Es gibt Verhalten, das nicht akzeptabel ist. Nehmen wir an, jemand kackt in der Öffentlichkeit ständig auf die Straße und erklärt, dass das sein gutes Recht sei und man ihn deswegen nicht gesellschaftlich ächten könne. Da würde niemand sagen, dass er damit recht hat und endlich tuts mal einer, dass man ihn deswegen echt nicht verurteilen könne oder gar, dass das zu kritisieren und ihn davon abzuhalten eine Provokation sei, die ihn erst recht dazu bringt, weiter auf die Straße zu kacken.
Das Problem ist, dass wenn man Leute, die permanent auf die Straße kacken - oder eben ständig ihren Rassismus zur Schau stellen - toleriert oder gar Verständnis dafür signalisiert, man ihre Taten und Äußerungen aus dem Bereich des gesellschaftlich geächteten Verhaltens in den des akzeptierten verschiebt und das darf nicht passieren.
So muss man auch die Sprachformel betrachten, dass man verdammt noch mal kein Verständnis für Rassisten zu haben hat: Ich kann Verständnis haben für eine schwierige persönliche Situation. Für Fehler in der Erziehung die ein Mensch ausbadet. Für Bildungsdefizite die ihm in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft Zugang zu gesellschaftlicher Anerkennung verwehren. Für frustrierende Perspektivlosigkeit und Verzweiflung über seine nicht zu überwindende Existenzängste.
Aber auf die Straße kacken oder Rassismus bleibt davon unberührt und ich werde daher mit niemandem über irgendein anderes seiner Probleme reden, so lange er auf die Straße kackt oder sich rassistisch äußert, denn dass er damit aufhört ist die Voraussetzung dafür, dass ich in eine Interaktion mit ihm eintreten kann.
Dass plötzlich "uns" hier eine Art Holschuld zugeschrieben wird, diesen Leute irgendwie mit einer zugewandten Akzeptanz zu begegnen - also Leuten, deren Verhalten eben jenseits der Akzeptanzschwelle steht genau dieses Verhalten durchgehen zu lassen und mich erst mal um seine anderen Probleme zu kümmern - ist ein (ziemlich unsubtiler) rethorischer Taschenspielertrick, den jede*r kennt, die/der Menschen mit Suchtproblemen in der Familie hat. Alkoholikern kann man auch nicht helfen, indem man erst mal alle ihre anderen Probleme löst. Das ist kontraproduktiv, denn das signalisiert ihnen lediglich, dass sie weiter machen können wie bisher.
Was wir aber bei Rassisten und Neonazis tun ist das Gegenteil dessen, was ihnen helfen würde, wieder ein gutes und eigenständiges Leben führen zu können, denn wir laden sie sogar regelmäßig in Fernsehstudios ein und bringen ihnen bei, dass sie mit ihrem Verhalten in dem Bereich angekommen ist, in dem sich Briefmarken sammeln oder keine Fleischprodukte essen befindet: Manche machen das und wems Spaß macht, meine Güte. Aber erzähl doch noch ein bisschen von Deiner Wut. Klopapier?
Allein schon, dass sie nun auch in der Talkshow vor Millionen Zuschauern auf den Boden kacken oder ihre rassistischen Thesen erklären können ist der Sieg. Keine noch so gut geführte Diskussion wird das ändern. Der Rassist hat gewonnen, wenn man ihm zuhört. Dass man ihm vielleicht auch widerspricht, spielt für ihn keine Rolle. Er ist da angekommen wo er hin wollte: In die Mitte der Gesellschaft, ohne seinen Rassismus ablegen (oder zumindest verschämt verstecken) zu müssen.
Und deswegen ärgere ich mich darüber, dass man einem Sarrazin zuhört, dass der Spiegel morgen hunderttausende kostenlose AfD-Wahlplakate in den Zeitschriftenläden auslegt und dass ein Innenminister, ein Ministerpräsident und ein Verfassungsschutzchef rechtsradikalen Mobs mit semantischen Haarspaltereien zeigt dass sie einfach weiter machen können was sie wollen.
Wenn man mal vergleicht, wie es vor 10 Jahren auf der Straße aussah: Da konnte man noch gemütlich spazieren gehen. Heute tritt man alle paar Meter in den nächsten Kackhaufen. Das ist, was man davon hat, wenn man Leuten, die auf die Straße kacken nicht sagt: Hör auf damit oder verpiss dich!
eingetragen am Jun 5, 2018 von jensscholz in .. privat
Es ist einiges passiert in den letzten Monaten, daher fasse ich das mal wieder in einem Post zusammen.
Im März habe ich zwei Artikel über (Online-)Handel und Innenstädte geschrieben (diesen und diesen) und da diese beiden Artikel anscheinend einen Nerv trafen wurden sie zusammen gut 250.000 mal aufgerufen und bescherten mir so viele Kommentare wie seit Jahren nicht mehr. Es fühlte sich zwischendurch fast ein bisschen so an wie früher, als Blogs noch dieses Nervenzentrum im Netz war.
Allerdings hat sich doch auch einiges verändert, was ich zwar schon so stark vermutete, dass ich das als These schon länger verbreite, sich nun aber bestätigt hat: Die heute allgemein gängige Internet-Nutzung ist extrem zerstückelt, wenn nicht gar mikroskopisch fragmentiert. Kontexte werden nicht mehr erkannt - oder besser: gar nicht mehr gesucht - und wo ein Artikel steht oder wer ihn geschrieben hat spielt keine Rolle mehr. Menschen picken sich nicht nur überall kleine Informationsschnippsel zusammen sondern lesen sogar in zusammenhängenden Texten nur noch die Kernbotschaften. Wobei das nicht ganz stimmt: Sie picken sich einen Satz heraus, den sie einfach zur Kernbotschaft machen die sie hören wollen (oder der sie widersprechen wollen), egal ob er auch die des Autors ist oder nicht. Das Kommunikationsverhalten ist zusätzlich geradezu offensichtlich von krassen Projektionen gesteuert. Es ist fast so, als ob das Ich aus der Diskussion verschwunden ist und das Ego übernommen hat.
Kommen wir zu schöneren Dingen:
Zeitgeist
Foto: Martina Ryssel
Wir haben - nachdem wir es letztes Jahr verschieben mussten - unser Ghostbusters-LARP Zeitgeist durchgeführt und es war großartig. Dafür dass wir wirklich alles ein bisschen anders gemacht haben als man es in klassischen (und nicht so klassischen) LARPs gewohnt ist, hat es ausnehmend gut funktioniert. Wir hatten irrsinnig viel Technik angeschleppt und installiert, haben einen super creepy-en Upside-Down Raum gebaut, haben Spieler*innen mit Unmengen Props und Kostümen episodenweise hin und her in die Siebziger und Neunziger Jahre versetzt (wir haben sogar in allen Räumen Bilder der jeweiligen US-Präsidenten, Bundeskanzler und UN-Generalsekretäre aufgehängt und mit jedem Zeitwechsel geändert), eine ganz neue Methode ausprobiert, seine Spielcharaktere zu entwickeln und viele Methoden, die man eigentlich aus Minilarps kennt, in ein großes Wochenendlarp integriert. Es hätte uns also auch gut alles um die Ohren fliegen können.
Tat es aber nicht und so werden wir Zeitgeist nächstes Jahr hoffentlich zum zweiten Mal anbieten - natürlich trotzdem mit einigen kleinen und auch größeren Änderungen, weil natürlich auch einiges nicht geklappt hat und wir von den Spieler*innen wertvolles Feedback bekamen, das wir natürlich gerne in unser Konzept integrieren. Wer mehr darüber wissen will, was wir da eigentlich gemacht haben und auch ein paar Original-Töne der Teilnehmer*innen hören möchte: Jan und ich haben darüber eine komplette "We Know Kung Fu"-Podcast-Folge aufgenommen.
Die re:publica dieses Jahr war eine der besseren. Interessanterweise habe ich viel weniger Buzz darüber mitbekommen als sonst, so dass man eventuell meinen könnte, dass gar nicht so viel los war wie in den letzten Jahren, aber das täuscht - zumindest aus meiner Sicht. Denn: Ja, es gab nicht diese großen Leuchtturm-Vorträge über die alle redeten. Es gab keine krasse Erkenntnis, keinen netzideologischen Aufschlag und keine lautstarke Kontroverse. Und ich fand das prima. Ich war begeistert von dana boyds Opening Keynote, die meiner Meinung nach die beste Keynote war, die es je auf der re:publica gegeben hat, denn sie setzte darin quasi das Niveau fest, das dieses Jahr zu gelten hat. Sie erklärte, dass Dinge komplex sind, dass man sie mit Kontexten betrachten muss um sie zu verstehen und dass Idealismus und Schlagworte nicht ausreichen werden, um systemische Probleme zu lösen. Sie erklärte geschichtliche, soziale, technische und wirtschaftliche Zusammenhänge und ihre Wechselwirkungen und machte klar: Wenn wir hier weiter an Oberflächlichkeiten herumdoktern können wir uns vielleicht moralisch gut fühlen, aber verändern tun wir gar nichts.
Das schöne war, dass sich diese Ernsthaftigkeit und dieser Wille, sich um die wenig plakativen, aber essentiellen, komplizierten, verwurschtelten und nun mal nicht einfach zu lösenden Kernprobleme zu kümmern durch sehr viele Programmpunkte hindurchzog. Auch unsere Session - Wibke Ladwig, Nadja Zaboura und ich haben uns das Thema "Vom Tod in der Netz-Familie" vorgenommen - versuchte sich darin, erst mal einen Raum für die Probleme einer (digitalen) Gemeinschaft zu schaffen, die inzwischen in ein Alter kommt, in dem immer mehr Menschen plötzlich fehlen. Wir sind noch gar nicht an der Stelle, an der wir sagen können "So gehen wir damit um, dann klappt das schon". Wir sind erst an der Stelle, an der wir begreifen oder begreifbar machen müssen, dass wir irgendwie damit umgehen müssen. Wie Konstantin in seinem Artikel für die DW schrieb, ist es uns ganz gut gelungen, auf einer Veranstaltung mit 8000 Besucher*innen etwas Intimität zu erzeugen, worauf ich sehr stolz bin:
Etwas abgelegen vom allgemeinen Rummel liegt Stage T - hier geht es um den "Tod in der Netz-Familie", darum, dass Verstorbene im vernetzten Teil der Gesellschaft oft nicht mehr vorkommen...
Die Session wurde nicht aufgezeichnet, was auch gut war: Ich glaube nicht, dass die Offenheit und Verletzlichkeit, die dort von vielen gezeigt und von allen angenommen wurde möglich gewesen wäre.
Der kurze Rest
Ich habe ansonsten ein bisschen gearbeitet. Trotz der für das Geschäftsjahresende üblichen Ruhe konnte ich ein paar wirklich interessante Dinge machen - am meisten Spaß hatte ich bei einem Coaching für eine Agentur, die ich für Social Media Pitches fit gemacht habe. Nächste Woche bin ich in Mainz beim "Speed Consulting" von ZDF Digital. Vielleicht sehen wir uns da?
In den letzten paar Tagen war ich irgendwo in der hessischen Pampa. Wieder auf einem LARP, allerdings als Babysitter für das coolste zweieinhalbjährige Mädchen der Welt, deren Eltern dort beide arbeiteten.
Ich habe das Gefühl, dass es immer wichtiger für mich ist, mich um Dinge zu kümmern, die direkt um mich herum passieren. Meine ständige innere Unruhe, das Gefühl, immer auf der Hut zu sein und aufpassen zu müssen, dass alles irgendwie hinhaut - was leider auch oft begründet ist (heute kam der Steuerbescheid) - geht mir auf die Nerven. Ich mag jede Minute, in der ich mal mit lieben Menschen einen schönen Spaziergang machen oder ins Kino gehen oder auf einen Kaffee zusammensitzen kann. Das wäre mein Wunsch für den Sommer: Weniger stressiges irgendwie alles hinbekommen und mehr Leben.
Ich hab auf Twitter und Facebook einiges zur m.E. missglückten Implementierung der seit einigen Tagen "scharf" geschaltenen DSGVO geschrieben. Weil das dort in einer Weile aus den Timelines verschwindet, dokumentiere ich die Texte, die mir wichtig sind hier. Das bedeutet, dass das jetzt kein zusammenhängender Artikel wird, sondern mehrere Happen, die sich auf ein paar bestimmte Aspekte konzentrieren. Grundsätzlich bin ich kein Gegner von Datenschutz und nicht mal gegen die DSGVO und das BDSG. Meine Kritik richtet sich gegen die schlampige Implementierung, die ohne Not zu einer massiv unklaren Rechtslage für Einzelpersonen, Vereine und Initiativen führt und das Versäumnis, bestimmte Techniken und Methoden der Datensammlung für den Zweck der Erstellung von kommerziell genutzten Nutzerprofilen wirklich zu verbieten.
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Mir ist die #DSGVO inhaltlich tatsächlich ziemlich schnuppe. Aber ich sehe, was die Implementierung verursacht: jede Menge Blogs sind abgeschaltet, Vereine und Initiativen löschen ihre Seiten und werden damit unsichtbar. Der Schaden ist da. Wo ist der Nutzen? Dabei ist es mir völlig egal, ob ein kleiner Blogger ein paar persönliche Daten von mir speichert. Was soll der damit machen? Datenschutz finde ich trotzdem wichtig: aber da reden wir über die Daten, die der Staat über mich sammelt. Der tritt mir nämlich im Zweifel die Tür ein. Und genau an dieser Stelle passiert gar nichts. Im Gegenteil. Behörden nehmen sich immer mehr Rechte, Daten von mir und über mich zu erheben und zu speichern.
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Der Irrtum mit der #dsgvo ist ja, dass es darin darum gehen würde, Datenmissbrauch zu verhindern. Hätte man das tun wollen, hätte man ja nur Nutzungsarten, die man als missbräuchlich ansieht, verbieten müssen. So kann man das alles auch weiterhin, wenn man 5000 Worte Datenschutzerklärung im Keller aufhängt. Mehr noch: Dadurch dass man sich das vom Nutzer absegnen lässt, hat der hinterher sogar noch weniger Möglichkeiten, seine Datensouveränität wiederzuerlangen und natürlich werden die Betreiber sich wegen der Zustimmungspflicht direkt mal mehr Rechte beim Nutzer einholen als sie vorher hatten - schlicht aus dem Gedanken "Wenn ich eh fragen muss, kann ich ja auch gleich x und y dazu nehmen".
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Die Juristen, die grade so milde lächelnd in Kolumnen und Interviews den Kopf über Menschen schütteln, die aus Angst vor der DSVGO Salz über die Schulter werfen (sprich: aktionistischen Quatsch machen) verstehen nicht, dass das Problem nicht die DSVGO ist sondern Juristen.
Menschen sind schon immer so. Was sie nicht verstehen, wird von uns in magische Handlungen übersetzt. Man ahmt halt das nach, was die "Weisen" tun: So entstehen "juristisch" klingende Distanzierungszauberformeln von Link-URLs, rituelle Gruppenadmin-Posts um sich ein wertloses OK der Gruppenmitglieder einzuholen und das erklärt natürlich auch diese AGB-Widerspruch-Votivbildchen, die einfach nicht totzukriegen sind (Es erklärt auch Pseudonachrichten und btw auch einen US-Präsidenten der seinen Job spielt wie eine TV-Show weil er in Wirklichkeit gar nicht weiß was er zu tun hat, aber ich will meinen eigenen Post nicht derailen).
Die Frage ist: Wer ist denn Schuld daran, dass wenn sich Menschen
1. an eine Verordnung halten sollen die sie schon juristisch gar nicht verstehen und das
2. in einer technischen Umgebung, die sie nicht in der Tiefe beherrschen um abzuschätzen, ob sie etwas falsch machen und dann
3. die "Spezialisten" - also die Techies und die Juristen - ihnen mit ihrer typischen Arroganz erklären, dass sie halt dann nichts in dieser Umgebung zu suchen haben und selbst Schuld sind wenn sie kein Jura- und Informatikstudium absolviert haben bevor sie was ins Internet schreiben,
sie dann aus lauter Verzweiflung halt Magie betreiben in der Hoffnung dass das mit dem Salz schon irgendwas bewirkt, wenn mans über die Schulter wirft, weil "Schaden kanns ja auch nicht"?
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Ich mag Prantl und bin sehr viel häufiger seiner Meinung als nicht. Ich kann aber selbst dann meistens nachvollziehen, warum er etwas schreibt, wo ich anderer Meinung bin. Auch hier verstehe ich sein gute Absicht, dem Narrativ über aluhuttragende Datenschützer, die mit hysterischer Regulierungswut das Internet kaputt machen ein anderes entgegenzusetzen.
Aber er schummelt dabei, denn die neue Verordnung ist leider so schlampig implementiert worden, dass sie - zumindest im Moment - das Gegenteil von dem bewirkt was sie tun sollte: Es sind halt leider nicht die Dickfische wie Facebook und Google, die jetzt an die Leine genommen werden. Dazu hätte man Privatsphäre verletzende Techniken verbieten müssen, was nicht passiert ist. Man hat lediglich organisatorischen Aufwand verursacht. Den und die Anwälte, die da durchblicken, können sich Facebook und Google leisten, aber leider nicht die Feuerwehr Pusemuckel und Frau Müllers Strickblog. Und die sind es, die jetzt dicht machen, aus größtenteils zwar unbegründeter Angst da sie eigentlich gar nicht betroffen sind, aber wenn ein Gesetz von Datenschützern mit großem Jubel damit beworben wird, dass jetzt aber ratzfatz 20 Millionen Schadenersatz fällig sind, wenn man vergisst anzugeben, dass man ein Antispam-Plugin in seinem Wordpress hat, ist der Laie lieber raus und was bleibt dann übrig? Nur noch genau die Plattformen, Dienste, Medienseiten und Shops, die sich die Tracking und Profiling-Erlaubnis beim Nutzer abholen und dann ist es egal ob es ein oder 50 Scripte sind, die nachgeladen werden.
Das zweite Problem, das ich mit dem Text habe ist, dass die DSGVO im Gegensatz zu dem was er schreibt keiner einzigen Behörde die Datensammlung und -nutzung erschwert. Im Gegenteil, die berufen sich auf andere Gesetze (zB das POG) und können mit Hinweis auf "berechtigtes Interesse" die DSGVO sogar für die Begründung hinzuziehen, kein Optout zuzulassen.
Ja, kein Mythos: Jede Menge Blogs, Vereine, Initiativen, Foren, Privatseiten schließen. Einen kleinen Eindruck, wie schlimm es wirklich ist bekommt man hier.
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Leute, die ihre Blogs abschalten so: "Ich mach dann halt jetzt alles auf Facebook". Klappt super, das mit dem Datenschutz.
Ich habe gestern über einen bestimmten Aspekt des Einkaufens geschrieben, nämlich den Normalfall: Der ganz normalen, unspektakulären Vorratskauf, den man immer und immer wieder machen muss, damit was zum Essen im Haus ist, man regelmäßig Duschen und Zähne putzen und immer frische Socken anziehen kann. Die Einkäufe, die man schnell hinter sich bringen will, damit man wieder Zeit für die Dinge im Leben hat, die einem Spaß machen. Lesen, Sport, spazieren gehen, liebe Menschen treffen, Klavier spielen...
...und auch mal ganz gemütlich bummeln und schöne Dinge shoppen gehen.
Wenn man mal absieht von den 80% Einkaufen gehen, weil man muss, gilt nämlich auch: Ich mag durchaus Shoppen - also das, wo ich mir im Gegensatz zum Einkaufen was gönne - oder es zumindest vorhabe. Ich gehe sogar gerne mit Freundinnen mit, wenn sie nach neuen Klamotten suchen. Das stresst mich dann auch überhaupt nicht, denn ich selbst brauche ja nichts. Ich flaniere gerne, ich stöbere in Buchläden, probiere Sachen an, quatsche mit Verkäuferinnen und Verkäufern im Schreibwarenladen über Polychromosstifte und Papiersorten. Und selbstverständlich ist es so, dass sich die Innestädte hier in den letzten vierzig Jahren stark verändert haben. Nur hat der Online-Handel damit zunächst mal überhaupt nichts zu tun.
Das "Innenstadtsterben" - und vielleicht muss man dafür auch wieder älter sein, um das zu wissen - ist nämlich nicht neu und wurde schon in den Achtzigern thematisiert. Die immer gleichen Ketten und Kaufhäuser übernahmen mit den aggressivsten Methoden, die man sich vorstellen kann, die Fußgängerzonen so dass es heute keinen Unterschied macht ob man die Frankfurter Zeil oder die Kölner Schildergasse lang geht. Öffentliche Plätze, freie Sitzgelegenheiten und andere Möglichkeiten der nichtkommerziellen Nutzung der Innenstadtbereiche wurden rigoros abgebaut weil die Leute ja gefälligst ihr Geld ausgeben und nicht herumlungern sollten. Flick und andere teils hoch korrupten Bauhaie bauten überall ihre Einkaufspassagen hin, die ein paar Jahre später der Reihe nach Pleite gingen. Das hat die Innenstädte schon lange bevor das Internet überhaupt in Deutschland Einzug gehalten hat, massiv zerstört und die "Traditionsgeschäfte" entweder direkt vertrieben oder ab diesem Zeitpunkt in eine prekäre Lage gebracht, in der sie sich zwar noch eine Weile hielten und zum Teil noch halten, aber nur unter immensen Mühen und dem Dauerstress des Unternehmens, dem ständig die Luft knapp ist.
Der Online-Handel hat da nicht mehr viel ausrichten müssen. Sicher hat auch der disruptiv gewirkt - vor allem da, wo Waren irgendwann nicht mehr auf Medien gekauft werden mussten wie Musik, Filme, Software, Bilder usw. Aber dieses tolle Spielzeugfachgeschäft an das man sich so wehmütig erinnert ist schon lange vorher von Großmärkten, Kaufhäusern und Toys'R'Us aufgerieben worden.
Der zweite Grund für den Untergang von Fachgeschäften ist auch schon seit den Neunzigern ein Thema, nämlich dass immer mehr Dinge erstens nicht mehr aus neutralen Einzelteilen bestehen und zweitens gar nicht mehr vom Laien repariert werden können. Konsequenterweise begannen die Hersteller auch noch selbst, ihre eigenen exklusiven Marken-Läden in die Einkaufsstraßen zu pflanzen. Die Eisenwaren- und Elektronikläden mit den mürrischen aber fachkundigen Besitzern, die einem eine Schraube für ein defektes Gerät auch mal zurechtfeilten verschwanden somit nicht, weil man im Internet einfacher bestellen kann. Sie verschwanden schon vor dem Internet und man bestellt inzwischen Elektroteile online, weil man sie einfach nirgends anders mehr her bekommt.
Wenn Gemeinden oder Städte hier nicht bewusst steuernd eingreifen, sterben die Einkaufsbereiche durch ganz altmodische unfaire Wettbewerbsmethoden: Ketten drängen die Einzelgeschäfte mit schönen Angeboten an Vermieter, durch Einkaufsrabatte ermöglichte Kampfpreise und auch schlichte Drohungen ("jetzt kriegen Sie noch was für Ihren Laden, wenn wir aber gegenüber eine Filiale eröffnen..") in Nebenstraßen, wo es keine Laufkundschaft gibt bis sie auch dort langsam verschwinden. Da ist kein Digitalisierungs-Menetekel nötig. Das hab ich in schon Anfang der Neunziger in Städten wie Pforzheim, Stuttgart und Karlsruhe live gesehen. Das ging ganz gut ohne Online.
E-Commerce, Amazon und Co bedroht aber dennoch jemanden, das ist aber nicht der "Traditionshandel", sondern jetzt geht's den Ketten-Filialen an den Kragen und da hält sich mein Mitleid in Grenzen. Es gibt halt immer den nächst größeren - oder geschickteren - Fisch. Das Fressen-und-Gefressen-Werden-Spiel haben die dreißig Jahre ganz gut selbst gespielt (und dass Medien den bei LeseIrnnen schöner klingenden Tante Emma Laden zum Online-Opfer erklären liegt vielleicht daran, dass besagte Ketten immer noch gute Anzeigen-Kunden sind).
Hin und wieder wurde aber eingegriffen. Manchmal rechtzeitig, manchmal nur halbherzig, manchmal war auch einfach Glück und Zufall im Spiel. Jedenfalls gibt es neben den komplett verödeten Pforzheims dieses Landes auch Städte, Gemeinden und Dörfer mit halbwegs okayen bis sehr gesunden Innenstadt-Leben. Ich habe das dieses Jahr mit Freude in Regensburg gesehen und in Neustadt and der Weinstraße. Ich sehe das auch hier in Köln. Natürlich kann man sich da die Hohe Straße und die Schildergasse schenken - Kaufhof, P&C, Deichmann, jeder Telcoanbieter, Media Markt, H&M, Pimkies, Zara und wie sie alle heißen... so austauschbar und öde wie in jeder anderen Stadt auch. Aber dann geht man halt ins Belgische Viertel und findet dort ein schönes Geschäft neben dem anderen. Kleine Buchläden, ungewöhnliche Klamotten, ausgefallener Sportkram, alles da. Und dazwischen Plätze mit Sitzbänken unter Bäumen und gemütliche Kneipen oder kleine Cafés. Ich hab zwar keine Ahnung, wie das dort entstanden ist, aber irgendwie hat irgendwer dort was richtig gemacht.
Wenn mans weniger alternativ haben will und mehr so gemütlich, kann man nach Nippes. Auch da gibts die schönen Plätze und kleinen Geschäfte. Und wenn mans doch wieder richtig kommerziell mit Marken und schick und bling haben will, aber trotzdem das Fachgeschäft sucht, gibts die Gegend um die Ehrenstraße. Das sind alles Ecken, in denen ich gerne mal mit etwas Zeit hingehe und vielleicht kauf ich mir ein Paar Schuhe, vielleicht ein Buch, vielleicht eine Jacke und vielleicht auch gar nichts sondern trinke zwischendurch 'nen Kaffee oder ein Kölsch.
Das kann Online mir nicht bieten. Dazu muss ich aus dem Haus und dort hin gehen. Aber dazu muss es dieses "dorthin" eben auch geben und wenn man dann mal genauer hinschaut gibt es sie auch: Die sind schon da, die schönen kleinen Läden in Regensburg und Neustadt, im Belgischen Viertel und überall sonst, wo sich entweder offiziell oder privat mal darum gekümmert wurde, wieder eine Struktur für den kleinen Einzelhandel zu schaffen. Und es gibt auch neue Geschäftsideen wie Popupstores, die wiederum unterstützt werden von lokalen News- und Online-Angeboten, die solche kleinen Läden und Szenen sichtbar und findbar machen. Es gibt oft genug sogar Online-Shops für die Menschen, die z.B. mal in einem Laden waren, aber nicht aus der Gegend sind. Ich habe schon tolle 1890er Larp-Klamotten bei einem kleinen Händler auf dem Fantasy-Markt in Speyer entdeckt und die passende Hose, die sie nicht da hatten, hinterher bei ihnen online bestellt. Das geht ganz prima, diese Offline und Online. Das muss sich nicht immer fressen, das kann sich auch prima ergänzen.
Überhaupt, Stichwort Märkte. Online kann nur gegen Dinge konkurrieren, deren Offline-Version von Menschen als anstrengender, lästiger oder hinderlicher empfunden wird. Das sieht man zum Beispiel an Flohmärkten. Natürlich gibt es eBay, aber es gibt auch immer noch Flohmärkte, weil eBay eben keine Konkurrenz zu Flohmärkten ist, auch wenn es sich da vordergründig um genau das Geschäftsmodell handelt wie bei einem Flohmarkt. Es wird aber nie den Flohmarkt ersetzen können, weil zum Flohmark das herumstöbern, anfassen und sich überraschen lassen gehört. Der Flohmarkt ist ein Event. Er hat ein Flair und eine Stimmung und wegen der gehe ich da hin.
Dasselbe ist mit Innenstädten. Wenn sie eine Stimmung und ein Flair hat, geht man da hin.
Wenn man nur was bestimmtes einkaufen muss, nicht mehr unbedingt.
Man kann also weiter über Amazon schimpfen oder für Gründe sorgen, dass Menschen wieder gerne in die Innenstädte gehen.
Und wenn man eine These sucht, die hinter diesen zwei Artikeln steht ist es die, dass der Mensch unterschiedliche und sich eventuell widersprechende Dinge möchte - im Falle des Kaufens von Dingen einmal ein Angebot für das einfache und bequeme Wegarbeiten von lästigen Verpflichtungen und einmal ein schönes oder überraschendes Freizeit-Erlebnis -, aber unsere Kommerz-Dynamiken oft zu schlecht darin sind, für mehrere Bedürfnisse gleichzeitig Lösungen anzubieten.
Ich lese ja seit 20 Jahren schon, das "Internet macht die kleinen Geschäfte kaputt". Ich las auch schon vor 40 Jahren, dass Supermärkte und Großmärkte die Tante Emma Läden vernichten. Die anonymen, kalten Konzerne vernichten das Einkaufserlebnis: kein persönliches Gespräch mehr mit der netten Verkäuferin hinter dem Schalter, die immer noch ein paar gute Ratschläge hat, was man mit der Packung Gries noch alles anstellen kann. Kein gemütlicher Bummel durch die sonnige Innenstadt über die Flaniermeile, auf der einem lächelnde Menschen begegnen und sich einen schönen Tag wünschen. Keine haptischen Extasen weil man Waren anfassen, Bücher blättern, Stoffe fühlen und Blumen riechen kann. Das ist, was in Gefahr ist. Was schon fast verschwunden ist und was gerettet werden muss, jetzt zur Abwechslung mal wieder vor dem bösen Amazon.
Ich erzähl euch jetzt mal, warum man normalerweise einkaufen geht: Man braucht Sachen - Nahrungsmittel, Waschkram, Klamotten. Oder man möchte bestimmte Sachen: Ein Buch, Musik, eine warme Winterjacke. Dann geht man los und kauft diese Sachen ein - dabei achtet man darauf, dass Preis und die Qualität im Verhältnis der eigenen Ansprüche an beides steht. Dann geht man nach Hause und räumt die Sachen da hin, wo sie hin gehören. Fertig. Das macht man bei den allermeisten Sachen, die man kauft, regelmäßig. Ich bin jeden zweiten Tag im Supermarkt, weil er vor der Haustür ist und ich mir daher den Luxus erlauben kann, in 15 Minuten eingekauft zu haben, ohne ein Auto zu brauchen und ein mal die Woche zum Großmarkt zu fahren, wie es meine Eltern noch taten - weil der Tante Emma Laden nunmal keine fünfköpfige Familie für eine Woche komplett mit Vorräten ausstatten kann.
Ich denke beim ganz normalen Einkauf - den Einkauf, den man immer und immer wieder macht - nicht ein einziges mal "Ach! Wie schön wäre es, wenn ich jede einzelne Ware, die ich brauche, bei einem Schalter bestellen würde oder mich darüber mit netten Verkäufern und Verkäuferinnen unterhalten könnte. Verdammt, Amazon hat mir das kaputt gemacht." Nein, ich denke "Hoffentlich gibt's keine Schlange an der Kasse." und mir ist schon die Frage nach der Paybackkarte zu viel lästige Konversation. Ich habe keinen Spaß beim Einkaufen. Ich spüre da keine Freude. Einkaufen ist kein Erlebnis. Einkaufen ist wie Wohnung putzen. Wenn ich eine Möglichkeit bekomme, diesen Vorgang noch schneller, einfacher und effizienter zu gestalten, dann mache ich das. Da ist nichts, was ich vermissen würde.
Sprich: Die ganze Argumentation basiert seit 40 Jahren auf einer falschen These, nämlich der, dass Einkaufen Spaß macht.
Was Großmärkte, Supermärkte, das Internet, Amazon tun, ist genau das, was ich möchte: Sie erleichtern mir Dinge, die mir lästig sind. Sie sorgen dafür, dass ich nicht in zig verschiedene Läden muss, erleichtern mir das Bezahlen (möglichst ohne vorher noch zur Bank zu müssen) und lassen mich schneller zu Dingen zurückkommen, die mir wirklich Spaß machen und die ich tatsächlich tun möchte.
Daher: Ja, Tante Emma Läden sind in der Theorie herzig. Ich bin aber noch nie in meinem Leben für den täglichen Einkauf in einen Tante Emma Laden gegangen und werde das auch nie freiwillig tun. Ich gehe auch nicht einkaufen, um Menschen zu treffen. Ich möchte auf keinen Fall von Verkäufern angequatscht werden und gehe daher nur im Notfall in kleinere Läden - dann aber sehr bewusst und mit viel Zeit. Ich kaufe Hosen im Klamottenladen und Schuhe im Schuhladen, weil ich die anprobieren muss. Ich kaufe ansonsten alles online, sobald online einfacher ist als offline.
Ich möchte über etwas schreiben, was mir bei der momentanen Reprise der Cambridge Analytica Geschichte auffällt. Denn, schon wieder oder immer noch ist der seltsame Glaube an das eine magische Wort, das im richtigen Moment ausgesprochen den Helden rettet (oder den Schurken zum Superschurken macht) und den entscheidenden Vorteil bringt, eine der Kernelemente der Story um eine Firma, die mit massiven Beweisen und Verdachtsmomenten konfrontiert ist, dass sie mit Datendiebstahl, Betrug, Erpressung und agressivsten Manipulationsmethoden weit außerhalb des auch nur ansatzweise moralisch Vertretbaren agierte.
Das Bild, das sich gerade abzeichnet ist: Cambridge Analytica behauptet, sie würde durch extrem schlaue Datenanalysen mikroskopisch exakte, auf einen psychologischen Angriffspunkt der EmpfängerInnen abgestimmte Werbeposts schalten und sie damit praktisch hirnwaschen und zum gewünschten Wahlverhalten zwingen. In Wirklichkeit arbeitet sie aber als skrupellose grey und black hat Lobbyagentur, holzen sich mit Betrug, Bestechung und Erpressung durch die Politik- und Medienlandschaft, um den Anschein zu stützen, ihre teure und einzigartige Methode sei so erfolgreich wie sie versprechen. Eigentlich bestätigen die Enthüllungen das ganz prima und passt dazu - wenn man im vorletzten Jahr etwas aufgepasst hat - wie krasse, unverhohlene Desinformation den Wahlkampf in den USA bestimmte. Und dazu, dass eben nicht Subtiliät den Erfolg populistischer Kampagnen ausmacht sondern das Gegenteil davon. Wie das eben letztes Jahr dazu schon erarbeitet wurde, nachdem die ersten hyperventilierenden Sensationsartikel durch waren.
Selbstverständlich wurde auch da schon erklärt, dass wir nichtsdestotrotz einige reale massive Probleme haben, deren Aufklärung und Aufarbeitung dringend notwendig sind: Probleme mit Plattformen wie Facebook, mit der Art, wie sie mit Daten arbeiten, mit den Wegen der Einflussnahme und Manipulation, mit dem digitalen Kontrollverlust und vielem anderen. Aber man erklärt mir schon wieder, wenn ich sage, dass Cambridge Analytica Hustenbonbons gegen Krebs verkaufen, dass es doch sein könnte, dass das ja durchaus auch ein magisches Hustenbonbon sein könnte, das vielleicht genau diesen einen wichtigen Ausschlag gegeben haben könnte, der Trump die Wahl gewinnen ließ.
Ein Problem, das meiner Ansicht nach immer wieder verhindert, dass sich um diese Probleme nachhaltig gekümmert werden kann - und das sich gerade wieder exemplarisch zeigt - ist der Verlust von Kontext, bzw das Weglassen davon, wenn über komplexe Sachverhalte berichtet oder diskutiert wird. Das kommt zB auch daher, dass der Onlinejournalismus Informationen schnell, prägnant und verdaulich aufbereiten muss (und dadurch der Weg vom Lesen zum klicken und teilen möglichst nur Sekunden dauert), aber dass es leider Themen gibt, die gar nicht derart kurz und prägnant auf eine griffige Überschrift eingedampft werden können, dass die dieser Anforderung genügen, ohne dass sie durch ihre Emotionalisierung, ihre Vereinfachung, ihre Zuspitzung und durch das Weglassen von Kontexten am Ende plötzlich "falsch" sind. Jede Meldung ist eine Einzelnachricht, ein neuer Aspekt eines alten Themas wird nicht in Beziehung gebracht sondern immer wieder als neue Nachricht verkauft, bis hin zu Absurditäten wie Trumps Tweets, über die sich seit über 12 Monaten quasi täglich einzeln und immer wieder empört wird, als ob er just heute völlig überraschend was völlig dummes geschrieben hat. Das wirkt auf Dauer wie mediales Blitzdingsen am Murmeltiertag und sorgt dafür, dass immer gleiche Stories immer wieder von vorne beginnen.
Ein anderer Grund ist die Art und Weise, wie wir selbst ganz persönlich in Sozialen Medien bei Diskussionen sofort nur noch auf Überschriften oder einen (Halb)satz eines Kommentators antworten und als vollständige These betrachten, weil eine differenziertere Betrachtung zb für einen flüchtigen Facebookkommentar viel zu aufwändig ist. Dass wir dadurch immer nur das zuletzt gesagte beachten ist aber langfristig ein Problem. Ich merke das ja selbst (und letztes Jahr war das ganz genauso), wenn ich schon wieder versuche, zu erklären, dass Cambridge Analyticas Behauptung, mit Daten Verhalten zu verändern zuallererst mal ein Scamsystem ist und gerade die aktuellen Enthüllungen das sogar bestätigen. Das bedeutet aber eben nicht dass alles, was diese Firma tut, harmlos ist, dass sie nicht gefährliche, höchstwahrscheinlich jede Menge illegale Praktiken anwendet um die Erfolge zu erreichen, die sie brauchen, um ihren Scam "echt" aussehen zu lassen. Oder dass Facebook aus dem Schneider sei und deren Datensammeleien und Umgang damit schon ok gehen. Das ist aber das, was mir als meine Behauptung oft unterstellt wird, jetzt und auch schon letztes Jahr.
Die Vereinfachung der Welt in reine entweder/oder, schwarz/weiß, links/rechts, gut/böse Gegensätze zum einen plus dieser Kontextlosigkeit, in der Dinge, die aufeinander Aufbauen, miteinander zusammenhängen oder sich über einen längeren Zeitraum verändert und entwickelt haben ignoriert werden ist eine enorm frustrierende Situation. Ich hab da jetzt auch keine These oder einen Vorschlag oder ein magisches Hustenbonbon, das das schnell lösen würde, aber genau darum gehts halt auch. Das magische Hustenbonbon gibt es nicht. Wir müssen hier den langen Weg gehen und all die Kontexte betrachten, die Veränderungen und Entwicklungen nun mal antreiben...
eingetragen am Mär 2, 2018 von jensscholz in .. bloggen
Der Tod ist offenbar doch ein wesentlich heikleres Thema als ich dachte. Ich hatte jedenfalls - nachdem wir letztes Jahr aus Anlass der ersten re:publica nach Johannes Tod eine eher spontane Erinnerungsecke aufgebaut hatten - signalisiert bekommen, eine Initiative zum Thema Erinnerungskultur würde begrüßt. Daher reichte ich das Thema für uns (uns sind Wibke, Nadja und ich) als Session ein:
Short thesis Die re:publica greift seit Jahren nicht nur aktuelle gesellschaftliche Themen auf, sondern hat auch bewusst eine Netzkultur und ein Gemeinschaftsempfinden geschaffen, das sie von anderen Fach- und Branchenkonferenzen unterscheidet. Ein wichtiger Aspekt jeder Gemeinschaft und jeder lebendigen Kultur ist der Umgang mit dem Tod. Erinnern wir uns an diejenigen, die wir verloren haben? Es wird Zeit, uns darum zu kümmern, diesen Teil des Lebens auch in unsere vornehmlich digitalen Kultur zu integrieren.
Description Der Tod gehört zu den existenziellen Themen, ohne die es keine lebendige Kultur geben kann. Auch keine digitale, denn wenn wir in den über zehn Jahren re:publica etwas gelernt haben: Es gibt keine Trennung zwischen "echter" und digitaler Welt.
Der Zusammenhalt und die Familiarität, die Herzlichkeit und das subversive Augenzwinkern ist, trotz aller kritikwürdigen Dinge, Fehler, Schwierigkeiten, Dissonanzen, die im Laufe der Jahre nicht ausblieben, so fest in der DNA der re:publica verankert, dass jedes Jahr selbst ganz neue Besucherinnen und Besucher spüren, dass hier eine ganz andere Atmosphäre herrscht als auf anderen Konferenzen.
Diese DNA der re:publica hat uns, die Menschen, die die Welt irgendwie besser machen wollen, im Mittelpunkt. Wir meinen, dass die re:publica als große Gemeinschaft diese besondere Kultur geschaffen hat und wir glauben, dass es wichtig ist, dass diese Kultur weiter getragen wird. Das geht aber nur, wenn wir unsere Geister nicht vergessen: die Menschen, die Teil dieser Gemeinschaft waren und inzwischen nur noch als Erinnerung unter uns wandeln.
Wenn wir in unserer Kultur in Zukunft auch Trauer, Erinnerung und Freude darüber zulassen, so wunderbare Menschen gekannt zu haben, dass sie uns fehlen wenn sie fort sind, wird diese Kultur reicher, gehaltvoller und substanzieller und wir werden uns damit die Sicherheit geben, dass die re:publica nicht vergessen wird, wo sie herkommt.
Daher wollen wir darüber reden, wie wir eine Erinnerungskultur in eine sehr digitale Gesellschaft bringen, die momentan noch sehr im hier und jetzt lebt und noch zu wenig an eine Zukunft denkt, in der immer mehr von uns verschwinden und uns neue Generationen nachfolgen. Wo ist der Platz für unsere Toten, wie leben ihre Ideen weiter? Aber auch: Wie können wir Angehörigen helfen, wenn nötig? Wie organisieren wir Möglichkeiten zu persönlicher Trauer und Erinnerung? Wie verhindern wir digitales Vergessen? Wie bereit sind wir selbst, uns mit dieser Thematik ernsthaft auseinanderzusetzen?
Heute kam die Mail, dass die Session nicht angenommen wurde*, was mich doch etwas überraschte. Ich bin aber - das sei erst mal klargestellt - erstens überhaupt nicht böse über die Absage und ich fahre zweitens natürlich auf jeden Fall hin und ich verfolge dort drittens auch weiterhin das Thema, ob nun mit "offiziellem" Slot oder nicht. Ein bisschen traurig bin ich natürlich schon, aber ich nehme das nicht persönlich weil ich weiß, dass Dinge passieren und Themen mal passen und mal halt grade nicht so gut. Vielleicht gibt es ja auch eine andere Einreichung, die in dieselbe Richtung geht. Das würde mich freuen und dann würde ich auch versuchen, mich eben dort mit einzubringen.
(* Update: die Session ist doch noch zustande gekommen. Man dachte wohl im ersten Moment, es ginge um das Thema "digitaler Nachlass", das letztes Jahr schon vorgestellt wurde. Danke fürs Klären an Markus.)
Mir ist das Thema aber aus verschiedenen Gründen wichtig und die will ich besprechen:
Unsere kleine digitale Gesellschaft hier in Deutschland, der ich mich zugehörig fühle, kommt in ein Alter, in dem der Tod zum ständigen Begleiter wird. Wibke meinte heute auf Facebook, in der Popkultur - das diesjährige Motto der re:publica - geht es um Liebe und Tod. Das stimmt auch, aber Pop sieht den Tod aus einer Warte, in der er weit weg ist. Eine Warte, in der er mit Romantik verbunden ist, nicht mit der banalen oder auch grausamen Gegenwart. Pop beschäftigt sich mit dem Tod zwar emotional, aber eben auch verklärt: Es geht dort nicht um den realen Verlust von realen Menschen. Der Tod ist in der Popkultur nur ein Symbol. Worum es uns geht ist nicht das, worum es in der Zeile "I would die for you" geht, die Brian Adams in einem Liebeslied singt um seiner Angebeteten zu erklären, wie groß seine Liebe ist.
Wir kommen alle früher als wir glauben in ein Alter, in dem der Tod den Schleier der Romantik ablegt. Ich werde dieses Jahr 50 und seit ein, zwei Jahren sterben Menschen, die mir nahe stehen, mit denen ich gearbeitet habe oder mit denen ich in der Schule war und das wird ab jetzt mehr werden und nicht weniger. Und eventuell bin ich auch angezählt und weiß es nur noch nicht, ich bin mir aber auf jeden Fall bewusst darüber, dass der weit längere Teil meines Lebens hinter mir liegt und nicht vor mir.
Ich würde mich daher freuen, mit Menschen darüber zu reden, wie wir mit dem Thema Tod umgehen wollen. Rein praktisch, aber auch emotional und kulturell. Ich glaube, dass es an der Zeitt ist, dass es hilfreich ist und dass es uns weiterbringt. Ich würde gerne über Möglichkeiten der gemeinsamen Erinnerung reden und darüber, ob und wie wir ganz konkret Hinterbliebenen helfen können, auch finanziell oder organisatorisch.
Ich werde die re:publica und euch auch ohne Session darauf ansprechen und freue mich, wenn ihr mich darauf ansprecht. Vielleicht bekommen wir ja eine Initiative auf die Beine gestellt und vielleicht können wir die dann im nächsten Jahr vorstellen.
Letztens hab ich drüber geschrieben, wie sich Eigenschaften, die mir früher Schwierigkeiten gemacht haben, heute als hilfreich erweisen. Dabei war mir eine weitere eingefallen, die ich nicht in den Artikel aufgenommen habe, weil ich nicht weiß, ob das eine gute oder eine schlechte Eigenschaft ist. Wahrscheinlich weder noch und auch ob sie irgendwie hilfreich ist, weiß ich nicht. Es ist halt einfach so.
Es geht darum, wie ich darauf reagiere, wenn es so laut wird, dass ich selbst auch nur noch laut herumbrüllen müsste, um mich noch verständlich zu machen: Das tue ich im Normalfall nicht, sondern ich gehe weg. Auf der rein physischen Ebene ist das die Situation in der Kneipe, in der man sich eigentlich gut unterhält. Dann aber glaubt jemand, dass es jetzt wirklich an der Zeit sei, die Musik doppelt so laut aufzudrehen, was dazu führt, dass alle, die gerade miteinander reden, anfangen müssen, sich anzuschreien. Was wiederum dazu führt, dass nicht nur laute Musik läuft, sondern ein massiver, durchgehender Geräuschteppich aus lauten Stimmen entsteht.
Das ist der Moment, an dem ich gehe. Oder wenn ich grade nicht gehen kann oder will, nichts mehr sage - ich höre ja eh nichts mehr sinnvolles ausser der ununterbrochenen Geräuschbrandung.
Warum erzähle ich das, außer dass es halt eine Verhaltensweise beschreibt, von der ich ausgehe, dass sie nicht so selten ist? Naja, ich beobachte ja auch, wie sich verändert, was, wie, wann, wohin und warum ich ins Internet schreibe. Und natürlich fällt mir auf, dass ich früher mehrmals am Tag Dinge ins Blog schrieb, mir viel mehr öffentlich Gedanken über tagesaktuelle Themen machte (oder zu manchen schien) und trotz dessen, dass ich mehr schrieb, alles viel plauderhafter gewesen ist.
Natürlich hat sich einiges von dem, was ich früher ins Blog geworfen habe, auf Twitter und Facebook und sonst wo hin verschoben. Aber auch dort schreibe ich ja inzwischen wesentlich weniger als noch vor ein paar Jahren. Und das geht grade nirgendwo anders hin, jedenfalls nirgendwo, wo man öffentlich was davon sieht. Allerdings: Das Plaudern, das ist wieder da, spielt sich aber komplett in einem anderen Format ab, nämlich drüben im Podcast. Da rede ich mit meinem Bruder oder mit Jan und das klappt wunderbar, weil da muss ich ja nicht laut sein oder die Umgebung übertönen. Und schon kann ich wieder reden.
Aber auf Twitter und Facebook halte ich inzwischen - im Vergleich zu früher - immer mehr die Klappe. Facebook ist immer noch gut, um ein bisschen seine Veranstaltungen zu koordinieren und mit den FreundInnen im lockeren Kontakt zu sein, aber es erinnert mich seit ein zwei Jahren an die Kneipe mit der zu lauten Musik und den Leuten, die sich glauben, anschreien zu müssen, damit sie sich gegenseitig noch hören können.
Natürlich schaute ich mir an, ob ich mich vielleicht insgesamt nicht mehr so viel mit Themen beschäftige, die mir mal so wichtig waren, dass ich Blogs und Social Media damit vollgeschrieben habe und stellte fest, dass das nicht stimmt. Ich schreibe nur nicht mehr drüber. Aber ich rede wieder mehr. Es ist, als ob ich vor 20 Jahren zum Reden ins Internet gegangen bin, weil ich Schwierigkeiten hatte, mit diesen lauten Menschen zu kommunizieren und jetzt gehe ich wieder zu den Menschen zurück, weil mir das Internet zu laut geworden ist.
Ich rede nicht weniger über Politik, Kultur, Musik, Gesellschaft und Stuff. Aber ich schreibe das nicht mehr "für alle" auf, weil ich nicht mehr das Gefühl habe, dass das gelesen wird. Es ist zu leise, zu unspektakulär, nicht laut genug dafür, im momentanen Geräuschpegel des Internets wahrgenommen zu werden. Und anfangen zu brüllen werde ich hier genausowenig wie in zu lauten Kneipen. Ich schreibe keine Rants, ich mag nicht polarisieren, ich greife niemanden persönlich an, nur um dadurch die Spannung zwischen ihm und anderen zur Steigerung der Aufmerksamkeit zu nutzen. Deswegen hab ich auch keine Awards, nehme ich an, und find ich auch ok, weil Preise natürlich keine Anwesenheitsnote sind. Es ist allerdings nicht etwa so, dass ich nicht weiß wie es geht. Ich weiß ja auch, wie man in einen lauten Raum brüllt. Ich hab nur keine Lust dazu.
Da gehn wir lieber mal vor die Tür zum Quatschen, aber eben nur wir beide.
Irgendwie passt es ja, dass dieses Jahr der Mittelteil der neuen Star Wars Trilogie herausgekommen ist. Denn irgendwie fühlt sich dieses Jahr auch so an, als ob ich in einem Mittelteil eines Filmes mitgespielt hätte. Nachdem zunächst alles wirklich gut lief, kam ich ins Zweifeln, ergriff eine Gelegenheit, wieder in mein altes Leben zurückzukehren und stellte dann fest: Da geht es nicht zurück. Mehr noch: Ich will gar nicht mehr zurück. In der typischen westlichen Filmplot-Struktur ist das der 2. Akt: Der hört damit auf, dass der Hauptcharakter des Films einnen Rückzug macht und dabei natürlich scheitert, denn das ist die Stelle, an der er bemerkt, dass er die wichtige Entscheidung schon längst getroffen hat.
Insgesamt war das Jahr eigentlich eins der schönen Jahre: Es gab einen wunderbaren Urlaub, ich war auf coolen LARPs, ich habe wunderbare Freundinnen und Freunde mit denen ich schöne Dinge mache (zB auch einen inzwischen gut und regelmäßig laufenden Podcast, etwas, was ich seit Jahren haben wollte). Aber da über allem so ein bisschen das Gefühl schwebte, insgesamt in eine verkehrte Richtung zu laufen, war ich viel mehr genervt, besorgt und schlecht gelaunt als ich hätte sein müssen. Dafür maßgeblich verantwortlich war meine Entscheidung, mich noch mal anstellen zu lassen. Nicht falsch verstehen: Die Firma war top und die KollegInnen super. Aber es passte einfach nicht. Das passiert, wir waren uns darüber auch beidseitig einig und ich überlegte, warum es nicht passte. Der Grund war, wie ich mit dem Plot-Gleichnis versucht habe, zu bebildern: Ich bin eigentlich schon auf dem Weg ganz woanders hin, auch wenn ich das Anfang des Jahres noch gar nicht wusste, als ich die Vorstellungsgespräche hatte. Natürlich ist es müßig, sich darüber zu ärgern, aber so ein bisschen tu ich es doch, denn diese vier Monate haben mich mehr als nur aufgehalten. Sie haben mich zurückgeworfen und ich bin jetzt sehr darauf aus, diesen Setback wieder aufzuholen.
Zugenommen oder abgenommen? Gleich geblieben, meine ich.
Haare länger oder kürzer? Auch gleich geblieben.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Jaja, auch gleich geblieben.
Mehr bewegt oder weniger? Weniger und dazu leider ungesünder. Dafür weiß ich jetzt, dass Laufen definitiv nicht meins ist, wenn ich nicht 2 Wochen lang Schmerzen im Knie haben will.
Mehr Kohle oder weniger? Weniger. Der Ausflug ins Angestelltenverhältnis hat mich auch finanziell ein gutes Jahr zurückgeworfen.
Mehr ausgegeben oder weniger? Mehr, weil dieses Jahr eine Woche Urlaub dran war. Eine Woche! So lange war ich seit 2007 nicht mehr weg.
Der hirnrissigste Plan? Mich noch mal anstellen zu lassen. Erstaunlich, wie man nach nur einem guten Jahr Selbständigkeit merkt, wie eingeschränkt man in einer Firma ist.
Die gefährlichste Unternehmung? Gefährlich war dieses Jahr zum Glück nichts. Ein gewisses Risiko war es wohl, aus dem Job wieder ins Freelancertum zurückzugehen ohne Reserven und erste Aufträge. Ich hab das mit Einparken bei Vollgas verglichen. Ich wusste aber, dass länger warten alles nur noch schwieriger machen würde.
Der beste Sex? Ich kann nicht klagen.
Die teuerste Anschaffung? Eine Steuerberaterin.
Das leckerste Essen? Fisch in Irland.
Das beeindruckendste Buch? Ich habe dieses Jahr zwar wieder etwas mehr gelesen, aber tatsächlich eher alte Bücher, die ich in meiner Jugend gelesen habe, wie zum Beispiel Robert Heinleins 'Die Katze, die durch Wände geht'.
Der ergreifendste Film? The Last Jedi. Eventuell gar nicht so sehr wegen der Story, die ist halt typisch Star Wars - inklusive der üblichen Plotholes und Zufälle (meine Güte, nach acht Filmen sollten die Leute sich doch dran gewöhnt haben und wenn nicht, warum schauen sie sie dann trotzdem immer wieder?). Nein, wegen Carrie Fisher. Ich habe jede einzelne Szene mit ihr geliebt und der musikalische Tribut am Ende war hart, weil er klar machte, dass man sie jetzt nie wieder in einem neune Film sehen wird. Always my Princess, always my General.
Das schönste Konzert? Dieses Jahr war das erste Jahr seit sehr langer Zeit, in dem ich auf keinem Konzert war. Das muss 2018 anders werden.
Die meiste Zeit verbracht mit...? Gefühlt dem Zahnarzt. Ich hab mir mit einem Körnerbrot ein Stück Backenzahn abgebrochen und war danach fünf Mal beim Zahnarzt, weil der natürlich zig andere Sachen gefunden und behandelt hat. Ja, musste auch alles sein.
Die schönste Zeit verbracht damit...? Auch dieses Jahr: Babysitten. Eine Woche Luna auf dem Conquest betreuen.
Vorherrschendes Gefühl 2017? Anspannung. Erst wegen des Jobs, dann weil der Job nicht das richtige war, dann weil ich bei Vollgas einparken muss (was immer noch im Gange ist).
2017 zum ersten Mal getan? In der Probezeit die Firma verlassen. Auf einer Bühne Klavier gespielt und gesungen.
2017 nach langer Zeit wieder getan? Ich glaube nicht, dass ich dieses Jahr irgendwas gemacht habe, was ich lange Zeit nicht getan habe. Vielleicht "an die Schulzeit denken", da vor einigen Wochen eine Klassenkameradin verstorben ist und wir das zum Anlass nahmen, ein paar alte Fotos herauszukramen und zu teilen.
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? 1. Meinem Bauchgefühl nicht getraut zu haben und einen Job anzunehmen, der nicht der richtige war. 2. Zahnarzt. 3. Dass Netflix Sense8 absetzte.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Dass Erinnerung wichtig ist.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Ein unerwartetes Kompliment an Karneval.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Besagtes Kompliment.
Heute schreibe ich mal wieder so wie bloggen früher war: Ein bisschen Nabelschau und Selbstreflexion, ein bisschen was über früher und heute.
Ich schreibe ja schon seit jeher viel auf - vor allem in Tagebüchern und Kalendern - und beim Herumblättern fand ich einige Themen, mit denen ich früher extrem viel gekämpft habe, die mich heute aber nicht mehr in Schwierigkeiten bringen (täten sie das immer noch, würde ich wahrscheinlich nicht darüber bloggen). Bei der Überlegung, was sich geändert hat, habe ich bemerkt, dass viele Eigenschaften, die früher für Probleme gesorgt haben, heute noch da sind, aber dass ich sie anders nutze. Drei davon hab ich für diesen Eintrag mal herausgegriffen:
1. Aversion gegen Wiederholungen
Das war diese eine Eigenschaft, die mich am längsten schlechter leben ließ: In der zweiten Klasse fiel meine Begeisterung für die Schule rapide ab, nachdem unsere Lehrerin ständig Diktate ansetzte und das schulische lernen, das ja vor allem auswendig lernen war, ist für mich fast körperlich schmerzhaft gewesen. Hausaufgaben habe ich selten gemacht, weil ich mich einfach nicht dazu durchringen konnte, Dinge, die im Unterricht schon mal besprochen und geübt wurden, stupide mit immer weiteren Varianten zu wiederholen. Ich habe nach dem Zivildienst im Krankenhaus gearbeitet und musste irgendwann aufhören, weil ich mich schon bei der Hinfahrt in einer verzweifelten Stimmung befand ob der Aussicht, jetzt einen ganzen Tag lang Dinge zu tun, die ich schon tausend mal gemacht habe. Ich würde (auch heute noch) auf keinen Fall irgendwo hin umziehen, wo ich schon mal gewohnt habe, weil ich das als schrecklichen Rückschritt empfinden würde.
Mit fortschreitendem Alter jedoch konnte ich feststellen, dass diese Aversion mir extrem zu Gute kommt. Da ich dieser schmerzhafte Repetitivität, die es nun mal hier und da immer gibt und geben wird, mit der Aufnahme von möglichst vielen Informationen entgegenwirke, bin ich immer über sehr viele Themen gut bis halbwegs gut informiert. Das schöne daran, dass ich das seit nunmehr Jahrzehnten tue ist, dass ich Entwicklungen und Prozesse nachvollziehen und erklären kann, von denen viele andere Menschen nur Bruchstücke kennen - ich habe völlig aus Versehen eine gut funktionierende Kontextdatenbank im Kopf und möchte gerne, dass sich alles immer weiterentwickelt, verbessert und voran kommt.
Der andere - noch viel wichtigere - Vorteil ist, dass ich mit fast 50 Jahren keine Angst vor Veränderung habe. Im Gegenteil, mir geht es gerade gar nicht schnell genug, ich ärgere mich über so viel Stillstand an Stellen, an denen eigentlich dringend was getan werden muss. Ich fühle mich so beweglich wie nie zuvor, auch weil ich aus dem eben erwähnten gesammelten und ständig aktualisierten und erweiterten Wissen die Sicherheit spüre, dass ich gut genug Bescheid weiß, um nicht nur mithalten zu können sondern sogar vieles von dem zu pushen, was mir wichtig erscheint. Es kommt nicht vor, dass ich wegen Veränderungen jammere oder auf die Bremse trete und ich denke, dass das auch den Beziehungen zu Gute kommt, die ich hatte und habe.
2. Gelassenheit
Wie kann das eine Eigenschaft sein, die einem Probleme macht? Nun, wenn man sie nicht erkennt und kanalisiert, hat man einen Menschen, der sich anscheinend über nichts richtig freut, der nie total überrascht ist, der anscheinend keinen Enthusiasmus zeigen kann und der viel zu spät "Oh, das freut mich." sagt, als dass das noch als spontane Reaktion rüberkommt und nicht als Pflichtschuldigkeit. Und es stimmt, ich war sehr lange nicht besonders gut darin, Begeisterung (oder andere Überschwänglichkeiten) zu zeigen, selbst wenn ich sie verspürt habe. Was das angeht, habe ich aber inzwischen Ausdrucksformen gelernt und nutze sie auch - ich würde mal sagen, dass das heute niemand mehr mit Interesselosigkeit oder Gefühlskälte verwechselt.
Das liegt auch daran, dass ich bei der Beschäftigung mit dieser Eigenschaft erkannt habe, dass meine Zurückhaltung auch gute Seiten hat und nicht nur mir, sondern auch anderen sehr helfen kann, denn sie bewirkt ein hohes Maß an sehr beruhigender Akzeptanz: Ich weiß, dass vieles schwierig ist. Ich habe einige Dinge, die mir täglich Sorgen machen. Ich habe Freundinnen und Freunde, denen es genauso oder zuweilen auch noch schlechter geht und es gibt diesen Punkt, an dem Angst und Panik überhand nehmen. Das passiert dann, wenn es immer wieder ein neues Problem gibt, nie ein Problem alleine auftaucht und weil es zuweilen wirklich haarig wird, wenn schon wieder neue Schwierigkeiten kommen, während man noch dabei ist, andere zu lösen oder mit ihnen klar zu kommen.
Meine Erfahrung nach nunmehr 49 Jahren ist: Dass es immer wieder neue Probleme gibt wird sich nie ändern. Das ist offensichtlich das Leben wie es ist. Diese Erkenntnis führte allerdings nicht dazu, zu verzweifeln, sondern dazu, es zu akzeptieren und das wiederum führte dazu, dass ich in meinen besten Momenten lächelnd im Chaos stehe und in Ruhe ein Problem nach dem anderen löse. Erst das wichtigste, dann die, die ich lösen kann. Und dann mache ich mir vielleicht mal Gedanken über die, die ich nicht lösen kann. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, ich habe nie Panik oder Ängste, aber ich kann sagen, dass Panik und Ängste mir nie dabei geholfen haben, Probleme zu lösen. Gelassenheit aber schon.
3. Introvertiertheit
Wenn ich diese Myers-Briggs Tests machen muss, kommt immer INTJ raus und mein Exchef wunderte sich darüber, weil er mich überhaupt nicht als "Introvertiert" eingestuft hat. Wegen Eigenschaft 1 konnte ich ihm erklären, dass es sich bei solchen Tests nicht um Persönlichkeitsprofile handelt und daher nicht das Verhalten bestimmt wird - das I und E in der Skala zeigt nur an, ob Interaktionen anregen oder stressen - und mich stressen sie. Nichtsdestotrotz mag ich sie inzwischen, weil ich mit der Zeit darin immer besser wurde und mein Beruf basiert inzwischen darauf, da mich der ständige bewusste Umgang damit und die damit lange Übung zu einem guten Beobachter und Berater gemacht hat.
Auch eins meiner wichtigsten Hobbies - das LARP - basiert darauf, sogar noch viel weitgehender als mein Beruf, denn im LARP geht es zum Teil darum, Extremsituationen zu provozieren und zu erfahren, was man im echten Leben niemals tun würde (was, wie ich gerade merke, eine Erweiterung der ersten Eigenschaft ist, denn mit der Zeit wiederholen sich natürlich auch emotionale Situationen).
Da sowas aber immer noch schnell meinen Energiehaushalt erschöpfen kann, habe ich gelernt, regelmäßig auf die Einhaltung von Abstand zu achten. Ich nutze dafür viele Auszeiten aber auch zum Beispiel diese Technik, die auch bestimmt in irgendwelchen Lebensratgebern beschrieben ist und bestimmt einen fancy Namen hat: Wenn ich merke, dass ich mit einer Situation nicht klar zu kommen drohe - ob im Kleinen, wie der typische sensory overload auf einer Veranstaltung oder im Großen, wie ungefähr das ganze Jahr 2015 - setze ich mich eine halbe Stunde hin und entkoppele mich von allem. Ich atme regelmäßig und tief, entspanne den Körper und stelle mir vor, alles um mich herum entfernt sich von mir. Alles wird leiser und kleiner und ist nur noch am Horizont sichtbar. Ich habe nichts mehr damit zu tun. Dann stelle ich mir vor, die ganze Erde, auf der all diese Dinge ohnehin schon weit weg von mir sind, entfernt sich von mir (oder ich mich von ihr), bis auch die nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne ist.
Dann habe ich nur noch mich und kann mich spüren. Es geht überhaupt nicht darum, Entscheidungen zu treffen, wichtige Überlegungen anzustellen oder sonst was zu erreichen. Es geht ausschließlich darum, dass ich merke, dass ich noch da bin. Dass es mich gibt. Wie ich und nur ich mich anfühle, ohne die ganzen Reflexionen von außen. Wenn ich mich lange genug (und das lange genug wirklich abzuwarten ist wichtig) wieder wahrgenommen habe, lasse ich mich wieder zur Erde absinken und ziehe den leeren Raum zwischen mir und meiner Umgebung wieder zurück. Dann öffne ich die Augen und gehe zurück in die Situation, aus der ich mich gerade zurückgezogen habe und etwas interessantes passiert: Ich bin konzentriert und voll anwesend, habe ein klares Bild davon, was passiert und kann vernünftig und ruhig darin agieren und reagieren.