Der Herbst ist schon wieder die anstrengendste Zeit des ganzen Jahres. Zunächst dachte ich, das sei so wie im letzten Jahr, da wurde es aus beruflichen Gründen extrem hektisch und vor allem extrem arbeitsintensiv. Aber es ist doch noch mal anders, auch wenn die Exposition der letztjährigen sehr ähnlich ist. Arbeitsintensiv ist die Zeit diesmal zum Beispiel gar nicht, denn ich habe nicht die Möglichkeit, etwas zu verändern und bin momentan und wahrscheinlich noch ein Weilchen eine Sitting Duck.
Aber ich weiß, dass mich nichts mehr stresst, als in einer Situation zu sein, in der ich nichts machen kann und meine passende Bewältigungsstrategie ist schon immer, mir Optionen zu suchen. Dabei ist gar nicht wichtig, ob ich die nutze. Es ist mir nur wichtig, sie zu haben. Zum Beispiel wenn ich beruflich feststecke zu überlegen, ob ich mich nicht doch mal selbständig machen könnte oder mich irgendwo bewerbe. Zack, hab ich schon zwei Optionen und komme mit der Situation direkt mal viel besser zurecht.
Ich weiß auch, warum ich diesen Drang habe, immer mehrere Möglichkeiten im Petto haben zu wollen: Ich möchte nicht in die Situation geraten, dass ich alternativlos etwas tun muss, was mir jemand anderes vorschreibt. Wenn ich Alternativen habe und ich dann trotzdem das tue, was man von mir erwartet, habe ich mich für einen Vorschlag entschieden. Wenn ich keine Alternativen habe, würde ich einer Weisung folgen. Das ist eine so schreckliche Vorstellung, dass sie mich sogar körperlich krank machen kann. Das zu vermeiden war mir daher schon immer wichtig.
Dass das eine gut funktionierende Strategie ist habe ich in vielen Situationen schon bestätigt bekommen. Auf diese Weise habe ich zum Beispiel vor sehr vielen Jahren mal einen Schachjugendmeister besiegt, obwohl ich keine wirkliche Ahnung vom Schach spielen habe - ich kenne halt die Zugregeln. Ich habe aber immer versucht, einen anderen Zug zu machen, wenn er eine Figur bedroht hat, um mich dazu zu bringen, sie weg zu bewegen. Einfach weil ich nicht so reagieren wollte wie er es von mir erwartete. Ich hab stattdessen eine andere Figur von ihm bedroht oder eine weniger wertige Figur dazwischengestellt, oder auch einfach die Figur geopfert und stattdessen einen Zug gemacht, der mir halbwegs sinnvoll vorkam. Letztlich führte das bei meinem Gegner zu so viel Verwirrung dass er sich zum Beispiel am Ende völlig unnötigerweise nicht traute, eigentlich geopferte Figuren zu schlagen. Er erklärte mir hinterher auch, dass er sich immer längere Wege überlegt habe, um herauszufinden, was ich eigentlich vor hatte. Darauf, dass ich nicht mal zwei Züge vorausdachte sondern lediglich darum spielte, möglichst viele Figuren einfach so in Bewegung zu halten, dass sie eine Zugmöglichkeit behalten kam er nicht. Aber das ist meine Strategie im Leben: Zugmöglichkeiten finden und offen halten. Mein Ziel ist immer höchstens zwei Schritte vorausgedacht. Aber dafür in so viele Richtungen wie möglich.
Das ist meine Art, mich davor zu schützen, zum Spielball zu werden. Man kann mich so nur schwer zu etwas drängen, was ich nicht auch selbst möchte. Funktioniert bisher gut. Und auch wenn ich so keine weit entfernten großen Ziele habe (was durchaus nicht selten zu Diskussionen führt, da es offenbar heutzutage total wichtig zu sein scheint, immer ein total großes und durchdachtes Zielbild vor Augen zu haben), komme ich doch gut voran und habe das Gefühl, immer sehr nah bei meinen eigenen Bedürfnissen zu sein.