Mein Leben ist - wie wahrscheinlich viele andere auch - voller Brüche. Oft verursacht durch Umzüge, für die wiederum Gründe wie Ende der Schule, Studium und Jobwechsel verantwortlich sind oder auch mal eine Trennung. Bei mir ist es allerdings so, dass ich sowas vergleichsweise häufig gemacht habe. Als Kinder sind wir schon öfter umgezogen als andere im ganzen Leben - sieben Mal bis ich selbst Richtung Heidelberg zum Studieren weggezogen bin, über vier Bundesländer verteilt. Ich war auf zwei Grundschulen und vier Gymnasien in NRW, Bayern und Baden-Württemberg. Danach gings eine Weile nach Hessen, inzwischen bin ich ja nun in Köln.
Was ich dabei gelernt habe: Man kann nicht viel mitnehmen. Solche Veränderungen verbrauchen viel Energie und Konzentration, wenn man sich darauf nicht richtig einlässt, weil man sein Herz irgendwo an alte Orte und Gewohnheiten hängt, schafft man den Übergang nicht. Leider verliert man dabei aber nicht nur Orte und Gewohnheiten, sondern auch Menschen. Einige sofort, manche nach und nach, wenn man Glück hat verliert man nicht ganz den Kontakt. Aber man entfernt sich doch voneinander, hält sich vielleicht noch auf dem Laufenden aber die enge gemeinsame Zeit ist vorbei. Bei ein paar wenigen wird man den Rest seines Lebens traurig darüber sein.
Was ich aber immer mitnehmen kann sind Bücher und Musik. Oder besser: Autorinnen und Autoren bzw. Musikerinnen und Musiker. Eine davon ist Tanita Tikaram. Sie hat 1988 mit 18 ihr erstes Album herausgebracht und veröffentlicht seit dem alle paar Jahre wieder ein neues, so dass es heute neun Alben gibt. Auf den Punkt genau, denn heute erschien "Closer to the People". Und ich habe bis heute jedes davon quasi am Erscheinungstag gekauft. Die ersten beiden jeweils als Vinyl-Schallplatten, die nächsten sechs als CDs und die letzten beiden als Download.
Bei alledem bin ich zwar ein treuer, aber auch ein stiller Fan. Ich habe kaum eine Ahnung davon, was sie in den ganzen Jahren so gemacht hat. Ich mag ihre Musik und habe daher vor allem eine Beziehung dazu. Jedes Album erschien irgendwie zum richtigen Zeitpunkt und steht somit für einen neuen Lebensabschnitt oder das Ende eines alten. Ich habe die Alben immer sehr eng mit dem Verknüpft, was mich damals jeweils bewegt hat - nicht dass sie das so beabsichtigt hätte, aber ich nehme an, dass die meisten Menschen im selben Alter eben auch viele ähnliche Denk- und Entwicklungsphasen haben und dadurch dass wir gleichzeitig genauso älter werden resonierte das eben.
So auch jetzt wieder. Letzte Woche waren wir im Auftakt-Konzert ihrer neuen Tour zum neuen Album in Köln und es war schon ein bisschen seltsam, jemanden, die mich irgendwie seit nicht ganz dreißig Jahren begleitet, das erste Mal vor mir zu sehen und zu hören. Da stand eine relaxte und gut gelaunte Frau auf der Bühne, sichtlich froh, ihre neuen Lieder zum ersten Mal einem Publikum vorzusingen. Fünf Meter weg vielleicht. Und die Stimme dieser Frau war die, die ich seit Jahrzehnten kenne und liebe. Ein bisschen irreal, aber auch irgendwie ein lange überfälliger Zirkelschluss.
Heute hab ich die neuen Lieder zum zweiten Mal gehört - diesmal nicht Live sondern auf der Anlage - und es geht mir wieder so wie jedes mal, wenn ich eine neue CD von ihr gekauft habe: Sie singt anscheinend von genau den Dingen, die mich in dieser Zeit beschäftigen. Von Ruhelosigkeit und der richtigen Balance zwischen dem was man muss und was man möchte, von den inneren Feinden, den guten Freunden und wie schön es ist, anderen beim Tanzen zuzusehen weil man endlich akzeptiert hat dass man selbst eben nicht tanzt.
Schöne Lieder, die davon handeln, dass man inzwischen freier ist und nicht mehr alles Beweisen muss (vor allem nicht mehr sich selbst), zweifelnde Lieder, die davon handeln, Menschen darum zu bitten, nicht wegzugehen nur weil man mal was doofes macht oder sich auch nur verändert. Oder wenn dann doch einer gegangen ist, davon auch damit zurecht zu kommen, weil man doch lieber authentisch bleibt. Und das alles eben nicht mit dem Drama des Mitte Zwanzigjährigen sondern dem bluesig-jazzigen Verve, das einem mit dem Selbstbewusstsein eines Menschen über Vierzig zusteht.
Ich freue mich also, dass sie weiter eine meiner ständigen Begleiterinnen ist.