Ich rede seit dem Wochenende mit Freund*innen darüber, wie erschreckend weit daneben viele Medien lagen, wenn es darum ging, den Mord an Kirk einzuordnen und nicht zu verstehen, dass da ein Nazi von einem Nazi erschossen wurde, dem Kirk nicht Nazi genug war.
Wir landeten dabei schnell bei Gamergate als ersten erfolgreichen Testlauf (und den man medial auch gerne noch verpassen durfte), um Propaganda-Mechaniken ins digitale Zeitalter zu übersetzen und darüber, wie daraus eine mit Billionärsgeld gut geölte Maschine geworden ist, die seit Jahren kaum bemerkt von klassischen Kommunikationskanälen die Isolation und die Extremisierung von jungen Menschen betreibt.
Das wichtigste Werkzeug für ersteres ist, Hoffnungslosigkeit zu erzeugen und zu vergrößern: Wer schon in jüngsten Jahren keine positiven Zukunftsperspektiven mehr für sich sieht, verliert nicht nur den Selbstrespekt sondern auch den für andere Menschen, für die Gesellschaft und am Ende für quasi alles. Man braucht dann nicht mal mehr diverse Gründe finden, um Frauen, Immigrant*innen oder egal welche Minderheiten zu hassen, weil die Rutsche ja einfach in einem gegen alles ausgerichteten Nihilismus endet.
Ein Problem, warum es so leicht ist, diese Rutsche so glitschig und schnell zu machen, ist allerdings selbstverschuldet: Es ist schwer, jungen Menschen zu erklären, dass sie einen Wert haben und ihre Zukunft wichtig sei, wenn sie täglich die Erfahrung machen, dass das Gegenteil der Fall ist und Politik scheinbar nur noch von und für diejenigen gemacht wird, die ihre Positionen nutzen, um sich und ihren Buddies ein angenehmes Leben auf Kosten aller anderen einzurichten und unter sich den Boden versiegeln.
Es gibt darauf eben nur zwei grundsätzliche Reaktionen: Sie entwickeln ihre Empathie und Menschlichkeit und arbeitet für eine Veränderung, mit der es allen - und damit auch ihnen selbst - besser geht, oder sie geben ihre Empathie und Menschlichkeit auf und die einzige Art der Veränderung, die noch möglich erscheint ist, irgendwas zu zerstören.
Und damit sind wir bei Schritt 2, der Extremisierung. Das ist weder neu noch unbekannt: Von den Jakobinern über die Nazis bis zu Al Qaida und ISIS und den Christofaschisten wird das so gemacht: Menschen auf diese Weise erst zu zerstören und dann mit einer Ideologie wieder aufzubauen, die die Rache an den angeblich Schuldigen an ihrem Leid zur Lebensaufgabe macht ist nichts, was es erst seit dem Internet gibt.
eingetragen am Jan 3, 2025 von jensscholz in .. bloggen
Mit 2024 mach ichs kurz. Wir sind umgezogen, was eine gute Idee war. Ich hab das geschäftlich mieseste erste Quartal und das beste vierte Quartal ever gehabt. Letzteres hat mir das letztjährige Loch aufgefüllt - noch nicht alles, aber alles akute und vieles von dem, was sonst noch offen war. Mitte August hab ich mir eine Grippe eingefangen und war bis in den November krank. Sechs Wochen davon richtig schlimm. Ich hab einen Verein mitgegründet. Den Katzen geht's super. Das Jahr war körperlich und geistig krass angstrengend.
Haare länger oder kürzer? Ebenfalls gleich geblieben.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Ich muss jetzt endlich mal zum Optiker, meine Brille ist inzwischen völlig falsch.
Mehr bewegt oder weniger? Wenn ich mich bewegen musste, mehr. Wenn ich nicht musste, weniger.
Mehr Kohle oder weniger? Mehr. Reicht, um alles zu zahlen was anläuft und auch, um die Schulden aus 2023 abzuzahlen. Sehr beruhigend.
Mehr ausgegeben oder weniger? Wahrscheinlich mehr, wir hatten ja einen Umzug.
Der hirnrissigste Plan? Dieses Jahr hab ich hirnrissige Pläne unter allen Umständen vermieden.
Die gefährlichste Unternehmung? Auch auf gefährliche Dinge habe ich 2024 vezichtet.
Der beste Sex? Im neuen Schlafzimmer unterm Dach.
Die teuerste Anschaffung? Eine Urlaubsbuchung für kommende Ostern.
Das leckerste Essen? Ein unglaublich gutes Steak-Brötchen auf einem Street Food Festival.
Das beeindruckendste Buch? Hatte immer noch keine Ruhe zum Lesen.
Der ergreifendste Film? Dieses Jahr war es in Sachen Filmen noch mäßiger als letztes Jahr. Nicht mal Blockbuster gabs (Deadpool und Wolverine war auch eher meh). Ich hab daher vor allem Serien gesehen. "The Old Man" mitz Jeff Bridges hat mir am besten gefallen.
Die beste Musik? Sowenig wie ich Zeit für neue Bücher oder Filme hatte, hatte ich auch für neue Musik. Ich hab aber letzte Woche einen relaxten Abend mit Doctor Who at the Proms 2024, so there you go.
Das schönste Konzert? Dieses Jahr hats leider nicht für ein Konzert gereicht.
Die meiste Zeit verbracht mit...? einer echt hartnäckigen Grippe, die mir die Zeit von Mitte August bis in den November schwer gemacht hat und die mir immer noch nachhängt.
Die schönste Zeit verbracht damit...? Die neue Wohnung zu bewohnen.
Vorherrschendes Gefühl 2024? Weiß gar nicht, wie man das nennt, wenn man sehr bewusst jeden Schritt macht und versucht, eine fragile Sicherheit stabil zu halten?
2024 zum ersten Mal getan? Einen all-inklusive Urlaub für das nächste Jahr in einem Reisebüro gebucht.
2024 nach langer Zeit wieder getan? Einen Rechner zusammengebaut (nicht ganz, aber für das Kind des Hauses einen gut 8 Jahre alten Rechner so aufzurüsten, dass darauf Hogwarts Legacy in guter Qualität läuft, ist schon ganz ok).
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? 1. Die finanzielle Aufholjagd. 2. Dass der Umzug so anstrengend war. 3. Den Spätsommer und Herbst wegen einer Grippe zu verpassen.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Dass ich durch eine Krise komme.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Einen guten Auftrag vermittelt.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Ich weiß den Satz nicht mehr, aber gesagt hat ihn mir meine Kusine.
Als ich "GenAlpha" alt war, stand der Russe tatsächlich direkt vor der Tür und der dritte Weltkrieg war so wahrscheinlich, dass wir uns ständig darauf vorbereiteten. Überall auf der Welt waren Stellvertreterkriege, am schlimmsten in Vietnam. Es gab eine Ölkrise und eine Rezession, gegen die heutige Wirtschaftskrisen ein lauer Wind sind. Wir haben erfahren, dass in gut 50 Jahren die Klimaerwärmung nicht mehr umkehrbar sein wird. Die Flüsse waren tot und stanken, die Luft war giftig. Beides weil die Industrie ihren Dreck direkts ins Wasser und in die Luft ballerte.
Als ich "GenZ" alt war, gab es einen nie dagewesenen Atomunfall, der das Ende des "Ostblocks" einläutete, der Wald starb rapide und es gab riesige Löcher in der Ozonschicht. Die Wiedervereinigung führte nicht zu einem Deutschland für alle sondern zu den bis dahin schlimmsten rechtsradikalen Gewaltexzessen, die es zu meinen Lebzeiten gab. Stellvertreterkriege gabs weiterhin, aber verlagerten sich in den nahen Osten. Es gab einen richtig schlimmen genozidalen Krieg mitten in Europa, den heute irgendwie alle vergessen haben.
Als ich "Millenial" alt war, passierte 9/11 und die USA hatte mit George W Bush den bis dahin dümmsten Präsidenten und wurde gleichzeitig zum gefühlt gefährlichsten und willkürlichsten Land der Welt, das nicht mehr gegen "Commies" kämpfte sondern gegen Muslime (und eigentlich für Öl). Was im Osten so alles passierte, bekamen wir nicht so mit, aber zB in China passierte zu dieser Zeit auch enorm viel unschönes und Russland wurde heimlich zu einer korrupten Oligarchie umgebaut, die ihre Nachbarländer terroisierte - z.B. Tschetschenien.
Heute bin ich #GenX Alt und tja, was grade alles passiert, sehen all diese Generationen ja selbst: Immer noch Kriege und immer wieder Faschisten in West und Ost und hier in Deutschland.
Und es gab auch immer "Pandemien": In den Siebzigern kannte ich Leute mit "Kinderlähmung", in den Achtzigern und Neunzigern starben zu viele Menschen an AIDS, und dann kündigte sich COVID mit diversen Schüben an, die "Vogelgrippe" oder H1N1/Schweinegrippe hießen. Und jedes mal gab es Schwurbler, die entweder behaupteten, nichts davon sei wahr, krank würden nur die anderen, getroffene Maßnahmen seien unnötig, und Impfungen seien wirkunglos oder gefährlicher als die Krankheit.
Was aber auch immer passiert ist: Die Gesellschaft schob sich dabei immer vorwärts. Die Krisen waren immer temporärer als sie im Moment der Situation erschienen, die progressiven Entwicklungen in all diesen Zeiten - auch wenn sie mal stagnierten oder sogar von einem Backlash einen Schritt zurückgeworfen wurden - konnten sich am Ende immer durchsetzen und wurden später von noch besseren ersetzt. Wenn auch alles teilweise sehr sehr langsam, sehr schmerzhaft und noch lange nicht an der Stelle und in dem Umfang, an der wir sie gerne haben wollen.
Ob Feminismus, Antirassismus, die Repräsentanz vormals völlig unsichtbarer Minderheiten, die Akzeptanz von diverseren Lebensstilen, die viel breitere Beteiligung an sozialen und kulturellen Fertigkeiten und der Teilhabe am öffentlichen Diskurs, die durch Internet und Digitalisierung ermöglicht wurde: all das ist eine Kurve, die - entgegen allen Versuchen von entweder Wirtschaft oder Politik, sie einzuhegen und zu gatekeepen und nach dem immer erfolgten Backlash - in der langen Sicht immer nur aufwärts zeigt.
Und das liegt daran, dass egal aus welcher Generation wir kommen, wir nicht aufhören, uns weiter zu engagieren, zu entwickeln, uns einzubringen und uns und vor allem den Schwächeren zu helfen, durch die Krisen zu kommen. Erst wenn das aufhört, wird die Welt untergehen.
Nur damit wir uns richtig verstehen: Ich will keine Hoffnung auf schnelle Besserung machen. Im Gegenteil. Worum es mir geht ist die Erkenntnis, dass das, was "wir" an Verbesserungen erleben, immer von denen erkämpft wurde, die vor uns waren und die meisten von ihnen haben diese bessere Welt nie erleben können. Wir kämpfen - je älter wir werden - auch für immer mehr Dinge, die wir nie erleben werden. Ich möchte aber dennoch nicht, dass wir damit aufhören, denn wir genießen auch die Ergebnisse unserer Vorkämpfenden, ohne selbst dafür leiden haben zu müssen.
Solange wir daher alle - egal welche "Gen" wir sind - das weiter so machen, wird keine Krise die letzte sein und kein Oligarch, Rassist, Faschist oder Demagoge kann auf Dauer die Zukunft aufhalten, in die wir alle wollen.
Als in den Neunzigern die Gewaltwelle gegen Immigrant*innen am höchsten war, gabs wie heute auch Diskussionen darüber, dass "die Jugend" von sozialen Medien verführt werde - nur dass die Plattform nicht Tiktok sondern der Schulhof war und Medien rechte Musik CDs und Pamphlete. Natürlich war das damals wie heute Unsinn, weil man einen Effekt zur Ursache erklärt.
Damals wie heute sind es Politiker und die ganz normalen Medien, die das Thema aufheizen und immer mehr Benzin ins Feuer gießen. Die paar Lagerfeuer unter Jugendlichen sind mit dem Großbrand, den Politik und Medien veranstalten, gar nicht vergleichbar. Das ist wie wenn die Ölindustrie sagt "Achtung! Kerzen verursachen CO2!"
Damals wie heute werden Jugendliche als weiche, verführbare Knethirne beschrieben: Die Rechten beherrschen die Schulhöfe und nutzen die Medien, die Jugendliche anspricht. Wir erreichen die nicht mehr, daher werden die jetzt unweigerlich gehirngewaschen und rennen morgen in HJ-Klamotten rum.
Damals wie heute ist aber das, was Jugendliche in ihrer Welt sehen ein Abbild der Welt um ihre herum. Warum sollten Rechte ausgerechnet in der Jugendwelt weniger narrativbestimmend sein als überall anders? Die Schulhofthemen änderten sich in den Neunzigern prompt, sobald sich die Themen in der Welt wieder änderten.
Jugendliche sind nämlich gar nicht so anders als wir. Sie reagieren auf die Themen, mit denen sie bombardiert werden auf dieselbe Weise wie wir. Sie nehmen Relevanz genauso wahr wie wir und den Hass auf Migranten zu befeuern ist derzeit nun mal - wie 1993 - im Mainstream. Alle Politiker und alle Medien reden derzeit über nichts anderes.
Daher: Wenn wir nicht wollen, dass Jugendliche rechter Propaganda ausgesetzt sind, müssen wir aufhören, ebendiese Propaganda in allen Medien und politischen Machtkämpfen und informationsbestimmenden Kanälen zu reproduzieren und zu bedienen.
Allerdings: passiert ist eigentlich was leicht anderes. Ich hab mir das jetzt mal genau angesehen und teilweise auch mal ohne Ton, um zu sehen, ob Treutlers Kommunikationsverhalten sich mit dem Narrativ deckt, Und das tut es zu keinem Zeitpunkt, denn für eine bewusste, geplante Blockade wäre seine gesamte Körperhaltung, sein spontanes Verhalten, seine Wortwahl und "Argumentation", diametral anders als das, was wir gesehen haben.
Was wir in Wirklichkeit sehen, ist ein Mensch, der in eine Funktion gesetzt wurde, für die er absolut keine Kompetenz hat. Er ist ein Aufschneider der behauptet, er spiele besser Klavier als alle anderen ohne je ein Klavier angefasst zu haben und dann in einem vollen Konzerthaus vor ein Klavier gesetzt wird und von dem dann erwartet wird, ein Bachkonzert zu spielen. Und seinen "Auftritt" beginnt er auch noch in einer klar sichtbaren Haltung voller Stolz und Selbstüberzeugung. Und dann stellt sich raus: Zum Bach spielen muss man die Regeln kennen, die Technik gelernt haben, die Situation vor dem Publikum beherrschen und jede Menge Fertigkeiten besitzen von denen er weder wusste, dass es sie gibt und dass man sie braucht, die er nicht hat.
Denn man kann ab dann dabei zusehen, wie schnell seine Souveränität und damit sein eigentlicher Plan zerbröselte, eine Filibuster-Situation herzustellen indem er eine nicht endende AfD-Rede hält um dadurch die Konstituierung zu verzögern. Stattdessen begann er quasi ab Minute 5 zu schwimmen und sein Leben wird zu einem sehr langen "Ich muss das Abi noch mal machen, aber ich habe keine Ahnung vom Stoff, die Lehrer lachen mich aus und ich verstehe die Regeln gar nicht."-Albtraum, der nach und nach auf seine Konstitution geht: Seine Hände zittern, er schlägt verbal um sich, er macht ständig Unterbrechungen, um sich irgendwie wieder in den Griff zu bekommen, was nicht klappt bis er irgendwann sogar aufs Klo flüchten muss. Er versucht immer wieder, an den Anfang seines Plans (seine Rede halten) zurückzufinden, den er sich ja so gut zurechtgelegt hat.
Was wir sehen ist jemand, der völlig überfordert mit einer Situation ist, von der er glaubte, sie zu beherrschen. Er hat aber keine Ahnung von den Prozessen, von den Abläufen, von den Anforderungen und von den Skills, die er eigentlich mitbringen hätte müssen, um den Job zu machen, für den er sich gemeldet hat und von dem er glaubte, er können ihn besser als jede*r andere. Die Panikticks und unbewussten Kämpfe gegen Flight-Attempts und Abwehrgestiken, das verzweifelt autoritär klingen sollende Herumeiern und sich berufen auf Status (etwas was man tut, wenn man seine Autorität verloren hat), das Flattern in der Stimme und so viele andere Zeichen von Verunsicherung und Überforderung steigern sich die gesamte Zeit.
Das heißt: Ja, natürlich wollte er und wollte die AfD (es ist ja anzunehmen, die haben sich das so überlegt) hier eine Machtdemonstration abliefern und trotz allen Dilettantismus hat das zumindest im Ergebnis auch geklappt. Aber sie hat auch zwei andere Dinge gezeigt, nämlich
1. eine Demonstration dessen, was passiert, wenn Menschen, die sich in einer Parallelwahrnehmung befinden, in der sie die Souveränen und alle anderen dumme Schafe sind, in der echten Welt bewähren müssen. Plötzlich müssen sie in einer Welt funktionieren und agieren, in der nicht nur ihre Vorstellung valide und vorhanden ist, Dinge, Abläufe, Menschen, Interaktionen anders funktionieren und nicht Genehmes nicht einfach ignoriert werden kann.
2. dass sie tatsächlich demokratiefeindlich sind, da sie keinerlei Ahnung, kein Interesse, ja nicht mal ein Bewusstsein von demokratischen Abläufen haben. Er war völlig unfähig, seine Rolle als Alterspräsident zu erfüllen, für die Neutralität und die Bereitschaft zur Kompromissfindung und Moderation nötig ist. Ich glaube nicht, dass er bewusst darauf verzichtet hat, sondern dass er keine Ahnung hat, dass es das überhaupt gibt und dass das eine Notwendigkeit für demokratische Entscheidungen ist. Denn er/die AfD will keine demokratischen Entscheidungen sondern autoritäre - dafür ist Kompromissfähigkeit ja unnötig.
Insofern war das ein Glimpse of Truth in vielerlei Hinsicht und man sollte sich das gut ansehen, wenn man herausfinden will, wie die ticken. Denn eins ist klar: Dietrich Bonhoeffer hatte Recht, als er schrieb, der größte Feind der Demokratie ist die Dummheit. Denn so dumm sich Treutler auch anstellte, der Wille zur Zerstörung trieb ihn dennoch voran. Und das ist durchaus erschreckend, denn Dumme gibt es ja leider genug.
Der Grund, warum ich immer wieder erkläre, was der Induktionsfehler ist, ist dass ich glaube, dass er ein Schlüsselinstrument von Populisten ist und dass es nicht mehr funktioniert, sobald man ihn erkennt. Und es ist sehr einfach, ihn zu erkennen und seine Medienkompetenz darauf zu trainieren, ihn zu erkennen. Das ist so wie wenn man Menschen Kerning erklärt und ab diesem Moment sticht ihnen das fehlende Kerning bei jedem zweiten Werbeplakat ins Auge (was schrecklich annoying ist).
Ich erkläre erst mal, was der Induktionsfehler ist:
Induktion ist, wenn man von einem Detail auf das Gesamtbild schließt. Der Fehler ist, wenn man das - und das ist in Medien und Politik seit ca 15 Jahren die etablierte Norm - nur mit den Extremen macht. Dann sieht die Welt unrettbar gespalten aus. Man sieht aber nur 10% (5% von jeder Seite) der Gesamtheit. 90% ist ausgeblendet.
Populisten nutzen diesen Trick, um genau dieses Bild einer gespaltenen Gesellschaft zu erzeugen. Sie amplifizieren Extreme und mehr noch: Sie erfinden sie sogar, wenn es keine gibt. Sieht man immer dann, wenn ein Gesetzesvorhaben diskutiert wird und sofort nur noch ein einziges Szenario als Referenz für seinen Sinn oder Unsinn herangezogen wird, das aber eben nicht der 80% Normalfall ist sondern die eine enorm detailliert konstruierte Sondersituation, in der das Gesetz nicht funktioniert.
Beispiele gibt es genug:
Ich hab das erste mal während der Corona-Lockdowns darüber geschrieben, wie Umfragen über die Maßnahmen genau das Gegenteil dessen aussagten, was über genau diese Umfragen geschrieben und gesagt wurde.
Dann kann man sich die Cannabislegalisierung ansehen. Ich sehe als Nichtkonsument keinerlei Unterschied zu vorher. Ich seh auch keine kiffenden Menschen an jeder Straßenecke oder die Schwemme an Drogentoten. Das waren und sind sogar bar jeder Sichtbarkeit in der Realität die Horrorszenarien, die hier aufgefahren wurden und werden.
Oder wisst ihr noch, als die Ehe für Alle dafür sorgte, dass jetzt jede*r seinen Hund heiraten will? as war das Szenario, das gegen die Ehe für Alle sprach.
Die Argumente gegen Erbschafts- und Reichensteuer funktionieren genauso: Es besteht eine mikroskopisch kleine Möglichkeit für jede*n Menschen, der gerade nicht reich ist, in seinem Leben doch noch reich zu werden. Diese eigentlich nicht vorhandene Chance reicht aber vielen aus, präventiv ihr gar nicht vorhandenes Geld schützen zu wollen.
Ein Beispiel, wo der Induktionsfehler auch super funktioniert hat ist das Heizungsgesetz. Eine Wärmepumpe kostet im Endeffekt dasselbe wie zB eine Gastherme und für die zusätzliche Umstellung bekommt man eine Förderung. Das Szenario war aber: Der Kauf einer Wärmepumpe macht dich unweigerlich Bankrott. Die Behauptung war, man müsse dafür das ganze Haus dämmen und eine Fußbodenheizung einbauen und schon war die Rechnung so exorbitant, wie man es darstellen wollte. Und diese ins extrem aufgeblähte Rechnung wurde dann zur Referenz für alle erklärt.
Wo wir den Induktionsfehler gerade auch sehen ist beim Thema Bürgergeld. Politiker und Medien diskutieren nur über Empfänger*innen, die "faul" sind und "nicht arbeiten wollen, obwohl sie könnten". Denen stehen die "braven Arbeitenden" gegenüber, die das sehen und denken "dann arbeite ich jetzt auch nicht mehr". Wo wir doch Fachkräftemangel haben. Das ist ein geradezu absurdes Fantasieszenario, das aus mehreren Details zusammengestückelt ist, die eigentlich nicht mal zusammenpassen. Was man aber nicht sieht, wenn man das Gesamtbild ausblendet:
3. Der Fachkräftemangel hat gar keinen Bezug zum Bürgergeld. Fachkräfte verdienen ja gut.
Das Szenario ist ein Extrem, das ein unwahrscheinliches Extrem erzeugt und ein unmögliches Extrem bewirkt. Dieses völlig absurde Konstrukt ist aber das Szenario, mit dem derzeit die politischen Entscheidungen zum Bürgergeld getroffen werden.
Der leider erfolgreichste Induktionsfehler derzeit ist natürlich der, der sich gegen Immigrant*innen richtet und den gerade sämtliche Parteien bedienen als gäbs kein Morgen. Es gibt gerade weder besonders hohe Einwanderungszahlen, noch steigende Gewalt, noch irgendwelche anderen besonderen Belastungen. Es hat sich seit Jahren nichts verändert. Die Lage war völlig stabil. Dass jetzt Immigrant*innen von fast ALLEN Parteien in Gefahr gebracht werden indem sie eine Gewalttat eines Asylbewerbers dazu nutzen, alle Immigrant*innen als Verbrecher*innen zu diffamieren, ist nur noch verachtenswert.
Deshalb ist der Induktionsfehler nicht nur ein rhetorischer Trick (wenn man ihn absichtlich nutzt) oder Irrtum (wenn man drauf reinfällt), sondern gefährlich und wir alle sollten lernen, Induktion sofort zu erkennen und dann sofort darauf hinzuweisen, sobald er irgendwo auftaucht. Und er wird auftauchen: Sobald man ein Auge dafür hat, sieht man ihn überall.
Ich interessiere mich zwar nicht für Fußball, aber für Kommunikation und Agendasetting schon. Daher habe ich die Diskussionen um das pinke Auswärtstrikot des DFB trotzdem verfolgt, denn die bietet ein paar interessante Einsichten in den "Kulturkampf", den wir angeblich in Deutschland führen und medial gerne mal als "Spaltung der Gesellschaft" eingeordnet wird.
Die Realität ist - wie so oft - wesentlich unspektakulärer: Spaltung suggeriert ja, dass es einen halbwegs gleich großen Anteil von Progressiven und Konservativen gibt, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Dass das so gar nicht stimmt, sondern vor allem ein Fehlschluss ist, der aus dem medialen false balancing von Meinungen (Wir bekommen ständig 50/50 eine pro und eine contra Stimme gegenüber gestellt ohne dass berücksichtigt wird, wie hoch der Anteil der beiden Gruppen eigentlich ist) entsteht, wird seit einiger Zeit immer wieder angemahnt, aber so richtig angekommen scheint mir das noch nicht zu sein.
Am Beispiel des pinken Trikots können wir aber erneut sehen, wie klein die Gruppe derer ist, die sich über das ach so woke rosa Shirt echauffieren und das sogar in einem Umfeld, das gerne als positiv ausgedrückt "bodenständig" angesehen wird: Es ist nämlich ein massiver Verkaufsschlager.
Was sagt uns das: Die Aufregung ist gar nicht so groß wie sie erscheint. Und die Spaltung der Gesellschaft ist in Wirklichkeit gar nicht vorhanden - die Kritiker des "Wokismus" einer T-Shirtfarbe ist eigentlich eine winzige Minderheit, die es ja zu jedem Thema gibt und die es auch immer gab. Der einzige Unterschied ist, dass man ihre Bedeutungslosigkeit früher medial korrekt eingeordnet hat und man sie folgerichtig ignoriert hat.
Kommunikation kann davon profitieren, wenn man die Prozesse der Informationsvermittlung richtig (aus)nutzt. Daher kann es gefährlich werden, wenn Medienprozesse sich nicht verändern. Die AfD und andere Populisten sind super darin, das Medienverhalten zu analysieren, die Schwachstellen zu finden und dann dazu zu nutzen, ihre Inhalte so darin unterzubringen, dass sie nahezu ungefiltert ans Publikum weitergereicht werden.
Wir können mit den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus derzeit beobachten, was passiert, wenn so eine etablierte Kommunikationsschleife durchbrochen wird und Populisten ihre Deutungshoheit und Initiative verlieren.
Wie die AfD es schaffte, über Jahre ihre Narrative in die Medien zu puschen und warum Kommunikationsmenschen seit Jahren ungehört erklären, warum es wichtig ist, dass sich Medien hier anders verhalten, erklärt der Soziologe Nils C. Kumkar mit drei Punkten.
1. Die AfD hat es geschafft, sich als das grundlegende "Nein zur Politik" zu etablieren.
2. Die AfD spricht Menschen mit Abstiegsängsten an.
3. Sie erreicht die 20% der Bevölkerung, die einfach generell fremdenfeindlich sind.
Dazu meine Anmerkungen:
zu 1. Die wichtigste Grundregel des Populismus ist die 100% Ablehnung von einfach allem. Egal, zu was man gefragt wird, es ist Mist und man ist dagegen. Deswegen ist es auch egal, ob man Gegenargumente hat, wenn man mit ihnen spricht und eigentlich ist die richtige Reaktion auf Leute, die grundsätzlich alles ablehnen, sie stehen zu lassen und die Dinge zu tun, die man tun möchte. Man kann niemanden "mitnehmen", der nicht mitgenommen werden will und das einzige, das man schafft, wenn man es versucht, ist ihnen ein Machtgefühl zu geben, das aber fest an ihre Ablehnung geknüpft ist. D.h, jedes Entgegenkommen wird als Schwäche des Feindes interpretiert, sie werden in ihrer "Unnachgiebigkeit" bestärkt und sie werden ihre Ablehnung beibehalten und sogar noch verstärken, um ihre gefühlte Macht zu behalten.
zu 2. Angst erzeugen ist einfacher als Angst nehmen. Daher wird die AfD hier immer einen Vorsprung haben, sobald man sie sprechen lässt. Es ist auch egal, ob diese Ängstszenarien völlig übertrieben oder sogar komplett irreal sind, wie die von millionenfachen Impfschäden, dass Ausländer die Bevölkerung austauschen oder dass es zu Stromblackouts kommt, wenn wir keine Atomkraft mehr nutzen. Gegen diese Szenarien zu argumentieren hält sie länger am Leben als sie mit "Das ist halt Quatsch und über solchen ausgedachten Blödsinn rede ich nicht mit dir, das kannste mit deinen Verschwörungsmärchenfreaks diskutieren" abzuschmettern.
zu 3. Da sagt Kumkar bereits das Richtige: Diese Leute werden dann aktiviert, wenn ALLE über das Thema sprechen, nicht nur die, die ohnehin fremdenfeindlich sind. Denn wenn ein Thema als politisches "Problem" hochgejazzt wird (obwohl es in Deutschland gar keine nennenswert hohen Einwanderungszahlen gibt und das somit gar kein reales Problem ist), braucht sich die AfD ja nur hinstellen und sagen: "Nur wenn ihr uns wählt, bekommt ihr wirklich, was ihr wollt", weil sie sich gar nicht die Mühe machen müssen, Einwanderung als Problem zu framen - das machen die anderen ja bereits.
Mit anderen Worten: Alle drei Punkte zeigen, was Medien und Politik seit mindestens 2015 falsch machen und was Soziolog*innen und Kommunikationsleute schon immer bemängeln: Man spricht nicht mit Extremisten, sondern über sie - nur so behält man die Deutungshoheit.
Und wie Kumkar sagt: „Sobald die Debatte nicht mehr um ihre Themen kreist, hat die AfD Schwierigkeiten.“
Ich bin ehrlich: Ich hab eigentlich gar keine Lust, dieses Jahr diesen Rückblick zu machen. Der Grund ist: Das Jahr war nicht grundsätzlich Scheiße. Bis Juli war es sogar ausnehmend gut. Und auch im schwierigen zweiten Teil des Jahres gab es interessante, schöne und glückliche Tage. Es hat aber einfach am Ende zu wenig von den Dingen geklappt, die hätten klappen müssen, um nicht enorm anstrengend, frustrierend und kräftezehrend zu sein und das vermiest mir gerade so die Stimmung, dass ich mich sehr bemühen muss, zumindest halbwegs konstruktiv zu bleiben und diesen Eintrag nicht einfach nur mit "Das Jahr? Kann weg." abzuschließen. Das wäre undankbar und eben auch wirklich falsch.
Denn wie Der Doctor schon sagte: “Every life is a pile of good things and bad things. The good things don’t always soften the bad things, but vice versa, the bad things don’t always spoil the good things and make them unimportant.” - und ich bräuchte eigentlich erst etwas mehr Abstand von den "bad things", damit die "good things" wieder das richtige Gewicht haben.
Haare länger oder kürzer? Ebenfalls gleich geblieben.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Immer noch die Kurzsichtigkeit besser, die Nahsicht schlechter. Altersbedingt halt.
Mehr bewegt oder weniger? Das weiß ich nicht. Ich hab mich bewegt.
Mehr Kohle oder weniger? Weniger. Was theoretisch gereicht hätte, aber bei Selbständigkeit leider ein riesen Folgeproblem nach sich zieht, da die Steuern für das bessere letzte Jahr und die Sondervorauszahlung für das (natürlich vom Finanzamt gleich gut oder besser geschätzte) Folgejahr exorbitant sind, und dann auch noch alles gleichzeitig direkt nach dem Sommerloch gefordert wird.
Mehr ausgegeben oder weniger? Weniger für mich.
Der hirnrissigste Plan? Einen Firmenkredit zu beantragen in der Annahme, dass die laut Bankberaterin kein Problem sei und ihn dann doch nicht zu bekommen.
Die gefährlichste Unternehmung? Ich mach ja nichts gefährliches.
Das beeindruckendste Buch? Ich schaffe es derzeit nicht, zu lesen. Dazu brauch ich eine innere Ruhe, die ich derzeit nicht habe.
Der ergreifendste Film? Entweder hab ich grade einfach vergessen, was ich alles geschaut habe oder es war wirklich nichts "ergreifend". Mir hat Avatar 2 viel besser gefallen, als ich erwartet habe. Das einzige, was ich hier anbieten kann ist diese tolle Dokumentation über eine Sci-Fi Band in Disneyland. Und ich habe eine Serie für euch: Kohlrabenschwarz ist eine ganz phaatastische deutsche Serie, die ich uneingeschränkt empfehelen kann.
Die beste Musik? Christopher Tin, To shiver the Sky
Das schönste Konzert? Das tolle Lord of the Rings Konzert in Wuppertal mit dem Ukrainischen Staatsorchester und einem hervorragend gelaunten Jed Brophy als Gastgeber.
Die meiste Zeit verbracht mit...? Unverändert: Homeoffice und meinen Liebsten in der Villa.
Die schönste Zeit verbracht damit...? Katzen auf dem Schoß schlafen zu lassen.
Vorherrschendes Gefühl 2023? Enttäuschung. Wobei das halt eigentlich nicht stimmt sondern nur für das Ende des Jahres gilt, während des Jahres gabs vieles andere: die re:publica war schön, Ich hatte ein paar wirklich coole Jobs die auch viel Spaß machten und ich konnte mehrfach meine Expertise beweisen - was dazu führte, dass ich dieses Jahr fast nur noch Jobanfragen hatte, in denen es darum ging, dass ganz explizit ich angefragt wurde. Das ist schon eine schöne Sache. Ich hab aber letztes Jahr gedacht, ich hab ganz viel geradegerückt, mich gut vorbereitet und aufgearbeitet, so dass ich einen sauberen Start in 2023 haben konnte. Es gab dann aber bereits kurz vor Weihnachten den ersten Rückschlag, weil ein Projekt, das eigentlich noch mindestens 3 Monate laufen sollte und mir die Rücklagen für das schwierige Steuerjahr eingebracht hätte, sehr plötzlich eingestellt wurde und wegbrach. Da war ich erst noch guter Dinge, aber danach hat einfach alles, was irgendwie wichtig gewesen wäre, nicht geklappt. Zuletzt kam Anfang Dezember auch noch die Absage für ein EU-Projekt, für das ich seit Mai geackert habe (zugegebenermaßen haben wir uns aber bereits gedacht, dass die Ausschreibung nur pro forma war - nachdem wir aber drei mal um weiteren Input gebeten wurden, hatte ich mir dann doch ein bisschen Hoffnung gemacht). Die hat mich nicht mal mehr besonders geärgert, weil ich an dem Tag mit Lebensmittelvergftung im Bett lag.
2023 zum ersten Mal getan? Ein E-Auto geleast.
2023 nach langer Zeit wieder getan? Ein Versprechen, von dem ich mir sicher war, es halten zu können, nicht halten können. Ich werds trotzdem begleichen, aber das ist mir einfach enorm peinlich.
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? 1. Besagtes Versprechen nicht halten zu können. 2. Dass Gefühl, dass einfach gar nichts geklappt hat - was eigentlich nicht stimmt, ich hab so viel hinbekommen und weggearbeitet, dass ich eigentlich total stolz sein müsste. Es fühlt sich nur gerade nicht danach an. 3. Dass diese Phase noch nicht vorbei ist und ich einfach gerne mal wieder nicht sofort "anstrengend" denke, wenn mich jemand fragt, wie es läuft.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Dass wir ein wirklich großartiges, innovatives Konzept mit einer geradezu genialen technischen Grundlage für ein Rollenspiel für das Europäische Parlament haben. Leider wollte man aber wohl lieber doch weiter eine interaktive Powerpoint-Präsentation. Naja. Story of my life.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Meine schlechte Laune der letzten 5 Monate auszuhalten und mir immer wieder Mut zu machen.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Ich mach das nur, wenn du dabei bist und das leitest, weil ich den Job niemandem anderem zutraue.
Das Nostalgieproblem - also die Annahme, dass früher alles besser war - wird in diesem Video recht gut erklärt. Ich möchte aber eine Ergänzung hinzufügen, da es 2x wirklich ganz kurz davor ist, eine wesentliche Erkenntnis zu formulieren, aber dann nicht dort hingelangt - vor allem, weil am Schluss die Frage gestellt und offen gelassen wird, ob es nicht vielleicht doch so ist, dass die derzeitigen Kritikpunkte über neue Medien doch valide sind.
Die Antwort ist: Ja, sie sind valide, aber das waren die Punkte von früheren Medienkritiken, die er im Video auflistet, zu ihrer Zeit auch und hier ist die Erkenntnis, die im Video zwar offen vor uns liegt, aber nicht benannt wird: Es sind nicht die Medien selbst - also ihre Technik und Mechanismen -, die problematisch sind, denn die sind ja offensichtlich austauschbar. Es ist der Lern- und Adaptionsprozess, um mit Medien umzugehen, wenn sie sich verändern oder neu entstehen. Ob es Bücher waren, dann Filme, Radio, Fernsehen, Computerspiele und die gesamte Bandbreite an medial gestützen Interaktions/Konversationsmitteln: Es musste und es muss auch weiterhin immer die Kompetenz entwickelt werden, diese zu nutzen und das Ungleichgewicht zwischen Sendern und ihren Möglichkeiten und Empfängern und ihren Fertigkeiten auszugleichen.
Der Autor des Videos fällt am Ende ein bisschen auf genau die Effekte herein, die es vorher beschreibt (und er vermutet das ja sogar, weiß aber nicht genau, warum), denn er ist heute im Umgang mit den aktuellen Medien in einer anderen Situation als im Umgang mit den Medien, mit denen er aufgewachsen ist. Für die hat er nämlich ein Verständnis in einer Zeit entwickelt, in der er nicht bewusst darüber nachgedacht hat, dass er das überhaupt tut.
Das ist aber dieselbe Situation die Kinder, Jugendlichen und junge Menschen heute durchleben und da er ja zuvor schon herausgearbeitet hat, dass es vor allem ein Problem der älteren Generationen ist, deren Erfahrungen auf Veränderungen nicht mehr anwendbar sind, könnte er dennoch sehen, dass so, wie er damals ein "natürliches" Verständnis für die Medien seiner Jugend entwickelt hat, dasselbe für die jüngeren Generationen heute gilt.
Und wenn er diese vor manipulativen Algorithmen, Fakenews und Suchtspiralen warnt, ist das zwar valide - denn wie gesagt: die gibt es - aber die Gefahr ist am Ende dieselbe wie die Suizidgefahr durch "Die Leiden des jungen Werther", das sich verlieren in Traumwelten durch Dungeons&Dragons, das Abgleiten in geschlossene Subkulturen durch Heavy Metal Musik oder die Reizüberflutung durch 50 Fernsehkanäle statt nur dreien.
Und so ist es genau, wie er sagt: Am Ende warnt er die falschen vor viereckigen Augen, denn wirklich lernen, mitzukommen müssen die älteren Generationen. Und das ist die Erkenntnis, die fehlt: Wir könnten das gut, wenn wir uns die Kompetenzen der jungen Menschen abschauen würden. Aber das ist nicht so leicht, wenn wir glauben, dass wir diejenigen sind, die schon alles wissen und den Jüngeren beibringen müssen, mit Medien umzugehen.
(Und als empirischen Beweis dafür möchte ich gerne mal darum bitten, nachzusehen, aus welchen Alterskohorten diejenigen wohl kommen, die ständig wütend und unreflektiert unter all die Klickbait-Artikel kommentieren und jede noch so offensichtlich falsche Fake-News teilen).
Die Realität ist - wie so oft - wesentlich unspektakulärer: Spaltung suggeriert ja, dass es einen halbwegs gleich großen Anteil von Progressiven und Konservativen gibt, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Dass das so gar nicht stimmt, sondern vor allem ein Fehlschluss ist, der aus dem medialen false balancing von Meinungen (Wir bekommen ständig 50/50 eine pro und eine contra Stimme gegenüber gestellt ohne dass berücksichtigt wird, wie hoch der Anteil der beiden Gruppen eigentlich ist) entsteht, wird seit einiger Zeit immer wieder angemahnt, aber so richtig angekommen scheint mir das noch nicht zu sein.
Am Beispiel des pinken Trikots können wir aber erneut sehen, wie klein die Gruppe derer ist, die sich über das ach so woke rosa Shirt echauffieren und das sogar in einem Umfeld, das gerne als positiv ausgedrückt "bodenständig" angesehen wird: Es ist nämlich ein massiver Verkaufsschlager.
Was sagt uns das: Die Aufregung ist gar nicht so groß wie sie erscheint. Und die Spaltung der Gesellschaft ist in Wirklichkeit gar nicht vorhanden - die Kritiker des "Wokismus" einer T-Shirtfarbe ist eigentlich eine winzige Minderheit, die es ja zu jedem Thema gibt und die es auch immer gab. Der einzige Unterschied ist, dass man ihre Bedeutungslosigkeit früher medial korrekt eingeordnet hat und man sie folgerichtig ignoriert hat.