Meine These zur neuen Urheberrechtsgesetzgebung und deren Artikel 11 und 13 ist ja, dass die gesamte Novelle vor allem ein Versuch ist, das Internet so umzugestalten, dass es zu einem, - sagen wir mal - konservativerem Verständnis davon, wie Medien funktionieren, passt. Wir hören ja grade sehr oft "die haben das Internet nicht verstanden". Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Die Leute, die zb Axel Voss selbiges vorwerfen haben sein Konzept von Medien, Urhebern und Konsumenten nicht verstanden.
Hier hat jemand eine Stunde lang mit Axel Voss telefoniert und ich finde, dass das meine Vemutung bestätigt. Es geht in der Novelle um die Festlegung der Vorstellung, dass Nutzer nie Urheber sondern immer Konsumenten sind, Urheber ist man nur, wenn man einen Verlag hat und Plattformen sollen Verlegern keine Konkurrenz machen. Letzteres ist wichtig, da Plattformen mit der Verbreitung von Nutzerinhalten quasi wie Verleger agieren und Nutzer damit zu Urhebern machen.
Es geht um die Festlegung eines Status Quo. Einer Konstruktion wie Medien- und Contentdistribution funktioniert, die nun auch im Netz gelten soll, nämlich dass Nutzer nie Urheber sondern immer Konsumenten sind und man nur Urheber ist, wenn man einen Verlag hat. Plattformen sollen Verlegern also keine Konkurrenz machen. Letzteres ist wichtig, da Plattformen mit der Verbreitung von Nutzerinhalten quasi wie Verleger agieren und Nutzer damit de facto auch zu Urhebern machen.
Es geht darum, den Verlagen die Hoheit über die Verwertung von medialen Inhalten zu bewahren. Der Zweck der Ziffern 1 und 2 Artikel 13, der sagt, dass Plattformen quasi pauschal Lizenzen abschließen sollen ist nicht, dass Verlage irgendwie von Plattformen noch ein bisschen Geld einkassieren können (auch wenn dieser nette Nebeneffekt sicher nicht schmerzt), sondern dass Plattformen eine ganz klare und eindeutige Position in der Medien-Struktur zugeteilt wird und zwar die, die sich Verlage wünschen: Die der Hersteller von Musikkassetten in den Siebzigern, die eine Pauschalabgabe in den Verkaufspreis auferlegt bekamen, weil man damit copyrightgeschütztes Material vervielfältigen konnte.
Auch der wenig besprochene Artikel 12 belegt das: Da geht es darum, dass Verlage sogar an den Ausschüttungen beteiligt werden, die für Urheber gedacht sind. Etwas, was vor ein paar Jahren abgestellt wurde und nun über diese Bande wieder eingeführt wird. Dass Verlage und Verwerter sich regelmäßig selbst als "Urheber" bezeichnen, stützt deren Anspruchshaltung, Ausschüttungen zu erhalten, die den eigentlichen Kreativen vorbehalten sind.
Aber, und das haben Leute wie Voss übersehen und deswegen ist der Protest so groß: Das betrifft eben nicht nur die Plattformen, sondern auch ganz massiv die Nutzer*innen, die die Plattformen inzwischen schon lange nutzen, um so selbst Urheber*innen zu sein, ohne von Gatekeeper-Verlagen abhängig zu sein. Das ist, was "die nicht verstanden haben". Und auch die junge Generation, die für die Medienstruktur auf die Straße geht, hat das nicht verstanden weil für sie die "alte" Struktur fast ebenso gar nicht existiert, wie für die Verteidiger der alten Gatekeeping-Struktur die "neue".
Deswegen halte ich auch die Überraschung der Konservativen über die Mobilisierung der Nutzer*innen für echt. Natürlich müssen die glauben, dass das "Bots" sind oder dass die Plattformen ihre Nutzer*innen "steuern". In Wirklichkeit lassen sich die Politiker*innen aber von Verlagen steuern, denn die wissen sehr genau, dass diese neue Struktur existiert und sie wollen sie los werden.
Zum sechzehnten mal der Fragebogen, wie immer kurz vor Weihnachten.
Nachdem ich vorletztes Jahr eigentlich schon auf dem richtigen Weg war, hatte ich mich 2017 ja dummerweise im Job vertan und mich dadurch wieder ein ganzes Jahr zurückgesetzt. Und es gibt nichts frustrierendes für mich, etwas, was ich eigentlich schon gemacht habe, noch mal machen zu müssen, daher ist die Grundstimmung dieses Jahres ein bisschen unfair gegenüber dem Erreichten.
Ich hab meine Selbständigkeit nämlich inzwischen durchaus wieder genau da wo ich sie haben will: die Kohle reicht - obwohl ich durch einen auftragsmäßig schlechten Sommer hindurch musste und eine unglaubliche Menge Steuern fällig waren (2016 war ja nun mal ein gutes Jahr) -, ich habe am Ende des Jahres viele wirklich interessante Aufträge und ich bin sogar insgesamt ein gutes Stück weiter, als ich dieses Jahr kommen wollte. Es ist also eigentlich alles gut, wenn nicht sogar super. Der Weg hier hin fühlt sich aber zäh und langsam an, weil drei Viertel davon aus dem Aufholen des Rückstands bestand, den ich letztes Jahr verursacht habe und dabei immer die nächste Zahlungsdeadline drohte. Das letzte Quartal allerdings war, als ob sich die Bremsen gelöst hätten - was sie auch waren, denn die Rückstände sind aufgeholt und die Rechnungen bezahlt - und ich fahre grade mit ordentlich Rückenwind und ohne Ballast ins nächste Jahr hinein, daher bin ich mit 2018 wirklich viel zufriedener als es sich im Moment noch anfühlt.
Zugenommen oder abgenommen? Etwas abgenommen, meine ich.
Haare länger oder kürzer? Erst wieder etwas länger, inzwischen aber wieder kurz.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Gleich geblieben.
Mehr bewegt oder weniger? Ich denke mal, mehr. Es ist aber nicht wirklich so, dass ich irgendwas tue, was man als "Sport bezeichnen könnte Ich gehe einfach nur möglichst alle Strecken zu Fuß, die unter vier Kilometer sind.
Mehr Kohle oder weniger? Eigentlich mehr. Aber der größte Teil des Jahres war ein ständiger Wettlauf mit dem Finanzamt.
Mehr ausgegeben oder weniger? Kommt drauf an, was man als Ausgabe bezeichnet. Wenn man eine mittlere fünfstellige Summe für Steuern und Vorausszahlungen dazurechnet, wars wesentlich mehr. Wenn nicht: Wesentlich weniger, denn ich hatte echt kein Geld übrig für Firlefanz. Oh, und da ich Anfang des Jahres das Auto abgeschafft habe hab ich auf jeden Fall einiges gespart. Die Karre fehlt mir auch nicht. Ich hab dieses Jahr nur ein eiziges mal ein Auto gebraucht und da hab ich mir eben eins per Flinkster geholt.
Der hirnrissigste Plan? Dieses Jahr hab ich mich vor hirnrissigen Plänen gehütet. Es hat keine Stelle gegeben, an der ich ein Risiko hätte eingehen können.
Die gefährlichste Unternehmung? Konnte ich nur im Nachhinein sehen: In dem Jahr seine Selbständigkeit wieder aufzubauen, in dem es einen Sommer gibt, an dem absolute Stagnation herrscht. Das konnte man nicht ahnen, aber die kommunikative Stille nach der Einführung der DSVGO war wirklich erstaunlich.
Der beste Sex? Das war dieses Jahr wirklich nicht, was mich beschäftigte, aber Danke der Nachfrage.
Das beeindruckendste Buch? Dieses Jahr mal ein Comic: Ms. Marvel.
Der ergreifendste Film? Gestern hab ich Aquaman gesehen und fand ihn an der Grenze zu grandios in seiner überbordenden Opulenz. Überhaupt, dieses Jahr gabs ja jede Menge opulente Blockbuster von Solo, Jurassic World, Phantastic Beasts bis Infinity War. Allerdings hat mich davon kaum was beeindruckt (Infinity War war ok, Solo war so mittel und muss man eigentlich nicht gesehen haben, die anderen hab ich selbst nicht gesehen). Ergreifend fand ich dann tatsächlich Bohemian Rhapsody. Ich hatte auf Facebook was drüber geschrieben (auf englisch, daher hab ichs nicht ins Blog gesetzt):
We saw Bohemian Rhapsody yesterday. I know that a lot didn't happen the way they show it for the sake of the naarative and i certainly missed some important things (i.e. the significance of the Queen Army and how close they were to their fans). But it reminded me of so many small things we all were quite aware and cared for back in the eighties - the sheer appreciation of four people giving everything to always be on the absolute top of every musical quality standard without any compromise. The disgust about the way, a bigot media industry creates drama and divisiveness for cheap profit. The feeling of absolute triumph as we sat watching the LiveAid concert back in the day and Queen rocketed it from a mediocre popshow to a legendary event in just twenty minutes.
And even if the movie gets quite openly too biased some times and it kind of takes revenge ending up painting a more demonizing picture of Prenter than he was: This fictionalized characterization was exactly what was needed to make a point and have the last word about him. This guy fed Freddie to a scandal hungry press that had no sense of empathy or kindness and Penter tried very hard to destroy him after the breakup. And now everybody knows, because he is the villain of the movie now and Freddie will always be the greatest performer we ever had.
I also kind of "liked" the reminder, that just 30 years ago finding out and accepting to be gay or bi was so dangerous and afflicted with doubts, shame and struggle because the state of society, upbringing, lack of information and so often lack of support made it so much harder back then. And despite we are grown quite a bit as humans its still so much to do, because in the core of our world so much of this still exists. It was painful to watch and i guess that's how it should be. And of course the music and sound was fantastic.
Die beste Musik? Das "beste CD" hab ich jetzt mal geändert. Ich kaufe allerdings immer noch lieber Musik am Stück als Album statt irgendwelche Streaming-Playlists zu hören. Dieses Jahr ist mein Lieblingsalbum Dirty Computer von Janelle Monáe.
Das schönste Konzert? Nachdem wir letztes Jahr seit langem keinen gemeinsamen Konzertbesuch hatten, waren Astrid und ich dieses Jahr wieder unterwegs, und zwar in Heerlen bei der Aufführung der Carmina Burana von Les Fura des Baus.
Die meiste Zeit verbracht mit...? ...dem Wettlauf gegen Finanzamtdeadlines. Hat zum Glück jedes mal geklappt. Wobei das nicht wirklich was mit Glück zu tun hat sondern damit, dass ich wohl ganz gut Nerven behalten kann, je knapper es wird.
Die schönste Zeit verbracht damit...? Mit einem halben Jahr Verspätung endlich unser Zeitgeist LARP durchzuziehen und zu sehen, dass die Idee, ein LARP im Ghostbuster-Setting zu veranstalten, in dem ständig zwischen Siebzigern und Neunzigern gewechselt wird, jede Menge neue Mechaniken zum Einsatz kommen, ein erklecklicher technischer Aufwand betrieben wird und mit alledem persönliches Drama und - durchaus politische - Bedeutung zu erzeugen, wirklich gut funktionieren kann. Wenn etwas, worauf man eineinhalb Jahre hingearbeitet hat, dann tatsächlich stattfindet und auch noch allen beteiligten einen riesen Spaß macht, ist das ein großes Glück.
Vorherrschendes Gefühl 2018? Frust. Ich hab oben schon erklärt, warum. Und es ist eigentlich auch unfair, weil er viel zu viel überstrahlt, was wirklich schön war. In Wirklichkeit war es ein gutes und wichtiges Jahr (im Gegensatz zu einigen wirklich frustrierenden Jahren, bei denen ich im jeweiligen Jahresrückblick immer versucht habe, noch was positives rauszuholen) und ich hoffe, dass das Gefühl des Frustes irgendwann abklingt und die vielen schönen Erlebnisse bzw. die vielen coolen Dinge, die wir an den Start gebracht haben, die vorherrschenden Erinnerungen sein werden.
2018 zum ersten Mal getan? Ein Büro eröffnet. Wobei es noch nicht nicht eröffnet ist - ich nehme an, dass wir im kommenden Februar die Einweihungsfeier machen. Und bei Alarm für Cobra 11 mitgespielt - hm, auch das kann man erst nächstes Jahr sehen. Mich bei einem LARP in Spanien angemeldet... hm, das findet auch erst nächstes Jahr statt.
2018 nach langer Zeit wieder getan? Tapeziert.
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? 1. Steuern für 2016 zahlen. 2. Steuervorauszahlungen 2018 zahlen. 3. Den komplett bewegungslosen August.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Manchmal ist es wichtig, anderen zu erzählen, was sie alles geschafft haben. Wie weit sie schon gekommen sind, übersehen manche nämlich gerne mal, vor allem wenn das Leben gerade über einen langen Zeitraum anstrengend ist (und man dabei nicht meine Schneeschipp-Mentalität hat). Da ist es dann gut, wenn jemand mal aufzeigt, wie viel Wegstrecke schon hinter einem liegt. Das hab ich dieses Jahr bei Menschen, die mir wichtig sind, öfter übernommen.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Hört sich jetzt sicher cheesy an, aber tatsächlich bin ich am dankbarsten dafür, dass mich die Menschen die ich mag oft daran erinnern, dass sie mich auch mögen.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Im Gegensatz zur letzten Antwort ist das sehr banal, aber es war tatsächlich "Nimm Dir mal ab Oktober nichts mehr vor" und leitete einen der interessantesten Aufträge und Kunden ein, die ich bisher hatte.
Reden wir über den Herbst, denn der Sommer war - im Guten wie im Schlechten - relativ ereignislos: Es war sehr heiß und sehr trocken und letzteres leider nicht nur was das Wetter anging. Geschäftlich fand der Sommer quasi nicht statt. So sehr nicht, dass der August ein ungewollter Urlaubsmonat gewesen ist.
Pünktlich zum 1.September schaltete das Leben aber von ungeplantem Müßiggang direkt in sein Gegenteil um. Plötzlich sprudeln die Anfragen und Aufträge und ich kann mich seit dem nicht darüber beschweren, zu wenig zu tun zu haben. Aber so ist das Leben für Selbständige halt: Es ruckelt ein gutes Stück mehr hin und her als das bei einem Bürojob wäre und ich muss eben schauen, dass ich mir genug Polster weglege, um einen eventuellen nächsten schlechten August zu überstehen.
Auch, was ich inzwischen arbeite, läuft in die richtige Richtung: Ich habe das Gefühl, sinnvolle Dinge zu tun. Klassische Werbung und die typischen Agenturjobs kann ich jetzt gut ablehnen, ich habe inzwischen einige "eigene" Kunden, es geht um sinnhafte Themen, die mit sinnhafter Kommunikation unterstützt werden sollen. Das macht dann auch entsprechend Spaß und fühlt sich zuweilen auch gar nicht wie Arbeit an sondern als etwas , das ich gerne mache und dafür auch noch Geld bekomme. Die Lernkurve, um hierher zu kommen, hätte etwas weniger zäh sein können, aber ich bin gerade sehr zufrieden über die Richtung, in die alles läuft.
Ein LARP für Cobra 11
Die Arbeit hat mich dennoch nicht davon abgehalten, auf ein LARP zu gehen, das gar keins war, sondern Dreharbeiten für eine Folge von "Alarm für Cobra 11". Rund 70 LARPer*innen haben dafür auf der Eyenburg in Belgien so getan, als spielen sie ein Fantasy/Mittelalter-LARP und voraussichtlich im März kann man sich das dann im Fernsehen anschauen. Interessant dabei ist, dass die Zusammenarbeit der Produktionsfirma mit dem LARP-Verein Engonien e.V. sehr eng war und man durchaus glaubhaft versicherte, dass es hier nicht darum geht, LARP als eine Freakshow darzustellen.
Das war m.E. auch auf den Drehtagen spürbar. Man hatte nicht das Gefühl, dass sich da ein Drehteam auf ein LARP verirrt hat oder LARPer sich auf einem Drehort. Beides schien harmonisch und gut zusammen zu passen und allein dafür, sowas mal mitgemacht zu haben hat sich der Ausflug gelohnt (und dafür, dass ich weiß, das ich jetzt definitiv aus dem Alter bin, in Zelt und Schlafsack auf ner Isomatte zu schlafen, wenn es nachts schon richtig abkühlt).
Plötzlich 50
Ach ja, das Alter. Da war noch was. Der arbeitsreiche September hat dann auch dafür gesorgt, dass ich klammheimlich 50 geworden bin. Das war auch ganz gut so, ich bin mit dem, was ich mir dafür vorgenommen habe auch noch nicht ganz durch. Darüber, wie ich mit runden Geburtstagen verfahre, schreib ich (oder Podcaste mit Sven) aber etwas später noch mal ausführlich. Auch was feiern angeht, wird das irgendwann nächstes Jahr nachgeholt. Am Tag selbst hab ich mit Frauke auf dem Sofa herumgelümmelt und Eis gegessen und das hat auch völlig gereicht.
Mittelpunkt
Bleiben wir beim LARP. Letzte Woche fand - wie immer im November - der Mittelpunkt statt. Das ist eine kleine LARP-Konferenz, auf der es dieses Jahr vor allem um Professionalisierung ging. Das Thema zog sich in den letzten Jahren zwar auch immer irgendwie durch, aber nie so klar und eindeutig wie am letzten Wochenende. Jan und ich haben das natürlich ausführlich drüben bei We Know Kung Fu verpodcastet. Daher soll es das mit dem Verweis darauf auch gewesen sein.
Pläne
Neben Arbeit, LARP und zu wenig Zeit für Freund*innen beschäftige ich mich die letzten Wochen mit der Planung des nächsten Jahres. Ein Ergebnis davon ist, dass ich ab Dezember ein Büro haben werde. Allerdings ist das nicht irgendein Büro sondern eine ehemalige Kneipe in einem hübschen Haus in zentraler Lage in einer hübschen kleinen Stadt. Da ich nicht wirklich dringend ein Büro brauche dachte ich mir, dass es was sein sollte wo erstens nicht nur ich drin arbeite und zweitens, wo man mehr machen kann als nur arbeiten.
So wird das nun erstens eine Bürogemeinschaft mit lieben Menschen und zweitens eignet es sich hervorragend als Workshop-Location, für Lesungen und für Treffen aller Art. Immerhin war es eine Kneipe und mittendrin ist immer noch ein schöne Bar, die in den Raum hineinragt. Als wir das besichtigt haben sprudelten die Ideen nur so, was hier alles möglich ist. Und natürlich wird es eine Einweihungsparty geben, ich würde vermuten, im Februar.
Es gibt Verhalten, das nicht akzeptabel ist. Nehmen wir an, jemand kackt in der Öffentlichkeit ständig auf die Straße und erklärt, dass das sein gutes Recht sei und man ihn deswegen nicht gesellschaftlich ächten könne. Da würde niemand sagen, dass er damit recht hat und endlich tuts mal einer, dass man ihn deswegen echt nicht verurteilen könne oder gar, dass das zu kritisieren und ihn davon abzuhalten eine Provokation sei, die ihn erst recht dazu bringt, weiter auf die Straße zu kacken.
Das Problem ist, dass wenn man Leute, die permanent auf die Straße kacken - oder eben ständig ihren Rassismus zur Schau stellen - toleriert oder gar Verständnis dafür signalisiert, man ihre Taten und Äußerungen aus dem Bereich des gesellschaftlich geächteten Verhaltens in den des akzeptierten verschiebt und das darf nicht passieren.
So muss man auch die Sprachformel betrachten, dass man verdammt noch mal kein Verständnis für Rassisten zu haben hat: Ich kann Verständnis haben für eine schwierige persönliche Situation. Für Fehler in der Erziehung die ein Mensch ausbadet. Für Bildungsdefizite die ihm in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft Zugang zu gesellschaftlicher Anerkennung verwehren. Für frustrierende Perspektivlosigkeit und Verzweiflung über seine nicht zu überwindende Existenzängste.
Aber auf die Straße kacken oder Rassismus bleibt davon unberührt und ich werde daher mit niemandem über irgendein anderes seiner Probleme reden, so lange er auf die Straße kackt oder sich rassistisch äußert, denn dass er damit aufhört ist die Voraussetzung dafür, dass ich in eine Interaktion mit ihm eintreten kann.
Dass plötzlich "uns" hier eine Art Holschuld zugeschrieben wird, diesen Leute irgendwie mit einer zugewandten Akzeptanz zu begegnen - also Leuten, deren Verhalten eben jenseits der Akzeptanzschwelle steht genau dieses Verhalten durchgehen zu lassen und mich erst mal um seine anderen Probleme zu kümmern - ist ein (ziemlich unsubtiler) rethorischer Taschenspielertrick, den jede*r kennt, die/der Menschen mit Suchtproblemen in der Familie hat. Alkoholikern kann man auch nicht helfen, indem man erst mal alle ihre anderen Probleme löst. Das ist kontraproduktiv, denn das signalisiert ihnen lediglich, dass sie weiter machen können wie bisher.
Was wir aber bei Rassisten und Neonazis tun ist das Gegenteil dessen, was ihnen helfen würde, wieder ein gutes und eigenständiges Leben führen zu können, denn wir laden sie sogar regelmäßig in Fernsehstudios ein und bringen ihnen bei, dass sie mit ihrem Verhalten in dem Bereich angekommen ist, in dem sich Briefmarken sammeln oder keine Fleischprodukte essen befindet: Manche machen das und wems Spaß macht, meine Güte. Aber erzähl doch noch ein bisschen von Deiner Wut. Klopapier?
Allein schon, dass sie nun auch in der Talkshow vor Millionen Zuschauern auf den Boden kacken oder ihre rassistischen Thesen erklären können ist der Sieg. Keine noch so gut geführte Diskussion wird das ändern. Der Rassist hat gewonnen, wenn man ihm zuhört. Dass man ihm vielleicht auch widerspricht, spielt für ihn keine Rolle. Er ist da angekommen wo er hin wollte: In die Mitte der Gesellschaft, ohne seinen Rassismus ablegen (oder zumindest verschämt verstecken) zu müssen.
Und deswegen ärgere ich mich darüber, dass man einem Sarrazin zuhört, dass der Spiegel morgen hunderttausende kostenlose AfD-Wahlplakate in den Zeitschriftenläden auslegt und dass ein Innenminister, ein Ministerpräsident und ein Verfassungsschutzchef rechtsradikalen Mobs mit semantischen Haarspaltereien zeigt dass sie einfach weiter machen können was sie wollen.
Wenn man mal vergleicht, wie es vor 10 Jahren auf der Straße aussah: Da konnte man noch gemütlich spazieren gehen. Heute tritt man alle paar Meter in den nächsten Kackhaufen. Das ist, was man davon hat, wenn man Leuten, die auf die Straße kacken nicht sagt: Hör auf damit oder verpiss dich!
eingetragen am Jun 5, 2018 von jensscholz in .. privat
Es ist einiges passiert in den letzten Monaten, daher fasse ich das mal wieder in einem Post zusammen.
Im März habe ich zwei Artikel über (Online-)Handel und Innenstädte geschrieben (diesen und diesen) und da diese beiden Artikel anscheinend einen Nerv trafen wurden sie zusammen gut 250.000 mal aufgerufen und bescherten mir so viele Kommentare wie seit Jahren nicht mehr. Es fühlte sich zwischendurch fast ein bisschen so an wie früher, als Blogs noch dieses Nervenzentrum im Netz war.
Allerdings hat sich doch auch einiges verändert, was ich zwar schon so stark vermutete, dass ich das als These schon länger verbreite, sich nun aber bestätigt hat: Die heute allgemein gängige Internet-Nutzung ist extrem zerstückelt, wenn nicht gar mikroskopisch fragmentiert. Kontexte werden nicht mehr erkannt - oder besser: gar nicht mehr gesucht - und wo ein Artikel steht oder wer ihn geschrieben hat spielt keine Rolle mehr. Menschen picken sich nicht nur überall kleine Informationsschnippsel zusammen sondern lesen sogar in zusammenhängenden Texten nur noch die Kernbotschaften. Wobei das nicht ganz stimmt: Sie picken sich einen Satz heraus, den sie einfach zur Kernbotschaft machen die sie hören wollen (oder der sie widersprechen wollen), egal ob er auch die des Autors ist oder nicht. Das Kommunikationsverhalten ist zusätzlich geradezu offensichtlich von krassen Projektionen gesteuert. Es ist fast so, als ob das Ich aus der Diskussion verschwunden ist und das Ego übernommen hat.
Kommen wir zu schöneren Dingen:
Zeitgeist
Foto: Martina Ryssel
Wir haben - nachdem wir es letztes Jahr verschieben mussten - unser Ghostbusters-LARP Zeitgeist durchgeführt und es war großartig. Dafür dass wir wirklich alles ein bisschen anders gemacht haben als man es in klassischen (und nicht so klassischen) LARPs gewohnt ist, hat es ausnehmend gut funktioniert. Wir hatten irrsinnig viel Technik angeschleppt und installiert, haben einen super creepy-en Upside-Down Raum gebaut, haben Spieler*innen mit Unmengen Props und Kostümen episodenweise hin und her in die Siebziger und Neunziger Jahre versetzt (wir haben sogar in allen Räumen Bilder der jeweiligen US-Präsidenten, Bundeskanzler und UN-Generalsekretäre aufgehängt und mit jedem Zeitwechsel geändert), eine ganz neue Methode ausprobiert, seine Spielcharaktere zu entwickeln und viele Methoden, die man eigentlich aus Minilarps kennt, in ein großes Wochenendlarp integriert. Es hätte uns also auch gut alles um die Ohren fliegen können.
Tat es aber nicht und so werden wir Zeitgeist nächstes Jahr hoffentlich zum zweiten Mal anbieten - natürlich trotzdem mit einigen kleinen und auch größeren Änderungen, weil natürlich auch einiges nicht geklappt hat und wir von den Spieler*innen wertvolles Feedback bekamen, das wir natürlich gerne in unser Konzept integrieren. Wer mehr darüber wissen will, was wir da eigentlich gemacht haben und auch ein paar Original-Töne der Teilnehmer*innen hören möchte: Jan und ich haben darüber eine komplette "We Know Kung Fu"-Podcast-Folge aufgenommen.
Die re:publica dieses Jahr war eine der besseren. Interessanterweise habe ich viel weniger Buzz darüber mitbekommen als sonst, so dass man eventuell meinen könnte, dass gar nicht so viel los war wie in den letzten Jahren, aber das täuscht - zumindest aus meiner Sicht. Denn: Ja, es gab nicht diese großen Leuchtturm-Vorträge über die alle redeten. Es gab keine krasse Erkenntnis, keinen netzideologischen Aufschlag und keine lautstarke Kontroverse. Und ich fand das prima. Ich war begeistert von dana boyds Opening Keynote, die meiner Meinung nach die beste Keynote war, die es je auf der re:publica gegeben hat, denn sie setzte darin quasi das Niveau fest, das dieses Jahr zu gelten hat. Sie erklärte, dass Dinge komplex sind, dass man sie mit Kontexten betrachten muss um sie zu verstehen und dass Idealismus und Schlagworte nicht ausreichen werden, um systemische Probleme zu lösen. Sie erklärte geschichtliche, soziale, technische und wirtschaftliche Zusammenhänge und ihre Wechselwirkungen und machte klar: Wenn wir hier weiter an Oberflächlichkeiten herumdoktern können wir uns vielleicht moralisch gut fühlen, aber verändern tun wir gar nichts.
Das schöne war, dass sich diese Ernsthaftigkeit und dieser Wille, sich um die wenig plakativen, aber essentiellen, komplizierten, verwurschtelten und nun mal nicht einfach zu lösenden Kernprobleme zu kümmern durch sehr viele Programmpunkte hindurchzog. Auch unsere Session - Wibke Ladwig, Nadja Zaboura und ich haben uns das Thema "Vom Tod in der Netz-Familie" vorgenommen - versuchte sich darin, erst mal einen Raum für die Probleme einer (digitalen) Gemeinschaft zu schaffen, die inzwischen in ein Alter kommt, in dem immer mehr Menschen plötzlich fehlen. Wir sind noch gar nicht an der Stelle, an der wir sagen können "So gehen wir damit um, dann klappt das schon". Wir sind erst an der Stelle, an der wir begreifen oder begreifbar machen müssen, dass wir irgendwie damit umgehen müssen. Wie Konstantin in seinem Artikel für die DW schrieb, ist es uns ganz gut gelungen, auf einer Veranstaltung mit 8000 Besucher*innen etwas Intimität zu erzeugen, worauf ich sehr stolz bin:
Etwas abgelegen vom allgemeinen Rummel liegt Stage T - hier geht es um den "Tod in der Netz-Familie", darum, dass Verstorbene im vernetzten Teil der Gesellschaft oft nicht mehr vorkommen...
Die Session wurde nicht aufgezeichnet, was auch gut war: Ich glaube nicht, dass die Offenheit und Verletzlichkeit, die dort von vielen gezeigt und von allen angenommen wurde möglich gewesen wäre.
Der kurze Rest
Ich habe ansonsten ein bisschen gearbeitet. Trotz der für das Geschäftsjahresende üblichen Ruhe konnte ich ein paar wirklich interessante Dinge machen - am meisten Spaß hatte ich bei einem Coaching für eine Agentur, die ich für Social Media Pitches fit gemacht habe. Nächste Woche bin ich in Mainz beim "Speed Consulting" von ZDF Digital. Vielleicht sehen wir uns da?
In den letzten paar Tagen war ich irgendwo in der hessischen Pampa. Wieder auf einem LARP, allerdings als Babysitter für das coolste zweieinhalbjährige Mädchen der Welt, deren Eltern dort beide arbeiteten.
Ich habe das Gefühl, dass es immer wichtiger für mich ist, mich um Dinge zu kümmern, die direkt um mich herum passieren. Meine ständige innere Unruhe, das Gefühl, immer auf der Hut zu sein und aufpassen zu müssen, dass alles irgendwie hinhaut - was leider auch oft begründet ist (heute kam der Steuerbescheid) - geht mir auf die Nerven. Ich mag jede Minute, in der ich mal mit lieben Menschen einen schönen Spaziergang machen oder ins Kino gehen oder auf einen Kaffee zusammensitzen kann. Das wäre mein Wunsch für den Sommer: Weniger stressiges irgendwie alles hinbekommen und mehr Leben.
Ich hab auf Twitter und Facebook einiges zur m.E. missglückten Implementierung der seit einigen Tagen "scharf" geschaltenen DSGVO geschrieben. Weil das dort in einer Weile aus den Timelines verschwindet, dokumentiere ich die Texte, die mir wichtig sind hier. Das bedeutet, dass das jetzt kein zusammenhängender Artikel wird, sondern mehrere Happen, die sich auf ein paar bestimmte Aspekte konzentrieren. Grundsätzlich bin ich kein Gegner von Datenschutz und nicht mal gegen die DSGVO und das BDSG. Meine Kritik richtet sich gegen die schlampige Implementierung, die ohne Not zu einer massiv unklaren Rechtslage für Einzelpersonen, Vereine und Initiativen führt und das Versäumnis, bestimmte Techniken und Methoden der Datensammlung für den Zweck der Erstellung von kommerziell genutzten Nutzerprofilen wirklich zu verbieten.
***
Mir ist die #DSGVO inhaltlich tatsächlich ziemlich schnuppe. Aber ich sehe, was die Implementierung verursacht: jede Menge Blogs sind abgeschaltet, Vereine und Initiativen löschen ihre Seiten und werden damit unsichtbar. Der Schaden ist da. Wo ist der Nutzen? Dabei ist es mir völlig egal, ob ein kleiner Blogger ein paar persönliche Daten von mir speichert. Was soll der damit machen? Datenschutz finde ich trotzdem wichtig: aber da reden wir über die Daten, die der Staat über mich sammelt. Der tritt mir nämlich im Zweifel die Tür ein. Und genau an dieser Stelle passiert gar nichts. Im Gegenteil. Behörden nehmen sich immer mehr Rechte, Daten von mir und über mich zu erheben und zu speichern.
***
Der Irrtum mit der #dsgvo ist ja, dass es darin darum gehen würde, Datenmissbrauch zu verhindern. Hätte man das tun wollen, hätte man ja nur Nutzungsarten, die man als missbräuchlich ansieht, verbieten müssen. So kann man das alles auch weiterhin, wenn man 5000 Worte Datenschutzerklärung im Keller aufhängt. Mehr noch: Dadurch dass man sich das vom Nutzer absegnen lässt, hat der hinterher sogar noch weniger Möglichkeiten, seine Datensouveränität wiederzuerlangen und natürlich werden die Betreiber sich wegen der Zustimmungspflicht direkt mal mehr Rechte beim Nutzer einholen als sie vorher hatten - schlicht aus dem Gedanken "Wenn ich eh fragen muss, kann ich ja auch gleich x und y dazu nehmen".
***
Die Juristen, die grade so milde lächelnd in Kolumnen und Interviews den Kopf über Menschen schütteln, die aus Angst vor der DSVGO Salz über die Schulter werfen (sprich: aktionistischen Quatsch machen) verstehen nicht, dass das Problem nicht die DSVGO ist sondern Juristen.
Menschen sind schon immer so. Was sie nicht verstehen, wird von uns in magische Handlungen übersetzt. Man ahmt halt das nach, was die "Weisen" tun: So entstehen "juristisch" klingende Distanzierungszauberformeln von Link-URLs, rituelle Gruppenadmin-Posts um sich ein wertloses OK der Gruppenmitglieder einzuholen und das erklärt natürlich auch diese AGB-Widerspruch-Votivbildchen, die einfach nicht totzukriegen sind (Es erklärt auch Pseudonachrichten und btw auch einen US-Präsidenten der seinen Job spielt wie eine TV-Show weil er in Wirklichkeit gar nicht weiß was er zu tun hat, aber ich will meinen eigenen Post nicht derailen).
Die Frage ist: Wer ist denn Schuld daran, dass wenn sich Menschen
1. an eine Verordnung halten sollen die sie schon juristisch gar nicht verstehen und das
2. in einer technischen Umgebung, die sie nicht in der Tiefe beherrschen um abzuschätzen, ob sie etwas falsch machen und dann
3. die "Spezialisten" - also die Techies und die Juristen - ihnen mit ihrer typischen Arroganz erklären, dass sie halt dann nichts in dieser Umgebung zu suchen haben und selbst Schuld sind wenn sie kein Jura- und Informatikstudium absolviert haben bevor sie was ins Internet schreiben,
sie dann aus lauter Verzweiflung halt Magie betreiben in der Hoffnung dass das mit dem Salz schon irgendwas bewirkt, wenn mans über die Schulter wirft, weil "Schaden kanns ja auch nicht"?
***
Ich mag Prantl und bin sehr viel häufiger seiner Meinung als nicht. Ich kann aber selbst dann meistens nachvollziehen, warum er etwas schreibt, wo ich anderer Meinung bin. Auch hier verstehe ich sein gute Absicht, dem Narrativ über aluhuttragende Datenschützer, die mit hysterischer Regulierungswut das Internet kaputt machen ein anderes entgegenzusetzen.
Aber er schummelt dabei, denn die neue Verordnung ist leider so schlampig implementiert worden, dass sie - zumindest im Moment - das Gegenteil von dem bewirkt was sie tun sollte: Es sind halt leider nicht die Dickfische wie Facebook und Google, die jetzt an die Leine genommen werden. Dazu hätte man Privatsphäre verletzende Techniken verbieten müssen, was nicht passiert ist. Man hat lediglich organisatorischen Aufwand verursacht. Den und die Anwälte, die da durchblicken, können sich Facebook und Google leisten, aber leider nicht die Feuerwehr Pusemuckel und Frau Müllers Strickblog. Und die sind es, die jetzt dicht machen, aus größtenteils zwar unbegründeter Angst da sie eigentlich gar nicht betroffen sind, aber wenn ein Gesetz von Datenschützern mit großem Jubel damit beworben wird, dass jetzt aber ratzfatz 20 Millionen Schadenersatz fällig sind, wenn man vergisst anzugeben, dass man ein Antispam-Plugin in seinem Wordpress hat, ist der Laie lieber raus und was bleibt dann übrig? Nur noch genau die Plattformen, Dienste, Medienseiten und Shops, die sich die Tracking und Profiling-Erlaubnis beim Nutzer abholen und dann ist es egal ob es ein oder 50 Scripte sind, die nachgeladen werden.
Das zweite Problem, das ich mit dem Text habe ist, dass die DSGVO im Gegensatz zu dem was er schreibt keiner einzigen Behörde die Datensammlung und -nutzung erschwert. Im Gegenteil, die berufen sich auf andere Gesetze (zB das POG) und können mit Hinweis auf "berechtigtes Interesse" die DSGVO sogar für die Begründung hinzuziehen, kein Optout zuzulassen.
Ja, kein Mythos: Jede Menge Blogs, Vereine, Initiativen, Foren, Privatseiten schließen. Einen kleinen Eindruck, wie schlimm es wirklich ist bekommt man hier.
***
Leute, die ihre Blogs abschalten so: "Ich mach dann halt jetzt alles auf Facebook". Klappt super, das mit dem Datenschutz.
Ich habe gestern über einen bestimmten Aspekt des Einkaufens geschrieben, nämlich den Normalfall: Der ganz normalen, unspektakulären Vorratskauf, den man immer und immer wieder machen muss, damit was zum Essen im Haus ist, man regelmäßig Duschen und Zähne putzen und immer frische Socken anziehen kann. Die Einkäufe, die man schnell hinter sich bringen will, damit man wieder Zeit für die Dinge im Leben hat, die einem Spaß machen. Lesen, Sport, spazieren gehen, liebe Menschen treffen, Klavier spielen...
...und auch mal ganz gemütlich bummeln und schöne Dinge shoppen gehen.
Wenn man mal absieht von den 80% Einkaufen gehen, weil man muss, gilt nämlich auch: Ich mag durchaus Shoppen - also das, wo ich mir im Gegensatz zum Einkaufen was gönne - oder es zumindest vorhabe. Ich gehe sogar gerne mit Freundinnen mit, wenn sie nach neuen Klamotten suchen. Das stresst mich dann auch überhaupt nicht, denn ich selbst brauche ja nichts. Ich flaniere gerne, ich stöbere in Buchläden, probiere Sachen an, quatsche mit Verkäuferinnen und Verkäufern im Schreibwarenladen über Polychromosstifte und Papiersorten. Und selbstverständlich ist es so, dass sich die Innestädte hier in den letzten vierzig Jahren stark verändert haben. Nur hat der Online-Handel damit zunächst mal überhaupt nichts zu tun.
Das "Innenstadtsterben" - und vielleicht muss man dafür auch wieder älter sein, um das zu wissen - ist nämlich nicht neu und wurde schon in den Achtzigern thematisiert. Die immer gleichen Ketten und Kaufhäuser übernahmen mit den aggressivsten Methoden, die man sich vorstellen kann, die Fußgängerzonen so dass es heute keinen Unterschied macht ob man die Frankfurter Zeil oder die Kölner Schildergasse lang geht. Öffentliche Plätze, freie Sitzgelegenheiten und andere Möglichkeiten der nichtkommerziellen Nutzung der Innenstadtbereiche wurden rigoros abgebaut weil die Leute ja gefälligst ihr Geld ausgeben und nicht herumlungern sollten. Flick und andere teils hoch korrupten Bauhaie bauten überall ihre Einkaufspassagen hin, die ein paar Jahre später der Reihe nach Pleite gingen. Das hat die Innenstädte schon lange bevor das Internet überhaupt in Deutschland Einzug gehalten hat, massiv zerstört und die "Traditionsgeschäfte" entweder direkt vertrieben oder ab diesem Zeitpunkt in eine prekäre Lage gebracht, in der sie sich zwar noch eine Weile hielten und zum Teil noch halten, aber nur unter immensen Mühen und dem Dauerstress des Unternehmens, dem ständig die Luft knapp ist.
Der Online-Handel hat da nicht mehr viel ausrichten müssen. Sicher hat auch der disruptiv gewirkt - vor allem da, wo Waren irgendwann nicht mehr auf Medien gekauft werden mussten wie Musik, Filme, Software, Bilder usw. Aber dieses tolle Spielzeugfachgeschäft an das man sich so wehmütig erinnert ist schon lange vorher von Großmärkten, Kaufhäusern und Toys'R'Us aufgerieben worden.
Der zweite Grund für den Untergang von Fachgeschäften ist auch schon seit den Neunzigern ein Thema, nämlich dass immer mehr Dinge erstens nicht mehr aus neutralen Einzelteilen bestehen und zweitens gar nicht mehr vom Laien repariert werden können. Konsequenterweise begannen die Hersteller auch noch selbst, ihre eigenen exklusiven Marken-Läden in die Einkaufsstraßen zu pflanzen. Die Eisenwaren- und Elektronikläden mit den mürrischen aber fachkundigen Besitzern, die einem eine Schraube für ein defektes Gerät auch mal zurechtfeilten verschwanden somit nicht, weil man im Internet einfacher bestellen kann. Sie verschwanden schon vor dem Internet und man bestellt inzwischen Elektroteile online, weil man sie einfach nirgends anders mehr her bekommt.
Wenn Gemeinden oder Städte hier nicht bewusst steuernd eingreifen, sterben die Einkaufsbereiche durch ganz altmodische unfaire Wettbewerbsmethoden: Ketten drängen die Einzelgeschäfte mit schönen Angeboten an Vermieter, durch Einkaufsrabatte ermöglichte Kampfpreise und auch schlichte Drohungen ("jetzt kriegen Sie noch was für Ihren Laden, wenn wir aber gegenüber eine Filiale eröffnen..") in Nebenstraßen, wo es keine Laufkundschaft gibt bis sie auch dort langsam verschwinden. Da ist kein Digitalisierungs-Menetekel nötig. Das hab ich in schon Anfang der Neunziger in Städten wie Pforzheim, Stuttgart und Karlsruhe live gesehen. Das ging ganz gut ohne Online.
E-Commerce, Amazon und Co bedroht aber dennoch jemanden, das ist aber nicht der "Traditionshandel", sondern jetzt geht's den Ketten-Filialen an den Kragen und da hält sich mein Mitleid in Grenzen. Es gibt halt immer den nächst größeren - oder geschickteren - Fisch. Das Fressen-und-Gefressen-Werden-Spiel haben die dreißig Jahre ganz gut selbst gespielt (und dass Medien den bei LeseIrnnen schöner klingenden Tante Emma Laden zum Online-Opfer erklären liegt vielleicht daran, dass besagte Ketten immer noch gute Anzeigen-Kunden sind).
Hin und wieder wurde aber eingegriffen. Manchmal rechtzeitig, manchmal nur halbherzig, manchmal war auch einfach Glück und Zufall im Spiel. Jedenfalls gibt es neben den komplett verödeten Pforzheims dieses Landes auch Städte, Gemeinden und Dörfer mit halbwegs okayen bis sehr gesunden Innenstadt-Leben. Ich habe das dieses Jahr mit Freude in Regensburg gesehen und in Neustadt and der Weinstraße. Ich sehe das auch hier in Köln. Natürlich kann man sich da die Hohe Straße und die Schildergasse schenken - Kaufhof, P&C, Deichmann, jeder Telcoanbieter, Media Markt, H&M, Pimkies, Zara und wie sie alle heißen... so austauschbar und öde wie in jeder anderen Stadt auch. Aber dann geht man halt ins Belgische Viertel und findet dort ein schönes Geschäft neben dem anderen. Kleine Buchläden, ungewöhnliche Klamotten, ausgefallener Sportkram, alles da. Und dazwischen Plätze mit Sitzbänken unter Bäumen und gemütliche Kneipen oder kleine Cafés. Ich hab zwar keine Ahnung, wie das dort entstanden ist, aber irgendwie hat irgendwer dort was richtig gemacht.
Wenn mans weniger alternativ haben will und mehr so gemütlich, kann man nach Nippes. Auch da gibts die schönen Plätze und kleinen Geschäfte. Und wenn mans doch wieder richtig kommerziell mit Marken und schick und bling haben will, aber trotzdem das Fachgeschäft sucht, gibts die Gegend um die Ehrenstraße. Das sind alles Ecken, in denen ich gerne mal mit etwas Zeit hingehe und vielleicht kauf ich mir ein Paar Schuhe, vielleicht ein Buch, vielleicht eine Jacke und vielleicht auch gar nichts sondern trinke zwischendurch 'nen Kaffee oder ein Kölsch.
Das kann Online mir nicht bieten. Dazu muss ich aus dem Haus und dort hin gehen. Aber dazu muss es dieses "dorthin" eben auch geben und wenn man dann mal genauer hinschaut gibt es sie auch: Die sind schon da, die schönen kleinen Läden in Regensburg und Neustadt, im Belgischen Viertel und überall sonst, wo sich entweder offiziell oder privat mal darum gekümmert wurde, wieder eine Struktur für den kleinen Einzelhandel zu schaffen. Und es gibt auch neue Geschäftsideen wie Popupstores, die wiederum unterstützt werden von lokalen News- und Online-Angeboten, die solche kleinen Läden und Szenen sichtbar und findbar machen. Es gibt oft genug sogar Online-Shops für die Menschen, die z.B. mal in einem Laden waren, aber nicht aus der Gegend sind. Ich habe schon tolle 1890er Larp-Klamotten bei einem kleinen Händler auf dem Fantasy-Markt in Speyer entdeckt und die passende Hose, die sie nicht da hatten, hinterher bei ihnen online bestellt. Das geht ganz prima, diese Offline und Online. Das muss sich nicht immer fressen, das kann sich auch prima ergänzen.
Überhaupt, Stichwort Märkte. Online kann nur gegen Dinge konkurrieren, deren Offline-Version von Menschen als anstrengender, lästiger oder hinderlicher empfunden wird. Das sieht man zum Beispiel an Flohmärkten. Natürlich gibt es eBay, aber es gibt auch immer noch Flohmärkte, weil eBay eben keine Konkurrenz zu Flohmärkten ist, auch wenn es sich da vordergründig um genau das Geschäftsmodell handelt wie bei einem Flohmarkt. Es wird aber nie den Flohmarkt ersetzen können, weil zum Flohmark das herumstöbern, anfassen und sich überraschen lassen gehört. Der Flohmarkt ist ein Event. Er hat ein Flair und eine Stimmung und wegen der gehe ich da hin.
Dasselbe ist mit Innenstädten. Wenn sie eine Stimmung und ein Flair hat, geht man da hin.
Wenn man nur was bestimmtes einkaufen muss, nicht mehr unbedingt.
Man kann also weiter über Amazon schimpfen oder für Gründe sorgen, dass Menschen wieder gerne in die Innenstädte gehen.
Und wenn man eine These sucht, die hinter diesen zwei Artikeln steht ist es die, dass der Mensch unterschiedliche und sich eventuell widersprechende Dinge möchte - im Falle des Kaufens von Dingen einmal ein Angebot für das einfache und bequeme Wegarbeiten von lästigen Verpflichtungen und einmal ein schönes oder überraschendes Freizeit-Erlebnis -, aber unsere Kommerz-Dynamiken oft zu schlecht darin sind, für mehrere Bedürfnisse gleichzeitig Lösungen anzubieten.
Ich lese ja seit 20 Jahren schon, das "Internet macht die kleinen Geschäfte kaputt". Ich las auch schon vor 40 Jahren, dass Supermärkte und Großmärkte die Tante Emma Läden vernichten. Die anonymen, kalten Konzerne vernichten das Einkaufserlebnis: kein persönliches Gespräch mehr mit der netten Verkäuferin hinter dem Schalter, die immer noch ein paar gute Ratschläge hat, was man mit der Packung Gries noch alles anstellen kann. Kein gemütlicher Bummel durch die sonnige Innenstadt über die Flaniermeile, auf der einem lächelnde Menschen begegnen und sich einen schönen Tag wünschen. Keine haptischen Extasen weil man Waren anfassen, Bücher blättern, Stoffe fühlen und Blumen riechen kann. Das ist, was in Gefahr ist. Was schon fast verschwunden ist und was gerettet werden muss, jetzt zur Abwechslung mal wieder vor dem bösen Amazon.
Ich erzähl euch jetzt mal, warum man normalerweise einkaufen geht: Man braucht Sachen - Nahrungsmittel, Waschkram, Klamotten. Oder man möchte bestimmte Sachen: Ein Buch, Musik, eine warme Winterjacke. Dann geht man los und kauft diese Sachen ein - dabei achtet man darauf, dass Preis und die Qualität im Verhältnis der eigenen Ansprüche an beides steht. Dann geht man nach Hause und räumt die Sachen da hin, wo sie hin gehören. Fertig. Das macht man bei den allermeisten Sachen, die man kauft, regelmäßig. Ich bin jeden zweiten Tag im Supermarkt, weil er vor der Haustür ist und ich mir daher den Luxus erlauben kann, in 15 Minuten eingekauft zu haben, ohne ein Auto zu brauchen und ein mal die Woche zum Großmarkt zu fahren, wie es meine Eltern noch taten - weil der Tante Emma Laden nunmal keine fünfköpfige Familie für eine Woche komplett mit Vorräten ausstatten kann.
Ich denke beim ganz normalen Einkauf - den Einkauf, den man immer und immer wieder macht - nicht ein einziges mal "Ach! Wie schön wäre es, wenn ich jede einzelne Ware, die ich brauche, bei einem Schalter bestellen würde oder mich darüber mit netten Verkäufern und Verkäuferinnen unterhalten könnte. Verdammt, Amazon hat mir das kaputt gemacht." Nein, ich denke "Hoffentlich gibt's keine Schlange an der Kasse." und mir ist schon die Frage nach der Paybackkarte zu viel lästige Konversation. Ich habe keinen Spaß beim Einkaufen. Ich spüre da keine Freude. Einkaufen ist kein Erlebnis. Einkaufen ist wie Wohnung putzen. Wenn ich eine Möglichkeit bekomme, diesen Vorgang noch schneller, einfacher und effizienter zu gestalten, dann mache ich das. Da ist nichts, was ich vermissen würde.
Sprich: Die ganze Argumentation basiert seit 40 Jahren auf einer falschen These, nämlich der, dass Einkaufen Spaß macht.
Was Großmärkte, Supermärkte, das Internet, Amazon tun, ist genau das, was ich möchte: Sie erleichtern mir Dinge, die mir lästig sind. Sie sorgen dafür, dass ich nicht in zig verschiedene Läden muss, erleichtern mir das Bezahlen (möglichst ohne vorher noch zur Bank zu müssen) und lassen mich schneller zu Dingen zurückkommen, die mir wirklich Spaß machen und die ich tatsächlich tun möchte.
Daher: Ja, Tante Emma Läden sind in der Theorie herzig. Ich bin aber noch nie in meinem Leben für den täglichen Einkauf in einen Tante Emma Laden gegangen und werde das auch nie freiwillig tun. Ich gehe auch nicht einkaufen, um Menschen zu treffen. Ich möchte auf keinen Fall von Verkäufern angequatscht werden und gehe daher nur im Notfall in kleinere Läden - dann aber sehr bewusst und mit viel Zeit. Ich kaufe Hosen im Klamottenladen und Schuhe im Schuhladen, weil ich die anprobieren muss. Ich kaufe ansonsten alles online, sobald online einfacher ist als offline.
Ich möchte über etwas schreiben, was mir bei der momentanen Reprise der Cambridge Analytica Geschichte auffällt. Denn, schon wieder oder immer noch ist der seltsame Glaube an das eine magische Wort, das im richtigen Moment ausgesprochen den Helden rettet (oder den Schurken zum Superschurken macht) und den entscheidenden Vorteil bringt, eine der Kernelemente der Story um eine Firma, die mit massiven Beweisen und Verdachtsmomenten konfrontiert ist, dass sie mit Datendiebstahl, Betrug, Erpressung und agressivsten Manipulationsmethoden weit außerhalb des auch nur ansatzweise moralisch Vertretbaren agierte.
Das Bild, das sich gerade abzeichnet ist: Cambridge Analytica behauptet, sie würde durch extrem schlaue Datenanalysen mikroskopisch exakte, auf einen psychologischen Angriffspunkt der EmpfängerInnen abgestimmte Werbeposts schalten und sie damit praktisch hirnwaschen und zum gewünschten Wahlverhalten zwingen. In Wirklichkeit arbeitet sie aber als skrupellose grey und black hat Lobbyagentur, holzen sich mit Betrug, Bestechung und Erpressung durch die Politik- und Medienlandschaft, um den Anschein zu stützen, ihre teure und einzigartige Methode sei so erfolgreich wie sie versprechen. Eigentlich bestätigen die Enthüllungen das ganz prima und passt dazu - wenn man im vorletzten Jahr etwas aufgepasst hat - wie krasse, unverhohlene Desinformation den Wahlkampf in den USA bestimmte. Und dazu, dass eben nicht Subtiliät den Erfolg populistischer Kampagnen ausmacht sondern das Gegenteil davon. Wie das eben letztes Jahr dazu schon erarbeitet wurde, nachdem die ersten hyperventilierenden Sensationsartikel durch waren.
Selbstverständlich wurde auch da schon erklärt, dass wir nichtsdestotrotz einige reale massive Probleme haben, deren Aufklärung und Aufarbeitung dringend notwendig sind: Probleme mit Plattformen wie Facebook, mit der Art, wie sie mit Daten arbeiten, mit den Wegen der Einflussnahme und Manipulation, mit dem digitalen Kontrollverlust und vielem anderen. Aber man erklärt mir schon wieder, wenn ich sage, dass Cambridge Analytica Hustenbonbons gegen Krebs verkaufen, dass es doch sein könnte, dass das ja durchaus auch ein magisches Hustenbonbon sein könnte, das vielleicht genau diesen einen wichtigen Ausschlag gegeben haben könnte, der Trump die Wahl gewinnen ließ.
Ein Problem, das meiner Ansicht nach immer wieder verhindert, dass sich um diese Probleme nachhaltig gekümmert werden kann - und das sich gerade wieder exemplarisch zeigt - ist der Verlust von Kontext, bzw das Weglassen davon, wenn über komplexe Sachverhalte berichtet oder diskutiert wird. Das kommt zB auch daher, dass der Onlinejournalismus Informationen schnell, prägnant und verdaulich aufbereiten muss (und dadurch der Weg vom Lesen zum klicken und teilen möglichst nur Sekunden dauert), aber dass es leider Themen gibt, die gar nicht derart kurz und prägnant auf eine griffige Überschrift eingedampft werden können, dass die dieser Anforderung genügen, ohne dass sie durch ihre Emotionalisierung, ihre Vereinfachung, ihre Zuspitzung und durch das Weglassen von Kontexten am Ende plötzlich "falsch" sind. Jede Meldung ist eine Einzelnachricht, ein neuer Aspekt eines alten Themas wird nicht in Beziehung gebracht sondern immer wieder als neue Nachricht verkauft, bis hin zu Absurditäten wie Trumps Tweets, über die sich seit über 12 Monaten quasi täglich einzeln und immer wieder empört wird, als ob er just heute völlig überraschend was völlig dummes geschrieben hat. Das wirkt auf Dauer wie mediales Blitzdingsen am Murmeltiertag und sorgt dafür, dass immer gleiche Stories immer wieder von vorne beginnen.
Ein anderer Grund ist die Art und Weise, wie wir selbst ganz persönlich in Sozialen Medien bei Diskussionen sofort nur noch auf Überschriften oder einen (Halb)satz eines Kommentators antworten und als vollständige These betrachten, weil eine differenziertere Betrachtung zb für einen flüchtigen Facebookkommentar viel zu aufwändig ist. Dass wir dadurch immer nur das zuletzt gesagte beachten ist aber langfristig ein Problem. Ich merke das ja selbst (und letztes Jahr war das ganz genauso), wenn ich schon wieder versuche, zu erklären, dass Cambridge Analyticas Behauptung, mit Daten Verhalten zu verändern zuallererst mal ein Scamsystem ist und gerade die aktuellen Enthüllungen das sogar bestätigen. Das bedeutet aber eben nicht dass alles, was diese Firma tut, harmlos ist, dass sie nicht gefährliche, höchstwahrscheinlich jede Menge illegale Praktiken anwendet um die Erfolge zu erreichen, die sie brauchen, um ihren Scam "echt" aussehen zu lassen. Oder dass Facebook aus dem Schneider sei und deren Datensammeleien und Umgang damit schon ok gehen. Das ist aber das, was mir als meine Behauptung oft unterstellt wird, jetzt und auch schon letztes Jahr.
Die Vereinfachung der Welt in reine entweder/oder, schwarz/weiß, links/rechts, gut/böse Gegensätze zum einen plus dieser Kontextlosigkeit, in der Dinge, die aufeinander Aufbauen, miteinander zusammenhängen oder sich über einen längeren Zeitraum verändert und entwickelt haben ignoriert werden ist eine enorm frustrierende Situation. Ich hab da jetzt auch keine These oder einen Vorschlag oder ein magisches Hustenbonbon, das das schnell lösen würde, aber genau darum gehts halt auch. Das magische Hustenbonbon gibt es nicht. Wir müssen hier den langen Weg gehen und all die Kontexte betrachten, die Veränderungen und Entwicklungen nun mal antreiben...
eingetragen am Mär 2, 2018 von jensscholz in .. bloggen
Der Tod ist offenbar doch ein wesentlich heikleres Thema als ich dachte. Ich hatte jedenfalls - nachdem wir letztes Jahr aus Anlass der ersten re:publica nach Johannes Tod eine eher spontane Erinnerungsecke aufgebaut hatten - signalisiert bekommen, eine Initiative zum Thema Erinnerungskultur würde begrüßt. Daher reichte ich das Thema für uns (uns sind Wibke, Nadja und ich) als Session ein:
Short thesis Die re:publica greift seit Jahren nicht nur aktuelle gesellschaftliche Themen auf, sondern hat auch bewusst eine Netzkultur und ein Gemeinschaftsempfinden geschaffen, das sie von anderen Fach- und Branchenkonferenzen unterscheidet. Ein wichtiger Aspekt jeder Gemeinschaft und jeder lebendigen Kultur ist der Umgang mit dem Tod. Erinnern wir uns an diejenigen, die wir verloren haben? Es wird Zeit, uns darum zu kümmern, diesen Teil des Lebens auch in unsere vornehmlich digitalen Kultur zu integrieren.
Description Der Tod gehört zu den existenziellen Themen, ohne die es keine lebendige Kultur geben kann. Auch keine digitale, denn wenn wir in den über zehn Jahren re:publica etwas gelernt haben: Es gibt keine Trennung zwischen "echter" und digitaler Welt.
Der Zusammenhalt und die Familiarität, die Herzlichkeit und das subversive Augenzwinkern ist, trotz aller kritikwürdigen Dinge, Fehler, Schwierigkeiten, Dissonanzen, die im Laufe der Jahre nicht ausblieben, so fest in der DNA der re:publica verankert, dass jedes Jahr selbst ganz neue Besucherinnen und Besucher spüren, dass hier eine ganz andere Atmosphäre herrscht als auf anderen Konferenzen.
Diese DNA der re:publica hat uns, die Menschen, die die Welt irgendwie besser machen wollen, im Mittelpunkt. Wir meinen, dass die re:publica als große Gemeinschaft diese besondere Kultur geschaffen hat und wir glauben, dass es wichtig ist, dass diese Kultur weiter getragen wird. Das geht aber nur, wenn wir unsere Geister nicht vergessen: die Menschen, die Teil dieser Gemeinschaft waren und inzwischen nur noch als Erinnerung unter uns wandeln.
Wenn wir in unserer Kultur in Zukunft auch Trauer, Erinnerung und Freude darüber zulassen, so wunderbare Menschen gekannt zu haben, dass sie uns fehlen wenn sie fort sind, wird diese Kultur reicher, gehaltvoller und substanzieller und wir werden uns damit die Sicherheit geben, dass die re:publica nicht vergessen wird, wo sie herkommt.
Daher wollen wir darüber reden, wie wir eine Erinnerungskultur in eine sehr digitale Gesellschaft bringen, die momentan noch sehr im hier und jetzt lebt und noch zu wenig an eine Zukunft denkt, in der immer mehr von uns verschwinden und uns neue Generationen nachfolgen. Wo ist der Platz für unsere Toten, wie leben ihre Ideen weiter? Aber auch: Wie können wir Angehörigen helfen, wenn nötig? Wie organisieren wir Möglichkeiten zu persönlicher Trauer und Erinnerung? Wie verhindern wir digitales Vergessen? Wie bereit sind wir selbst, uns mit dieser Thematik ernsthaft auseinanderzusetzen?
Heute kam die Mail, dass die Session nicht angenommen wurde*, was mich doch etwas überraschte. Ich bin aber - das sei erst mal klargestellt - erstens überhaupt nicht böse über die Absage und ich fahre zweitens natürlich auf jeden Fall hin und ich verfolge dort drittens auch weiterhin das Thema, ob nun mit "offiziellem" Slot oder nicht. Ein bisschen traurig bin ich natürlich schon, aber ich nehme das nicht persönlich weil ich weiß, dass Dinge passieren und Themen mal passen und mal halt grade nicht so gut. Vielleicht gibt es ja auch eine andere Einreichung, die in dieselbe Richtung geht. Das würde mich freuen und dann würde ich auch versuchen, mich eben dort mit einzubringen.
(* Update: die Session ist doch noch zustande gekommen. Man dachte wohl im ersten Moment, es ginge um das Thema "digitaler Nachlass", das letztes Jahr schon vorgestellt wurde. Danke fürs Klären an Markus.)
Mir ist das Thema aber aus verschiedenen Gründen wichtig und die will ich besprechen:
Unsere kleine digitale Gesellschaft hier in Deutschland, der ich mich zugehörig fühle, kommt in ein Alter, in dem der Tod zum ständigen Begleiter wird. Wibke meinte heute auf Facebook, in der Popkultur - das diesjährige Motto der re:publica - geht es um Liebe und Tod. Das stimmt auch, aber Pop sieht den Tod aus einer Warte, in der er weit weg ist. Eine Warte, in der er mit Romantik verbunden ist, nicht mit der banalen oder auch grausamen Gegenwart. Pop beschäftigt sich mit dem Tod zwar emotional, aber eben auch verklärt: Es geht dort nicht um den realen Verlust von realen Menschen. Der Tod ist in der Popkultur nur ein Symbol. Worum es uns geht ist nicht das, worum es in der Zeile "I would die for you" geht, die Brian Adams in einem Liebeslied singt um seiner Angebeteten zu erklären, wie groß seine Liebe ist.
Wir kommen alle früher als wir glauben in ein Alter, in dem der Tod den Schleier der Romantik ablegt. Ich werde dieses Jahr 50 und seit ein, zwei Jahren sterben Menschen, die mir nahe stehen, mit denen ich gearbeitet habe oder mit denen ich in der Schule war und das wird ab jetzt mehr werden und nicht weniger. Und eventuell bin ich auch angezählt und weiß es nur noch nicht, ich bin mir aber auf jeden Fall bewusst darüber, dass der weit längere Teil meines Lebens hinter mir liegt und nicht vor mir.
Ich würde mich daher freuen, mit Menschen darüber zu reden, wie wir mit dem Thema Tod umgehen wollen. Rein praktisch, aber auch emotional und kulturell. Ich glaube, dass es an der Zeitt ist, dass es hilfreich ist und dass es uns weiterbringt. Ich würde gerne über Möglichkeiten der gemeinsamen Erinnerung reden und darüber, ob und wie wir ganz konkret Hinterbliebenen helfen können, auch finanziell oder organisatorisch.
Ich werde die re:publica und euch auch ohne Session darauf ansprechen und freue mich, wenn ihr mich darauf ansprecht. Vielleicht bekommen wir ja eine Initiative auf die Beine gestellt und vielleicht können wir die dann im nächsten Jahr vorstellen.