Ich hoffe, ich muss nicht erklären, was genau an der Freitagskarikatur der Süddeutschen antisemitisch ist. Wenn doch, die Titanic hat das schon ganz gut erledigt. Dazu gibt es auch keine "Meinung". Die entsprechenden Kriterien werden erfüllt, also ist sie antisemtisch. Wer hierzu also unbedingt eine Meinung haben möchte, muss darüber diskutieren, ob antisemitsche Karikaturen in Ordnung gehen oder nicht. Viel Spaß dabei.
Warum mich die Sache aber heute beschäftigt ist, dass es ein weiteres - sehr krasses - Beispiel für einen sehr besonderen Umgang mit dem Internet in Deutschland ist.
Vorgestern kamen Oliver und ich im Gespräch darüber, wie man Ende der Achziger und in den frühen Neunzigern das Internet erlebt hat darauf, dass es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern vergleichsweise wenige Menschen gibt, die die ersten Online-Phasen bewusst erlebt haben. Was schade ist, denn in dieser Zeit war jedem Nutzer klar, dass alles, was er im jeweiligen Netz, in den BBSen, in seiner Mailkommunikation oder in einem Board bzw in der Newsgroup tut, erstens für alle anderen Netzteilnehmer sichtbar ist und zweitens wenn etwas nicht direkt sichtbar ist, einem lediglich eine Berechtigung fehlte. Das wurde einem nämlich in diesen Fällen genau so gesagt. Und so wußte damals jeder: Es gibt Nutzer mit OP- und Adminrechten und die können alles sehen, was auf ihren Servern gespeichert wird. Wenn meine Mailbox hakte, rief ich daher beim Admin an und der löschte mir den kaputten Maileintrag, damit die Mailbox wieder funktionierte.
Als ich selbst bei einem Provider arbeitete, machte ich dasselbe bei unseren Kunden. Und ja, selbstverständlich konnte ich die Mails lesen. Und den Kunden, die anriefen um sich helfen zu lassen war das offensichtlich auch klar, denn keiner von ihnen hat sich darüber gewundert, wenn ich ihnen erklärte, woran es gelegen hat oder ihnen den noch lesbaren Teil der korrupten Mail zugeschickt habe. Mails sind Postkarten und jeder der sie auf dem Weg von Sender zu Empfänger weitergibt, kann sie lesen. Dieser Satz war 1995 der zweite Satz über E-Mails in jeder Internet-Schulung, die ich gegeben habe. Das Internet kennt technisch keine Privatsphäre.
Die magische Ikonografie des Internet
Das alles aber haben offensichtlich nicht viele Menschen gelernt. Kein Wunder, denn als das Internet in Deutschland einzog, hatte es schon eine Oberfläche, die den Nutzer von dieser Art von Erkenntnis abschirmte. Die Ikonografie und das Image des Internets war nie besonders technisch in Deutschland, sondern wurde immer emotionalisiert und geradezu hysterisch übertrieben gefeiert oder verdammt: Auf der einen Seite waren die Chiffren völlig verkitscht, auf der anderen teuflisch bedrohlich. Auf jeden Fall blieb es dabei immer eine rein magische Weltsicht - der Unterschied war nur, ob es sich um schwarze oder weiße Magie handelte. Heutzutage hat sich die Bildsprache der schwarzen Magie ziemlich durchgesetzt.
Das Problem mit dieser magischen Ikonografie ist: Sie vermittelt, dass man sich nicht wehren kann. Sie ist eine geheimnisvolle Macht, ausgeübt von bösen Menschen, die nichts anderes im Sinn haben als uns niederträchtig zu verführen und das Blut die Daten auszusaugen. Sie macht uns - Moment: nicht uns, sondern unsere Kinder - sofort abhängig. Die Firmen sind keinesfalls vertrauenswürdige Unternehmen sondern geheimnisvolle Fabelwesen aus unbekannten Tiefen wie (Daten)kraken und Moloche. Das Internet ist eine übernatürlicher Horrorlandschaft. Das moderne Mordor, die Unterwelt in die man zwar rein, aber nie wieder herauskommt, oder auch gleich die Hölle, in der immer apokalyptische Kämpfe ausgetragen werden. Für die der einzelne natürlich zu klein, zu schwach und zu unwissend ist um zu bestehen.
Nun hat die Süddeutsche diese Ikonografie versehentlich mit den Motiven einer anderen vermischt (dicke Unterlippe, Hakennase, Schläfenlocken), die einmal dieselbe Idee verfolgte: Die Dämonisierung. Und entlarvt sich damit selbst, denn man dachte ja offensichtlich, dass es sich hier um eine legitime Bildsprache handelt, um ein Bild von einem Internet zu zeichnen, vor dem man sich fürchten und gegen das man sich wehren muss.
Gewehrt haben sich die Deutschen auch hin und wieder - zum Beispiel indem sie Google-Streetview verboten haben, öffentlich sichtbare Häuserfronten von der Straße aus zu fotografieren. Dass Verlage und Profil-Firmen schon immer genau dasselbe tun und diese Fotos und jede Menge anderer Daten für viel Geld verkaufen, geschenkt.
Oder sie tun es gerade, indem sie WhatsApp nach Jahren der Ignoranz über die massiven Sicherheitslücken verlassen: Der Dämon Facebook ist für den Deutschen User offenbar mächtiger als jahrelange konkrete Sicherheitsmängel. Klar, ich finde es durchaus erfreulich, dass mein Bekanntenkreis endlich vom komplett löchrigen zu wenigstens halbwegs sichereren Anbietern wechseln. Sie tun es aber nichtsdestotrotz aus den falschen Gründen.
Es wird sich nichts ändern
Ich bin an vielen Stellen optimistisch. An dieser bin ich es nicht, denn ich glaube nicht daran, das sich diese Darstellung des Internets in den Medien mittelfristig ändern wird. Auch das kann ich mit der antisemitischen Karikatur der Süddeutschen erklären: Diese Art der Bildsprache ist eine Tradition. Besonders in Deutschland. Die konzeptionell inhärente Nähe zu offen diskriminierenden, stereotypisierenden Bildsprachen ist hier lediglich mal besonderst deutlich geworden. Wenn man nicht einmal merkt, welche altehergebrachten Steretoypisierungen man kolportiert, wie soll man denn dann ein Bewusstsein für neuere entwickeln?
Diese hochemotionale Dämonisierung, Entmenschlichung und Entsachlichung ist aber ein altes mediales Werkzeug, das viel zu gut funktioniert, als dass man sich davon verabschieden würde. Ich finde nicht ein mal, dass das besonders verwerflich ist. Das Problem ist, dass es so übermäßig benutzt wird, dass es die Wahrnehmung bei den Rezipienten so sehr dominiert, dass er auf keine sachlichere Darstellung mehr reagiert. Und das kann nicht gut sein.