Ich bin inzwischen zum dritten Mal auf den Artikel in Wired gestoßen, in dem beklagt wird, dass "wir" uns ja so sehr an die Optimierungsgesellschaft angepasst hätten, dass das ehemals total persönliche und nette Zusammensein auf Facebook zurückgegangen ist, weil "wir" nicht mehr die einfachen kleinen privaten Meldungen posten, sondern nur noch perfekt gestylte Momente, Links die uns klug und wichtig aussehen lassen und normierte Sinnsprüchlein oder Comics zur allgemeinen Belustigung veröffentlichen.
Jedes Mal dachte ich mir dabei, dass ich den Artikel nicht gut finde. Was seltsam ist, denn eigentlich erscheint mir die Aussage ja vordergründig richtig: Die Regeln des Content Marketings, die alle Inhalte im Netz - ob nun auf sozialen Netzwerken, auf Newsseiten oder in halbwegs privaten Blogs - irgendwie optimiert und gestreamlined haben, bieten einem ja wirklich inzwischen ein arg eintöniges und gleichförmiges Bild. Die Timeline sieht jeden Tag aus wie die des Vortages und der "Mix" ist auch derselbe.
Ich glaube dennoch, dass die Autorin daneben liegt, sowohl mit der Ursache dafür, dass es so aussieht wie es aussieht ("wir" posten nur noch Schmockzeug) als auch mit der Idee einer Lösung ("wir" müssen wieder anderes Zeug posten). Denn die Ursache sind nicht "wir".
Ich habe - der Einfachheit halber mal ignorierend, dass Facebook noch nie die erste noch die beste Stelle war, um öffentlich über private Dinge zu schreiben - mir mal die Walls einiger Freundinnen und Freunde angesehen, von denen ich weiß, dass sie genau das tun, was im Artikel verlangt ist: Meldungen über den morgendlichen Kater, Fotos aus dem Hinterhof, Klagen über den Paketzusteller, das lustige Missgeschick von eben, das verwackelte Bild von der Familienparty, die Sorgen über diese unerwartete Rechnung und so weiter.
Was ich festgestellt habe waren zwei Dinge: Entweder posten sie diese Dinge noch immer genau so, wie schon vor Jahren, auf ihre Facebook-Wall oder sie schicken solche Mitteilungen inzwischen über private Familien-/Freundes-Gruppen und PNs. Bzw. sie nutzen inzwischen andere Netzwerk- und Messagingsysteme neben Facebook dafür, die es früher nicht gab, aber eben eine viel genauere Differenzierung der Privatsphäre erlauben. Aber egal wie, ich erhalte von allen immer noch genausoviel oder sogar mehr private Inhalte wie früher.
Was bedeutet: "Wir" haben gar nicht aufgehört, private Momente zu teilen. Einige haben lediglich aufgehört, sie mit der ganzen Welt zu teilen. Etwas, was sie ohnehin nie vorhatten, aber aus zwei Gründen für eine Weile ok war: Erstens war man auch öffentlich noch eine ganze Weile "unter sich" weil noch längst nicht alle Welt in Netzwerken (ob informell wie unsere Blogs in den ersten 10 Jahren der 2000er oder formell wie auf Twitter, OkCupid, Facebook und so weiter) unterwegs war und zweitens gab es die besagten neuen Messaging-Community-Dienste noch nicht, die eine bessere Differenzierung und Filterung ermöglichen, wer was zu sehen bekommt.
Was aber inzwischen auch passiert ist: Facebook erweiterte sich von einem Netzwerk für Privatmenschen und ihrer Freundeskreise zu einer breiten Plattform für die Interaktion mit Firmen, Geschäften, Parteien, Aktivitäten, Themen, Produkten und Persona (also Menschen, die ein nicht privates, öffentliches Profil zeigen: Beraterinnen, Künstler, Autorinnen, Handwerker,...). Diese Inhalte füllen inzwischen meine Timeline zusätzlich, und zwar mehr oder weniger davon abhängig, wie viele Seitenprofile ich like, wie vielen Persona ich folge und im Vergleich dazu wie wenige "echte" Menschen ich in der Freundesliste habe.
Das bedeutet, die Autorin sollte eventuell mal ausprobieren was passiert, wenn Sie ein paar ihrer Likes auf Firmenseiten und Profiprofilen entfernt. Sie könnte feststellen, dass sich ihre Timeline plötzlich wieder mit viel mehr privaten Meldungen ihrer Freunde füllt. Wenn sie dann noch die ganzen Bildchen-Share-Seiten konsequent blockt, sobald mal eins auftaucht, wird es sogar noch besser. Da Facebook die Timeline ja "in unserem Interesse" mit dem, was angeblich für uns wichtig oder interessant sei, vorsortiert, spült es uns eben immer mehr von dem Zeug hinein, das gar nicht von unseren Freunden kommt sondern eben jenen Content, der genau auf die Kriterien zugeschneidert ist, von dem Facebooks Algorithmus annimmt, dass er qualitativ hochwertiger ist als die orthografisch nicht ganz korrekten Oneliner, die mein bester Kumpel schreibt, die ich aber in Wirklichkeit dennoch viel lieber gelesen hätte.
Soweit die Ursachen. Wie siehts mit der Lösung aus? Mehr privates posten? Wie gesagt, "wir" posten ja gar nicht weniger privates als früher. Aber was ist mit dem Argument, dass der Anteil der Menschen zurückgegangen ist, die private Meldungen verfassen? Von 40 FreundInnen haben das früher 30 regelmäßig getan, von jetzt 150 nur 35. Das Verhältnis ist also gesunken.
Ja. Aber eventuell sind in den letzten Jahren eben auch jede Menge Menschen auf Facebook hinzugekommen, um sich mit Freunden und Verwandten zu verbinden, die aber gar nichts schreiben, weils ihnen gar nicht darum geht oder noch nie darum ging. Das sind die Leute, an denen die Blog-Ära komplett vorbeizog, weil sie zu dieser Zeit überhaupt nichts im Netz gemacht haben ausser sich mal Infos über den Urlaubsort zu googlen. Die auch nie ein Interesse daran hatten, irgendwas privates öffentlich zu machen. Denen dieser ganze öffentliche Exhibitionismus nie was gesagt hat oder die ihn sogar doof fanden.
Von denen hab ich vor Facebook nie was im Netz gelesen und seit sie in Facebook sind, auch nie. Aber sie benutzen persönliche Messages, um mich zu ihrem Geburtstag einzuladen und mir zu meinem zu gratulieren und sie schreiben Dinge wie "Ist das nicht toll, dass wir jetzt so einfach Kontakt halten können?". Weil es das ist, was sie auf Facebook tun. Nur eben nicht öffentlich.
Und weiter: Da Facebook inzwischen kein Vereinsheim, Unimensa, Stammkneipe oder der Cliquen-Bus ist sondern ein großes Einkaufs- und Servicezentrum ist, erinnern sich viele Menschen gar nicht daran, wie es "früher" war, als es noch keine Firmenseiten, Newsservices, Entertainmentbereiche und allgegenwärtige Werbung gegeben hat. So lange ist der größere Teil der Facebook-Nutzer nämlich noch gar nicht dabei. Aber so ist Nostalgie, so wie die Autorin sich die Zeit zurückwünscht, in der man sich auf Facebook "unter sich" gefühlt hat, so denke ich mit wohliger Erinnerung an die Zeit zurück, als Blogs noch per Blogroll vernetzt waren und man jedes Blog an seinem individuellen aussehen erkannte. Das hat sich eben geändert - manchen zum Guten, manches zum Schlechten.
Also: Ich glaube nicht, dass die Autorin schon so alt ist, dass sie sich nicht mehr mitverändern kann. Dass sie mal schaut, ob die Geschichten, die sie vermisst, nicht einfach inzwischen wieder irgendwo anders sind als auf Facebook. Oder ob ihr Bedürfnis nach mehr Nähe und Privatheit mit ihren Freundinnen und Freunden nicht durch viel passendere und intimere Dienste viel besser abgebildet werden.
Wenn "wir" irgendwas müssen, dann diesem Bedürfnis nach privatem Kontakt und Vernetzung folgen und wenn Facebook das nicht mehr erfüllt, dann suchen wir uns eben neue Wege dafür.
DAS haben wir nämlich schon immer so gemacht.