Ich hab grade überlegt, wo ich mal ein paar wirre Notizen irgendwo ablegen kann, die ich mir in den letzten Wochen so gemacht habe. Dann dachte ich: Eigentlich ist hier ja ein guter Ort dafür.
1. Worüber man sich gerade klar wird
- Große Teile der Infrastruktur Internet und viele seiner Dienste gehören Firmen oder Staaten bzw. werden von Firmen und Staaten betrieben. Das "Mainstream"-Internet durchläuft grade die zweite Welle der Walled Garden-Dienste und es wird ein Weilchen dauern, bis auch die Sozialen Medien diese Mauern verlassen werden - was sie am Ende aber tun werden, auch das Web 1.0 ist ja Ende der Neunziger von AOL und Co zum offenen WWW mutiert.
- Weder Firmen noch Staaten können das Internet so kontrollieren, wie sie es bei anderen Infrastrukturen können, die sie betreiben. Das führt seit vielen Jahren immer wieder zu Konflikten zwischen Firmen, Staaten und Nutzern. Nichtsdestotrotz werden jedes Jahr groteskere Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht: Momentan geht das sogar so weit, dass das letztes Jahr noch wegen Censilias Sperr-Bemühungen in Verruf gewesene EU-Parlament in den USA gegen deren neueste Sperr-Gesetze (PIPA/SOPA) protestiert.
2. Was man momentan ständig durcheinanderbringt
"Secrecy" - als Bezeichnung für die Geheimhaltung von nicht-privaten Informationen - und "Privacy" - der eigentlich grundgesetzlich geschützen Privatsphäre des einzelnen Bürgers sind eigentlich völlig unterschiedliche Dinge, werden aber ganz gerne in einen Topf geworfen. Das liegt daran, dass man in Politik und Wirtschaft gerne den Schutz von Privacy als Begründung vorschiebt, wenn es ihnen eigentlich um die Verteidigung von Secrecy geht. Behörden und Regierungen argumentieren gerne gegen Offenlegungen und "Verrat" ihrer Geheimnisse genau so wie Privatleute, die z.B. keine Vorratsdatenspeicherung wollen - und deren Bedenken ja gerne mal mit einem "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" ignoriert werden.
Es gibt hier allerdings einen entscheidenden Unterschied: Privatmenschen geht es allein um Privacy, also dem Schutz ihres Privatlebens. Daten von Behörden (oder Firmen) sind dagegen keine Privatdaten, auch wenn sie hin und wieder "geheim" sind. Insoweit wäre das Argument "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" als Entgegnung auf staatliche Secrecy-Bestrebungen - also die Geheimhaltung ihres Tuns - sogar passender, ganz im Gegensatz als zur Begründung für die vermeintliche Harmlosigkeit der Offenlegung privater Informationen im Tausch für eine lediglich gefühlte Sicherheit.
3. Es gibt diesen Konflikt zwischen Bürgern und Staat
- Meine Privacy: Firmen und Staaten wollen meine private Daten haben und möglichst genau wissen, was ich tue. Ich muss also überlegen wann und wie ich das Internet nutze und welche Diensten ich mit welchen privaten Daten versorge, um möglichst wenige davon preiszugeben.
- Deren Secrecy: Firmen und Staaten wollen dem Bürger gegenüber ihre Daten und das was sie tun möglichst verbergen. Dies ist zum größten Teil nicht im Interesse des Bürgers sondern dient internen Geschäften und Absprachen, die nur mit dem strikten Ausschluss von Parteien funktionieren, die den Machterhalt gefährden. Die Exklusivität von Zugang sichert eine möglichst ungestörte Lobbyarbeit.
Es entsteht somit eine immer offensichtlichere Schere zwischen dem, was Bürger wollen und was Staat, Behörden und Wirtschaft will: Bürger verlangen Transparenz, also einen Abbau staatlicher Secrecy. Behörden verlangen Transparenz vom Bürger, also den Abbau bürgerlicher Privacy. Beide weigern sich jeweils, diesen Wünschen zu entsprechen. Bürger reagieren mit Druck, wie wir ihn z.B. im Streit um Stuttgart 21 erlebt haben oder beginnen Aktivitäten wie die Occupy-Bewegung. Der Staat reagiert, indem er immer hemmungsloser die Privatheit auflöst und z.B Bewegungs- und Kommunikationsdaten aller Bürger sammelt und auswertet.
Dass Staat und Bürger gegeneinander arbeiten ist allerdings auf Dauer ein echtes Problem. Wohin dieses Problem führt wenn nicht einer von beiden klein beigibt ist gut zu sehen. Zum Bespiel in Griechenland, in Spanien und Frankreich. In Deutschland gab es letztes Jahr in Stuttgart einen ersten Vorgeschmack.
4. Was wird als nächstes passieren?
Das Internet ist ja so um das Jahr 2000 herum für kommerzielle Zwecke umgebaut worden: Der Zugang zum Internet wurde den ISPs von den Telcos abgenommen, es wurden Bezahlmechanismen eingeführt, die bis dahin internettypische Anonymität wurde immer weiter abgebaut. In den letzten zehn Jahren entwicklete sich der normale Internetnutzer vom unbekannten Wesen zum am besten durchleuchteten Individuum, denn zentrale Diensteanbieter wie Google und Facebook häufen private Datensammlungen über jede Menge Einzelpersonen an und dabei ist es oft egal, ob diese Personen den Service überhaupt nutzen.
Daher ist der logische nächste Entwicklungsschritt der, die privaten Anteile der sozialen Kommunikation den zentralen Diensten wie Facebook und Google abzunehmen und weitestgehend zu privatisieren und zu dezentralisieren oder zumindest auf viele kleinere aber im Detail besser funktionierende Dienste zu verteilen. Es wird ja gerade auch den weniger kritischen Netznutzern klar, dass der Teil des Internets, den die Wirtschaft oder der Staat kontrolliert ihre Privacy-Belange nicht im gewünschten Maße berücksichtigen und schützen. Im Gegenteil, entsprechende Machtproben werden ignoriert oder auch sanktioniert, wenn der Nutzer nicht spurt - Facebook und Google+ löschen regelmäßig ohne Vorwarnung "inappropriate Content" oder suspendieren die Accounts von Leuten, die ihrer Meinung nach nicht ihren Realnamen angeben. Gleichzeitig wird immer klarer, dass staatliche Stellen gerne und ausgiebig in den Nutzerdaten der großen Sozialen Netzwerke herumschnüffeln wollen und sich im Zweifel auch einfach die entsprechenden Gesetze dafür zurechtschnitzen.
Die guten alternativen Lösungen der nahen Zukunft werden daher dezentrale, kollaborativ entwickelte non-profit Projekte sein. Das war der Weg des Web 1.0, das wird der Weg des Sozialen Netzes sein. Ob der Layer der zentralen Mainstreamservices irgendwann so schnell verschwindet wie damals AOL, T-Online/BTX, Compuserve und so weiter oder einen Zwischenbereich darstellt, in den man die privaten Daten füllt (in Menge und Ausführlichkeit je nach Grad des Umgangs mit den Post-Privacy-Bedingungen mit denen man umgeht), die man für die Ausgestaltung seiner öffentlichen Persönlichkeit und als Puffer zwischen der Welt und seiner tatsächlichen Privatheit benötigt ist dabei gar nicht so wichtig.