voriger Version deswegen eine lustige Verschwörungstheorie geäußert wurde, dass die SPD hinter der Einladungswelle stünde. Auf Nicos Screenshot ist allerdings die Wall zum Event schon abgeschaltet, so dass das zeitlich gar nicht hinkommen kann) - und schade, dass die sich mit dem Internet noch nicht so gut auskennen, ein direct link zu diesem Artikel ist eigentlich gar nicht so schwer.
Update 2: Die Hamburger Morgenpost versucht sich ebenfalls darin, den Buzz anzuheizen. Und legt nochmal fett nach:
In ähnlicher Richtung versucht es der Express. Mich würde ja echt interessieren, inwieweit den Blättern hier eigentlich klar ist, dass sie nur laue Luft herumfächeln.
Update 3: Auch die Financial Times Deutschland berichtet und versucht auf Grund der Beteiligung von DIE PARTEI-Mitgliedern, den Namen Martin Sonneborn mit ins Spiel zu bringen. Der natürlich eher weniger damit zu tun hat, es sei denn man würde Frau Merkel in derselben Konsequenz als diejenige bezeichnen, die zu den CDU-Veranstaltungen eingeladen hat, die hier getrollt werden. Der Stern tut das ähnlich, aber zumindest etwas geschickter.
Update 4: Je länger das ganze geht, desto weniger haben die Berichte noch mit einer irgendwie erkennbaren Realität zu tun. Die taz kommt nämlich jetzt auch mit einem Artikel um die Ecke und hier wirkt inzwischen eine Art Stille Post: Jedenfalls lassen sie die Brücke über DIE PARTEI gleich ganz weg und behaupten
(...) Martin Sonneborn, Satiriker und Gründer von "Die Partei", kopierte nach einer Sperrung der Dietzenbacher CDU-Einladung die nötigen Informationen auf seine Seite. (...)
... und verlinkt unter "seine Seite" auf Facebook. Damit haben sich bislang bisher wirklich ausnahmslos (zwischenupdate: Spiegel Online berichtet etwas differenzierter) alle Medien für die wilde Story von den angeblichen Massen, die CDU-Veranstaltungen crashen wollen entschieden, anstatt korrekt über die Mechanismen einer Internet-Meme bzw. eine ironische Trollattacke zu berichten.
Auch von der schon erwähnten Morgenpost gibt es einen neuen Artikel. Die haben sich inzwischen komplett vom Journalismus verabschiedet und versuchen sich ziemlich offen direkt als Anheizer. Sie haben vier Wochen Zeit, die CDU-Party in Hasloh zu terrorisieren und scheinen fest entschlossen, diese Zeit zu nutzen um dort ihren eigenen Krawall herbeizuberichten.
Letztes Update: Nachdem DIE PARTEI das Thema inzwischen auch offiziell aufgenommen hat und weiterverfolgt denke ich, es ist jetzt in guten Händen und ich beende die Updates.
Hallo? Polizei? BND? Herr Innenminister? Ich würde gerne eine Bombenbauanleitung im Internet melden...
(via... naja, amazon.com halt)
Wenn man diesen Vortrag hört beginnt man zu verstehen, warum es Politikverdrossenheit gibt.
(via nachdenkseiten)
Es gibt ja diese Mythen über das Internet: Es sei ein rechtsfreier Raum; es vergisst nichts; es ist eine Klowand, auf der Menschen unter dem Schutz der Anonymität andere verunglimpfen und beleidigen... überhaupt, diese Anonymität: Der Grund für den totalen Verfall von Anständigkeit und Ehrlichkeit.
Was ist dran an diesen Behauptungen? Immerhin scheinen diese Gefahren und schlechten Eigenschaften des Internets ja so schwerwiegend zu sein, dass sie seit Jahren regelmäßig Thema bei Politikern und Medienvertretern aller Fraktionen sind. Andererseits: Wäre das Internet tatsächlich so, wie es dargestellt wird, muss es einen ja schon wundern, dass es überhaupt noch existiert - es scheint ja kein Entkommen vor Kinderschändern, Betrügern und aggressivem Mobbing zu geben. Wenn man den Fehler macht, irgendetwas privates ins Netz zu schreiben oder ein Foto hochzuladen steht man schon mit einem Bein im Gefängnis, verliert all sein Geld, setzt seinen Job aufs Spiel oder bekommt erst gar keinen. Die Welt scheint am Rande des Unterganges, weil Terroristen und Kriminelle völlig ungestört das Netz für ihre finsteren Pläne nutzen können. Und süchtig und einsam wird man davon auch noch unweigerlich.
Natürlich ist jedem, der sich mal eine Weile im Netz bewegt hat, irgendwann klar, dass es hier eine Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung und der von - sagen wir mal - bestimmten Politikern oder Vertretern von Ordnungsbehörden oder von Prä-Internet-Medien besteht. Niemand "stolpert" über Kinderpornographie - im Gegenteil: selbst wenn man danach sucht, findet man normalerweise keine. Kein Mensch kennt wirklich jemanden, der einen Job nur deswegen nicht bekommen hat, weil der Personalchef ein Partybild auf Facebook gefunden hat. Wenn man ins Internet Sachen schreibt und dabei einigermaßen darauf achtet, dabei einen vernünftigen Ton zu behalten wird in zwanzig Jahren keine teure Abmahnung bekommen. Man bekommt den Eindruck, hier wird ein vor allem sehr nützliches, unterhaltsames und kommunikationsförderndes Medium auf völlig überzogene Weise verteufelt.
Warum passiert das? Zunächst ist das Ziel von Schreckensgemälden immer, wirtschaftliche oder politische Kontrolle zu steigern oder zu erhalten und das auch noch mit dem Einverständnis der Kontrollierten - um dieses Einverständnis zu bekommen, ist es am Leichtesten, den Menschen Angst zu machen und bei ihnen dadurch den Bedarf nach Kontrolle zu wecken. Denn das Maß an Kontrolle über das Internet ist natürlich ein Machtfaktor: Je mehr Kontrolle ich durchsetzen kann, desto mehr Macht habe ich. Für die Wirtschaft ist Macht Geld, für die Politik ist Macht... naja Macht halt. Macht zu haben bedeutet, Vorteile gegenüber den Nicht-Mächtigen zu haben. Man kann teurer Dinge verkaufen, von deren Herstellung ich mehr Menschen ausschließe - ob durch Verhinderung des Wissensaustausches oder durch Illegalisierung. Die Musikindustrie z.B. hat es durchaus geschafft, die Einführung des legalen Vertriebs digitaler Musikdateien sehr lange auszubremsen, denn jeder Tag, über den man die gegenüber digitaler Medien mit wesentlich höheren Gewinnspannen verkaufbaren CDs retten konnte, war viel, viel Geld wert. Und so agieren auch alle anderen Branchen, deren Geschäftsmodelle durch den Verlust der Kontrolle über die Herstellung und den Vertrieb ihrer Waren durch Digitalisierung und neuen oder verschobenen Veröffentlichungs- und Vervielfältigungsmöglichkeiten in Gefahr geraten sind.
Im Prinzip geht es Politikern da nicht anders: Auch ihr Wissens- und daraus folgender Handlungsvorsprung ist ein auslaufendes Geschäftsmodell. Sie haben letztes Jahr schmerzhaft lernen müssen, dass man keine Milliardenbauprojekte mehr in abgeschlossenen Hinterzimmern planen und entscheiden und die Bürger am Ende vor vollendete Tatsachen stellen kann. Die Empörung und Enttäuschung mancher Politiker über den Verlust ihrer Privilegien ist täglich erlebbar. Das Internet bietet nämlich inzwischen jede Menge Möglichkeiten und hat jede Menge Eigenschaften, die den Mächtigen Macht wegnehmen und in Richtung der vormals machtlosen Bevölkerung verschiebt: Für die gewohnte ungestörte Ausübung von Macht sind Transparenz, Verfügbarkeit von Informationen, offene und schnelle Kommunikationswege und von kontrollierten Medien unabhängige Reichweiten zum Leidwesen mancher tödlich und sie reagieren darauf mit der Suche nach Möglichkeiten, verlorene Kontrolle zurückzuerlangen.
Das ist - das möchte ich an dieser Stelle mal anmerken - übrigens nicht unbedingt böse gemeint, eventuell nicht einmal eine Entscheidung aus der bewussten Reflektion heraus sondern sie glauben wirklich daran, dass hier eine gute, funktionierende Ordnung in höchster Gefahr ist. Wir alle reagieren ja nicht gut auf Veränderungen, die unsere Gewohnheiten betrifft. Man muss sich da nur alle paar Monate das Geschrei anhören, wenn Facebook mal wieder seine Oberfläche ändert.
Was tut man also, um Kontrolle über etwas wie das Internet zu erlangen? Ich habs zu Beginn schon kurz angeschnitten: Man sucht nach Gründen, es kontrollieren zu müssen. Und gute Gründe sind immer Gefahren. In den Zeiten, in denen noch nicht so viele Menschen das Internet nutzten war es leicht, diese Gefahren zu beschwören. Man musste nur platt argumentieren: Wahlweise musste man nur sagen, da treffen sich Nazis, Jugendgefährder, Terroristen oder das Organisierte Verbrechen im Internet. Was natürlich stimmt, aber das tun sie auch seit je her draußen auf der Straße. Nur haben wir gelernt, zu akzeptieren, dass auf der Straße fremde Menschen völlig anonym herumlaufen und wenn sie uns ansprechen, zu bewerten wann es nötig sein würde, Belege für ihre Behauptungen über z.B. ihre Identität zu verlangen.
Warum also muss man uns vor Gefahren im Internet schützen, die außerhalb davon genauso existieren und wo wir selbstverständlich darauf verwiesen werden, ja nunmal mündige Bürger zu sein? An die grundsätzlich böse Absichten glaube ich nicht, auch wenn es einfach ist, sie zu konstruieren (vor allem weil ich ja schon über das Interesse am Machterhalt geschrieben habe). Ich glaube, der Hauptgrund ist, dass der Anteil der Menschen, die sich noch nicht an die durch das Internet veränderten sozialen Verhältnisse gewöhnt haben, noch sehr hoch ist und dass diese Menschen momentan auch noch den größeren Anteil der politischen Entscheidungen trifft. Ganz wichtig: Auch der Verlust von Machtlosigkeit ist eine Veränderung, gegen die sich jede Menge Menschen wehren.
Die Internetmythen sprechen alle genau diese Sprache. Es sind viel mehr Ängste als Fakten: Das Internet ist alles andere als ein rechtsfreier Raum, aber ich kann Landesgrenzen überschreiten und mich somit auch in anderen Rechtssystemen befinden, wo z.B. das deutsche Urheberrecht nicht gilt sondern das eines anderen Landes. Ich muss mich daran gewöhnen dass ich das kann und eventuell habe ich zu lernen, dass wenn ich Internetdienste in den USA verwenden will, ich mich deren von den deutschen abweichenden Datenschutzbestimmungen unterwerfe.
Das Internet vergisst nichts? Ich bin seit knapp 20 Jahren online und blogge seit 10 Jahren: Was an Informationen und Links in dieser an sich kurzen Zeit verschwunden ist kann man sich sogar ansehen: So gut wie kein Link in meinem Blog, der älter als zwei Jahre ist, funktioniert noch, selbst im "Klowand"-Artikel sind die über 200 Kommentare für immer verschwunden, weil es den damals verwendeten Kommentardienst nicht mehr gibt. Was ich mir in den letzten 10 Jahren nicht lokal gespeichert habe ist verschwunden. Was ich davon versehentlich gelöscht habe - z.B. alle meine privaten Mails, die ich Update für Update seit 1996 mitgenommen, aber beim letzten Umstieg auf Windows 7 schlicht vergessen habe zu sichern: unwiederruflich weg. Digitale Fotos und Bilder, die älter als 7 Jahre sind: Komplett unbrauchbar auf Grund der steinzeitlichen Auflösungen. Dass einem Menschen durch Verunglimpfungen und verbreiten peinlicher Fotos das Leben schwer machen können: Gab es immer schon und wird es immer geben. Dass das auch im Internet passiert: Daran werden wir uns gewöhnen, wir werden lernen das genauso zu ignorieren wie den lautstarken Streit eines Pärchens im Bus. Nur weil das im Internet etwas neues ist heißt es nicht, das es generell etwas neues ist.
Was neu ist ist dass alles etwas transparenter wird: Auch zu meiner Schulzeit gab es grausame Mobbingaktionen. Die Opfer waren komplett hilflos und den Mobbern ausgeliefert, denn die Schulen hatten vor allem ein Interesse: Den Erhalt der Ordnung. Mobbingopfern wurde kaum geholfen, viel wichtiger war es, dass alles hinter verschlossenen Türen blieb und nicht nach draußen drang. Opfer, die in ihrer Verzweiflung versuchten, Öffentlichkeit zu erreichen, waren für Rektoren oft genug die wahren Störenfriede. Wenn z.B. isharegossip.com etwas erreicht hat dann, das ohnehin vorhandene Mobbing sichtbar zu machen. Insoweit bin ich, als ehemaliges Opfer, sogar dankbar dafür, dass das passiert ist. Denn was plötzlich auch geschehen ist: Die Mobber sind exponiert. Man kann sie und das was sie tun sehen, man kann den Opfern nicht mehr sagen "Du stellst Dich doch nur an".
Egal welchen dieser Mythen wir uns also ansehen: Es geht eigentlich immer nur darum, dass wir uns in einem Umgewöhnungsprozess befinden und uns das zunächst unangenehm ist. Wir suchen Gründe, uns dagegen zu wehren, dass sich Dinge ändern und das funktioniert damit, dass wir uns die Nachteile heraussuchen, deretwegen wir Veränderungen doof finden und vermeiden können. Nicht dass das möglich wäre, aber das schlechte Gefühl scheint uns ein gutes Gefühl zu geben, so seltsam das uns hinterher auch vorkommt, wenn wir im Rückblick immer wieder erneut feststellen, dass die ganze Aufregung eigentlich übertrieben und nicht nötig gewesen wäre.
Wir sind schon komisch, nicht?
Dieser Text zum Anhören:
Ich bin weiß, männlich, verfüge über ausreichend Bildung, bin überwiegend heterosexuell, habe die absolute Standardkleidergröße, verdiene genug Geld und das in einem Job, in dem ich auch die paar Spleens die ich vielleicht doch noch abseits der Norm habe nicht verstecken muss.
Dies macht mich zu einem privilegierten Menschen.
Jeder Mainstreamfilm wird für mich gemacht: Einsachtzig große weiße, smarte, auf mich zugeschnittene Rollenmodelle retten darin die Welt und werden dafür mit Frauen, Ruhm und Ehre belohnt. Für mich werden die angeseheneren und besser bezahlten Jobs reserviert. Wenn ich jeden Monat eine neue Freundin hätte wäre ich ein toller Hecht und wenn eine Frau nicht mit mir Sex haben will und ich das ignorieren würde müsste sie das hinterher beweisen.
Deshalb schreibe ich nicht darüber, wie sich Frauen am besten emanzipieren oder gegen Vergewaltigung schützen können, ich poste keine Ratschläge für Schwule, ich patronisiere keine diskriminierte Volksgruppe. Das kann ich nämlich alles nicht, weil ich nicht betroffen bin und weil ich deswegen nicht weiß wie es ist, ständig benachteiligt, ausgelacht, verachtet oder denunziert zu werden. Ich mochte Günter Wallraff nie leiden, weil er sich als Türke verkleidete, ein Buch darüber schrieb, wie schrecklich mies er in dieser Rolle behandelt wurde und dafür gelobt wurde, daß endlich einer den Beweis erbracht hat, dass Türke sein schon reicht, um diskriminiert zu werden - als ob es zuvor nie Türken gegeben hat, die das längst auch schon vorher gesagt haben.
Das Problem ist nämlich nicht das Privilegiert sein. Das Problem ist, zu glauben, dass Privilegiert sein der normale Zustand ist und sich ungerecht behandelt - gar diskriminiert zu fühlen, sobald diese Privilegien in Gefahr geraten, auch nur ein wenig aufgehoben zu werden. Wie sonst kann man sich erklären, dass eine Frauenquote von 40% so viel Gegenwehr erzeugt? Wo 60% immer noch mehr sind und man also immer noch im Vorteil bleibt, nur halt nicht mehr ganz so unverschämt doll?
Wenn ich für Frauen, Türken, Lesben, Schwule, Queers, Sinti, Schwarze oder sonst jemanden kämpfen würde, die täglich von Chauvinismus, Xenophobie, Antisemitismus und Diskriminierung egal welcher Art betroffen sind würde ich mich bei den Frauen, Türken, Lesben, Schwulen, Queers, Sinti und Schwarzen bestenfalls lächerlich machen, schlimmstenfalls bin ich ein dummes Arschloch. Das ist nämlich nicht mein Kampf und die Leute beim CSD marschieren nicht für mich sondern für sich.
Meine Rolle ist daher zuallererst ein mal die zuzuhören. Und darauf zu achten, nicht chauvinistisch zu sein, nicht xenophob, nicht homophob, nicht antisemitisch. Ich habe gefälligst niemanden zu diskriminieren und wenn ichs doch tue und mir das gesagt wird habe ich einfach mal die Klappe zu halten und dazuzulernen. Dazu hilft es, gut informiert zu sein (z.B. feministische Blogs zu lesen), immer gut hinzuschauen um andere privilegierte Menschen darauf aufmerksam machen zu können, wenn sie chauvinistisch, xenophob, homophob und antisemitisch sind oder wenn sie sonstwie jemanden diskriminieren.
Diesen Text zum anhören:
Ich hätt da wieder ein paar Links, über die ich diese Woche so nebenher gestolpert bin:
Zuerst - natürlich - Teil zwei von Meike und Nilzs (Nilzens? Nilz's? Nilzzsz?) Abenteuer beim Tanzkurs. They are getting brainwashed!
Anscheinend ein Geekgirl-Thema: Die Evolution von Neville Longbottom (das ist aus Harry Potter. Wen das nicht interessiert oder wer das doof findet - einfach überspringen und nicht kommentieren. Das interessiert mich nämlich noch weniger). Nerdy Bird jedenfalls bebildert die Entwicklung eines Kinderfilmcharakters und konkludiert
Who could have predicted chubby faced Neville would turn out to be the best looking of the bunch? I see leading man in his future.
Einen langen, aber auch für mich den besten Artikel über die Abschaltung von kino.to hat Tim Renner geschrieben. Unter anderem wegen einem Argument, das ich seit inzwischen zehn Jahren regelmäßig wiederhole:
Die reine Existenz der Plattform, die man lahm legen musste, beweist, dass ein Markt da ist. Diesen nicht wahrzunehmen, ist Betrug an allen anderen (zum Beispiel auch den staatlichen Filmförderern), die Rechte an dem Werk erworben haben. Es treibt potenzielle Kunden in die Illegalität und schneidet Erlösberechtigte von potenziellen Einnahmen ab. Verbote ohne Angebote funktionieren nicht bei Volljährigen.
Und dann wollte ich einen Artikel über den Film "Streets Of Fire" schreiben. Bis mir nach drei Sätzen eingefallen ist, dass ich den schon längst geschrieben habe:
Es gibt offenbar Filme, bei denen sich die Welt einig ist, wie Scheiße sie sind. Es gibt aber auch Filme, bei denen die Welt mich mal grad kreuzweise kann, wenn sie sich einig ist. (...) Ich kenne nur noch eine einzige Person neben mir, die sich Streets of Fire regelmäßig freiwillig anschaut. Ich kann das auch nachvollziehen, denn der Film ist tatsächlich unglaublich mies, gemessen an objektiven Kriterien wie "Hat der Film eine Story, die Sinn macht" oder "Sind die Figuren interessant" oder "Wie gut sind die Dialoge?". (...)
Und zum Schluss noch was zum Thema Revolutionen: Ich bin zwar nicht in allen Punkten seiner Meinung, aber man kann den Standpunkt und die dazugehörigen Argumente nachvollziehen, die toomuchcookies zu seiner Bewertung der Revolutionen im nahen Osten auflistet. Es sind pro Land immer nur ein paar Sätze, aber in denen stimmen zumindest alle Informationen - im Gegensatz zu den Schwurbeleien, die man zuweilen in den Medien so hört und sieht.
Ich will dieses T-Shirt. (okay, nicht genau dieses, denn es ist kind of rosa und hat Brüste... also nichts gegen Brüste jetzt, aber ich hab ja keine und würde das auch weiterhin so haben wollen... also nicht, dass ich keine Brüste haben will, ich meine nur nicht an mir selbst - so als eigentlich meist weibliches Körperteil mag ich die schon gerne haben... also nicht, dass ich da jetzt so fixiert wäre drauf, es gibt ja auch viele andere liebenswerte Eigenschaften und ach Scheiße ich komm aus dieser Nummer nicht mehr raus!)
(via)
... und nur zur Sicherheit: Ich hab nix gegen Polybeziehungen.
Update 13.06.2011: Langsam nervts. Jetzt ist der Betreiber von lezgetreal auch ein Hoax. Dumme Vollpfosten! Zum Kotzen, das.
Update 12.06.2011: Es ist ja inzwischen jedem klar, dass "Amina" ein kompletter Hoax ist. Electronicintifada hat die komplette Dissektion der Geschichte, sie haben den Verursacher gefunden und zu einer (lahmen) Entschuldigung gebracht. Und ich muss nochmal sagen: Ja, es ist Schade. Aber: Jetzt passiert genau das, weshalb ich dem Internet in letzter Instanz vertraue - es kommt raus und die Rechercheergebnisse auf Electronicintifada - man kann die Geschwindigkeit, mit der die Ergebnisse zusammengetragen wurden hier bei lezgetreal in den Kommentaren nachlesen - sind absolut beeindruckend.
Thank you, @jilliancyork, @acarvin, @intifada, @avinunu, bangpound, @lizhenry and everyone else who proved to us, that the net works as it should.
Oh, and Tom MacMaster and Britta Froelicher: You're assholes. Get lost!
Update 8.7.11: Dass an der Geschichte irgendwas nicht ganz hinhaut war bis gestern abend irgendwann schon klar, denn die Recherchen einiger Journalisten, Aktivisten und Blogger gehen ins Leere: Die beiden Fotos, die in den Medien kursierten, sind offensichtlich von der Facebookseite einer anderen Person (daher hier auch nicht mehr zu sehen), die US-Behörden können die Identität Arafs nicht bestätigen.
Der Aktivist Andy Carvin schreibt in seinen Recherchen:
So where does this leave us? I still have many more questions than answers, but I currently believe Amina is a real person, but one who is much more expressive about herself online than offline. It is possible that Amina Arraf is a pen name, to protect herself in Syria, but so far I can't prove it one way or another. If it is just a pen name, that might explain why the sources I talked to said they'd never met a person by that name. Even so, I wouldn't be surprised if I indeed found people who know her in person. It's just taking longer time than I would have liked. Much of this could be sorted out by contacting her reported American mother, but I hadn't been able to do that yet, which is why I haven't had much to say about the topic for the last few hours. I also felt that I didn't want to send people on a wild goose chase when it's quite possible she is indeed detained under very harsh conditions.
Für mich persönlich ist es noch nie so wichtig gewesen, wie viel von dem Bild, das eine Person von sich zeichnet, echt ist oder literarisch. Das gabs in der deutschen Bloglandschaft auch schon (remember "Marie"? Mit deren Alter Ego hab ich damals sogar telefoniert). Es zählt immer noch, dass dahinter eine Person steckt, die möglicherweise in Gefahr steckt - mir ist auch nicht einmal so wichtig ob sie sich wie Carvin vermutet zur eigenen Sicherheit verstellt hat oder aus anderen Gründen. Auch, wenn es "Amina" vielleicht nie gegeben hat sondern sie sich als komplette Kunstfigur einer Schriftstellerin entpuppt finde ich daran wenig zum Aufregen. Die Geschwindigkeit, mit der Informationen gerade von allen Seiten gefunden, bewertet und verifiziert werden bestätigen mein Vertrauen ins Internet, das die Geschichte am Ende so oder so transparent machen wird ...
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Der Originalartikel vom 7.6.11:
Vor einigen Wochen habe ich einen Artikel verbreitet, der die gefährliche Situation für Menschen mit einer Meinung in Syrien sehr gut erklärt. Irgendeine der vielen Polizeimilizen oder Geheimdienste wollte die Bloggerin Amina Abdallah Araf al Omari "abholen" und ihr Vater schaffte es mit den richtigen Worten, das zu verhindern.
Seitdem hat es wohl einige weitere Versuche gegeben, ihrer habhaft zu werden, inklusive seltsamen Einladungen vermeintlicher Freunde, die auf persönlich gehaltene Rückfragen keine oder nur falsche Angaben machen konnten. Sie und ihr Vater waren laut CNN seit einem anderen Entführungsversuch vor einem Monat untergetaucht.
Gestern Nacht aber haben sie sie tatsächlich entführt, als sie auf dem Weg zu einem Treffen der Protestbewegung war:
Earlier today, at approximately 6:00 pm Damascus time, Amina was walking in the area of the Abbasid bus station, near Fares al Khouri Street. She had gone to meet a person involved with the Local Coordinating Committee and was accompanied by a friend.
Amina told the friend that she would go ahead and they were separated.Amina had, apparently, identified the person she was to meet. However, while her companion was still close by, Amina was seized by three men in their early 20’s. According to the witness (who does not want her identity known), the men were armed.Amina hit one of them and told the friend to go find her father.
One of the men then put his hand over Amina’s mouth and they hustled her into a red Dacia Logan with a window sticker of Basel AssadThe witness did not get the tag number.She promptly went and found Amina’s father.
The men are assumed to be members of one of the security services or the Baath Party militia. Amina’s present location is unknown and it is unclear if she is in a jail or being held elsewhere in Damascus. (...)
Die Zeit läuft gegen Amina, auch wenn man momentan noch annehmen kann, dass es nicht darum geht, sie verschwinden zu lassen - ihre Cousine Rania schreibt im letzten Update "If they wanted to kill her, they would have done so.", sie muss schnellstens gefunden werden. Bitte schreibt oder telefoniert die Syrischen Botschaften an, wenn ihr Journalisten seid, macht endlich Syrien zur Story, verdammt noch mal. Die Situation dort ist kompliziert, aber so kompliziert dass man sie nicht erklären kann ist sie auch wieder nicht!
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Weitere Infos:
Facebook-Seite (What you can do)
Avaaz: Message to Prime Minister Erdoğan and Foreign Minister Davutoğlu
Blogs:
Globalvoices
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Nerdcore
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East by mideast
News:
Meldung im Guardian
Bericht bei Al Jazeera
Christina Hulen im Examiner
Bericht bei CNN
Deutsch-Türkische Nachrichten
Die New York Times hegt Zweifel daran, ob Amina wirklich existiert, was natürlich sein kann. Wenn das so ist wird das auch sicher herauskommen, niemand kann im Moment wissen, was tatsächlich passiert. Aber so lange eben auch genausogut die Gefahr besteht, dass eine Bloggerin verschleppt wurde, kann ich gut vertreten, für das Thema Aufmerksamkeit zu erzeugen..
Ein älterer Artikel über Aminas Rolle in der Syrischen Protestbewegung vom Guardian: A Gay Girl in Damascus becomes a heroine of the Syrian revolt
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